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Vom Poetischen in der Musik
Klaviersonaten Beethovens und Chopins
VON ISABEL NEUDECKER
Neue Pfade in der Instrumentalmusik
Um 1800 erlebt Wien eine kulturelle Blüte und bietet all jenen, die ihre Ohren der Instrumentalmusik öffnen, neue Hörerlebnisse. Deutsche Romantiker wie Ludwig Tieck und Georg Wilhelm Friedrich Hegel sehen in der Instrumentalmusik die »höchste, poetische Sprache« (Tieck in den »Phantasien über die Tonkunst«, 1799), und Beethoven – bislang »nur wenig zufrieden« mit dem eigenen Schaffen – lenkt sein Tun auf neue Pfade. Markant ist dies in seinem Sonatenschaffen, insbesondere bei der Klaviersonate.
Der Magnetismus des klassischen Ebenmaßes
Bislang eher im adeligen Umfeld beheimatet, bahnt sich die Klaviersonate als eine der prototypischen Formen der Wiener Klassik den Weg in das Konzertleben und emanzipiert sich somit von einer Gattung, die von adeligen Liebhaber:innen im kleineren Kreis aufgeführt wurde, zu einer spiel- und kompositionstechnisch anspruchsvollen Form, die ein intellektuell geschultes, rezeptionsfähiges Publikum erreicht und ebenso braucht. Kompositionen wie die um 1803 entstandene »Waldsteinsonate« (die den Beinamen ihrem Widmungsträger, dem Grafen Ferdinand von Waldstein, verdankt) ziehen ihren Magnetismus aus dem Spannungsfeld des sogenannten »klassischen Ebenmaßes« in Form und Ästhetik und dem Unerwarteten, das das »Klassische« überschreitet.
Raffinesse und Unmittelbarkeit im Klassischen wie Romantischen
Der Wiener Pianist Rudolf Buchbinder weiß, was diese Raffinesse ausmacht. Als Quellenkundiger – Buchbinder besitzt 39 komplette Ausgaben von Beethovens Sonatenschaffen, dem »Neuen Testament der Klaviermusik«, – setzt er sich zunächst intensiv mit dem Notentext auseinander, bevor er seine Zuhörer:innenschaft einlädt, die Besonderheit der Musik um 1800 zu erleben. Auch der 1985 geborene Rafał Blechacz nähert sich diesen Schätzen an und nimmt dabei Beethovens etwas früher verfasste Sonate op. 10/1 (»keineswegs klein oder leicht, sondern exzentrisch und an der Grenze des Unspielbaren«, so Joachim Kaiser) in den Fokus.
Die virtuose Klaviersonate als »Konzert ohne Orchester« – ein solches hat auch der Star der Tastenkunst, Frédéric Chopin, mit seiner 3. Klaviersonate h-moll op. 58 (1844) hinterlassen: für jemanden wie Blechacz, Gewinner des Chopin-Wettbewerbs 2005 und mit Chopins Musik vertraut, ein Muss. Die Komposition lässt hinsichtlich Intensität, Dramatik und Kantabilität kaum Wünsche offen – sie ist eine der wenigen Auseinandersetzungen Chopins mit der »großen« Gattung Sonate.
»Mein Klavier ist mein zweites Ich«, schrieb Chopin als Ausdruck der höchsten künstlerischen Individualität. Beethoven hätte ihm wohl zugestimmt. Man sollte also die Gelegenheit nützen, diese Sonate in den Interpretationen von Rafał Blechacz und Rudolf Buchbinder zu hören – und sich an der Freiheit im Moment zwei Mal und zwei Mal anders erfreuen.
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KONZERTTIPPS
01/10/23
So, 19.30 Uhr · Großer Saal
Klavierabend
Rudolf Buchbinder
Franz Schubert:
Vier Impromptus D 935
Ludwig van Beethoven:
Sonate C-Dur op. 53
»Waldstein-Sonate«
Frédéric Chopin:
Sonate h-moll op. 58
Karten:
https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60593
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17/10/23
Di, 19.30 Uhr · Mozart-Saal
Klavierabend
Rafał Blechacz
Johann Sebastian Bach:
Partita Nr. 2 c-moll BWV 826
Ludwig van Beethoven:
Sonate c-moll op. 10/1
32 Variationen c-moll über ein eigenes Thema WoO 80
Karol Szymanowski:
Variationen b-moll op. 3
Frédéric Chopin:
Sonate h-moll op. 58