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Der Mensch in modernen Zeiten

Van Eyck. Eine optische Revolution, 504 Seiten, durchgehend farbig, Leinen, gebunden mit Schutzumschlag, 31,5 x 24 cm, Belser Verlag, 98,- € Carole A. Feuerman. Fifty Years of Looking Good, englisch, 192 Seiten mit 120 Farbabbidungen, gebunden mit Schutzumschlag, 30 x 24 cm, Scheidegger & Spiess, 58,- €

Neue Kunstbücher vorgestellt von Thomas Hirsch Der Mensch in modernen Zeiten

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Die Untertitel sagen, wohin die Reise geht. „Eine optische Revolution“ – „Fifty Years of Looking Good“ – „It‘s not about me“ – „Emotion and Technology“: In allen vier Kunst-

büchern geht es um das Menschenbild im Wandel der Zeiten, von der wirklichkeitsgetreuen Wahrnehmung über den Wunsch nach Schönheit und die Widerspiegelung der Psyche hin zur Fragwürdigkeit der Gefühle, der Mimik. Der Mensch steht im Mittelpunkt.

Jan van Eyck (um 1395-1141) ist einer der Größten in der eurozentrisch geprägten Geschichte der Kunst. Mit seiner naturalistischen Malerei gilt er als Hauptvertreter der altniederländischen Malerei. Diese leitete eine Revolution in der Kunst ein: Ohne die Religiosität aus dem Auge zu lassen, wandte sich die Malerei dem Diesseits zu und konstruierte dazu einen stillgelegten Blick, der das Gegenüber und die Interieurs abtastet, Licht setzt und dafür eine hoch virtuose, bis ins Detail wirklichkeitsgetreue Malerei entwickelt. Diese war auch Grundlage für die Porträtaufträge, die zugleich florierten. Heute sind die Bilder von Jan van Eyck und seinen Zeitgenossen weltweit in den wichtigsten Museen verstreut, und es bedarf schon eines besonderen Ereignisses, um sie für eine Ausstellung vereinen zu können. Dieses war im vergangenen Jahr der Abschluss der jahrelangen Restaurierung der Außentafeln des Genter Altars in der St. Bavo-Kathedrale. Im dortigen Museum für Schöne Künste fand dazu die größte Jan van EyckAusstellung aller Zeiten statt. Als Dokument davon, aber auch als bleibende Vertiefung ist das wohl wichtigste, umfassendste Ausstellungsbuch zu Jan van Eyck entstanden. Dabei, das Buch ist störrisch. Die Fachartikel sind ellenlang und deswegen – optisch nicht gerade der Hit – zweispaltig mit geringem Zeilendurchschuss. Und es sind viele Texte. Folglich sind die Abbildungen verteilt und von Referenzabbildungen begleitet. Aber das folgt im Buch einer klaren Struktur, die Bilder sind punktgenau zum Text gesetzt. Die gegenüberliegenden Abbildungsseiten sind auf Vergleiche und Referenzen hin angelegt und widmen sich Details in den Gemälden selbst. Die Monografie im Belser Verlag ist ganz einfach ein Abenteuer ins Reich der Kunst und der Kunstgeschichte, und zwar vom Feinsten.

Der Naturalismus der Alten Niederländer, der auch die malerische Wiedergabe von Skulptur umfasst, unterliegt natürlich anderen Paradigmen als der Hyperrealismus in der Skulptur, der in der Neuzeit, und zwar in den 1960er-Jahren, in den Vereinigten Staaten einsetzt. Die Protagonisten sind Duane Hanson und John De Andrea. Im vergangenen Jahr widmete sich eine Ausstellung im Osthaus Museum Hagen diesem Ismus. Dort war auch eine US-amerikanische Künstlerin vertreten, die hierzulande wenig bekannt ist, in ihrer Heimat aber gefeiert wird: Carole A. Feuerman (*1945). Ihre lebensgroßen Figuren sind häufig polychrom, sie bestehen aus Kunststoff, Marmor oder Bronze und stehen, teils auf Sockeln, oft im öffentlichen Raum.

Greg Gorman. It‘s not about me. A Retrospective, englisch, 416 Seiten, 100 Farb- und 242 s/w-Abbildungen, Hardcover, 31,5 x 24,5 cm, teNeues, 80,- € S. Himmelsbach/A. Spaninks (Ed.), Real Feelings. Emotion and Technologie, englisch, 192 Seiten, 153 üwg. Farb-Abbildungen, Broschur mit transparentem Schutzumschlag, 24 x 16,5 cm, Christoph Merian Verlag, 25,- €

Feuermans Motivspektrum ist klein. Überwiegend hat sie Frauen im Badeanzug geschaffen, und da diese bevorzugt Badekappen tragen, könnte es sich auch um Selbstbildnisse handeln. Die Badenden posieren, so machen sie sich für den Sprung ins Wasser bereit. Die Gefahr des Kitschigen paart sich bei diesen Skulpturen mit Langeweile. Andererseits thematisiert Feuerman Luxus und gesellschaftliche Rituale. Die Bedeutung ihrer Badenden klärt sich weiter, wenn man sich die Pin-ups des Pop-Art-Malers Mel Ramos vor Augen führt. Feuerman setzt dem eine Innigkeit und ein Selbstbewusstsein im Ausdruck entgegen, eine reale Körperlichkeit, die den Figuren Leben verleiht. Das von Scheidegger & Spiess souverän gestaltete Buch setzt Skulpturen aus verschiedenen Dekaden zueinander; deutlich wird, wie wenig sich das Werk entwickelt hat – wozu auch, wenn es sich bewährt und überzeitliche Situationen zeigt?

Greg Gorman (*1949), ein weiterer US-Amerikaner, ist als Porträtfotograf berühmt geworden. Seine „Sujets“ sind überwiegend prominente Schauspielerinnen und Schauspieler sowie Musikerinnen und Musiker. Die nun bei teNeues erschienene Monografie gibt einen Überblick seit den 1970er-Jahren: Es ist ein irrwitziges Buch mit vielen „ikonischen“ Aufnahmen, die unsere Wahrnehmung der jeweiligen Persönlichkeit geprägt haben. Die in SchwarzWeiß aufgenommenen Fotos sind voller Kraft und Energie – und ihr hoher Grad an Realismus entspricht dem von Malerinnen und Bildhauern. Die Körperhaltung hat mit Ausdruck zu tun und spiegelt sich geradezu im Gesicht wieder. Überhaupt das Gesicht! Das Antlitz ist gegenwärtig, blickt in die Kamera, die Vertrautheit zwischen Fotograf und Fotografiertem ist hoch, immer scheint eine große Menschlichkeit auf. Der besondere Kick ist natürlich die Prominenz der Dargestellten, aber davon unabhängig: Gorman ist ein großartiger Porträtfotograf.

„Real Feelings“ heißt eine Themenausstellung, die in den Fachinstituten für elektronische Medien in Basel und Eindhoven stattfand bzw. noch stattfindet. Thema ist das Wechselverhältnis von Mensch und Maschine, bei dessen rasanter Entwicklung der technische Fortschritt mehr und mehr den Menschen auch auf der psychischen Ebene kopiert und der Mensch infolgedessen mit den Technologien, den Avataren und Robotern kommuniziert, sie gar als menschliches Gegenüber empfindet einschließlich der Verunsicherung, was an Emotionen wahr und was konstruiert ist. Konsequenterweise sind im solide gemachten Katalog Gesichter, immer wieder Gesichter, manchmal auch Körper zu sehen. Die Vermittlung der mit Veränderung, Zeit, Sound funktionierenden digitalen Werke ist in Buchform natürlich komplizierter, als wenn es sich um Malerei, Skulptur oder Fotografie handelt. Aber dazu werden die Beiträge von jedem der 20 Künstlerinnen und Künstler in mehreren Abbildungen und Sequenzen vorgestellt und mit einem knappen, grundsätzlichen, wenn auch leider nur englischen Text erläutert. Der Katalog im Christoph Merian Verlag holt wahrscheinlich das Beste aus der so wichtigen und so komplexen Thematik heraus.

Die künstlerische Beschäftigung mit der körperlichen und emotionalen Wirklichkeit des Menschen ist über die Jahrhunderte geblieben, auch wenn sich die Verfahren parallel zum Fortschritt gewandelt haben. Darauf weisen auch die Cover der vier Buchpublikationen: Sämtlich zeigen sie Frauengesichter.

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