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Zum Engelsjahr zeigt das Von der Heydt-Museum die industrielle Revolution und ihre künstlerischen Folgen
Porträts, Tristesse, Maloche Zum Engelsjahr zeigt das Von der Heydt-Museum die industrielle Revolution und ihre künstlerischen Folgen
Wie als Kunstmuseum zum Engels-Jahr beitragen? Das Von der Heydt-Museum hat sich gegen eine Schau zu Engels als Person mit
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historischen Dokumenten entschieden. Stattdessen zeigt die Ausstellung, wie Künstler auf die durch die Industrialisierung veränderte (Arbeits-)Welt – Objekt von Engels‘ berühmter Analyse und Kritik – reagiert und sie in ihren Werken thematisiert haben.
„Vision und Schrecken der Moderne. Industrie und künstlerischer Aufbruch“. Im Titel der Ausstellung klingt schon Ambivalenz an. Er ist angelehnt an einen Gedanken des revolutionären Barmers: Um den von ihm favorisierten Wandel herbeizuführen, müsse das Schreckliche des kapitalistischen Betriebs in den Blick rücken.
Das Gesamtkonzept stammt von Dr. Antje Birthälmer, die Teile der Ausstellung kuratierte; zum Kuratorinnenteam zählen außerdem Dr. Beate Eickhoff und Dr. Anna Storm. Zu sehen sind Darstellungen und künstlerische Reflexion zur industriellen Arbeit und ihren Folgen - nicht ausschließlich zu Engels‘ Lebzeiten, sondern darüber hinaus. Die Ausstellung spannt den Bogen vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart, über Expressionismus, Neue Sachlichkeit, 30er-Jahre über die Fotografie, die sich ebenfalls mit der Industrialisierung auseinandergesetzt hat, bis zu aktuellen Tendenzen unserer Tage. Anklage und Faszination sind gleichermaßen zu finden - zuweilen bei ein und demselben Künstler. Auch die Neue Sachlichkeit mag sich dabei nicht unbedingt rein abbildend neutral verstehen.
Die Ausstellung beginnt mit den für die Industrialisierung entscheidenden Unternehmern. Sie ließen sich gern porträtieren, wofür hier etwa ein Bild von Heinrich Christoph Kolbe des Textilfabrikanten Bemberg steht, Chef des späteren Weltunternehmens. Anders als prunkvolle Herrschergemälde kamen diese Porträts für Birthälmer oft „eher schlicht“ daher: „Man demonstrierte darin, mit sich zufrieden zu sein.“ Ist solche Kunst wohl naturgemäß affirmativ, so verspricht die weitere Auswahl ein Spektrum an Ambivalenzen. Der Arbeiter und seine schwierigen Lebensbedingungen rücken zunehmend ab Mitte des 19. Jahrhunderts in den Fokus, vor allem bei den Malern der Düsseldorfer Malerschule. Wie etwa in Carl Wilhelm Hübners berühmten Bild „Die schlesischen Weber“ von 1844. Es gibt aber auch eine gewisse Idealisierung der Arbeit, wie man in Ludwig Dettmanns Triptychon „Die Arbeit“ sehen kann.
Das nächste Kapitel befasst sich mit dem Thema Landschaft und Industrie und mit der Maschine, die auf einige Künstler eine magische Faszination ausübte, wie etwa auf Carl Grossberg. Die Malerinnen und Maler des „Blauen Reiter“ und der „Brücke“ sahen die Landschaft als eher geistigen Raum. Davon ist bei Marianne von Werefkins düsterem Bild „Eisengießerei in Oberstdorf“ (1912), ein ruhiges Szenario mit Fabrikturm, nichts mehr übrig. Das Bild strahlt eher eine pessimistische Sicht auf das Verhältnis Mensch – Materialismus aus.
Conrad Felixmüller bereiste schon früh das Ruhrgebiet. Er stellt in seinen teils stimmungsvollen Bildern Industriearbeiter in den Mittelpunkt. „Die Künstler suchten nach neuen Formulierungen“, erklärt Birthälmer. Ob Felixmüller diese für sich 1920 gefunden hatte? Seine farbige Grafik „Kohlenbergarbeiter“ mutet jedenfalls deutlich negativer an: Aus dem Gesicht des Bergmanns sprechen Monotonie und Trostlosigkeit.
Beindruckt von der neuen Technik zeigt sich dagegen Franz Radziwill. Die Technik beherrscht hier die Landschaft. Auffällig an seinem Werk „Wilhelmshaven“ (1926) scheint dabei, dass seine Panoramen aus der Arbeitswelt auch Surreales integrieren.
Vielleicht muss sich auch nicht immer entscheiden, inwieweit ein Bild anprangern oder wertfrei darstellen will. Max Klinger jedenfalls ging an seine Serie „Dramen“ of-
Heinrich Hoerle,
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Selbstbildnis vor Häusern (Arbeiter), 1932,
Georg Scholz,
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Peter Keetman, Felgen, Volkswagenwerk Wolfsburg, 1953, Silbergelatine-Abzug, hochglänzend, Von der Heydt-Museum Wuppertal
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fenbar mit einer gesunden Portion Pragmatismus heran: Grafiken als Form eigneten sich aus seiner Sicht gut für Hässliches. Wobei die Beschäftigung mit Unschönem den Künstlerinnen und Künstlern Vorwürfe einbrachte, wie den der „Rinnsteinkunst“. Doch derlei trug man mit Stolz: „Die Verbundenheit mit dem Proletarier“, sagt Birthälmer, „wurde zum Adelsprädikat.“ Das Thema, das die Ausstellung in ihrem Mittelteil umfassend aufgreift, ist der Mensch, speziell der Proletarier, und das über ein halbes Jahrhundert, von ca. 1880 bis nach 1930.
Dokumentarisches Interesse, nämlich an Sozialstrukturen, verbindet sich mit einer Gruppe, die in der Ausstellung mit einem eigenen Abschnitt vertreten ist: den Kölner Progressiven. Heinrich Hoerle, eine ihrer Hauptfiguren, gestaltete 1932 ein Selbstbildnis, in dem er sich als Arbeiter ins Zentrum eines bunten Häuser-Szenarios setzt. Daraus mag sprechen, dass dieser Maler sich in gewisser Hinsicht als „Geistesarbeiter“ verstand. Am kritischen Blick auf die Schwere der Fabrikmaloche bleibt dabei kein Zweifel, siehe sein „Denkmal der unbekannten Prothesen“ (1930), das mit Analogien zu Kriegsversehrten arbeitet. Von diesem Vergleichsraum her, aber auch stilistisch verwandt zeigt sich der Progressive Franz Wilhelm Seiwert mit „Der deutsche Bauernkrieg“ (1932), das Gruppenbildung in der Arbeiterschaft bemängelt, wo vereinte Kraft nötig wäre.
Ein eigenes Kapitel innerhalb der Ausstellung bildet die Auseinandersetzung der Fotografie mit der Industriearchitektur: Von ihrer Entdeckung als abbildungswürdigem Gegenstand in den 1920er-Jahren durch Fotografen wie Eugen Batz oder Albert Renger-Patzsch, in deren Werken sich der
Dirk Skreber, Art Arfons mit unvorhergesehenen Problemen 2.0“, 2007, Von der Heydt-Museum Wuppertal, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020
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Geist einer neuen Epoche ausdrückt, führt die Entwicklung zur künstlerischen Dokumentation der Industrieepoche. So etwa in der „Subjektiven Fotografie“ eines Peter Keetman in den 1950er-Jahren oder in den 1970er-Jahren bei Heinrich Heidersberger.
Die Ausstellung endet mit einem Schritt in die Gegenwart: Denn aktuell fordern die Industrialisierung und ihre Folgen zu zahlreichen kritischen Formulierungen heraus: Die Künstlerinnen und Künstler prangern Globalisierung und Umweltzerstörung, Materialismus und Militarisierung an und führen den Verlust der Kontrolle über technische Entwicklungen vor Augen. Auch dem 1961 geborenen Dirk Skreber geht es in seinem Bild „Art Arfons mit unvorhergesehenen Problemen 2.0“ um die „Nichtbeherrschbarkeit der Technik“. Die Ausstellung endet mit dem skeptischen Blick auf den Fortschritt und ist damit im 21. Jahrhundert angekommen. Martin Hagemeyer
Die Ausstellung ist vom 17. November 2020 bis 28. Februar 2021 zu sehen. Sie wurde gefördert von der Dr. Werner Jackstädt-Stiftung sowie der Kunststiftung NRW.
Vision und Schrecken der Moderne Industrie und künstlerischer Aufbruch
Von der Heydt-Museum Turmhof 8, 42103 Wuppertal