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Für ihn sind Kunst und Leben eins

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Kulturtipps

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Ob an den Wänden oder anderswo: Klaus Küster lebt umgeben von Kunst - vielfach, wie hier, der eigenen.

Abseits vom Kunstbetrieb hat der Remscheider Künstler Klaus Küster ein einzigartiges Lebenswerk geschaffen. Ein Hausbesuch. Als der berühmte Fotograf, Maler und Objektkünstler Man Ray in den 1920er-Jahren in der Dunkelkammer mit Fotogrammen experimentierte und diese längst bekannte Technik des „Fotografierens ohne Kamera“ weiterentwickelte, prägte er dafür den Begriff der „Rayographie“ und nannte die Ergeb-

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nisse „Rayogramme“. Klaus Küster hat sich erst vor einer Weile entschlossen, seine über Jahrzehnte verfolgte Technik der „Luminoplastik“ selbstbewusst „Küstereogramm“ zu nennen. „Meine Frau findet das immer noch nicht gut“, erzählt er amüsiert. Aber warum sollte er nicht? Schließlich ist es seine ureigene Erfindung.

Eine übertriebene Geltungssucht kann man dem Künstler auch wirklich nicht vorwerfen. Über mehr als 50 Jahre hinweg hat er weitab vom Getöse des Kunstbetriebs ein kaum zu überschauendes Œuvre von einzigartiger Originalität und Vielschichtigkeit und schier unglaublichem Variantenreichtum geschaffen, ohne je das Rampenlicht zu suchen. Ihren Weg in Ausstellungen (weit über 200) und öffentliche Sammlungen u.a. in Berlin, Bochum, Bonn, Essen, Düsseldorf und Wuppertal haben seine Arbeiten dennoch gefunden, aber längst nicht in dem Umfang, wie sie es verdient hätten. Den Künstler ficht das nicht an. Sicher, er zeigt seine Arbeiten gern und führt Besucherinnen und Besucher bereitwillig durch sein auf drei Etagen mit eigener und fremder Kunst bestücktes bergisches Schieferhaus in Remscheid, in dem kaum mehr ein Platz an einer Wand frei ist. Aber er produziert nicht für irgendeinen Markt. Er arbeitet unermüdlich, weil er gar nicht anders kann. Aufhören? „Kann ich mir nicht vorstellen“, sagt er. Man hört ja auch nicht einfach aus freien Stücken auf zu atmen, solange man immer wieder mit so viel Neugier auf die Dinge des Lebens schaut. Im Mai dieses Jahres feiert Klaus Küster seinen 80. Geburtstag.

Anfassen erlaubt: Klaus Küster führt Anne-Kathrin Reif durch sein Atelierhaus und erläutert die Technik seiner Arbeiten. Fotografie mit und ohne Kamera: Fotogramme auf Positivpapier aus der Serie „Fremde Freunde“ (2001, obere Reihe) und „Fotosculture“ aus 2018. Die Fotorechtecke über der blauen Bank sind abnehmbar an kleinen Schrauben hängend platziert.

Dass man ihm sein Alter nicht anmerkt, hat viel mit dieser Haltung dem Leben und der Kunst gegenüber zu tun – mit unermüdlicher Neugier, mit der Freude am Entdecken, mit der Lust am Experiment. Auch mit dem Sinn für Schönheit, wenngleich er sagt: „Schön strebe ich nicht an.“ Will heißen: Ein „schönes Kunstwerk“ zu erschaffen ist nie sein Ziel. Aber er entdeckt Schönheit dort, wo man sie nicht erwartet, wo andere sie gar nicht wahrnehmen – und macht sie sichtbar: etwa das Malerische, Freskohafte einer in Schichten abbröckelnden Mauer, die er in einer Fotografie festhält, oder das Formenspiel von Plastikfetzen an einem Bauzaun. Wobei Küster es nie bei der bloßen Wiedergabe von Wirklichkeit belässt. Vielmehr ist die Fotografie bei ihm fast immer nur ein Ausgangspunkt. Durch verschiedenartige Bearbeitung fügt er der abgebildeten Wirklichkeit eine reale hinzu: Ein Loch in der Wand, welches das Foto zeigt, gibt es im Bild und im Bildträger wirklich. Eine echte Kordel auf einer Holzkiste scheint einen präzisen – aber fotografischen – Schatten zu werfen.

Hausecken, ganz wörtlich verstanden: Fotografien von Hausecken hat Küster auf dreidimensionale Bildträger montiert, die in den Raum ragen.

Fotografierte Hausecken montiert er auf rechtwinklige Bildträger, die tatsächlich als Ecken in den Raum ragen. Ein Holzfundstück oder ein Stück Draht arbeitet er genau dort ein, wo dieses in der Fotografie auch abgebildet ist. Aus der Fotografie wird so eine „Fotoscultura“ (auch das eine küstersche Wortschöpfung), und aus dem reproduzierbaren Produkt wird ein Unikat, in dem Realität und Abbild augentäuscherisch verschwimmen, und das den Betrachter weniger zwingt als lustvoll verführt, genau hinzusehen. Und die in unserer Kultur allgemein verbreitete Haltung, dem Foto als Abbild von Wirklichkeit schon den Stellenwert von Wirklichkeit einzuräumen, zu hinterfragen.

Mit Klaus Küster durch sein Atelierhaus zu gehen, ist einfach ein großes Vergnügen. 1969 war er zunächst in die Dachwohnung des alten bergischen Schieferhauses eingezogen, später ergab sich die Gelegenheit, das Haus, hinter dem sich ein malerisch verwilderter Garten erstreckt, zu kaufen. Gerade rechtzeitig, als die Familie wuchs. 1972 und 1974 wurden seine Söhne Ruben und Till geboren, für die er von 1979 an als alleinerziehender Vater verantwortlich war. 1987 folgte der dritte Sohn Jan Lino. Lange war kein Denken daran, sich voll und ganz der Kunst widmen zu können. Küster, der nach einer ersten Ausbildung als Fernmeldetechniker in den 1960er-Jahren Kurse an der Wuppertaler Werkkunstschule und der École des Beaux-Arts in Paris absolviert hatte, arbeitete rund 30 Jahre als Fotograf und Grafikdesigner, bevor er 1998 die Leitung der Städtischen Galerie in Remscheid übernahm. Als er 2006 in den Ruhestand ging, verabschiedete er sich mit einer großen eigenen Werkschau. Schon damals hätte er die vielen Räume der beiden Galeriehäuser in Remscheid, in denen heute die städtische Musik- und Kunstschule untergebracht ist, zweimal füllen können. 2012 widmete ihm die Stadtsparkasse Wuppertal eine große Ausstellung in ihrem Kunstforum – eine schöne Gelegenheit, auch einmal große Formate und vielteilige Installationen zeigen zu können.

Dafür ist in Küsters verwinkeltem Schieferhaus leider kein Platz. Trotzdem gibt es unendlich viel zu entdecken – umso mehr, wenn der Künstler die mit den Objekten verbundenen Geschichten preisgibt. „Da hatte ich einen neuen Wollpullover, und der fluste so…“, verblüfft er die Betrachterin, die sich angesichts des Gewimmels auf einem abstrakten Fotogramm gerade Assoziationen von Molchen und Spermien hingibt. Nichts ist zu unbedeutend, zu unscheinbar,

Die pure Augentäuschung: Das Lichtspiel, das der Betrachter glaubt, real wahrzunehmen, ist fotografiert. Der Titel dieser „Fotoscultura“-Objekte „Credo“ (2016/17) verweist auf eine metaphysische Dimension – an was glauben wir?

Zigarillokästchen erhalten bei Klaus Küster nach dem Leerrauchen grundsätzlich ein neues Leben als Kunstobjekt. als dass es sich nicht unter seinem Blick noch in Kunst verwandeln ließe. „Bevor ich etwas wegschmeiße, fällt mir immer noch was dazu ein“, sagt Küster schmunzelnd. Davon künden auch die zahllosen kleinen Objektkästen, in denen Reste von belichtetem Fotopapier und Fundstücke aller Art zu verblüffenden Arrangements zusammenfinden.

Klaus Küster erklärt anhand jüngerer Arbeiten das von ihm entwickelte Verfahren der „Luminoplastik“. Erst seit kurzem nennt er die Ergebnisse „Küstereogramme“.

Die Wandinstallation aus winzigen Papierschnipseln hat der Recklinghausener Künstlerfreund Gerhard Reinert nach einer Ausstellung bei Klaus Küster Anfang der 1990er-Jahre hinterlassen. Bei jeder Renovierung wird sie sorgfältig abgedeckt.

Obwohl: Zahllos sind sie gar nicht. „Die erste Serie hat 330 Stück, und bei der neuen Serie der ,Lichtungen‘ sind es bis jetzt 15“, zählt Küster auf. Er weiß es so genau, denn er hat die Zigarilloschachteln eigenständig leergeraucht, wie er freimütig bekennt. Manchmal haben die Kästchen auch etwas Theaterhaftes, sind wie kleine Bühnen, auf denen unvorhersehbare Dinge passieren können. „Da fehlt ein Brett in der Bühne, da kann man reinfallen“, macht Küster auf ein Detail aufmerksam, wobei er unverkennbar Spaß an solchen Einfällen hat.

So tiefsinnig und reflektiert sein Umgang mit der Formensprache der Kunst und ihren Möglichkeiten auf der einen Seite ist, so wichtig ist andererseits der Aspekt des Spielerischen in seiner Arbeit. Vielleicht ist es sogar der zentrale Begriff in seinem Schaffen. Denn das Spielerische ist für den Künstler eine unversiegbare Quelle des Schöpfertums. „Ich spiele wirklich gern“, bekennt er und ergänzt: „Über das Spiel macht man Erfahrungen, die man sonst wahrscheinlich nicht gemacht hätte.“

Seiner Lust am Experiment und dem spielerischen Umgang mit Materialien verdankt sich auch die Erfindung eben jener Luminoplastiken, die er inzwischen Küstereogramme nennt. Mit der Technik des Fotogramms – dem Fotographieren ohne Kamera – und des Chemogramms experimentierte er schon in den 1960er-Jahren. Konsequenterweise müsste man im Zusammenhang mit den frühen Arbeiten von Klaus Küster „Photographie“ eigentlich immer in dieser alten Schreibweise schreiben, bezeichnet sie doch genau das, was dabei passiert: das Schreiben bzw. Zeichnen mit Licht. Beim Gang durchs Haus finden sich noch einige dieser frühen Arbeiten, bei denen etwa Fischschuppen, Muscheln oder Haare zum Einsatz kamen und die an seltsame Tiefseewesen oder Aufnahmen aus dem Weltraum denken lassen. Bereits in den 1970er-Jahren erweiterte Küster die bekannte Technik ins Dreidimensionale: Durch verschiedenste Einprägungen, Lochungen, durch Knicken, Falten oder Durchbohren mit kleinen Objekten wie etwa Zahnstochern bearbeitet er das lichtempfindliche Papier. Im Vorgang der Belichtung werfen diese Eingriffe Schatten, die bei der Entwicklung in ihr helles Gegenteil verkehrt werden. Es entsteht ein plastisches Bild, dessen Anmutung von Körperhaftigkeit eine Mischung aus Realität und Illusion ist. „Schattenspielchen“ seien das, sagt er lächelnd. Und schon ist da wieder das Spiel im Spiel: das Spielerische der Methode, das Spiel mit dem Zufall, das Spiel mit der Wahrnehmung, das Spiel mit den Erwartungen des Betrachters. Über die Jahrzehnte hat Küster dieser Technik einen schier unübersehbaren Formen- und Variantenreichtum entlockt – und es ist nicht absehbar, dass er damit an ein Ende kommen könnte. Dabei handelt es sich nicht um routinierte Wiederholung dessen, was einmal ausprobiert, eingeübt und perfektioniert ist. Sondern vielmehr um ein unermüdliches Weiterforschen und Befragen dessen, was „Bild“ und „Wirklichkeit“ eigentlich bedeuten. Die Frage ist der rote Faden, der sich bei aller Vielgestaltigkeit durch sein Werk zieht. Das hat er inzwischen in einem auf drei Bände angewachsenen Werkverzeichnis mit dem Titel „Andere Ansichten“ dokumentiert, das bis zum Jahr 2019 datiert. Eine Fortsetzung ist mithin zu erhoffen und zu erwarten. Denn, wie gesagt: Aufhören ist für Klaus Küster keine Option.

Anne-Kathrin Reif Fotos: Willi Barczat

Klaus Küster: Ein nachdenklicher Künstler mit Humor und großer Lust am Spiel.

Ausstellungen

Sonntag, 9. bis Sonntag, 30. Mai 2021 Jet ze luure Einzelausstellung bei der Kulturwerkstatt Ins Blaue e.V., Siemensstraße 21, 42857 Remscheid. Eröffnung: Sonntag, 9. Mai, 16 Uhr. Geöffnet: sonntags 14 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung unter Tel.: 0151 26886535

www.ins-blaue.net

Samstag, 15. Mai bis Samstag, 26. Juni 2021 Beide Seiten Ausstellung mit Dietmar Wehr bei 68 elf Studio Kunstverein Köln, Gottesweg 102, 50939 Köln

www.68elf.de

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