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Kulturaussichten

Zwei Wuppertaler Projekte nehmen Bezug auf das Festjahr 2021 „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“

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2021 ist trotz allem auch ein Festjahr. Wir

feiern 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland und rücken durch unzählige konfessionsübergreifende Veranstaltungen jüdische Tradition, die dazugehörigen Rituale, die Geschichte und auch das aktuelle Leben unserer jüdischen Mitbürgerinnen und -bürger in den Fokus. Aufklärung, Bildung, gegenseitiges Interesse, selbstverständliches Miteinander fördern den Abbau von Vorurteilen und bauen Brücken.

Eine Brückensanierung im mittelalterlichen Köln war der Anlass für die erste urkundliche Erwähnung jüdischen Lebens nördlich der Alpen. Die Stadtväter an der heutigen Rheinschiene erhielten im Jahr 321 n. Chr. von Kaiser Konstantin per Erlass die Erlaubnis, Juden in den Stadtrat zu berufen. Danach konnte ihre Unterstützung in Anspruch genommen werden. Die wichtige Brücke zur Überquerung des Rheins konnte saniert werden und beflügelte die Region.

„Durch reichsweit gültiges Gesetz erlauben wir allen Stadträten, dass Juden in den Stadtrat berufen werden.“ Das Dekret aus dem Jahr 321 erstmals belegt, dass Juden in der damals niedergermanischen Provinz mit der Hauptstadt Colonia Claudia Ara Agrippinensium lebten.

Mit der Vielfalt jüdischen Lebens und der Nähe zu allgemein bekannten Ritualen und Kulturtechniken beschäftigen sich auch zwei Projekte aus Wuppertal, die im Rahmen dieses Themenjahres gefördert werden:

Tanzrauschen e.V. präsentiert deutschlandweit

1001 Lights – Eine Multichannel-Videoinstallation

Jeden Freitag kurz vor Sonnenuntergang läuten in der Regel jüdische Frauen und Mädchen, aber auch alleinstehende Männer auf der ganzen Welt das Ende der Woche ein. Mit dem Entzünden der Schabbat-Kerzen schaffen sie so den Abstand zum Alltag. Die traditionellen Rituale des Kerzenanzündens variieren: Einige bedecken ihre Köpfe, die Augen geschlossen; andere singen den Segen laut, manche leise. Die Hände kreisen um das Licht. Der Schabbat geht von Freitag- bis Samstagabend: ein Tag der Ruhe, der Stille. Die innere Einkehr als die Rückkehr zum Licht. Das Licht als Lichtblick – ein feierlicher Augenblick, ein Licht im Dunkeln.

Nach ihrem Tod hinterließ die Mutter dem jüdisch-kanadischen Filmemacher Philip Szporer die Kerzenständer des Schabbat-Rituals: „Jeden Freitagabend, kurz vor Sonnenuntergang, zündete sie die Schabbatkerzen an. Obwohl sie keine offenkundig religiöse Frau war, war ihr diese Tradition sehr wichtig, und sie verlieh diesem Augenblick Besonderheit. Ich glaube, es war für sie eine bedeutsame Meditation und ein Moment der Erneuerung.“

Die Videoinstallation „1001 Lights“, die er gemeinsam mit der Künstlerin Marlene Millar geschaffen hat, vermittelt hochemotional und anschaulich dieses schlichte Ritual. Sie kann als eigener Raum gedacht werden, in den die Besucherinnen und Besucher eintreten und sich so in das Kunstwerk hineinbegeben. Als technisch weniger aufwendige Version kann die Installation in Innen- oder Außenräumen auch über Leinwand oder Monitor gezeigt werden.

Das Ritual des Entzündens von Kerzen ist in vielen Religionen und Kulturen bekannt. Selbst für Atheisten unterstreicht es feierliche Momente oder zaubert Licht und Wärme in den Alltag. Das durch die beiden Kunstschaffenden erlebbar gemachte Gefühl, die Besinnung, der Moment der inneren Ruhe und Einkehr und das Innehalten sind eine Brücke, ein verbindendes Element von Mensch zu Mensch. Deshalb hat sich TANZRAUSCHEN diese Arbeit ausgesucht und möchte sie deutschlandweit vielen Menschen präsentieren – an möglichst öffentlich zugänglichen Orten und Plätzen. Neben jüdischen Einrichtungen sind ganz bewusst Kulturorte avisiert, die ein großes Publikum erreichen. Die Installation soll von einem Rahmenprogramm mit Performances, Vorträgen und auch Community-Cookings begleitet werden.

Das Kunstwerk beginnt seine Reise durch Deutschland in Bremen. Vom 28. April bis zum 9. Mai 2021 zeigt steptext dance project die Installation in der Bremer Schwankhalle, flankiert von Beiträgen vieler Bremer Bürgerinnen und Bürgern, die in diesem Rahmen ein Statement gegen Antisemitismus setzen oder ihr persönliches oder kulturelles Ritual des Kerze-Entzündens mit der Öffentlichkeit teilen wollen. Termin und auch Ort für die Station Wuppertal stehen noch nicht fest. Hier nimmt TANZRAUSCHEN noch gern Bewerbungen von Kulturstätten oder Vorschläge für Ver-

Still aus der Multichannel-Videoinstallation „1001 Lights“ aus Anlass des Festjahres „321-2021, 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, Foto: Anthony McLean

anstaltungsorte entgegen. Auch Menschen, die tatkräftig mitarbeiten möchten oder Ideen für das Rahmenprogramm haben, sind herzlich willkommen. Kerstin Hamburg

Aktuelle Informationen finden Sie unter: 2021jlid.de, tanzrauschen.de und steptext.de

Marlene Millar und Philip Szporer erstellen mit ihrer Produktionsgesellschaft Mouvement Perpétuel beeindruckende Tanzfilme, Kunstdokumentationen, Multichannel-Videos und Installationen. Sie zeigen Choreografien und Porträts von einigen der führenden zeitgenössischen Tänzer und Choreografinnen Kanadas. Viele ihrer Kunstwerke sind mittlerweile preisgekrönt. Sie arbeiten in ihrer Installation sowohl mit Non-Professionals als auch mit professionellen Tänzerinnen und Choreografen zusammen. Die Arbeit wurde bereits weltweit gezeigt, u.a. in Limerick City, Shanghai, Montreal, Phoenix oder auch Melbourne.

Siehe: Ein Mensch!

Der künstlerische Versuch einer kulturell-religiösen

Häutung Musiktheaterstück Zu 99,5 % haben wir Menschen ein identisches Erbgut. Was uns unterscheidet: wie viel wir verdienen, woher wir kommen, was wir glauben. In einer kleiner gewordenen Welt und seit der Erfahrung mit Covid-19 ist es überfällig, die Unterschiede in Frage zu stellen. Gerade dann, wenn immer mehr Menschen darin konkurrieren, gottähnlich sein zu wollen. Für die Zukunft unserer Welt lohnt die Erinnerung daran, dass wir zuerst alle Menschen sind und voneinander und miteinander lernen können. Siehe: Ein Mensch! ist der künstlerische Versuch einer kulturell-religiösen Häutung. Das Musiktheaterstück handelt von einer fiktiven Begegnung eines Informatikers mit einer Freundin Maria Magdalenas. Im Gespräch wird deutlich, wie wenig von den Visionen des jüdischen Reformators Jesus übrig blieb. Der Handwerker aus Galiläa stellte im Sinne der großen prophetischen Traditionen seines Volkes Gerechtigkeit und Liebe in den Mittelpunkt seiner Weltsicht. Als engagierter Täter für seine Überzeugungen wurde er von den Mächtigen hingerichtet. Die christlichen Theologen entwerteten ihn als Opfer. Dies sei gottgewollt. Auf diese Weise idealisierten sie über Jahrhunderte Unterwürfigkeit und Opferbereitschaft.

Ein interreligiöses Gespräch über Menschen- und Gottesbilder, über Gerechtigkeit und Liebe, Angst und Zukunft. Eine Annäherung an unsere Menschlichkeit.

Mitwirkende: Eine bekannte Schauspielerin, ein bekannter Schauspieler sowie ein Sprecher. Bekannte Bachchoräle aus der Matthäuspassion werden von einer Kantorei/einem Opernchor zitiert, musikalisch gebrochen bzw. mit einem neuen Text gesungen. Die Namen der Akteurinnen und Akteure werden noch bekannt gegeben, wenn sich eine Realisierung des Stückes zu Coronazeiten abzeichnet. Die Jazzformation Ufermann, die seit mehr als 30 Jahren im interkulturellen und interreligiösen Dialog konzertiert, setzt dabei musikalisch und textlich eigene Akzente. Autor und Komponist: Erhard Ufermann

Aktuelle Informationen unter: jazz.ufermann.net und

facebook.com/jazz.ufermann/

Erste Aufführungen sind für Bremen, Osnabrück und Wuppertal geplant.

Gefördert werden die Projekte aufgrund des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat im Rahmen des Feierjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, Schirmherr Frank-Walter Steinmeier

Die Jazzformation Ufermann, Foto: Bettina Osswald

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