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Rote Linien aufzeigen  Dr. Tobias Kaiser

Rote Linien aufzeigen

Emmanuel Macron, Frankreichs wiedergewählter Präsident, ist der Mann der Stunde in der EU. Er hat mit seinem Wahlsieg nicht nur die Rivalin Marine Le Pen deklassiert, die das europäische Projekt zu einer besseren Zollunion zurechtstutzen wollte. Macron hat auch klargemacht, dass der Umbau der

Europäischen Union weiter eine Priorität ist. Dass er zu den Klängen der

Europahymne zu seiner Siegeskundgebung marschierte, machte den europäischen Gestaltungsanspruch des

Politikers deutlich.

Für Deutschland ist der Wahlsieg

Macrons eine gute Nachricht, aber auch eine Herausforderung. Denn auch wenn die Menschen in Deutschland Macrons Begeisterung für Europa grundsätzlich teilen: Für seine

Vorstellung von der EU gilt das nicht unbedingt. Er arbeitet seit seinem

Amtsantritt 2017 sehr erfolgreich daran, die EU nach seinen Vorstellungen zu formen. Dabei orientiert der ehemalige Banker und liberale Politiker sich zunehmend an Ideen, die eigentlich als passé galten. Die Skepsis gegenüber freien Märkten gehört dazu, die Überzeugung, dass der Staat alle Bereiche des Lebens von Zukunftsindustrien bis zur Kultur erfolgreich gestalten kann und auch das Streben nach größerer wirtschaftlicher Autarkie.

Bereits in seiner ersten Amtszeit hat Macron dieses Denken wieder fest in Brüssel verankert, nicht zuletzt, weil Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der Präsident des Europäischen Rats Charles Michel, ihre Posten auch dem französischen Präsidenten verdanken. Brüssel folgt vor allem Macrons Leitmotiv der „strategischen Autonomie“, die alles umfasst von höheren Verteidigungsausgaben bis zum Hochpäppeln eigener nationaler Tech-Giganten, der stärkeren Kontrolle von Investitionen und dem milliardenschweren Aufbau neuer Industriezweige, um China und den USA Konkurrenz zu machen. Früher hat die Europäische Kommission in Brüssel die Mitgliedsstaaten daran gehindert, öffentliche Gelder an „nationale Champions“ zu verteilen. Jetzt ist sie damit beschäftigt, die Subventionen für Batterieunternehmen und andere begünstigte Sektoren zu koordinieren.

Auf EU-Ebene haben die beiden großen Krisen dieses Jahrzehnts Macron geholfen. Die CoronaPandemie hat Politikern und Bürgern geradezu schockartig deutlich gemacht, wie anfällig die heutigen Kontinente umspannenden Lieferketten sind. In den ersten Wochen der Pandemie fehlten Schutzmasken, dann Beatmungsgeräte und schließlich die umkämpften Impfstoffe. In den vergangenen Monaten ging es nicht mehr um Leben um Tod, aber für viele Unternehmen um das Aufrechterhalten des täglichen Geschäfts.

Der Krieg in der Ukraine hat dieses Unwohlsein verstärkt. Die Erkenntnis, wie abhängig die EU sich von Energielieferungen aus Russland gemacht hat und die permanente Drohung Putins, den Öl- und Gashahn abzudrehen, sorgen dafür, dass Macrons Idee von

Dr. Tobias Kaiser

Korrespondent Brüssel WELT

„Emmanuel Macron und Mario Draghi suchen immer neue Gründe, um den Wiederaufbaufonds und die gemeinsame Schuldenaufnahme zu verstetigen.“ Die Achse Frankreich – Italien steht. Die Bundesregierung muss jetzt zügig handeln und ein Gegengewicht zur Schuldenpolitik bilden.

größerer europäischer Autonomie neue Anhänger findet.

Der französische Präsident hat die Corona-Krise auch genutzt, um eine Zeitenwende bei den EU-Finanzen durchzusetzen. Für den mehr als 800 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds macht die EU zum ersten Mal in dieser Größenordnung gemeinsame Schulden. Frankreich hatte die gemeinsame Verschuldung

Foto: Jens Schicke

seit Jahren gefordert, Deutschland hatte sich dagegen ebenso lange gewehrt, aber in der Corona-Krise kippte das Gleichgewicht. Gerade der Wiederaufbaufonds illustriert aber die Kluft zwischen Berlin und Paris: Für Deutschland sind die gemeinsamen Schulden eine einmalige Ausnahme in einer historischen Notsituation. Aus Sicht Macrons sind sie der Auftakt für dauerhafte gemeinsame Schulden.

Tatsächlich hat Macron mit Italien eine gemeinsame Achse in der EU gebildet, die sehr erfolgreich daran arbeitet, die Finanzverfassung der EU nach ihrem Geschmack umzuformen. Nicht nur, dass Macron und der italienische Ministerpräsident Mario Draghi immer wieder neue Gründe suchen, den Wiederaufbaufonds und die gemeinsame Schuldenaufnahme zu verstetigen. Mal braucht Europa das Geld für den Kampf gegen den Klimawandel, mal um die hohen Energiepreise abzumildern, mal um angesichts des Ukraine-Kriegs mehr Verteidigung zu finanzieren. Alle paar Wochen werben Rom und Paris für mehr gemeinsame Schulden auf EU-Ebene.

Auch bei der Diskussion um die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts haben die beiden Länder die Debatte erfolgreich unter ihre Kontrolle gebracht. Inzwischen wird schon gar nicht mehr diskutiert, ob sie gelockert werden – sondern nur noch wie weit. Ein klares Bekenntnis zu den Maastricht-Regeln, wie Macron sie noch kurz nach seinem Amtsantritt formuliert hat, ist er in diesem Wahlkampf schuldig geblieben. Stattdessen hat er viele neue Ausgaben angekündigt.

Die Bundesregierung muss zu diesen Bestrebungen ein Gegengewicht bilden: Für solide Staatsfinanzen, fiskalische Verantwortung und freie Märkte. Dafür muss Scholz gegenüber Macron rote Linien aufzuzeigen. Bei den Schuldenregeln beispielsweise darf es keine Ausnahmen für Investitionen geben, gleich ob für das Klima, Digitalisierung oder die Verteidigung.

In Brüssel marktliberale Grundpositionen zu vertreten, ist für Deutschland schwerer geworden, seit Großbritannien die Union verlassen hat. Ein Club kleiner und mittelgroßer Staaten vor allem aus dem Norden und Nordwesten hält weiter an offenen Marktwirtschaften und fiskalisch konservativen Prinzipen fest. Demgegenüber steht eine Allianz vorwiegend südeuropäischer Länder, die lockere Staatsfinanzen und einen paternalistischen Staatsinterventionismus bevorzugen. Deutschland muss in dieser Konstellation Mehrheiten organisieren. Scholz sollte sich dabei auch ein Beispiel an Macron nehmen: In Sachen Durchsetzungskraft kann er von seinem französischen Amtskollegen noch viel lernen. l

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