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Elektronische Stimmabgabe Manuel Höferlin MdB
Schon 1998 hat sich die Bundestags-Enquete „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“ dafür ausgesprochen, ein webbasiertes Wahlverfahren auf Bundesebene einzuführen. Doch spätestens im Jahr 2009 wurden viele der Bemühungen, Volksvertreterwahlen an das digitale Zeitalter anzupassen, von höchstrichterlicher Stelle ausgebremst. In jenem Jahr erklärte das Bundesverfassungsgericht den Einsatz von Wahlgeräten bei der Bundestagswahl 2005 ex post für verfassungswidrig. Nach Ansicht des Gerichts kann durch die zugrunde liegende Rechtsverordnung nicht garantiert werden, dass nur solche Geräte zum Einsatz kommen, die den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen des Grundsatzes der Öffentlichkeit genügen. Demnach müssen die „wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung vom Bürger zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis überprüft werden können.“
Ich stehe nicht im Verdacht, der
Elektronische Stimmabgabe
Fluch oder Segen? In Zeiten der Coronapandemie wurden Meetings und Aktionärsversammlungen online abgehalten. Im digitalen Vorreiterland Estland kann bereits seit 15 Jahren online gewählt werden, doch in Deutschland gibt es weiter Bedenken.
digitalen Transformation skeptisch Foto: AdobeStock©md3d gegenüber zu stehen. Aber auch aus heutiger Sicht kann ich der Entscheidung des Verfassungsgerichtes nur zustimmen. Denn nach wie vor ist mir so gut wie kein IT-gestütztes Stimmabgabesystem bekannt, das den Anforderungen an allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen derart Rechnung tragen würde, dass eine Verletzung dieser Grundsätze vollständig ausgeschlossen ist. Zu diesem Ergebnis war bereits die Enquete-Kommission „Internet & Digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages gekommen, deren Mitglied ich war, und die sich bis 2013 vertieft mit dem Urteil auseinandergesetzt hat. Man muss kein IT-Experte sein, um zu wissen, dass die Anforderungen an solche Wahlsysteme gerade in Bezug auf Datenschutz und Datensicherheit zunehmend komplexer werden. Und wir sind uns sicher darin einig, dass es hinsichtlich der Integrität demokratischer Wahlen keine Kompromisse geben darf.
Welche negativen Auswirkungen unzuverlässige elektronische Wahlsysteme haben können, zeigte sich kürzlich bei den Vorwahlen für den US-Präsidentschaftswahlkampf in Iowa: Eine App zur Erfassung der Wahlergebnisse versagte, und hätten die Ergebnisse nicht auch in Papierform vorgelegen, dann wäre der Wahl-Super-GAU eingetreten. Durch diesen Vorfall war den Demokraten nicht nur weltweiter Spott sicher, sondern ein derartiges technisches Versagen ist auch dazu geeignet, eine veritable Vertrauenskrise in Bezug auf demokratische Prozesse auszulösen. Dabei ist die technische Zuverlässigkeit der Wahlsysteme nicht die einzige Hürde. Gerade bei der elektronischen Stimmabgabe spielt das Thema IT-Sicherheit eine zentrale Rolle. Nicht nur in den USA wird vor der Manipulierbarkeit der Wahlmaschinen durch Hacker gewarnt. Auch in der Schweiz, wo seit vielen Jahren verschiedene Systeme im Einsatz oder im Testbetrieb sind, regt sich aufgrund entdeckter Schwachstellen zunehmend politischer Widerstand.
An dieser Stelle möchte ich aber auch ein positives Beispiel aus dem digitalen Vorreiterland schlechthin anführen. In Estland besteht bereits seit dem Jahr 2005 die Möglichkeit, ergänzend zum klassischen Wahlgang schon vor dem eigentlichen Wahltag über das Internet zu wählen. Die Identifizierung der wahlberechtigten Personen sowie die Bestätigung der Stimmabgabe erfolgt dabei mehrstufig über die digitale Signatur im Personalausweis sowie persönliche PIN-Codes. Die Möglichkeit der Wahlmanipulation sowie die personenbezogene Rückverfolgung sind durch entsprechende kryptografische Verfahren weitestgehend ausgeschlossen. Natürlich gab es auch im digitalen Estland kritische Stimmen, etwa zur Sicherstellung des Wahlgeheimnisses, wegen der Möglichkeit, die abgegebene Stimme ändern zu können, oder
mit Blick auf die Gefahr der digitalen Spaltung. Nach rund 15 Jahren Praxisbetrieb hat sich das estnische Modell aber neben dem traditionellen Wahlgang etabliert. Und dennoch lässt es sich nicht einfach so auf Deutschland übertragen. Mit Blick auf die Bevölkerungsstruktur, das Wahlrecht, das politische System und nicht zuletzt hinsichtlich des Vertrauens der Menschen in staatlich gelenkte Digitalisierung gibt es große Unterschiede.
Ungeachtet dessen sollten wir schauen, welche positiven Aspekte sich auf Deutschland übertragen lassen. Denn die grundlegenden Ziele der elektronischen Wahlverfahren gewinnen in diesen politisch unwägbaren Zeiten sogar an Bedeutung: Hierzu zählt für mich die Stabilisierung der Wahlbeteiligung, die Reduzierung ungültiger Stimmen oder die Minderung wahlbezogener Ausgaben. Wir sollten dort ansetzen, wo im bestehenden Wahlsystem und -recht Fortschritt einfach möglich ist. Beispielsweise könnten die Stimmzettel auf Papier elektronisch ausgezählt werden. Das ermöglicht eine schnellere Verfügbarkeit der Wahlergebnisse und die Überprüfbarkeit bleibt durch die Möglichkeit des manuellen Nachzählens erhalten. Weitermachen können wir außerdem dort, wo in der Vergangenheit bereits Erfahrungen gesammelt wurden. Zum Beispiel bei Betriebsratswahlen in öffentlichen Einrichtungen oder den Wahlen zu den Studierendenparlamenten. Darüber hinaus wollen wir Freie Demokraten auch für Abstimmungen im Deutschen Bundestag ein dauerhaftes elektronisches Abstimmungsverfahren ermöglichen und arbeiten bereits an einer Initiative. Auch hieraus lassen sich sicher Erfahrungswerte für andere Wahlformen gewinnen.
Bei Volksvertreterwahlen bleibe ich hingegen bis auf weiteres bei meiner oben dargelegten Überzeugung! Denn sollte die Integrität dieser Wahlen nur einmal in Frage stehen, dann
Manuel Höferlin MdB
Vorsitzender des Bundestagsausschusses Digitale Agenda und digitalpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion
kann dieser Vertrauensverlust schnell dazu führen, dass der gesellschaftliche Frieden nachhaltig gestört ist. Das Vertrauen in diese Wahlen ist die Grundlage der Akzeptanz in alle darauf folgenden politischen Entscheidungen, die Volksvertreter und Regierungen treffen. Solange es also kein elektronisches Verfahren gibt, das die Integrität dieser Wahlen zu einhundert Prozent sicherstellen kann, ist dies keine akzeptable Alternative. l