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Zentrum für verfolgte Künste: Neue Leitung zeigt sich zur Krise kreativ
Marathonläufer 1934,
© Bürgerstiftung für
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verfolgte Künste
Lockdown-Schau zwischen Bestand und Hashtag Zentrum für verfolgte Künste: Neue Leitung zeigt sich zur Krise kreativ
Die Situation war nicht zu erwarten, ähnlich
wie für wohl jeden dieser Tage. Doch für den neuen Direktor und Geschäftsführer des Solinger Zentrums für verfolgte Künste Jürgen Kaumkötter war zumindest eins vertraut: das Zentrum selbst. Seit Start des Zentrums 2015 war er nämlich dessen Kurator. Die neue Kuratorin Birte Fritsch ist gleichfalls hier keine Unbekannte. Zum Jubiläumsjahr von Else Lasker-Schüler kuratierte die studierte Kunstwissenschaftlerin das Veranstaltungsprogramm, das Konzerte, ein eigenes Literaturfestival, Kongresse und vieles mehr umfasste. Zu sieben Kooperationen rund um die Dichterin war Fritsch am
Detlef Bach, Corona-Tagebuch - 6.4.2020
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Kuratorin Birte Fritsch über
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die verschiedenen Aspekte
der Ausstellung.
© Zentrum für verfolgte Künste Direktor Jürgen Kaumkötter,
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© Zentrum für verfolgte Künste Zentrum für verfolgte Künste tätig und arbeitete dort mit dem damaligen Kurator Kaumkötter zusammen. Die ElseLasker-Schüler-Gesellschaft in Person ihres Chefs Hajo Jahn hatte ein Zentrum für Exilkunst immer stark gewünscht und gefördert.
Die beiden beweisen nun Einfallsreichtum mit einer Schau zum Lockdown: Das Haus kombiniert einen brandaktuellen Zugriff auf den Bestand mit künstlerischen Positionen, zu denen es selbst aufrief.
Über die beiden mag die aktuelle Ausstellung auch grundsätzlich einiges erzählen. Der Titel Aus der Isolation benennt nicht nur, dass das Museum nun wieder ans Licht tritt. Dieser Schritt steht auch für eine Neuausrichtung: „Da können wir als Museum nach Wiedereröffnung nicht zum Normalprogramm zurückkehren“, so die Einleitung fast schroff. Eine geplante Schau wurde ins nächste Jahr verschoben. Stattdessen: mutiges Montieren. Künstlerinnen und Künstler der Region lud man ein zum schöpferi
Fabian Nette vor seinen Fotografien – Impressionen aus der Ausstellung,
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© Zentrum für verfolgte Künste
oT, (Frau-mit-Vorhang) 1927
© Bürgerstiftung für verfolgte Künste
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schen Kommentar, um sie mit den historischen Werken „in Dialog“ zu bringen. Durchaus gewagt, ist doch pandemiebedingte Privatheit trotz allem etwas ganz anderes als ein lebensrettender Rückzug Verfolgter. Doch daran zweifelt das Haus nicht und stellt klar: „Gleichsetzen“ wolle man das „Damals mit dem Heute“ keineswegs.
Die Zusammenstellung der Schau verstärkt den Eindruck, dass Kaumkötter und Fritsch kreativ und frisch ans Kuratieren gehen, das doch immer auch eine Art Komposition ist. Der Titel „Aus der Isolation“ schlägt den Bogen vom Heute zum Bestand des Zentrums, und zwar ausgehend vom Gedanken, dass dessen Künstlerinnen und Künstler ja in fatalem Kontext isoliert waren: verfolgt, versteckt, damit aus- wie eingeschlossen. Neben Oscar Zügel (1892-1968) zeigt die Ausstellung Werke von Felix Nussbaum (1904- 1944), der im KZ Auschwitz-Birkenau umkam, oder Carl Rabus (1898-1983). Darunter sind Ölbilder und dazugehörige Grafiken, die so kombiniert noch nie gezeigt wurden. Nicht erst beim heutigen Künstler Fabian Nette stellen sich in der Isolierung Identitätsfragen; bei Rabus findet sich in diesem Sinne eine Arbeit mit dem Titel: „Selbst in Spiegelscherben“.
Noch bevor indes der Weg den Besucher zu dieser Arbeit führt, sind Werke eines zeitgenössischen Künstlers vorgeschaltet, und zwar (auch dies kaum alltäglich) eines Karikaturisten: Michel Kichka. Das Zentrum hat ihn schon
mehrfach gezeigt, sogar im Bundestag. Und 2018 war Kaumkötter – noch eine Facette des vielseitigen Kulturakteurs – Produzent eines Films über Michel und seinen Vater, den Holocaust-Überlebenden Henri Kichka. Tragischerweise ist Henri nun an Covid 19 gestorben. Neue Cartoons seines Sohnes zeigen auch ihn und bilden so (trotzdem) humorig den Einstieg in die Ausstellung.
Unter den Beiträgen ist das „Dazwischen“ ein Merkmal, das einige mit Cartoonisten verbindet. Bei Tatiana Feldman wird die eigene Wohnung spektakulär zum PerformanceOrt. Ihr Film auf der weiten Museumswand hat, anders als so manches Stay-Home-Filmchen, nichts von Improvisation: So geschmeidig wie planvoll arbeitet sie sich an Mobiliar und Raum ab. Bei der Absolventin der Theaterakademie Köln trifft Schauspielerei auf Malen. Man erahnt beim Kurator eine Freude am Experiment - jedenfalls hat Kaumkötter vorab gesagt: „Feldman ist die Entdeckung der Ausstellung.“
Tatiana Feldman vor ihrer Videoinstallation, © Wolf de Haan
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Impressionen aus der Ausstellung, © Wolf de Haan Mit dem Lockdown gingen die Künstler ganz unterschiedlich um: Äußert Feldman sich eher skeptisch zur Tendenz, im Quarantäne-Zwang enorm aktiv zu sein, scheint Peter Wischniewski durchaus ein Beispiel für diese Produktivität: „Er sah sich auf sich selbst zurückgeworfen“, umreißt Direktor Kaumkötter die Position des heute Abwesenden, mit der Folge: „Er malte viel.“ „Farbräusche“ nennt er die Resultate von Wischniewskis Arbeit mit Marmormehl, die nun intensiv die Wand beherrschen.
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Verglichen mit der Wohnung als Kulisse, wirkt der Ansatz von Fabian Nette abstrakt. Seine Beiträge zum Thema sind großen Stichwörtern gewidmet und gestalten sie nicht-gegenständlich. „Wenn Hobbys und vieles andere wegfallen: Was macht mich dann noch aus?“, fragt der Künstler. Eines seiner Bilder, eine Fotografie auf Seide, trägt den Titel „Dissociation“. Unsichere Identität also ist offenbar zu sehen, und so stellen die Ergebnisse an der Wand die Fragen eher dar, als dass sie sie beantworten - auf visuell sehr einnehmende Art.
Auch Detlef Bach ordnet der Direktor als Grenzgänger ein; bei ihm trifft Bild auf Text. Sein Beitrag ist nicht speziell für die Ausstellung entwickelt, vielmehr aktueller Auszug eines kontinuierlichen Projekts: Seit Jahren erstellt er regelmäßig Collagen aus Bildern und Texten - gefunden oder aus eigener Hand. Bachs Devise ist indirekt: „Was nicht ausgesprochen werden kann: Darum geht es mir.“
Sein Tun nennt er „Kreisen um eine Ur-Poesie, an die man nicht herankommt. Ein neues Bild entsteht, und die Angst ist augenblicklich bezwungen. Und nun finden meine Werke im Museum Zentrum für verfolgte Künste neben den Künstlerinnen und Künstlern Platz, die mich mein ganzes Leben immer schon begleitet haben und deren Wirken und Schreiben mich inspiriert. Da wären u.a. Else Lasker-Schüler, Claire und Ivan Goll, Inge und Heiner Müller oder auch Václav Havel. Deren Bücher, deren Zitate, deren Wörter, ihre Sprache und Bilder. Das ist schön zu sehen. Wir kommt es vor, als wäre ich zu Hause … irgendwie daheim … angekommen …. Aus den Vitrinen raunen mir (längst?) Vergessene etwas zu. Vielsagendes! Vielstimmig. All diese Künstlerinnen und Künstler, deren Bücher, deren Gedichte und kleinen Zeichnungen, die im Museum in Glasvitrinen ausgestellt werden, können nun mit meinen Werken kommunizieren! So als würden sie sich etwas zuflüstern. So als würden sie alle versuchen Beschützer und Wächter einer anderen Stille zu sein!“
Detlef Bachs Corona-Tagebuch, © Zentrum für verfolgte Künste
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Birgit Pardun über das Puzzeln in der Isolation. © Zentrum für verfolgte Künste
Wolf de Haan und Guedny Schneider-Mombaur (schneider+mombaur) verlassen mit ihrem Werk das Haus und machen dieses zugleich zum Objekt. „Spiegelgasse“ greift die Architektur auf: „Ein blindes Fenster sehen zu machen, war eine Herausforderung.“ Sie haben es verspiegelt und das Titelwort auf der Wand gegenüber angebracht. Der Name nimmt Bezug auf die Gasse dieses Namens in der Exilantenstadt Zürich, wo das „Cabaret Voltaire“ residierte, einst Geburtsort des Dadaismus - Stichwort: „Utopien als Sauerstoff“.
Nicht eben museumstypisch auch Birgit Pardun. Was sie bringt, ist: puzzeln. Puzzleteile auf dem Boden, damit verbunden aber auch puzzeln als Tätigkeit, der der Besucher gerne frönen soll. Zum Großformater auf der Wand dahinter sagt Pardun: „Es ist nicht fröhlich. Die Corona-Zeit bringt viel auf den Punkt.“ Puzzles, so war übrigens einmal zu lesen, sind in Lockdown-Zeiten so beliebt geworden, dass die französische Politik entsprechende Läden angeblich als „systemrelevant“ deklarierte.
Und auch die neuen Medien haben ihren Auftritt. Trotz reflektierter Skepsis gegenüber der Digitalisierung („eine große Chance, aber auch eine Verführung, die abstruse und widersinnige Blüten treiben kann“ (Kaumkötter)), knüpft der von Fritsch verantwortete Ausstellungsteil, „Zwischen Kunst und Quarantäne“, an einen Twitter-Trend an: #tussenkunstenquarantaine. Hier stellen Menschen berühmte Kunstwerke in der eigenen Wohnung nach. „Zwischen Pastiche und Parodie opalisieren hier Anspielungen auf die Heroinnen und Heroen der Kunstgeschichte“, hat sie es vorab formuliert. Ein zeitgemäßer Link aus Solingen in die Welt.
Alles in allem eine mit leichter Hand konzipierte regionale Lockdown-Reflexion. Martin Hagemeyer
bis Sonntag, 13. September 2020
Aus der Isolation Zeitgenössische Kunst im Dialog mit der Sammlung
Zentrum für verfolgte Künste
Wuppertaler Straße 160, 42653 Solingen Dienstag bis Sonntag, feiertags von 10 bis 17 Uhr