![](https://assets.isu.pub/document-structure/210113152607-6054b8bad555a1ef2c4b8b1102180a5e/v1/2c99c57904005490ae698886512c4f7d.jpg?width=720&quality=85%2C50)
6 minute read
Die Zukunft ist weiblich
Future Now! Die Zukunft ist weiblich
Vom 21. bis 23. August – inmitten der Pandemie – präsentierte ein Team von Künstlerinnen und Musikerinnen mit FUTURE NOW/ Edition Musik in Wuppertal ein Festival mit einer Programmgestaltung, die kaum bunter und mutiger hätte sein können. Hier
Advertisement
berichten sie selbst. „Nur FRAUEN auf der Bühne“ war unsere erste und wichtigste Vorgabe. Das coronabedingte Hygienekonzept führte uns zu der zweiten Vorgabe: dem Wetter zum Trotz ein reines OutdoorFestival zu veranstalten. Die dritte Vorgabe bestand darin, eine maximale, undogmatische Bandbreite der Genres anzubieten. Von unserer vierten Vorgabe (die eigentlich unsere allererste war), nämlich unserer politischen Motivation, wollen wir später berichten.
Das Ergebnis ließ sich jedenfalls sehen und hören. An drei Tagen boten wir Musik mit Percussion, Performance, Violine, Kugelbahn, Urtin-Duu, Stimme, neuer Musik, Gitarre, Glam Grunk, Bass, Punk, Beats, Performance, Loopstation, Jazz, Turntables, Saxofon, Improvisation, verstärkten Nähmaschinen, Rap, Akkordeon und Afrofuturism. Zwei Tage
![](https://assets.isu.pub/document-structure/210113152607-6054b8bad555a1ef2c4b8b1102180a5e/v1/9a8c2572cf3e857252a3f46179acdc0f.jpg?width=720&quality=85%2C50)
davon fanden im Mirker Bad statt. Die Bühne befand sich im leeren Becken, das Publikum stand drum herum und saß auf der Wiese in freudiger Erwartung, dass endlich mal wieder etwas stattfand. Durch unsere kontrastreichen musikalischen Angebote konnten wir Menschen mit einer Alterstspanne von 16 bis über 80 Jahren ins ehemalige Freibad locken. Die Fans der Club-Musik von DJ Gin Bali und DJ Gretchen zeigten genauso viel Offenheit für die KlassikDarbietung von Angelika Sheridan (Querflöte) und Pauline Buss (Viola) wie die Jazz-Freunde, die dann besonders durch die Darbietung von Maria Portugal (Schlagzeug) und Angelika Niescier (Saxofon) auf ihre Kosten kamen. Auch hinter der Bühne sollten nur Frauen stehen. Das Technikteam rund um Maren Donners schuf einen fetten, aber präzisen Sound auf dem Festivalgelände. Anna Mrowald setzte mit ihrem Lichtkonzept nicht nur die Künstlerinnen ins richtige Scheinwerferlicht, sondern auch neue Akzente im alten Freibad.
Die Bühne bot Platz für lange und konzentrierte Sets. Alle Musikerinnen konnten sich hier ausbreiten und wurden aufmerksam gehört und gefeiert.
Maria Portugal, Foto: Betty Schiel
![](https://assets.isu.pub/document-structure/210113152607-6054b8bad555a1ef2c4b8b1102180a5e/v1/1e7887974d5af82c8d4b622f6c164e7f.jpg?width=720&quality=85%2C50)
Gunda Gottschalk, Bo-Sung Kim, Saadet Türköz und Ute Völker,
![](https://assets.isu.pub/document-structure/210113152607-6054b8bad555a1ef2c4b8b1102180a5e/v1/d7255afc764c50ea57a603924af2ef0a.jpg?width=720&quality=85%2C50)
Foto: Christel Türk
Dis-Kurs Frühstück, Foto: Betty Schiel Spannend, dass unsere Artists in Residence Stephanie Müller (Klangobjekte/Performance) und Elisabeth Flunger (Klangobjekte/Percussion) sich dafür entschieden hatten, die Eröffnungs-Performance mit kleinem Equipment neben der verführerisch großen Bühne zu zeigen. Mitten im Becken agierten die beiden Frauen mit entschlossener Präzision, an Schrott-Modulen – zu Klangkunst erhöht – und mit einem nie gesehenen Instrument aus Schwimmbrettern und Nähmaschine. Hierdurch wurde unser politisches Statement ziemlich feinsinnig und kritisch verstärkt: klein und dreckig, groß und professionell – das alles sollte möglich sein.
![](https://assets.isu.pub/document-structure/210113152607-6054b8bad555a1ef2c4b8b1102180a5e/v1/b2c214e42dfb4236b74d26f5df79de6c.jpg?width=720&quality=85%2C50)
Letztendlich erübrigte sich auch die Frage, ob die Punkband Lilly Havoc „punkiger“ war als das Quartett der improvisierten Musik mit Gunda Gottschalk, Ute Völker, Saadet Türköz und Bo-Sung Kim (Violine, Akkordeon, Stimme, Percussion) oder als Elisabeth Flunger, die Hunderte von Bällen über einen Abhang von Schrott hinunterkullern ließ.
Unter dem Titel „Dis-Kurs. Sprechen über den Stand der Dinge“ versammelten sich rund 50 Frauen morgens am Festivalsamstag im Schwimmbad, um in drei Gruppen den Status Quo zum Thema „Frauen in der Kunst“ aus verschiedenen Blickwinkeln zu diskutieren.
Unsere anfangs erwähnte vierte Vorgabe fand hiermit einen zentralen Ausdruck. Denn gestartet sind wir (zunächst nur Gunda Gottschalk und Ute Völker) von der Beobachtung des alltäglichen Musiklebens. Sowohl von der Warte der Veranstalterinnen als auch von der Perspektive der praktizierenden Musikerinnen aus haben wir uns die Frage gestellt: Wo sind eigentlich all die gut ausgebildeten Frauen auf unseren Bühnen? Vielerorts sind die Festivals und die Veranstaltungsorte leider nur mit 20-prozentigen Frauenanteilen bestückt.
Wir beriefen bereits 2017 eine Runde mit drei weiteren Festivalmacherinnen aus Film und darstellenden Künsten des Ruhrgebiets ein: Stefanie Görtz, Betty Schiel und JohannaYasirra Kluhs. Zu fünft machten wir uns auf, um zu zeigen, wem die Zukunft auf der Bühne gehören wird: den Frauen! Schnell wurde klar, dass wir unser Ziel nur erreichen können, wenn wir weitere Komplizinnen finden. Und da gingen die Kontroversen schon los: Taugt das Frausein schon zum Common Ground? Können wir nach der GenderWende überhaupt noch so einfach von Frauen sprechen? Ist der gemeinsame Nenner das biologische Geschlecht – oder
und Stephanie Müller,
Foto: Betty Schiel
![](https://assets.isu.pub/document-structure/210113152607-6054b8bad555a1ef2c4b8b1102180a5e/v1/547f54dc5dabcc3cfa492aa21f7d275e.jpg?width=720&quality=85%2C50)
Eröffnung des Festivals mit den Klängen von Schwirr-Hölzern, Foto: Betty Schiel
![](https://assets.isu.pub/document-structure/210113152607-6054b8bad555a1ef2c4b8b1102180a5e/v1/0a80029fef05e0c706b44168524f53ad.jpg?width=720&quality=85%2C50)
Lilly Havoc, Foto: Betty Schiel
![](https://assets.isu.pub/document-structure/210113152607-6054b8bad555a1ef2c4b8b1102180a5e/v1/5135dfc027ed68baa6cc2ed4dd41db89.jpg?width=720&quality=85%2C50)
meinen wir doch das soziale? Wie kann man dieses Spektrum möglicher Definitionen abbilden - und wo muss man sich damit zufriedengeben, dass das nicht möglich ist? Die feministische Theoriearbeit schien irgendwie die Realität überholt zu haben. Aber eigentlich hat sie doch hier angefangen? Wir gingen also auf eine Reise in die Zukunft in unserer ganz konkreten Gegenwart.
Wir besuchten: das Schwarze Haus im Unterhaus in Düsseldorf. Gegründet von den Künstlerinnen und Kulturmacherinnen Miriam Owusu-Tutu, Mbingo K. Itondo und Karen Peprah-Gyamfi, unterstützt das Kollektiv schwarze Netzwerke, leistet Repräsentationsarbeit und zelebriert mit Themenabenden, Kooperationen und Musik schwarze Kultur. Sie luden wir ein, als Ko-Kuratorinnen einen Act zu programmieren. So entdeckten wir die Musikerinnen Kaleo Sansaa (Gesang) und DJ Queen T.
Und wir statteten dem Salon der Perspektiven im Ruhrgebiet einen Besuch ab. 2018 wurde der Salon als Zusammenschluss für Empowerment und Repräsentanz marginalisierter Perspektiven gegründet. Als mobiler Ort des Denkens arbeiten hier Frauen für neue Formen der Zusammenarbeit, der Solidarität und des Austauschs in Kunst und Wissenschaft. Sie leiteten am Dis-Kurs Vormittag die Gruppe zum Thema: Austausch über die Situation von „Women of Colour“ und deren Stärkung im kulturellen Leben.
Und last but definitely not least wandten wir uns an das YAYA-Netzwerk aus Wuppertal. Das intersektionalfeministische Netzwerk kunst- und kulturschaffender Geschlechterminderheiten will auf allen Ebenen dafür sorgen, dass die Kunst- und Kulturszene ein ausgewogenes, realistisches Bild der Gesellschaft darstellt. Der Schlüssel dazu liegt in der Erprobung einer umgreifenden solidarischen Praxis: innerhalb des Netzwerks und weit darüber hinaus.
Die Mitglieder von YAYA haben unser Festival-Klima wesentlich mitgestaltet. Mit ihrem Awareness-Team garantierten sie die Sicherheit und das Wohlbefinden aller Festival-Gäste. Sie richteten einen Rückzugsraum ein und waren zuständig für ein respektvolles Miteinander auf dem Festivalgelände. Durch ihre ruhige beobachtende Präsenz sorgten sie rundum für eine angenehme und friedliche Atmosphäre, in der auch die Grenzen einzelner Menschen (besonders Frauen) gesehen und gewahrt und manchmal auch aktiv verteidigt wurden. Am Sonntagvormittag, dem dritten Tag unseres Festivals, schwärmten wir dann aus dem wunderschönen Mirker Freibad hinaus in die Stadt: Im Vohwinkler Bahnhof wurden wir von Baadmas eindringlichem Urtiin-Doo-Gesang gesegnet und bewegten uns anschließend mit Fahrrädern zusammen mit einer DJ-Perfomance von Gin Bali in der Rikscha zu neuen utopischen Orten. In Utopia Stadt beendete die Wettergöttin, die uns die ganzen drei Tage lang wohlgesonnen war, das Festival mit einem kräftigen Regenguss.
Nassen Hauptes wurde uns klar: Unsere Zukunft und damit auch die Option auf eine weitere Ausgabe von FUTURE NOW ruht auf einem fundamentalen Dreiklang: Verschiedenheit, radikales Interesse, Respekt. Das Ergebnis der diesjährigen Edition war ein verblüffend deutliches und inspirierendes Wochenende, das spontan alle Besucherinnen und Besucher glücklich gestimmt hat. Das Ergebnis motiviert uns, weiterzugehen: Unter der Prämisse „Kontrolle abgeben, Verantwortung annehmen“ werden wir uns selbst und andere mit einer Edition Future Now 2022 überraschen. Gunda Gottschalk, Stefanie Görtz, Johanna-Yasirra Kluhs, Betty Schiel und Ute Völker
Literatur sei überflüssig,
meinen selbst Dichter und Denker – und es stimmt: Sie fließt über die Ränder unserer kulturellen Gefäße, transportiert Antworten und Fragen, verbindet Regionen und Länder, stellt in ihrem Fließen Gegenwart dar. Das KARUSSELL legt in diesem besonderen Jahr – den Verhältnissen zum Trotz – zwei Themenhefte vor: Was wollen wir werden? (Nr. 12, Juni) und Unsere Kriege im Frieden (Nr. 13, November). Essay, Prosa, Lyrik und Kunst zum Thema; Broschur, 96 S., 12,– Fließen Sie mit und nicht davon! www.zeitschrift-karussell.de www.bergischerverlag.de/karussell (Shop)
![](https://assets.isu.pub/document-structure/210113152607-6054b8bad555a1ef2c4b8b1102180a5e/v1/d3bc889a611eed623781b10ca1fc0ea8.jpg?width=720&quality=85%2C50)
![](https://assets.isu.pub/document-structure/210113152607-6054b8bad555a1ef2c4b8b1102180a5e/v1/101a69cca599b39597fd8479074415c3.jpg?width=720&quality=85%2C50)