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Vor Ort, im Netz und voller Ideen
Das Loch wird virtueller, bleibt aber vital.
Ausstellung in Corona-Zeiten: Ava Weis und Fabian Nette zeigen in den Fenstern des Loch die Schau „Spielkinder“. Foto: Jan Kreienkamp
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Ortsfest und auch wieder nicht: Das Loch in der
Wuppertaler Plateniusstraße ist ja einerseits das verstetigte Sommerloch, das nach dieser für einige Sommer nomadierenden Pop-up-Kulturreihe hier seine fixe Adresse fand. Seither dauerhaft im Ex-Bücherschiff, wurde es Name für eine Art Off-Kultur mit Ambition, daneben für manchen – das geht wohl nur mit festen Räumen – vertrautes Wohnzimmer. Derzeit scheint indes der virtuelle Raum zu locken, und nicht nur als Lockdown-Behelf. Wird man allzu heimisch - oder etwa digital verstiegen?
Zum Stichwort Ambition passt die gute Nachricht vom 14. Januar: Ans Loch ging erneut die Spielstättenprogrammprämie NRW, und zwar ganz weit oben: Mit satten 20000 Euro Prämie ist es unter Nordrhein-Westfalens Kulturorten einer der zwei Höchstplatzierten; zu den Preisträgern gehört auch der „ort“ in der Luisenstraße. Ins Virtuelle verlegen musste man selbstredend auch die Verleihung, anders als im Vorjahr, als das Loch ganz besonderes Gewicht und Aufmerksamkeit erfahren hatte: Preisträger und zudem Gastgeber der offiziellen Feier, die den honorigen Gästen von auswärts auch Gelegenheit gab, Loch-Luft zu schnuppern. Heuer roch‘s nach Rechner.
Vorigen Herbst nun gab es umfangreiche Umbauarbeiten, die fast wie ein Neustart wirkten. Inwiefern es den brauchte, mochte beim Ambiente nicht unbedingt einleuchten - gelang ihm doch schon zuvor mit Bar, Buchregalen, Couch der Rahmen für einiges, was typisch sein mag fürs Loch: wählerisch im Programm bei durchaus distinguierter Attitüde, nicht zu kuschlig auch im Auftreten, bei aber gleichzeitig sehr chilliger Wohlfühlatmosphäre, in der auch mal gespielt und gebastelt werden darf. Klar, Bedarf zum Umrüsten freilich gab‘s rund um Corona. So augen- wie auch sinnfällig kamen daher etwa Plexiglasscheiben an die Theke, die nun für unbedenkliches Eindecken mit Trendlimo
sorgen sollten. Wer im Herbst zur fast etwas feierlichen Neueröffnung kam, erlebte vor der Bühne Sitzgruppen an frisch lackierten Tischchen, wurde dort bedient, vermisste vielleicht die (freilich noch existente) Tischtennisplatte, wo dafür aber nun der Backstagebereich gelandet war. So richtig „back“ war‘s nicht, sondern recht mitten im Geschehen; vielleicht deshalb wurde der Rückzug für Künstlerinnen und Künstler inzwischen erneut verlegt.
Doch Anfang November ging es der und dem Beobachtenden hier wie überall, wo Lokale und Veranstalter in Hygiene investiert hatten und sich nun gerüstet glaubten, gegen Virus wie auch Schließungen: Der zweite Lockdown machte alles dicht – außer Spesen nichts gewesen? Bloß Argwohn des Beobachters war dies, wie gesagt – denn der Wahrnehmung intern, im Loch also, entsprach es keineswegs. Wer die zunächst vergebliche Mühe als Dämpfer eingeschätzt hätte, würde die Schaffenslust des Teams schlecht kennen: Seitdem, beschreibt Chef Maik Ollhoff unverdrossen, ging es nämlich weiter mit Veränderung und Umbau. Vielfach, aber nicht nur Richtung digital.
Soweit virtuell, galt ihm zufolge die Devise: „Live-Formate, die nicht das ersetzen, was es vorher gab.“ „Lochfunk“ wurde neues Zauberwort, und anders als manche Konstante im Loch-Kalender (Lesung, Jazzkonzert) stand damit weniger eine bestimmte Kunstform Pate als vielmehr das Medium. Online-Übermittlung also war gemeint. Über 20 Mal funkte bislang das Loch schon im Lockdown, in den Lockdown, um ihn herum - Musik, Wort, Film und mehr. Auch die Literaturbiennale, coronabedingt verschoben, neu konzipiert und schließlich (weiter verkürzt) nur online, sendete von hier. „Dauerhaft“, so Ollhoff, soll Digitalisierung im Loch nicht zuletzt „für Teilhabe“ stehen. Nicht zuletzt um Angebote für solche Menschen verfügbar zu machen, die nicht herkommen können. Und auch die Präsenz des Lochs im Internet wird neu aufgestellt: Eine neue Homepage soll, Stand Mitte Februar, in den nächsten Wochen kommen. Man sieht sich als soziokulturelle Adresse, und auch mit Hilfe der virtuellen Verbreitungswege soll das nun noch stärker sichtbar werden.
Optimiert ist auch die Technik vor Ort, real und durchaus materiell. In Bild und Ton sind jetzt professionelle Aufnahmen möglich. Insgesamt kann man es Tonstudio nennen, was an Equipment hier nun steht; nicht gerade fest gemauert, aber doch ganz physisch-hiesig. Beim Gespräch im Februar war hier das Album der Musikerin Maria Basel in Arbeit. Doch nutzen, das dürfte manchen interessieren, können die Technik künftig keineswegs nur dem Haus verbundene Musiker, sondern man ist offen für jeden, der Interesse hat. Doch bleibt dies alles ja Drumrum. Dass dem Loch bei alldem die Ideen fürs Veranstaltungsprogramm nicht ausgehen, war schön an Silvester zu erleben, dessen Programm trotz Verbannung seiner Gäste vor die Rechner schön bunt und vielfältig war. DJs turnten an den Turntables, vor den Bildschirmen durfte getanzt werden, per „Zoom-Konferenz“ sogar irgendwie zusammen, es gab eine „Live-Schalte nach Hawaii“ und mehr. Vielleicht ein schönes Kontra in Zeiten, da selbst Kultur und Freizeit oft streng dienstlich benannt werden müssen („Projekt“, „Kooperation“), dass sich umgekehrt hinter dem Bürowort „Konferenz“ komplett undienstliches Feiern verbergen darf.
An besagten Kalender-Konstanten findet sich natürlich weiter feiner, variantenreicher Jazz vom „Jazzclub“. „Kult&Klang“-Sessions bringen musikalische Improvisation in alle Richtungen. Auch die Lesebühne „Dichterstunde“ bleibt, gern mit einem prominenten Gast. Was bildende Kunst betrifft, früher unter dem Titel „#polar“, so machte jüngst das wandernde Projekt „12/21“ von Ava Weis Station, genauer: mit den Stationen eins und zwei. Die Autorin und Fotografin, die generell Fragen um Geschlecht und Identität interessieren, las hier zur ersten Ausgabe Texte von Su Zieroth und umgekehrt - und wählte zur zweiten eine ganz ungewöhnliche Pandemieoption: Gemeinsam mit Fabian Nette kam die Schau „Spielkinder“ so analog wie derzeit möglich, nämlich in den Fenstern und von außen einsehbar, was sich trotz Fröstelns am Eröffnungsabend nicht einmal gar so anders anfühlen mochte als in einer Galerie. Aufnahmen waren da von außen zu bestaunen, die für die Freundschaft der beiden expressive Bilder fanden.
Es bleibt also kreativ und überraschend im Loch, und es bleibt auch vor Ort. Und so digital auch manche Pläne sein mögen: Selbst wer künftig speziell die Aufnehmtechnik nutzen möchte, muss ja doch physisch in die Plateniusstraße stiefeln – und hat weiter Grund, es gern zu tun. Ganz in echt.
Martin Hagemeyer
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Der „Lochfunk“ sendet Kultur (nicht nur) in den Lockdown. Foto: Arne Schramm