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Klangwelten des Fin de Siècle

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Sol Gabetta

Sol Gabetta

Das Originalklang Project des Mahler Academy Orchestra gastiert mit Werken von Rachmaninoff und Mahler

VON RAPHAELA BEROUN

Die historische Aufführungspraxis hat sich für die Musik des 16., 17. und 18. Jahrhunderts bereits gut gefestigt – deren Anhänger:innen haben am 15. Oktober die Gelegenheit, das L’ Orfeo Barockorchester unter der Leitung von Michi Gaigg mit Werken von Johann Sebastian Bach zu hören. Bei Werken des 19. und frühen 20. Jahrhunderts hört man sie hingegen noch selten. Das Originalklang-Project des Mahler Academy Orchestra unter der Leitung von Philipp von Steinaecker und mit Leif Ove Andsnes am Klavier bietet die Gelegenheit, Musik, von der wir dachten, dass wir bereits bestens mit ihr vertraut wären, neu bzw. wieder zu entdecken. Auf historischen Instrumenten und mit Spieltechniken des Fin de Siècle werden sie beliebte Werke wie Sergej Rachmaninoffs 3. Klavierkonzert und Gustav Mahlers 5. Symphonie in ein für uns neuartiges Klanggewand kleiden.

Im Interesse der Interpret:innen steht es, den Intentionen der beiden Komponisten nachzuspüren. Dieser Vorsatz selbst ist bereits ganz im Sinne Mahlers, der seinerseits ebenfalls bestrebt war, die Vorstellungen der von ihm interpretierten Komponisten auf bestmögliche Weise zu verwirklichen. Für Mozart-Rezitative ließ der damalige Wiener Hofopern-Direktor etwa ein Spinett ankaufen. Seine 5. Symphonie historisch informiert aufzuführen, kann insofern als folgerichtiger Entschluss gewertet werden, der ganz in der Aufführungstradition des Komponisten steht.

Die Klangwelt der Zeit um 1900 war, etwa das Klavier betreffend, eine völlig andere. Der Klavierbau war wesentlich differenzierter und weniger standardisiert, die klanglichen Unterschiede zwischen einem Wiener Bösendorfer, einem französischen Erard, einem Blüthner aus Leipzig oder einem Steinway aus New York erheblich. Sind die heute technisch perfekt ausgefeilten, ausbalancierten und tragfähigen Instrumente kein Muss für Rachmaninoffs 3. Klavierkonzert? Auch hier gibt es eine historisch angemessene Alternative: Leif Ove Andsnes spielt auf einem originalen Steinway aus dem Jahr 1910. In diesem Jahr interpretierte Rachmaninoff unter der Leitung Mahlers in der New Yorker Carnegie Hall sein 3. Klavierkonzert auf einem Instrument des in Manhattan und Hamburg ansäßigen Instrumentenbauers.

Die heutigen Streichinstrumente unterscheiden sich zwar bautechnisch nicht von denjenigen um 1900, jedoch wurde zu dieser Zeit noch ausschließlich auf Darmsaiten und mit Holzdämpfern gespielt. Ganz unterschiedlich war außerdem die Tonbildung. Eine Spielanweisung der 1. Violinen im Adagietto von Mahlers 5. Symphonie, »Vibrato, mit innigster Empfindung«, weist darauf hin, dass Mahler das Vibrato als bewusstes Ausdrucksmittel angesehen hat. Wie Quellen und auch frühe Aufnahmen zeigen, war die Tongebung insgesamt schlanker, wurde das Vibrato wesentlich sparsamer eingesetzt als heute. Außerdem spielte man mit deutlich hörbaren Lagenwechseln, dem sogenannten Portamento, und darüber hinaus war das Rubato ein wichtiges Ausdrucksmittel, das eine freie Tempogestaltung ermöglicht.

Mit Arnold Rosé, seinem Schwager, der bei Tonaufnahmen aus den 1930er-Jahren als Konzertmeister fungierte, war Mahler in engem Austausch; ihm verdankte er vermutlich viele seiner Kenntnisse in Bezug auf die Streichinstrumente, denen er in Hinsicht auf Spieltechnik und Klanggestaltung viel abverlangte. Musiker:innen, die noch unter Mahler gespielt haben, berichteten, dass er durchaus Vibrato verlangt und die Spieler:innen immer darum gebeten hatte, auf ihren Instrumenten zu singen.

Andere Instrumente entwickelten sich in den folgenden hundert Jahren noch weiter, um den Anforderungen nachkommen zu können, die hochromantische Orchesterwerke ihnen abverlangten. Einige der Änderungen vollzogen die Wiener Orchester bekannterweise nicht nach, weshalb wir noch heute die Wiener Oboe oder das Wiener Horn kennen. 1909 bestellte Mahler als Leiter des New York Philharmonic zwei Paar Pauken bei Hans Schnellar in Wien, die mit Ziegenfellen bespannt und grundlegend neu konstruiert waren – Instrumente, die das Mahler Academy Orchestra verwendet, ebenso wie die Blas -und Schlaginstrumente, die Mahler während seiner Zeit als Hofopern-Direktor im Zuge einer kompletten Erneuerung dieser Instrumentengruppen anschaffen ließ.

Um den Klang der Jahrhundertwende möglichst originalgetreu zu rekonstruieren, steht dem Mahler Academy Orchestra mit dem Musikwissenschaftler Clive Brown ein Spezialist zur Verfügung, der seine Erkenntnisse zu Notation, Klängen und Ausdrucksmöglichkeiten in Workshops und Proben mit den Musiker:innen geteilt und erarbeitet hat. Hochbegabte Studierende der Gustav Mahler Academy aus ganz Europa kommen für dieses Projekt mit Musiker:innen aus Top-Ensembles zusammen, um den Aufführungskonventionen einer anderen Zeit nachzuspüren – und sie teilen diese Erfahrung im Konzert am 11. September mit Ihnen!

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Mi, 11/09/24, 19.30 Uhr · Großer SaalMahler Academy Orchestra Originalklang-Project · Andsnes · von SteinaeckerLeif Ove Andsnes KlavierPhilipp von Steinaecker Leitung

Sergej RachmaninoffKonzert für Klavier und Orchester Nr. 3 d-moll op. 30Gustav MahlerSymphonie Nr. 5

Karten:https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61634

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Di, 15/10/24, 19.00 Uhr · Mozart-SaalL’ Orfeo Barockorchester · Oitzinger · Kooij · GaiggMargot Oitzinger AltPeter Kooij BassMichi Gaigg Leitung

Johann Sebastian BachConcerto für Cembalo, zwei Blockflöten, Streicher und Bassocontinuo F-Dur BWV 1057Widerstehe doch der Sünde BWV 54Der Friede sei mit dir BWV 158Gott soll allein mein Herze haben BWV 169Ich will den Kreuzstab gerne tragen BWV 56

Karten:https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61677

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