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Es ist wirtschaftlich klug, in grüne Technologien zu investieren“ Kadri Simon

sprach exklusiv mit Kadri Simson, EU-Kommissarin für Energie darüber, wie sich die EU-Klimaziele mit dem Ankurbeln der Wirtschaft nach der Pandemie vertragen.

Das Interview führte Frederike Holewik.

–Ursula von der Leyen nannte den Green Deal „Europas Mann auf dem Mond-Moment“, aber zuletzt ist es sehr ruhig um das Thema geworden.

Hat es seinen Schwung verloren?

Es ist klar, dass die EU eine starke Antwort auf diese beispiellose COVID-19-Krise brauchte, um sicherzustellen, dass sich Bevölkerung und Wirtschaft so schnell wie möglich erholen. Aber sie hat weder etwas an der Tatsache geändert, dass wir immer noch vor großen klimapolitischen

Herausforderungen stehen, noch hat sie die Verpflichtung der EU zur Klimaneutralität bis 2050 beeinträchtigt. Unser

Ziel bleibt dasselbe – eine EU, die von sauberer Energie angetrieben wird, den Planeten schont und sich um ihre

Bürger kümmert. Es wächst das Verständnis dafür, dass wir die Krise als Chance für den Aufbau einer besseren

Zukunft sehen sollten.

Im Januar haben wir die Green-Deal-Strategie mit dem Green-Deal-Investitionsplan und dem Just-Transition-Mechanism weiterverfolgt, um die notwendige Finanzierung für einen Übergang zu sauberer Energie sicherzustellen, der fair ist und niemanden zurücklässt. Im März haben wir das Klimagesetz vorgeschlagen, um bis 2050 ein klimaneutrales Europa zu gewährleisten. Im Frühjahr und

Sommer haben wir Strategien für Industrie, Landwirtschaft, biologische Vielfalt und Kreislaufwirtschaft vorgelegt – entscheidende Elemente des Green Deal. In meinem

Verantwortungsbereich, der Energie, wurden im Juli zwei sehr wichtige Bausteine auf den Weg gebracht: die Strategie zur Integration des Energiesystems und die Wasser-

Foto: European Union, 2020 - Ina Fassbender

„Um bis 2050 zur Klimaneutralität zu gelangen, müssen alle ihren Beitrag leisten: die Bürger, die Mitgliedstaaten und der Privatsektor, die KMU, die Industrie.“

„Es ist wirtschaftlich klug, in grüne Technologien zu investieren“

stoffstrategie. Und natürlich sollten wir bedenken, dass der grüne Übergang eine Investitionschance zur wirtschaftlichen Erholung ist. Er ist mit der Digitalisierung eine der beiden Hauptprioritäten des Wiederherstellungsinstruments Next Generation EU. Der Green Deal ist unsere ökologische als auch wirtschaftliche Strategie – er wird uns in den nächsten Jahren leiten.

–Die Pandemie stellt viele Unternehmen in Europa vor Probleme. Aber schon vorher litten viele EU-Länder unter Deindustrialisierung. Kann der Green Deal jetzt umgesetzt werden ohne die Wirtschaft weiter zu schädigen?

Einerseits müssen wir zur Bewältigung der Krise Gelder dort einsetzen, wo sie eine unmittelbare Wirkung auf die

Wirtschaft haben und die am stärksten betroffenen Sektoren unterstützen. Auf der anderen Seite müssen wir den langfristigen Nutzen im Auge behalten und unsere

Wirtschaft für die Zukunft widerstandsfähiger machen.

Indem wir die Prioritäten und Technologien von gestern

Foto: European Union, 2020 - Aurore Martignoni mit öffentlichen Geldern unterstützen, scheinen wir einen Schritt vorwärts, langfristig aber zwei Schritte zurückzugehen. Ich bin sicher, dass es jetzt an der Zeit ist, mutige, zukunftsorientierte Investitionen zu tätigen.

Ich bin überzeugt, dass Europa eine starke industrielle Basis braucht, und die Pandemie hat die Notwendigkeit der Sicherung strategischer Lieferketten innerhalb Europas und seiner Nachbarschaft nur noch verstärkt. Dies bedeutet eine erneute Konzentration auf Investitionen in die Umgestaltung unserer Industrie, um Europa nachhaltig und wettbewerbsfähig zu halten. Dass eine neue Industriestrategie eines der ersten Dokumente war, das die Kommission verabschiedet hat, unterstreicht, dass dies für uns eine Schlüsselpriorität ist.

–Sie haben mehrfach betont, dass der Green Deal selbst die Wirtschaft ankurbeln wird. Welche konkreten

Maßnahmen sind dafür geplant?

Die Kommission hat ein historisches Konjunkturinstrument in Höhe von 750 Milliarden vorgeschlagen, das inzwischen auch vom Europäischen Rat gebilligt worden ist. 30 Prozent dieser Ausgaben sollten klimabezogen sein, das gesamte Paket muss dem Grundsatz „keinen Schaden anrichten“ folgen. Dies wird Europas Wirtschaft massiv

Aufschwung geben, und wir wissen aus der letzten Krise, dass grüne Konjunkturmaßnahmen mehr Wachstum und

Arbeitsplätze schaffen als traditionelle, weniger nachhaltige.

Während die meisten Entscheidungen darüber, wie dieses Geld investiert wird, in den Händen der Mitgliedstaaten liegen werden, ist die geplante Initiative „Renovierungswelle“ ein gutes Beispiel für eine konkrete Maßnahme. Nahezu 40 Prozent des gesamten europäischen

Energieverbrauchs entfallen auf das Heizen und Kühlen von Gebäuden. Dies macht Renovierungen zu einer der besten Möglichkeiten, Energie einzusparen und Treibhausgase zu reduzieren. Gleichzeitig sind Renovierungen eine arbeitsintensive Tätigkeit, die neue Arbeitsplätze schaffen und die Wirtschaft ankurbeln.

–Welche Rolle spielen Investitionen aus dem privaten Sektor?

Eine entscheidende Rolle. Die Kommission kann Vorreiter sein, aber unser Investitionsbedarf kann nicht allein durch die EU und öffentliche Mittel gedeckt werden. Um bis 2050 zu Klimaneutralität zu gelangen, müssen alle ihren Beitrag leisten: Bürger, Mitgliedstaaten und Privatsektor, die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die Industrie. Ich glaube, dass es wirtschaftlich klug ist, in grüne Technologien und Infrastruktur zu investieren. Das ist das Signal, das wir mit der EU-Politik deutlich aussenden. Wir bieten technische und finanzielle Unterstützung, um diese Investitionen zu erleichtern, etwa durch das

InvestEU-Programm.

–Der Green Deal verbindet Handlungsfelder, darunter etwa Energie und Mobilität. Die Mitgliedsstaaten haben

unterschiedliche Ansätze, um den Anteil Erneuerbarer in ihrem Energiemix zu erhöhen. Zielt der Green Deal auf eine Harmonisierung ab?

Der Energiemix liegt in der freien Entscheidung der Mitgliedsstaaten und das soll auch so bleiben. Die Ausgangspunkte der EU-Länder sind sehr unterschiedlich, ebenso wie ihre natürlichen Ressourcen und Bedingungen. Wenn man bedenkt, dass unser Energiesystem bis 2050 weitgehend auf Erneuerbaren basieren muss, gilt es alle uns zur Verfügung stehenden erneuerbaren Ressourcen zu nutzen. In der Kommission besteht unsere Aufgabe darin, alle Hindernisse auf EU-Ebene für diesen Prozess zu beseitigen und ein unterstützendes Umfeld zu schaffen, damit so schnell wie möglich so viel erneuerbare Energie wie möglich eingesetzt werden kann. Ein Beispiel dafür ist die Offshore-Energiestrategie, bei der wir Hinweise geben werden, wie die Regeln in der Praxis anzuwenden sind, um Investitionen in Offshore-Windparks und -netze zu beschleunigen.

–Die Mobilitätsemissionen sollen bis 2050 um 90 Prozent gesenkt werden. Welche Rolle spielt

Wasserstoff, um dieses Ziel zu erreichen im Vergleich zur E-Mobilität?

Im Energiesystem der Zukunft könnte Wasserstoff zu einem wichtigen Protagonisten werden, insbesondere bei der Dekarbonisierung von Industrie und Verkehr in ganz

Europa. Wir haben unsere Pläne zur Erreichung dieses

Ziels in den EU-Strategien zur Integration von Wasserstoff- und Energiesystemen dargelegt. Wir setzen darauf, dass die E-Mobilität eine zentrale Rolle für einen sauberen Straßenverkehr in der EU spielen wird, aber nicht alle Verkehrsbereiche eignen sich gleichermaßen gut für die Elektrifizierung. Für schwere Nutzfahrzeuge wird neben elektrischen Batterien wahrscheinlich Wasserstoff eine weitere realistische Lösung sein. Darüber hinaus hat

Wasserstoff das Potential, die Schifffahrt und vielleicht mit der Zeit auch den Luftverkehr zu dekarbonisieren.

–Wie stellen Sie sich einen europäischen

Binnenmarkt für Wasserstoff vor?

Ich gehe davon aus, dass es ein schrittweiser Ansatz sein wird. Wir sehen bereits heute Wasserstoff-Cluster, die aus der lokalen Produktion und Nutzung von regenerativem Wasserstoff entstehen. Mit der Zeit dürfte sich die industrielle Nutzung von Wasserstofftechnologien beschleunigen und damit die gesicherte Nachfrage schaffen.

Das fängt beim kohlenstoffarmen Wasserstoffprodukt, der Vergrößerung des Umfangs sowie der Einführung von Elektrolyseuren zur Erzeugung von erneuerbarem

Wasserstoff an. Bis dahin müssen wir über weitreichende Wasserstoff-Transportpipelines und geeignete Regeln für die Zertifizierung und den grenzüberschreitenden

Handel verfügen, um einen EU-Wasserstoffmarkt aufzubauen. Dies wird der EU die Gelegenheit geben, einen zuverlässigen, Euro-basierten Maßstab zu entwickeln, der auch für die Importe verwendet werden kann. Diese sollen

Foto: Fotolia.com ©electriceye

sich ebenfalls schrittweise entwickeln, angefangen bei unmittelbaren Nachbarn, wie Marokko und der Ukraine, später dann auch ausgeweitet werden auf internationale Partner.

–Große Konzerne sind eher in der Lage neue Regeln umzusetzen. Wie kann die EU sicherstellen, dass sie nicht kleinen und mittelständischen Unternehmen schaden?

Kleine und mittlere Unternehmen sind das Rückgrat der europäischen Wirtschaft, und wir behalten ihre Interessen und Bedürfnisse immer im Auge, wenn wir unsere Klima- und Energiepolitik gestalten. Es gibt viele verschiedene EU-Fonds und andere Instrumente, die KMU beim grünen Übergang helfen können. Aber ich glaube in der

Tat, dass kleinere Unternehmen oft zukunftsorientierter und flexibler sind als große Konzerne. Es gibt viele ausgezeichnete Beispiele dafür, wie KMU Nachhaltigkeit in den

Mittelpunkt ihres Geschäfts stellen und dabei Verbraucher und Kunden gewinnen.

–Sind mehr Regulierungen der richtige Weg, um Europa auf eine grünere Zukunft vorzubereiten?

Regulierungen sind nie Selbstzweck, sondern zielen darauf ab, einen verlässlichen und stabilen Rahmen zu schaffen, damit Unternehmen handeln und Investoren ihr Geld in den Dienst übergeordneter strategischer Ziele stellen können. In einer Situation, in der wir unsere Wirtschaft in drei

Jahrzehnten vollständig umgestalten müssen, müssen wir ein politisches Umfeld schaffen, das diese Ambition unterstützt und Investitionen lenkt. Ich erwarte nicht, dass es „mehr“ Regeln gibt, aber sie müssen den Anforderungen der Zukunft besser gerecht werden. Ohne ein klares Engagement, verbindliche Ziele und konkrete Maßnahmen wäre es unmöglich, den Wandel so schnell und in diesem

Umfang zu erreichen. l

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