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Sol Gabetta

Sol Gabetta

Im Interview gibt die Cellistin Einblicke in die Kunst der Interpretation und in ihre Porträtreihe

Sol Gabetta – der Vorname klingt spanisch, der Nachname könnte italienisch sein. Woher kommt der Name, und wo sind Sie zu Hause?

In Südamerika war der Name Sol üblich, in meiner Klasse war ich nicht die einzige. Er bezeichnet die Sonne oder den Ton. Für meine Eltern bedeutete er die Sonne, die in einer schwierigen Familiensituation zu ihnen kam. Gabetta ist ein Name aus Italien, woher die Vorfahren meines Vaters kamen. Er selbst war bereits Argentinier. Meine Mutter hat russische Vorfahren. Sie ist in Frankreich geboren, ihre Eltern wanderten dann nach Paraguay aus. Ich bin in der Zwischenzeit Schweizerin geworden. In der Schweiz habe ich viele besondere Momente meines Lebens, die Studienzeit etwa, erlebt. Dort hat ein neues Leben für mich angefangen.

Ihre Muttersprachen sind also Spanisch und Französisch?

Im Spanischen habe ich keinen Akzent, obwohl ich Argentinien bereits mit neun Jahren verlassen habe. Französisch habe ich viel später gelernt, und meine Mutter hat hervorragend Spanisch gesprochen – richtig zweisprachig bin ich also nicht. Auch mit meinem Sohn – sein Vater ist Franzose – spreche ich Spanisch.

Im Mai 2025 spielen Sie mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden und Tugan Sokhiev als Dirigenten Schostakowitschs 1. Cellokonzert. Im Wiener Konzerthaus waren Sie damit 2017 schon einmal zu erleben; zu diesem Zeitpunkt waren Sie hochschwanger.

Ja, mein Sohn ist wenige Tage danach geboren, es war mein letztes Konzert vor seiner Geburt. Meine Ärztin hat mich für verrückt erklärt, weil ich nach Wien gereist bin, um zu spielen. Ich habe sehr gekämpft im vierten Satz. Mein Sohn hat sehr viel Schostakowitsch gehört!

Wie verändert sich die Interpretation eines Werks durch eine Lebenssituation oder mit der Zeit, in der man sich mit ihm beschäftigt?

Schostakowitschs Konzert habe ich bereits 1996 im Rahmen eines Wettbewerbs gespielt. Ich habe viele Erfahrungen mit diesem Werk gemacht, es mit vielen Orchestern, in verschiedenen Auftrittssituationen gespielt. Wenn man ein Repertoirestück oft aufführt, kann man es einfach sicher und gut spielen – das interessiert mich gar nicht. Wenn ich gerade nichts Besonderes zu bieten habe, dann spiele ich ein Stück eine Weile nicht mehr. Ich schaue, ob neue Ausgaben erscheinen, ob ich etwas ändern muss. Das Stück wird mit den Jahren, mit der Erfahrung, zu etwas Eigenem.

Von bekannten Interpretationen, auch von Interpret:innen, für die es geschrieben wurde, wie im Fall von Schostakowitsch Mstislav Rostropowitsch, distanziere ich mich. Erst so kann ich eine wahre Interpretation für mich selbst finden. Warum spiele ich ein Stück? Weil ich mit dem Material etwas Neues, etwas Persönliches anfangen kann. Rostropowitsch hat ganz anders gespielt, aber er hat auch mit seiner Geschichte und in seiner Zeit gespielt – ich lebe in einer anderen Zeit und habe andere Erfahrungen gemacht. Wie schafft man seine eigene Interpretation, warum bin ich auf der Bühne – das ist eine wichtige Frage für mich, auch in meiner Arbeit mit Studierenden. Wenn man von einer Interpretation überzeugt ist, kommt das sehr gut an, egal wie sie ist.

Im Juni 2025 spielen Sie mit den Wiener Symphonikern unter Lorenzo Viotti das 1. Cellokonzert von Camille Saint-Saëns, uraufgeführt 1873, ein Werk, das wichtig war für die Entwicklung der Gattung. Welchen Stellenwert hat es für Sie?

Es gibt ein paar Stücke, die Studierende sehr früh lernen, eines davon ist Saint-Saëns’ 1. Cellokonzert; manchmal heißt es deswegen, es sei musikalisch nicht erstklassig. Das stimmt nicht, dieses Konzert ist grandios – kurz, jugendlich, frisch und voller Fantasie, wie auch Saint-Saëns’ 2. Cellokonzert.

In Ihrer Porträtreihe treten Sie zweimal mit Kammermusik, zweimal als Solistin in Orchesterkonzerten auf. Welchen Unterschied macht es für Sie, kammermusikalisch oder als Solistin aufzutreten?

Ich mache sehr viel Kammermusik, schon vor zwanzig Jahren habe ich ein eigenes Festival gegründet, das Solsberg Festival, und eigentlich hat man als Solist:in – abgesehen vom Klanglichen und der Präsenz – keine andere Rolle als in der Kammermusik. Je mehr Bühnenerfahrung man hat, desto mehr versteht man, dass man als Solist:in auch in großen Cellokonzerten mal eine solistische, mal eine kammermusikalische Rolle einnimmt. Mit Erfahrung gelingt dieser Rollenwechsel innerhalb des Konzerts – er macht die Musik spannender.

Wer sind Ihre kammermusikalischen Partner:innen?

Ich spiele vor allem im Duo und im Trio. Zu meinen wichtigsten Partner:innen zählen Patricia Kopatchinskaja im Duo – wir haben 2021 im Konzerthaus gemeinsam gespielt – und das Trio mit Isabelle Faust und Kristian Bezuidenhout, das für mich unglaubliche musikalische Erlebnisse bietet. Es ist für uns organisatorisch nicht leicht, gemeinsam auf einer Bühne zu sein, weil wir alle sehr eingespannt sind. Aber ich bin unglaublich froh, dass wir es schaffen und gemeinsam ins Wiener Konzerthaus kommen. Und Bertrand Chamayou – er ist wie ein musikalischer Bruder, wir sind wie ein gemeinsames Wesen. Mit Bertrand aufzutreten ist fast so, als würde ich mit mir selbst auftreten.

Bei Ihrem Konzert im Oktober mit Bertrand Chamayou spielen Sie Werke von Mendelssohn Bartholdy, aber auch von den zeitgenössischen Komponisten Wolfgang Rihm und Jörg Widmann. Was war die Idee hinter diesem Programm?

Dieses Programm widmet sich Mendelssohn und dem Thema »Lied ohne Worte«. Mendelssohn hat zwar zahlreiche »Lieder ohne Worte« für Klavier, aber nur ein einziges für Violoncello geschrieben. Ich habe weitere »Lieder ohne Worte« gesucht, aber nicht viele gefunden. Und so kam die Idee, Komponisten, die mir in den letzten Jahren sehr nahe waren, zu fragen, ob sie welche für mich schreiben könnten. Wolfgang Rihm war einer der ersten, den ich gefragt habe, in einer Zeit, in der ich gerade sein Cellokonzert gespielt habe. Bei Jörg Widmann meinten alle, ich wäre für einen Auftrag schon zu spät dran, aber plötzlich kamen die Noten, und ich war so glücklich. Die Idee dieses Programms ist, dem Publikum eine musikalische Reise zu bieten, ein Konzert mit mehr Farben.

Auf welchen Instrumenten spielen Sie?

Ich habe das Glück, mittlerweile auf zwei Instrumenten zu spielen. Sie sind zwar aus der gleichen Zeit, aber von extrem unterschiedlichem Charakter. Das Cello von Antonio Stradivari aus dem Jahr 1717 spiele ich meistens mit Darmsaiten oder mit umwickelten Darmsaiten, ich verwende es normalerweise für Kammermusik bzw. für Repertoire von Barock bis Frühklassik. Das Instrument von Matteo Goffriller aus dem Jahr 1725 mit Stahlsaiten spiele ich bei Rezitalen oder Orchesterkonzerten; es hat einen viel stärkeren Klang.

Sie treten weltweit auf. Gibt es große Unterschiede zwischen dem Publikum an verschiedenen Orten?

Wenn man viel reist, ist man jeden Abend mit einem anderen Publikum konfrontiert. Aber man weiß vorher nie, wie es ist. Man hat immer die Aufgabe, das Publikum zu überzeugen. Ob es mich mag oder nicht, ist sekundär. Wichtig ist, dass das Publikum mit etwas Besonderem nach Hause geht – im Herzen, in seinen Gefühlen, in seiner Art zu denken. Wichtig ist, dass ich etwas Ehrliches in die Interpretation bringe – das spürt das Publikum. So kann es auch eine Interpretation akzeptieren, die anders ist als erwartet.

Eine letzte Frage: Was ist Ihr Ritual unmittelbar vor einem Konzert, was brauchen Sie?

Dunkle Schokolade!

Das Gespräch führte ALEXANDRA ZIANE

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Mo, 07/10/24, 19.30 Uhr · Mozart-SaalSol Gabetta · Bertrand ChamayouSol Gabetta VioloncelloBertrand Chamayou Klavier

Felix Mendelssohn BartholdyVariations concertantes D-Dur op. 17Sonate D-Dur op. 58 für Violoncello und KlavierWolfgang Rihm Lied ohne Worte (EA)Verschwundene Worte (EA)Johannes Brahms Sonate F-Dur op. 99 für Violoncello und KlavierJörg Widmann Lied ohne Worte (EA)

Karten:https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61665

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PORTRÄT SOL GABETTA

16/02/25 Faust · Gabetta · Bezuidenhout

23/05/25 Sächsische Staatskapelle Dresden · Gabetta · Sokhiev

12/06/25 Wiener Symphoniker · Gabetta · Viotti

13/06/25 Fridays@7: Wiener Symphoniker Gabetta · Viotti

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