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Vorwort Dominique Meyer
Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher, liebes Publikum!
Diese zehn Jahre sind so schnell vergangen: 3.800 Aufführungen, 122 Operntitel, 57 verschiedene Komponisten, ein erweitertes Ballettprogramm. In den letzten zehn Jahren ist vieles passiert: – Die Zahl der Neuproduktionen wurde von vier auf sechs pro Jahr erhöht. – Die Probenbedingungen wurden verbessert: von 90 auf 110 Orchesterproben, längere Probenzeiten für Repertoireaufführungen, Bau einer neuen Probebühne im Arsenal. – Mit der neuen Ernennung von „Ersten Solotänzerinnen“ bzw. „Ersten Solotänzern“ und einer besseren Organisation der Karriereentwicklung innerhalb des Corps de ballet, konnte eine neue und brillante Generation von Ersten Solisten entstehen. Die Programmgestaltung von Manuel Legris hat es ermöglicht, die meisten der großen Ballettklassiker in hochwertigen Produktionen wieder aufleben zu lassen, aber auch das Beste des zeitgenössischen Schaffens zu begrüßen. Parallel dazu sind zahlreiche neue Sänger ins Ensemble bekommen. Viele von ihnen machen jetzt Weltkarriere. – Sowohl die Opern- als auch Balletttourneen wurden vervielfacht. – Neue Technologien wurde ins Haus gebracht: Installation von Bildschirmen unter den Arkaden, Entwicklung des Streamings, das für 350 Übertragungen in High Definition sorgt und die erste weltweite Ausstrahlung in 4K ermöglichte, Schaffung des Untertitelsystems mit acht Sprachen via der für jeden Zuschauer installierten Tablets, Digitalisierung der Partituren, die nun den Versand des gesamten Materials an die Sänger ohne Portokosten ermöglicht, Einsatz der Tablets von den Inspizienten, Modernisierung der Ton- und Videoinstallation, Wechsel der Beleuchtung im Großen Haus auf LED, usw. … – Die historischen Teile des Hauses (Schwind-Loggia, Schwindfoyer, Eingangsbereich …) wurden restauriert und erscheinen wieder in ihrer ursprünglichen Pracht. – Die wirtschaftlichen Ergebnisse waren gut: die Auslastungsrate ist gestiegen und erreichte sowohl in der Oper als auch im Ballett mehr als 99%, der Kartenverkauf ist von 28 Millionen Euro im Jahr 2010 auf 37,5 Millionen Euro im Jahr 2019 gestiegen, und wir werden trotz der Corona-Krise unseren Nachfolgern 15 Millionen Euro an Reserven hinterlassen. Vor allem hatten wir das Vergnügen, viele große Dirigenten zu begrüßen (Christian Thielemann, Franz Welser-Möst, Simon Rattle, Zubin Mehta, Semyon Bychkov, Daniel Harding, Gustavo Dudamel, Riccardo Muti (der uns nach Tokio begleitete und im Mai zurückkehren sollte), Peter Schneider, Evelino Pidò, Simone Young, Marco Armiliato, Adam, Fischer, Valery Gergiev, …) sowie die besten Vertreter der jungen Generation (Andris Nelsons, Tugan Sokhiev, Alain Altinoglu, Yannick Nézet-Séguin, Tomáš Hanus, Tomáš Netopil, Antonello Manacorda, Susanna Mälkki, Axel Kober, Jakub Hru ° ˇsa, Speranza Scappucci, Giampaolo Bisanti …) und einige große Spezialisten der Alten Musik: William Christie, Marc Minkowski, Christophe Rousset, Ivor Bolton, Emmanuelle Haïm … Es kamen zahlreiche Regisseure aus der ganzen Welt und aus den unterschiedlichen. Manchmal diskutiert – wie es sich gehört –, manchmal umstritten, manchmal geliebt. Es bleiben schöne Erinnerungen: Cardillac (Sven-Eric Bechtolf), Les Troyens, Ariodante und Tristan und Isolde, (David McVicar), Don Pasquale und Midsummer Night’s Dream (Irina Brook), Pelléas et Mélisande und Fanciulla del West (Marco Arturo Marelli), der Janácˇek-Zyklus (André Engel, Peter Stein, Peter Konwitschny, Otto Schenks Rückkehr – eine Sternstunde!), die schichte Ästhetik von Christof Loy in Alceste. Ich würde auch gerne zwei Produktionen erwähnen, die hier nicht gut angekommen sind, die ich aber sehr mag: Le nozze di Figaro von Jean-Louis Martinoty (beste Produktion des Jahres in Paris, verrissen in Wien) und La traviata (Jean
François Sivadier). Es gab oft Diskussionen und unterschiedliche Meinungen. Aber es hat mich nie wirklich gestört, weil die Kriterien, nach denen entschieden wird, ob es einem gefällt oder nicht, sehr unterschiedlich sind. Letztlich sind das Geschmacksfragen. In diesen zehn Jahren haben uns alle großen Sängerinnen und Sänger der Welt ihre Kunst angeboten. Ich will sie nicht beim Namen nennen, es sind zu viele. Aber wir werden uns an ihre Auftritte erinnern: Anna Netrebko und Elı¯na Garancˇa in Anna Bolena, dieselbe Anna Netrebko in ihrer ersten Tatjana-Vorstellung oder als unvergessliche Leonora im Troubadour; an die zahlreichen Rollendebüts von Nina Stemme (in Elektra, La fanciulla del West, als Kundry und Färberin, …), an Piotr Beczała (sein allererster und unvergesslicher Cavaradossi), an die Zugaben von Jonas Kaufmann in der Tosca (!), an die von Beczała in derselben Tosca, oder die von Juan Diego Flórez im Liebestrank oder La Fille du régiment, an die Monologe der Marschallin von Renée Fleming oder Anja Harteros … So viele wunderbare Erinnerungen. Und dann war da noch das Aufblühen so vieler neuer Sänger, wie Benjamin Bernheim, Lise Davidsen, Andreas Schager, Sonya Yoncheva, Olga Peretyatko und viele andere, und schließlich, was noch eine größere Freude war, die Pflege und Entwicklung des festen Sängerensembles der Staatsoper. Ich habe es so gemacht, wie man einen Garten pflegt, indem ich sorgfältig nach jungen Trieben gesucht habe, versucht habe, sie zum Wachsen zu bringen, und auch versucht habe, eine Symbiose mit den älteren Trieben herzustellen. Ich freue mich zu sehen, dass viele von ihnen eine brillante internationale Karriere gemacht haben: Adam Plachetka, Benjamin Bruns, Aida Garifullina, Anita Hartig, Valentina Narforni¸t˘a, Chen Reiss, Olga Beszmertna, Maria Nazarova, Andrea Carroll usw. Ebenfalls nennenswert sind die Sänger die uns schon mehrere Jahre begleiten: Herwig Pecoraro, der verstorbene Alfred Šramek, Hans Peter Kammerer, Benedikt Kobel, Dan Paul Dumitrescu, Sorin Coliban, Wolfgang Bankl, Clemens Unterreiner und all die anderen. Ich bin für ihre Hilfe, ihre Treue zur Staatsoper und ihr Engagement unendlich dankbar. Ich möchte auch allen Mitarbeitern des Theaters meinen Dank aussprechen, dem Orchester, das uns so viel Freude bereitet hat, dem Chor, dessen Arbeit allzu oft unterschätztz wird (45 auswendig interpretierte Opern pro Saison in 6 Sprachen!), dem Ballett, das im Laufe der Jahre so große Fortschritte gemacht hat. Ich werde nie die Brüderlichkeit der Kollegen in der Technik vergessen, die Qualität ihrer Arbeit, ihr Engagement und ihre Bereitschaft alle Probleme zu lösen. Diesen Wunsch, alle Probleme zu lösen, habe ich auch in jedem einzelnen Büro gefunden. Obwohl meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Arbeit überlastet waren, waren sie jederzeit engagiert. Ich werde ihre Unterstützung, ihre Loyalität und die schöne Zusammenarbeit nicht vergessen. Heute verabschiede ich mich auch von Ihnen, liebe Freunde und liebes Publikum. Ich habe immer geglaubt, dass das Publikum ein wichtiger Bestandteil des Theaters ist. Dies gilt umso mehr hier in Wien. Wo sonst auf der Welt findet man noch eine solche Begeisterung, eine solche Freude, in die Oper zu gehen und immer wieder zurückzukehren? Wo sonst findet man ein Theater, in dem der Applaus so lange dauert, in dem die Künstler bekannt sind, anerkannt und mit so viel Wärme empfangen werden? Dessen bin ich mir bewusst und es berührt mich sehr. Es war mir eine Ehre und eine immense Freude, für eine solche Gemeinschaft, für ein solches Theater, für diese Stadt und dieses Land zu arbeiten, die immer in meinem Herzen bleiben und denen ich treu bleiben werde. Natürlich ist nicht alles perfekt gewesen und das ist mir bewusst. Aber wir haben stets und immer unser Bestes gegeben. Nehmet meinen Dank! Ihr Dominique Meyer