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Soziale Marktwirtschaft? Prof. Dr. Michael Eilfort

Der soziale Frieden in Deutschland ist ein sehr hohes Gut. Wie manch gesellschaftlicher Wandel begründet er soziale Leistungen, die im Laufe der

Jahre ausgebaut wurden oder neu dazu kamen. Die Steuerprogression als maßgeblicher Hebel der Umverteilung – die zehn Prozent Bestverdienenden tragen 55 Prozent des

Einkommensteueraufkommens, daneben übrigens auch 20 Prozent des

Mehrwertsteuer- und 75 Prozent des

Kirchensteueraufkommens – ist und bleibt bei allem Korrekturbedarf etwa des „Mittelstandsbauches“ oder des zu niedrigen Einsetzen des Spitzensteuersatzes – im Grundsatz richtig.

Nicht richtig, und auch nicht durchzuhalten, ist indes der unaufhaltsame Anstieg des Anteils der Sozialausgaben am Bundeshaushalt. Mit dem Bundeshaushalt 2020 wäre er schon ohne Corona in kurzer Zeit auf fast 53 Prozent gewachsen, den durch neue „Segnungen“ noch gesteigerten Zuschuss in die Rentenversicherung eingeschlossen. Dieser springt im Jahr 2020 erstmals über die 100-Milliarden–Euro-Grenze. In guter Zeit und ohne echte Not, von Wahlkampfb edürfnissen abgesehen, hat die Große Koalition seit 2013 die Sozialausgaben absolut wie relativ massiv ausgebaut und dadurch die Spielräume für zukünftiges Handeln drastisch eingeschränkt. Dabei hat die Politik immer mehr Fehlanreize gesetzt: Zu oft rechnet sich mittlerweile Nicht-Leistung eher, als dass sich Leistung lohnt. Jetzt wird die Corona-Krise mit Milliardenhilfen für Wirtschaft und Bürger die Haushaltssituation weiter verschärfen.

Die Balance in der Sozialen Marktwirtschaft stimmt nicht mehr. Das Adjektiv „Sozial“ ist ein Stück weit zum Hauptwort geworden, das Hauptwort „Marktwirtschaft“ wird zu oft kleingeschrieben. Was dazu gehört, wie beispielsweise Wettbewerb, Freiheit und Eigenverantwortung, wird von vielen reflexartig abgelehnt und allenfalls als lästiges Beiwerk hingenommen. Öffentliche Debatten werden zu häufig von einer „Sozial-Industrie“ dominiert, die im eigenen Interesse immer neue Betätigungsfelder und „Bedarfe“ ersinnt und sich mit den „Armutsberichten“ ein Perpetuum mobile geschaffen hat: Da mögen die Löhne breitflächig und über Jahre so klettern wie zuletzt – das Medianeinkommen steigt damit auch und so finden sich in jedem Fall weiter „Bedürftige“ – darunter Studierende, die unter 60 Prozent dieses mittleren Einkommens liegen und schnell und pauschal als „arm“ deklariert werden. Die Klage über „soziale Kälte“ in unserem so schrecklichen Land greifen dann viele zu gerne auf – und machen sich dabei so unglücklich wie die GroKo-Parteien, die den von ihnen selbst ins Uferlose gesteigerten Ansprüchen nicht mehr hinterherkommen. Sämtliche Wahlergebnisse 2019, von Europa bis Thüringen, waren ein Indiz dafür, dass zusätzliche Wohltaten weniger dankbare Stimmabga

SOZIALE Marktwirtschaft?

Die verkorkste Grundrente als Symbol des GroKo-Elends.

Prof. Dr. Michael Eilfort

Vorstand, Stiftung Marktwirtschaft

„Die Balance in der Sozialen Marktwirtschaft stimmt nicht mehr.“

be, als neue Forderungen und damit weitere vermeintliche Gerechtigkeitslücken provozieren.

Es deutet sich an vielen Stellen an, dass mehr umfassende Fürsorge statt Vorsorge, mehr Ruhigstellung statt Aktivierung, mehr flächendeckende und zentral geregelte staatliche Absicherung statt subsidiärer Solidarität, mehr „unbürokratische“ automatische Beglückung statt Nothilfe im geprüften Einzelfall die Menschen nicht zufriedener macht. Über lange Jahre wurden Wohlstand und Sozialstaat immer selbstverständlicher, die Wachstumsraten in der Wirtschaft kleiner und bei den Sozialausgaben größer. Das kann nicht mehr lange gutgehen und wird, jenseits des harten wirtschaftlichen Einschnitts mit der Pandemie sowie den sich daraus ergebenen noch stärkeren Bedrohungen

beim Euro und der Außen- und Handelspolitik, auch noch von der Demographie auf den Prüfstand gestellt. Wir werden uns wieder viel stärker um das Erwirtschaften zu kümmern haben. Und müssen für eine Soziale Marktwirtschaft eintreten, die uns über 70 Jahre umfassenden wirtschaftlichen Erfolg, einen einzigartigen Sozialstaat und dabei auch noch einen herausragenden ökologischen Fortschritt ermöglicht hat. Wir haben „Wohlstand für (fast) alle“ erreicht. Menschen in Not können auf Hilfe zählen, sollten aber grundsätzlich erst einmal als zu Eigenverantwortung befähigte Bürger ernst genommen und nicht vornehmlich als Bedarfsempfänger und Bedürftige gesehen und zu Lasten Dritter – der Steuer- und Beitragszahler – von vermeintlichen Wohltätern „versorgt“ werden.

Leider kann man auf die Bundesregierung kaum zählen. Ein Musterbeispiel für das Elend der GroKo und die Aushöhlung tragender Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft ist. Denn trotz sehr teurer Rettungsprogramme, trotz Konjunkturpaket – beides wird ohne Strukturreformen bestenfalls ein Strohfeuer sein – und einem ebenfalls riesigen „Wiederaufbau“fonds, den die EU-Kommission plant, hält die Bundesregierung an der Grund“rente“ fest. Mit ihr belegt das kaum Zukunftsweisendes bewegende schwarz-rote Regierungsbündnis seine weitgehende Ignoranz für die Herausforderungen durch die Covid19-Krise und den demographischen Wandel. Nicht nur die Corona-Milliarden werden vermutlich noch schwer auf den Schultern der Jungen lasten. Die jüngsten Nachverschlimmbesserungen an der Grundrente zeigen, wohin die unselige Reise geht: Statt der angekündigten „Grundrente mit mindestens 35 Beitragsjahren“ – nicht mit Einzahlungsjahren gleichzusetzen – reichen jetzt also 33 Jahre „Leistung“ aus. Absehbar sind Folgedebatten und weitere Aufweichungen in den nächsten Jahren: Nun liegt die nur verschobene „Gerechtigkeitslücke“ vor denjenigen mit 32 Beitragsjahren, die knapp an der neuen Großzügigkeit vorbeischrammen, und am Ende nicht mehr haben als andere mit 24 oder 14 „Beitragsjahren“, zudem wird Teilzeitarbeit begünstigt.

Die neue Grundrente schafft dadurch mehr neue Probleme als sie löst: Sie hilft nur wenigen wirklich Bedürftigen, die man besser anders erreicht hätte, wird von vielen, die sie im eigentlichen Sinn des Wortes und nach dem Äquivalenzprinzip der Rentenversicherung eigentlich nicht verdient haben, mitgenommen – und schadet fast allen, besonders den Jüngeren, weil sie Leistungsbereitschaft mindert und weitere Kosten heutiger Geschenke auf künftige Generationen verla

gert sowie den Bundeszuschuss zur Rentenversicherung in einer durch Corona schwierigen und noch gar nicht final absehbaren Haushaltslage noch aufbläht. Es wird bei diesem Unsinn und bei einer absehbar immer weiteren Reduzierung der geforderten „Beitragsjahre“ leider auch nicht bleiben: Wenn nun eine Sozialleistung ohne Einzelfallprüfung der Bedürftigkeit ausgezahlt wird, folgen sicherlich bald andere.

Wollen wir auf dieser schiefen Ebene wirklich weitergehen, bis das viel zu teure bedingungslose Grundeinkommen in Deutschland eingeführt wird? l

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