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„Die Themen arbeiten jahrelang in meinem Kopf“
Philipp Fröhlich, Der Rattenfänger von Hameln – die Kinder, 2018, Öl auf Leinwand, 275 × 195 cm, alle Abbildungen © Philipp Fröhlich
Der Kunst- und Museumsverein Wuppertal stellt Gemälde von Philipp Fröhlich in der Kunsthalle Barmen aus
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In seinen jüngsten Arbeiten beschäftigt sich der Künstler mit Märchen und erzählt im Interview mit der besten Zeit, warum ihn das Spiel von Fiktion und Realität fasziniert.
Wie kam es dazu, dass Sie sich schon seit einiger Zeit mit Märchen beschäftigen? Auf die Märchen bin ich gekommen, weil ich mich gefragt habe, ob es noch möglich ist, narrative Bilder zu malen. Es war mir sehr wichtig, ein Thema zu finden, das weithin bekannt ist, was man aber bei den klassischen Motiven der Bibel oder der antiken Mythologie nicht mehr voraussetzen kann. Für Märchen habe ich mich deshalb interessiert, weil sie eine sehr bildhafte Sprache haben und zumindest die großen Märchen wirklich sehr bekannt sind. Mich interessiert gerade eine interpretative Herangehensweise besonders.
Was interessiert Sie inhaltlich an Märchen? Wofür stehen sie für Sie? Märchen erzählen in sehr kraftvollen Bildern und häufig auf einer intuitiven Ebene. Dabei ist es gar nicht immer so ersichtlich, wie man meint, worum es in einem Märchen wirklich geht. Die Geschichten finden auf mehreren Ebenen statt, und viele Märchen erhalten sich eine erstaunliche Offenheit. Auch die viel beschworene Moral ist häufig nicht so klar, wie einem erscheint. So geht es in „Hänsel und Gretel“ beispielsweise um Täuschung und Wirklich-
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Philipp Fröhlich, Foto: Esther Fernández Garcia
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Philipp Fröhlich, Die Vögel des Waldes picken die Brotkrumen auf, 2017, Öl auf Leinwand, 145 x 195 cm
Philipp Fröhlich, Da gab ihr Gretel einen Stoß, dass sie weit hineinfuhr, machte die eiserne Tür zu und schob den Riegel vor, 2018, Öl auf Leinwand, 195 × 275 cm
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keit, aber es geht auch um Hunger, Urängste der Kinder und ihre Überwindung, Emanzipation, Brüderlichkeit und Egoismus, und sogar Sexualität spielt sicher eine Rolle. Mich fasziniert diese Vielschichtigkeit, und sie hat für mich eine große Nähe zur Malerei.
Nach welchen Gesichtspunkten wählen Sie Ihre Motive? Gibt es weitere literarische Vorlagen, zu denen Sie schon gearbeitet haben? Gibt es weitere Themenkreise? Ich bediene mich da frei an allem, was mir begegnet und was etwas in mir auslöst. Häufig arbeiten Themen jahrelang in meinem Kopf, bevor sie irgendwann zu einem Bild heranreifen. Ein Bezug zu Romanen, Theaterstücken, Presseartikeln oder Poesie besteht eigentlich fast immer. Das ist sicherlich auch biografisch bedingt, weil ich ja eher vom Theater komme. So konkret zu einer literarischen Vorlage wie bei den Märchen habe ich allerdings noch nie gemalt. In anderen Bildern gibt es häufig einen Bezug, der aber so nicht ersichtlich ist und höchstens als Anhaltspunkt oder fragmentarisch auftaucht.
Sie malen mit Öl. Wie bereiten Sie Ihre Bilder vor? Gibt es Skizzen? Wie haben Sie Ihren Stil entwickelt? Die Bilder der Ausstellung sind alle mit Ölfarbe gemalt, aber das ist eher eine Neuigkeit für mich. Vorher habe ich 15 Jahre lang fast ausschließlich mit Eitempera gemalt. Für die Bilder zu den Märchen war mir aber ein glatteres, reflektierendes, der Fotografie näheres Medium wichtig. Meine Bilder entwickle ich eigentlich immer an einem Modell. Auch das habe ich mir in meinem Bühnenbildstudium angewöhnt, und es erleichtert mir die Arbeit enorm. Ich kann mit dem Modell spielerisch umgehen, Dinge leicht ausprobieren und ändern. Das Modell dient mir danach als Vorlage für das eigentliche Bild. Skizzen entstehen parallel dazu.
Ihre Gemälde wirken fast wie Fotografien. Was fasziniert Sie an dem Spiel von Fiktion und Realität? Gerade im Bezug zum Thema Märchen erschien es mir reizvoll, dieses mit einem gewissen Realismus anzugehen. Märchen werden ja meistens eher kindlich oder stilisiert gezeigt. Ich finde es spannend, die beschworenen Bilder erstmal ernst zu nehmen und ihnen einen Platz in unserer Sehweise einzuräumen, und diese ist heute natürlich sehr geprägt durch die Fotografie. Die Malerei ist ja auch eine Möglichkeit, Fiktionen in die Realität zu übertragen und sichtbar zu machen. Für mich persönlich ist dies überhaupt der entscheidende Punkt, warum ich male. Die Möglichkeit, die Bilder in meinem Kopf auszuformulieren und sichtbar zu machen, aus Fiktion Realität werden zu lassen. Haben Sie Vorbilder? In dieser Hinsicht haben mich Jeff Wall und seine inszenierten Fotografien immer sehr interessiert. Überhaupt finde ich inszenierte Bilder oft sehr spannend, Max Beckmann und Rubens beispielsweise faszinieren mich sehr.
Sie haben in der Bühnenbildklasse von Karl Kneidl an der Kunstakademie Düsseldorf studiert. Hatten Sie auch überlegt, ans Theater zu gehen? Noch als Schüler habe ich damit angefangen, am Wuppertaler Stadttheater als Statist zu arbeiten. Danach wollte ich unbedingt Bühnenbildner werden, denn es erschien mir die perfekte Symbiose aus meinem Interesse am Theater und meinem bildnerischen Drang zu sein. Karl Kneidl war ein ganz toller Professor. Überhaupt der erste richtig durch und durch künstlerische Mensch, den ich getroffen habe. Als Assistent von ihm konnte ich bei tollen Theater- und Opernproduktionen mitarbeiten, unter anderem mit Peter Zadek als Regisseur. Das war für mich eine ganz besondere Zeit, die mich sehr geprägt hat. Wenn eine Theaterproduktion und die Mitwirkenden gut sind, dann steigert einer den anderen, und es kann etwas Unglaubliches entstehen. Dazu muss man aber in eine gemeinsame Fantasie miteinander gelangen. Mir persönlich fällt die Zusammenarbeit sehr schwer, wenn dies nicht so ist, und auch das kommt leider auch sehr häufig vor. Am Ende musste ich feststellen, dass ich eigentlich mehr an meiner eigenen Fantasie interessiert bin. Deshalb bin ich kurz entschlossen vor dem Theater nach Spanien geflohen, um dort zu malen. Ich wusste, dass es schwer sein würde, wenn ich in Deutschland bliebe, weil ich dort schon einen Fuß im Theater hatte.
Sie lebten lange in Spanien, nun in Brüssel – warum? Mein Bruder Hendrik und ich haben dann unsere alten Autos mit all unseren Sachen vollgepackt und sind damit nach Madrid gefahren. Wir haben dort einen Monat in einer Pension gewohnt und dann eine Wohnung gefunden, die so vergammelt war, dass ich dort ohne Hemmungen malen konnte. Wir hatten eigentlich keinen richtigen Grund, um nach Madrid zu ziehen. Wir kannten die Stadt beide nicht, nur mein Bruder sprach etwas Spanisch. Die ersten Jahre habe ich dort vor mich hingemalt, und dann habe ich mich irgendwann für einen Wettbewerb für eine Ausstellung in einem Zentrum für junge Künstler in Madrid beworben. Dann ging plötzlich alles ganz schnell, und ein Jahr später hatte ich eine Ausstellung im MUSAC, dem Museum für zeitgenössische Kunst in Leon. Dort hat eine der bekanntesten Galeristinnen von Spanien meine Bilder gesehen, und ich habe angefangen, mit ihr zu arbeiten. So
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Philipp Fröhlich, Rosendickicht, 2017, Öl auf Leinwand, 110 × 145 cm
bin ich 15 Jahre in Madrid geblieben und heute mit einer Spanierin verheiratet (die übrigens meine erste Ausstellung dort aufgebaut hat). Vor einigen Jahren wollte ich dann gerne etwas näher zurück nach Mitteleuropa, und so sind wir in Brüssel gelandet. Eigentlich auch ohne einen richtigen Grund. Wir fühlen uns aber sehr wohl hier.
Welche Verbindung haben Sie noch nach Wuppertal, wo sie ein paar Jahre gelebt und auch ihr Abitur gemacht haben? In meiner Kindheit sind wir häufig umgezogen und dann 1991 in Wuppertal gelandet. Meine Eltern leben immer noch hier. Ich habe in Barmen, unweit der Kunsthalle, mein Abitur und in Wuppertal meinen Zivildienst gemacht. Mit dem Wuppertaler Maler Enric Rabasseda, der damals mein Chef gewesen ist, war ich bis zu seinem Tod 2016 befreundet. Meine Familie ist sehr verstreut, ein Bruder wohnt in Kalifornien, der andere wohnte in Kyoto, und so ist das Haus meiner Eltern in Wuppertal immer noch unser Treffpunkt.
Biografie:
Philipp Fröhlich (*Schweinfurt, 1975) studierte von 1996 bis 2002 in der Bühnenbildklasse von Professor Karl Kneidl an der Kunstakademie Düsseldorf. Während des Studiums arbeitete er als dessen Assistent an verschiedenen Theater- und Opernproduktionen, unter anderem mit Peter Zadek. Von 2002 bis 2016 lebte Philipp Fröhlich in Madrid. Seine Bilder wurden in einer Reihe von Ausstellungen in Spanien und im Ausland gezeigt und finden sich in Museen und öffentlichen Sammlungen wie dem Museo Reina Sofia in Madrid, dem MUSAC in León, dem Museo Patio Herreriano in Valladolid und dem Von der Heydt-Museum in Wuppertal. Philipp Fröhlich lebt seit 2016 in Brüssel. Die Ausstellung „Märchen“ in der Kunsthalle Barmen ist seine erste Einzelausstellung in Deutschland.
Märchen
Philipp Fröhlich
Sonntag, 9. Mai, bis Sonntag, 4. Juli 2021
Kunsthalle Barmen
Geschwister Scholl Platz 4-6, 42269 Wuppertal Öffnungszeiten Do bis Fr 14 bis 18 Uhr Sa und So 11 bis 18 Uhr Feiertage (Christi Himmelfahrt, 13. Mai, Pfingstmontag, 24. Mai, Fronleichnam, 3. Juni): 11 bis 18 Uhr Eintritt 3 Euro/erm. 2 Euro. Tickets mit Zeitfenster nur über wuppertal-live.de erhältlich. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.
Philipp Fröhlich, Großmutter erzähl - die Sonne I, 2020, Öl auf Leinwand, 175 x 120 cm
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