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Das Geheimnis des Kreativen Ein Zoom-Gespräch im Corona-Alltag
KS Wolfgang Bankl als übernachtiger, alkoholisierter Graf Waldner in SvenEric Bechtolfs Arabella-Inszenierung
Der 18. Mai 2020 stellte in der jüngeren Chronik der Wiener Staatsoper gewissermaßen einen Markstein dar: Ab diesem Tag durften wieder –freilich mit dem notwendigen Sicherheitsabstand –zumindest Proben, genauer Einzelstimmproben abgehalten werden. In den Corona-Wochen davor hatte man im unwirklich leer gewordenen Staatsoperngebäude kaum jemanden antreffen können, am allerwenigsten Künstler. Gespräche beispielsweise mit Sängern waren daher, sollten sie von Angesicht zu Angesicht stattfinden, nur über eine der mittlerweile ungeheuer populär gewordenen Videokonferenz-Optionen wie Skype oder Zoom möglich. Ein netter Nebeneffekt dieser Kommunikationsform war jedoch die Möglichkeit, einen Blick in das Wohn- oder Arbeitszimmer des Gegenübers zu erhaschen. So konnte ich etwa während einer Plauderei mit Kammersänger Wolfgang Bankl eine große Abbildung von Johann Sebastian Bach im Hintergrund ausmachen. Nicht unbedingt der typische Komponist, den man als Säulenheiligen im Heim eines beliebten Opernsängers vermuten würde. Oder doch? Nun, für Wolfgang Bankl ist Bach schlicht und einfach der Größte unter den Größten, der Gottvater der Musik sozusagen, der erklärte Liebling seit dem Beginn seines Gesangsstudiums, einer der ob seiner genial-raffinierten Harmonie-Wunderwelten und deren Auflösungen jeden Hörer und Interpreten vor Ehrfurcht zunächst stumm werden lässt. Dass Bach keine Oper geschrieben hat, stört Bankl daher kein bisschen. Ein anderes Komponisten-Porträt war, zumindest in dem durch den Zoom-Blick erfassbaren Raumausschnitt zwar nicht auszumachen, aber Bankl nannte mit Mozart sehr bald einen weiteren seiner lebenslangen Favoriten. Nicht nur, dass das berühmte Menuett aus dem Schluss des ersten Don Giovanni-Aktes in Form der Kennmelodie der Salzburger Festspielübertragungen seine früheste Erinnerung an klassische Musik darstellt, es ist vor allem dieses „keine einzige Note, keine einzige Phrase hätte man besser hinkriegen können, als sie von Mozart jeweils gesetzt wurde“, die
Bankl fasziniert. Ganz gleich, ob bei dessen frühen oder bei den reiferen Werken. Ansonsten hat sich in seinen musikgeschmacklichen Vorlieben im Laufe seines Lebens doch einiges verändert: Als junger Geigenstudent schätzte er, fast zwangsläufig, die romantischen Violinkonzerte eines Mendelssohn Bartholdy, Brahms oder Bruch. Später bannte ihn Beethoven, ob seiner Komplexität – vor allem in den Spätwerken – auch wenn er zunächst noch nicht alles verstand. Heute liebt er Beethoven, gerade weil er seine Musik versteht. Und dann begeisterte den jungen (Opern)-Sänger Bankl natürlich vieles von Wagner – mit Ausnahme der Meistersinger und Rienzi. Die Reserviertheit gegenüber des in seinen Augen qualitativ durchwachsenen Rienzi blieb, die Meistersinger hingegen mutierten zu einem seiner Lieblingswerke, nicht zuletzt weil sich diese Oper, wie nur wenige andere, mit der Kunst an sich beschäftigt. Umgekehrt verloren die frühen Stücke des Bayreuther Kanons für ihn an Bedeutung, dafür erwärmte er sich im Gegenzug immer mehr für die Musiktheater-Evokationen eines Richard Strauss.
Das Merkwürdige an solchen ausführlichen Zoom-Gesprächen ist, dass immer wieder Themen zur Sprache kommen, die früher, im regulären (Opern)alltag, kaum oder nicht so ausführlich ausdiskutiert werden konnten. Etwa die Frage nach dem Geheimnis des besonderen Augenblicks während einer Aufführung, der Interpreten wie Zuhörer gleichermaßen ergreift. Die erkennbaren Zutaten, die Rahmenbedingungen sind ja im Prinzip meist dieselben, und dennoch entsteht plötzlich, nicht planbar, aus der Magie des Moments das Außergewöhnliche – auf der Probe ebenso wie während der Aufführung. Unvergesslich ist etwa in der aktuellen Arabella-Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf, jene Szene, in der der schwer betrunkene Graf Waldner am Morgen nach einem verlorenen Kartenspiel heimkommt und sich von seiner Frau aus dem stinkenden, verschwitzen Frack heraushelfen lässt und sich seine Schlafkleidung anzieht. In den meisten anderen Produktionen gehen diese wenigen Minuten szenisch recht unspektakulär über die Bühne, hier, in dieser Regie, bekommen sie eine kammerspielartige Qualität höchster Güte. Entstanden ist sie laut Wolfgang Bankl, der die Partie schon bei der Premiere erfolgreich verkörperte, ganz zufällig auf einer Probebühne im Zusammenspiel zwischen Bechtolf und den Sängern. Nur eines der vielen Beispiele vom Geheimnis des Kreativen im Theateralltag, die sich aus der Dialektik von Intuition und notwendigem Handwerk ergeben. Auch über den Unterschied zwischen Unterhaltung und Kunstgenuss lässt sich mit einem äußerst reflektiven Künstler wie Wolfgang Bankl gewinnbringend nachdenken: So verwies er in diesem Gespräch darauf, dass die Komponisten im 17., 18. und frühen 19. Jahrhundert ihre Werke ja an ein auch musikalisch hochgebildetes Publikum adressiert haben, die sich an Details delektieren konnten, die den meisten heutigen Hörern verborgen bleiben. Kunst genießen könne demnach nur, wer sich Kunst auch erarbeitet, wer sich mit der Materie beschäftigt. Reine Unterhaltung wäre hingegen oberflächlicherer Natur. Aus dem folgte die nur scheinbar banale Frage, ob ein Opernsänger als Zuhörer eher jenen Rollen Aufmerksamkeit zuteilwerden lässt, die er selber verkörpert oder doch dem Gesamten gleichermaßen objektiv gegenübertritt. Nun, Wolfgang Bankl sprach zwar vom Automatismus, sich dem eigenen Bereich zwangsläufig eher zuzuneigen, davon, dass er natürlich einem Leporello und Don Giovanni eher an den Lippen hänge als einem Don Ottavio, um das gesagte andererseits gleich wieder zu relativieren, indem er darauf verwies, das Rezitativ und die Arie der Donna Anna im zweiten Akt als das Rätselhafteste, Spannendste, Bedeutendste in der Opernmusik des 18. Jahrhunderts anzusehen. Schließlich kam noch die Frage nach der Beschaffenheit der sogenannten Berufung aufs Tapet, die Wolfgang Bankl sehr klar beantwortete: Würde er den Gesang nicht als Berufswunsch verspüren, müsste er all das, was er aus einem inneren Antrieb heraus jeden Tag betreibe, quasi unentwegt mühsam und glückbefreit nach einer Checkliste abarbeiten. Wer darüber hinaus versuchte, seinen (künstlerischen) Horizont aus einem Zwang heraus systematisch und zielgerichtet zu erweitern und nicht aus einer natürlichen Neugierde heraus, der hätte seine Berufung noch nicht entdeckt. Andreas Láng