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underdogs and role models“
On the House
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Drei Wochen vor dem Starttermin am 10. Dezember 2021, kurz vor dem Höhepunkt der sogenannten „zweiten Welle“, kam die Notbremsung für das Festival „under construction underdogs and role models 2021“ des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch. Am 6., 7. und 8. Mai 2022 findet es jetzt statt.
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Sonia Bel Hadj Brahim, Arnaud Duprat, Pascal Luce, Foto: Patrick_Berger
Das Konzept des jährlichen Festivalformats „under construction“ ist ein Brückenschlag zur Programmarbeit des zukünftigen Pina Bausch Zentrums, dessen Eröffnung nach dem Um- und Neubau des ehemaligen Wuppertaler Schauspielhauses für 2028 geplant
ist. Aktuell wird der Architekturwettbewerb vorbereitet, und Bettina Milz hat im März die künstlerische Leitung der Vorlaufphase übernommen. Die aktuelle Ausgabe des Festivals wird mit dem Programm vom Dezember geplant, von Bettina Wagner-Bergelt, Intendantin des Tanztheaters und Stefan Dreher, Dramaturg und Kurator, geleitet.
Ein Programmpunkt ließ sich im Dezember unmöglich verschieben: die gemeinsame Aktion mit Fridays for Fu-
ture Wuppertal. Der Klimawandel macht schließlich auch keine Pause. Für die Zusammenarbeit von Kunstschaffenden, Kuratoren und Aktivistinnen standen im Dezember sämtliche Fassaden des zukünftigen Pina Bausch Zentrums als Projektionsflächen zur Verfügung. So, wie sie im Mai auch wieder bereitstehen werden. Ein Open-Space-Format, das der bildende Künstler Knut Klaßen entworfen hat, ließ Worten und Gedanken der Beteiligten freien Lauf, die sich zu Slogans und Nachrichten verdichteten und drei Nächte lang auf dem zukünftigen Pina Bausch Zentrum in riesiger Schrift zu lesen waren, siehe Foto. Auch wenn es sich um eine (fast) geheime Aktion gehandelt hat - schließlich durften keine Menschenansammlungen provoziert werden -, haben die Bilder im Netz bei der Klimabewegung und allen daran Interessierten deutschlandweit ein breites Echo ausgelöst, das zur Nachahmung aufruft.
Die Schriften, die vom gegenüberliegenden IBIS-Hotel auf das Schauspielhaus projiziert wurden, zeichnete und digitalisierte in akribischer Arbeit Knut Klaßen und layoutete seine Mitarbeiterin Karolin Wallowy. Bild und Text bekamen als Projektionen in architektonischer Größe, zwischen den Häusern und der Schwebebahn, eine poetische Tiefe und einen körperlichen Bezug. Das 40m hohe Bühnenhaus des Pina Bausch Zentrums bei nächster Gelegenheit einmal zu umschwimmen ist ein inzwischen naheliegender Gedanke. Der Retro-Touch der Fonds verweist auf die 60erJahre und damit auf den Baustart des Wuppertaler Schauspielhauses.
Die Wirkung der gestalteten spektakulären Aufrufe zum Klimaschutz war im Dezember schon überwältigend und bestätigte diese geradezu utopisch anmutende Zusammenarbeit. In kleinen wechselnden Gruppen erarbeiteten die Teilnehmenden Slogans und positive Formeln. Aber - die Welt steht nicht still, und nun gibt es am 6., 7. und 8. Mai auch für die Besucherinnen und Besucher des Festivals die Gelegenheit, 48 Stunden lang non-stop über das Klima zu diskutieren, persönliche Erfahrungen, Meinungen auszutauschen und neue Slogans zu entwickeln. All diese Gedanken und Forderungen können in die Nacht projiziert werden und sind dann auf dem Schauspielhaus zu lesen.
Denn die Wirklichkeit holt uns ein, und es gibt immer neue Wendungen und Bezüge.
Der Wald in Osterholz ist inzwischen abgeholzt, und Putins Krieg hat – neben Tod und Verderben - Nordstream 2 ein Ende beschert, was den Umwelt-Protesten über Jahre nicht gelungen ist. Es gibt viel Redebedarf. Sina Bublis von Fridays for Future erzählt im Februar bei einer Nachbesprechung von Menschen, die sich entschieden haben, bei 4 Grad in strömendem Regen in einem Baumhaus zu sitzen. „Drei Tage lang da nicht runter zu können, weil sie eben für die Sache stehen und brennen. Da geht es gar nicht mehr so sehr um Osterholz, sondern ums Prinzip. So einen neuen Input aus vielen Richtungen zu haben, hat auch bei uns zu ganz anderen Standpunkten geführt als eben noch vor einem halben Jahr, wo wir in den Startlöchern zu dem Projekt mit dem Tanztheater waren.“ Klimaschutz ist ein existentielles Anliegen, kein wohlfeiles Hobby. Die Forschungsdaten, die mit dem Klimabericht des Weltklimarats der Vereinten Nationen im August 2021, vier Monate vor dem geplanten Festivalbeginn, veröffentlicht wurden, beweisen, dass sich die Welt wesentlich schneller als erwartet auf eine Unumkehrbarkeit des menschengemachten Klimawandels zubewegt. Nach dieser Einschätzung wird die Erderwärmung den Planeten voraussichtlich noch in diesem Jahrhundert zu großen Teilen unbewohnbar machen, wenn nicht sofort radikalste Maßnahmen ergriffen werden.
Vor diesem Hintergrund hat sich das Veranstaltungskonzept und die Vision Under Construction Wir bauen zusammen ein Haus der Frage gestellt, von welcher Zukunft wir sprechen, wenn die Ergebnisse des Klimaberichts jede Zukunft eindeutig in Zweifel ziehen? Es ist klar, dass Klimaschutz weder lebens- noch kulturfeindlich ist, sondern Kunst überhaupt erst wieder möglich macht, und das ist wirklich ein Grund zum Feiern! In diesem Sinne setzt eine permanente Installation den Grundton des Festivals und schlägt, ähnlich einem kosmischen Hintergrundrauschen, eine Brücke zu einer anderen KunstRaumZeit. Individuell erlebbar verteilen sich die Kunst-Interventionen über das ganze Haus: In der neuen Kreation von Fabien Prioville mit Tänzerinnen und Tänzern seiner Company und des Tanztheaters erleben Zuschauende eine Parallelwelt. Ein Tauchgang, in dem sich Kopf und Körper trennen, um sich in zwei Welten gleichzeitig wiederzufinden. In Underdogs, der Arbeit von Anne Nguyen, widmet sich eine Trio-Formation, eine Frau, zwei Männer, denjenigen, von denen erwartet wird, dass sie verlieren, die niemals eine sichere Wette sind. Das Stück von Anne Nguyen ist für den urbanen Raum konzipiert und passt sich damit den aktuellen Gegebenheiten des Schauspielhauses an, ebenso wie das Non-Stop Konzept des Festivals mit Rainer Behr, Richard Siegal, Zuzana Zahradnikova, Justyna Niznik, Martina La Ragione, Pau Aran Gimeno, Oona Doherty, Anne Nguyen, Nora Chipaumire u.v.a.m.
Neu dazu kommt ein Gemeinschaftsprojekt von Jorge Puerta Armenta, Anna Wehsarg, Milton Camilo, Horst Wegener und Thomas Daemgen mit einer sehr bewegenden Arbeit junger Flüchtlinge des Berufskollegs Kohlstraße. Die Nacht läuft durch und wird vom LOCH im Rausch, Dach der Stadt, Oma Lilli, der Börse und einer Gruppe von Jam Skatern geprägt. Dr. Uta Atzpodien organisiert früh morgens zwei Klima-Frühstücksformate.
Ein besonderes Highlight ist die Aktion: Wanderbäume fürs Talbuddeln. Obstbäume für die Essbare Stadt der Interessengemeinschaft Wuppertals urbane Gärten. Durch die Veränderung des Klimas gewinnt das Grün zunehmend an Bedeutung. Auch wenn Wuppertal als eine der grünsten und waldreichsten Großstädte in Deutschland gilt – neue (Obst-)Bäume in den Straßen, auf den Plätzen, in Hinter- und Schulhöfen, am Fußballplatz oder wo auch immer, das ist das Ziel von Talbuddeln. Zusammen mit Urban Gardening Wuppertal rührt under construction die Werbetrommel für mehr Bäume in der Stadt. Das Tanztheater selbst hat 15 Bäume gekauft – kaufen Sie auch welche!
Dazu suchen wir im Rahmen des Festivals Organisationen, Vereine oder Firmen, die sich als Patinnen und Paten eines „Wanderbaumes“ oder eines Stadtbaums zur Verfügung stellen. Infos: under-construction-wuppertal.de Stefan Dreher Dramaturg Tanztheater Wuppertal Pina Bausch