David J. Levin
DECONSTRUCTING SINGSPIEL
Zwischen Schau-Spielen und Singen Hans Neuenfels’ Inszenierung der Entführung aus dem Serail ist ebenso erstaunlich wie verwirrend. Zum Teil liegen die Gründe hierfür auf der Hand: Neuenfels kürzt den Dialogtext radikal und fügt eigenen Text hinzu. Darüber hinaus wird jede Rolle, mit Ausnahme des Bassa Selim, verdoppelt, so dass sich eine Sängerin oder ein Sänger und eine Schauspielerin oder ein Schauspieler eine Rolle teilen. Auf diese Weise entsteht ein Überfluss, wo der Operntext sonst einen Mangel aufweist: Während der Bassa normalerweise als Schauspieler verstanden und besetzt wird, dem eine Gesangsstimme fehlt, wird hier jede andere Hauptrolle durch einen Schauspieler bzw. eine Schauspielerin ergänzt. Nicht die Verdopplung der Hauptrollen oder die Eingriffe ins Libretto sind jedoch das Auffälligste an dieser Inszenierung, sondern die atemberaubenden theatralen Erfindungen, die Neuenfels aus dem Stück entwickelt. Einige davon können auf den Text des Werks und seine Dramaturgie zurückgeführt werden, was sie nicht weniger überraDAV ID J. LEV IN
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