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Versorgungssicherheit in den Fokus nehmen

Der russische Einmarsch in die Ukraine hat Deutschland und Europa auf vielen Ebenen erschüttert. Auch die Auswirkungen auf unsere Energieversorgung sind enorm. Im Jahr 2020 lag der russische Anteil deutscher Gasimporte bei rund 55

Prozent. Das Land war damit unser größter Zulieferer, weit vor dem Königreich Norwegen und den Niederlanden. Sollte der Gasimport aus Russland durch Sanktionierungen Deutschlands oder einen Exportstopp Russlands abrupt enden, wäre dies mit erheblichen Gefahren für Gesellschaft und Wirtschaft verbunden. Neben den massiven

Einschränkungen im Industriesektor, wären auch Engpässe in der Ernährungs- und Tierfutterindustrie zu erwarten.

Die Krise zeigt uns in aller Deutlichkeit, dass die aktuelle Abhängigkeit Deutschlands und Europas von Energieimporten kein strategisch richtiger Weg sein kann. Ziel muss es sein, die Importabhängigkeit in den nächsten Jahren zu reduzieren – bei gleichzeitiger Gewährleistung der

Versorgungssicherheit und bezahlbarer Energiepreise für

Verbraucher und Industrie.

Deutschland und Europa müssen jetzt alte Strukturen neu denken. Dabei dürfen gesetzte Ziele auf europäischer und nationaler Ebene, wie die Transformation des Industriesektors im Zuge des Fit-for-55-Agreements der EU, nicht in Frage gestellt werden. Vielmehr gilt es, den Weg, wie die

Ziele erreicht werden können, neu zu gestalten und die

Unabhängigkeit unserer Energieversorgung voranzutreiben. Mehr denn je müssen die EU-Partner nun geschlossen agieren und ihre Kräfte bündeln.

Der Wirtschaftsrat fordert zur Gewährleistung der

Versorgungssicherheit umgehend diese Maßnahmen:

Mitten in der Transformation der Industrie hin zu Klimaneutralität zwingt der russische Einmarsch in die Ukraine Deutschland und Europa zum Handeln: Die hohe Abhängigkeit insbesondere Deutschlands von fossilen Energieimporte aus Russland gilt es auf ein Minimum zu reduzieren.

 Abhängigkeit von russischen fossilen Energieträgern

kurzfristig auf ein Minimum reduzieren

Wertschätzung der strategischen Bedeutung von Flüssig-

erdgas (LNG): Der Import von Flüssigerdgas wird künftig eine wichtige Rolle spielen, um die Versorgungssicherheit in Deutschland und Europa zu garantieren. Der geplante rasche Bau deutscher LNG-Terminals ist ebenso zu unterstützen wie so schnell wie möglich zunächst schwimmende LNG-Terminals einzusetzen. Bis die Wasserstoffwirtschaft das Gas vollständig ersetzen kann, wird eine flächendeckende Versorgung der Industrie mit Flüssigerdgas aus diversen Ursprungsländern unabdingbar sein.

Ausbau von Erneuerbaren durch Entbürokratisierung

beschleunigen: Parallel muss der Ausbau erneuerbarer Energien europaweit vorangetrieben werden. Hier liegt das größte Potential, die Abhängigkeit Deutschlands und Europas von Energieimporten langfristig zu reduzieren. Dafür müssen umgehend regulatorische Hindernisse aus dem Weg geräumt werden.

Alle Alternativen prüfen: Im Zuge der drohenden Energiekrise sollte kurzfristig das Potenzial jeder möglichen Megawattstunde für die Notfallversorgung zur Verfügung stehen. In diesem Kontext sollte eine Verlängerung der Laufzeiten von Kohle- und Kernkraftwerken ohne ideologische Vorbehalte in Betracht gezogen werden.

Versorgungssicherheit in den Fokus nehmen

Potenzial heimischer Energiequellen nutzen: Fracking und Geothermie können bei einer längeren Versorgungslücke ohne Importabhängigkeit vor Ort Energieträger liefern und müssen ebenfalls ideologiefrei in Betracht gezogen werden.

 Weichen für eine zukunftssichere

Energieversorgung stellen

Energiepartnerschaften international weiterentwickeln:

Die Krise zeigt, deutlich, wie wenig alternative Wertschöpfungsketten für Energieträger heute zur Verfügung stehen. Damit ein künftiges Energiesystem basierend auf Solarstrom und Wasserstoff aus anderen Ländern funktionieren kann, bedarf es dringend der Entwicklung neuer Energiepartnerschaften und der dafür notwendigen Strom- und Gasinfrastruktur.

Versorgungssicherheit priorisieren: Den Ruf nach einem vorgezogenen Ausstieg aus der Kohleverstromung bereits 2030 gilt es zu verhindern. Eine Nutzung der Energiequelle bis 2038 erscheint realistisch.

Technologieoffenheit statt Eindimensionalität: Der Wirtschaftsrat fordert, eine technologieoffene Strategie in allen Bereichen der Energie- und Klimapolitik zu verfolgen, die sämtliche verfügbaren Optionen zur Energiegewinnung und -nutzung berücksichtigt.

Foto: AdobeStock©industrieblick Ziele im europäischen Schulterschluss erreichen: Zur Sicherung der industriellen Versorgungssicherheit bedarf es einer europäischen Gesamtstrategie. Nur im gemeinsamen Schulterschluss ist die Umsetzung und Sicherung der notwendigen Maßnahmen möglich.

Es gilt nun einen technologieoffenen Weg einzuschlagen, der die gesamte Palette der Energieerzeugung und der effizienten Nutzung berücksichtigt. Dabei muss ein breiter Mix der Energiegewinnung sektorenübergreifend Anwendung finden. Einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit und zum Erhalt unserer Wettbewerbsfähigkeit liefert der geplante Bau von drei LNG-Terminals, die den Import hoher Mengen an Flüssigerdgas ermöglichen. Die strategische Rolle des Flüssigerdgases gilt es im Gesamtkonzept zu berücksichtigen.

Auch muss die mögliche Nutzung von Fracking und Geothermie ohne ideologische Vorbehalte in den Fokus genommen werden. Eine zentrale Rolle für die Industrie stellt die Verwendung grünen Wasserstoffes dar. Dafür muss mittelfristig der Markthochlauf von blauem und türkisfarbenem Wasserstoff sowie der Aufbau der Infrastruktur vorangetrieben werden.

Ideologiefrei geprüft werden sollten alle Alternativen, und deshalb auch, ob eine Verlängerung der Laufzeit der drei verbliebenen Kernkraftwerke notwendig ist, um die sichere Versorgung mit Energie von Bürgern und Wirtschaft in Deutschland zu gewährleisten.

Als Reaktion auf massiv steigende Energiepreise und Versorgungslücken gilt es, die Rolle der Kohleverstromung zu überdenken. Der Wirtschaftsrat spricht sich gegen einen verfrühten Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030 aus. Angesichts der neuen Herausforderungen erscheint es sinnvoll, den Empfehlungen der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung des Bundesumweltministeriums nachzukommen und die Nutzung von Kohlekraft mindestens bis 2038 weiter zu verfolgen. Wichtig ist dabei, Planungs- und Investitionssicherheit für die Anlagen zu gewährleisten.

Gleichzeitig muss der Ausbau der erneuerbaren Energien europaweit vorangetrieben und eine stärkere Marktintegration umgesetzt werden. Eine Synchronisierung mit dem Ausbau der Netzinfrastruktur ist dringend notwendig. Der Erfolg dieser Maßnahmen hängt entscheidend von unseren EU-Partnerstaaten ab. Nur wenn die notwendigen Schritte im gemeinsamen Schulterschluss umgesetzt werden und ein übergreifender Fahrplan erarbeitet wird, kann unsere Wirtschaft die Krise ohne Verluste auf Seiten der Industrie und der Produktionsinfrastruktur überstehen. l

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