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Echter Neustart erforderlich Dr. Helmut Teichmann
Auch knapp fünf Jahre nach dem Höhepunkt der Migrationslage 2015/2016 ist es trotz verschiedener Anläufe bislang noch nicht gelungen, dass sich die Europäische Union (EU) auf eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) verständigt. Noch immer sorgt das bestehende Asylsystem für eine durch das Dublin-III-System festgeschriebene unfaire Lastenteilung bei der Erstaufnahme und zugleich für eine erhebliche Sekundärmigration.
Dieser Befund ist umso bedauerlicher, als der Migrationsdruck auf die EU anhält und Europa einer großen Belastungsprobe aussetzt. Vor allem die Staaten an den südlichen Außengrenzen Europas, aber auch die Zielstaaten von Sekundärmigration, hier vor allem Deutschland, sind besonders betroffen. Diese ungeregelte Zuwanderung gefährdet die Akzeptanz der offenen Binnengrenzen und untergräbt das Vertrauen der Bürger in die Handlungsfähigkeit der EU.
Griechenland, Malta und Zypern haben im vergangenen Jahr gemessen an ihrer Einwohnerzahl vier bis sechs Mal so viele Asylbewerber wie Deutschland als Ersteinreisestaat aufgenommen. An den Außengrenzstaaten kommt es zu einer Überlastung und zum Teil zu unhaltbaren Zuständen bei der Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber, wie sich am Beispiel der griechischen Inseln zeigt. In absoluten Zahlen sind Deutschland und Frankreich aber seit Jahren die bevorzugten Zielländer von Asylbewerbern und somit durch besonders stark durch die Sekundärmigration belastet.
Erschwerend kommt hinzu, dass das bestehende EU-Asylsystem unter einem erheblichen Vollzugsdefizit leidet. Die Erfahrung zeigt leider, dass
Echter Neustart erforderlich
Die Bundesregierung hat mit Blick auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft Vorschläge für eine vollständige Neuausrichtung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems vorgelegt und auch die EU-Kommission arbeitet an einem Neustart.
nach einer einmal erfolgten Einreise viele abgelehnte Asylbewerber ohne jeglichen Schutzbedarf dauerhaft in der EU verbleiben.
Das bisherige Dublin-III-System ist dysfunktional und allein durch punktuelle Verbesserungen nicht reparabel.
Mir ist daher wichtig zu betonen: Wir brauchen beim GEAS einen echten Neustart, der ein funktionsfähiges und faires sowie vorhersehbares und verlässliches System schafft. Ich begrüße, dass die Europäische Kommission ebenfalls einen Neustart für das GEAS angekündigt hat und zeitnah einen „Pakt zu Migration und Asyl“ vorlegen wird.
Die Bundesregierung hat mit Blick auf die anstehende deutsche EU-Ratspräsidentschaft bereits Vorschläge für eine vollständige Neuausrichtung des GEAS vorgelegt. Oberstes Ziel muss es sein, frühzeitig zu differenzieren, wer Schutz in der EU benötigt, bei wem dies einer intensiveren Prüfung bedarf, und wem offensichtlich kein Schutzstatus zusteht.
Wir schlagen deshalb vor, bereits an den EU-Außengrenzen eine Vorprüfung von Asylanträgen durch
zuführen. Asylbewerbern mit aussichtsreichen Asylanträgen wird die Einreise in die EU gestattet. Wird hingegen nach Prüfung der vorgetragenen Gründe festgestellt, dass ein Antragsteller unter keinen Gesichtspunkten Schutzbedarf hat, wird ihm die Einreise verwehrt. Damit wird eine zeitnahe Rückführung in das Heimatland direkt von der Außengrenze möglich. Diese Versagung und Rückführung hat gleichzeitig eine starke Signalwirkung im Hinblick auf künftige potentielle Asylbewerber ohne jegliche Schutzgründe und sie steigert die Akzeptanz der Asylverfahren innerhalb der Bevölkerung in der EU.
Zweitens sehen unsere Vorschläge eine EU-weite faire, quotenmäßige Verteilung der Schutzsuchenden auf alle Mitgliedstaaten vor. Dies könnte zum Beispiel auf Basis der Bevölkerungszahl und der Wirtschaftskraft der Mitgliedstaaten erfolgen. Damit würde eine ausgewogene, gerechte und verlässliche Verteilung der Asylbewerber erreicht. Die Lage an den Außengrenzen würde sich spürbar entspannen, was allen Mitgliedstaaten der EU zugutekäme.
Drittens wollen wir neue, effektive Maßnahmen zur Verhinderung von Sekundärmigration schaffen. Unter anderem soll der für den Asylantrag zuständige Mitgliedstaat dauerhaft zuständig bleiben. So sollen Aufnahmeleistungen grundsätzlich ausschließlich vom zuständigen EUStaat zur Verfügung gestellt werden. Überstellungen in die zuständigen
Foto: European Union, 2020 - Dati Bendo
Dr. Helmut Teichmann
Staatssekretär im Bundesinnenministerium
Mitgliedstaaten wollen wir insgesamt vereinfachen und beschleunigen. Die klare Botschaft muss lauten: Weiterwanderung wird nicht belohnt.
Wichtig ist, die Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern an den Außengrenzen sicherzustellen. Hier soll eine Einbindung der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache erfolgen, zu deren Aufgaben die unterstützende Durchführung von Rückkehrmaßnahmen zählen und die aufgrund einer anstehenden Aufstockung ihrer Einsatzkräfte in absehbarer Zeit über die notwendigen Personalressourcen verfügen wird.
Die Vorschläge stellen eine völlige Neuausrichtung des GEAS dar. Wir wollen die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um mit den Vorschlägen die Reformdebatte neu zu beleben und alte Diskussionsmuster aufzubrechen.
Mehr Solidarität im europäischen Asylsystem ist dringend notwendig, denn es ist offenkundig, dass die Herausforderungen im Asylbereich nicht mehr nur von einzelnen Mitgliedstaaten bewältigt werden können. Die Erfahrungen aus der Migrationslage 2015/2016 haben gezeigt, dass Massenzuströme in einem Mitgliedstaat sehr schnell andere Mitgliedstaaten erreichen und zu Friktionen oder gar einer Spaltung der europäischen Gemeinschaft beitragen. Um hier für die Zukunft gewappnet zu sein, braucht die EU ein verlässliches und ausgewogenes Asylsystem, das eine solidarische Teilung der Verantwortung und Aufgaben umfasst. l