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„Man konnte ja nicht mehr viel verlieren“ – Manfred Holstein aus Sögeln berichtet über die Flucht und die Ankunft in der neuen Heimat. 1946 begann die insgesamt ca. ein Jahr dauernde Flucht von Manfred Holstein. Er flüchtete mit seiner Familie im Alter von knapp sieben Jahren aus Danzig nach Stettin, wo er zwei bis drei Monate lebte. In dem Flüchtlingsort Stettin, im heutigen Polen, befanden sich ungefähr 150.000 Flüchtlinge. Die weitere Flucht führte ihn bis nach Eggebeck im Kreis Schleswig zu einem ehemaligen Militärflughafen der Wehrmacht, den er im Herbst 1946 erreichte. Auf diesem Flughafen lebten ca. 6000 weitere Flüchtlinge. Dort wurden sie auch von den Alliierten mit dem Nötigsten versorgt. Der Flughafen befand sich in der englischen Zone. Manfred Holstein lebte dort, wie die anderen Flüchtlinge auch, in Baracken. Aus diesen Baracken war zuvor das deutsche Militärpersonal durch die englischen Soldaten vertrieben worden. An jenem Flughafen fand man noch reichlich alte, demolierte Flugzeuge und außerdem viele Teile funktionstüchtiger Militärausrüstung. Herr Holstein interessiert sich schon seit dem Kindesalter für alte Munition. Zum Teil lösten aber spielende Kinder unter anderem Handgranaten oder Landminen aus, wodurch es auch zu Todesfällen kam. Zu dieser Zeit war es für die Flüchtlinge noch nicht üblich, zur Schule zu gehen, da es nicht die Möglichkeit gab, sich zu bilden. Im Frühjahr 1947 wurden die Flüchtlinge auf verschiedene Dörfer in Schleswig–Holstein aufgeteilt. Manfred Holstein kam somit nach Elligstedt. Dort brauchten er und seine Familie eine Unterkunft. Sie fanden einen leeren Bahnwagon, welchen sie so umbauten, dass es zumindest halbwegs bewohnbar war. In Elligstedt ist Manfred Holstein dann zum ersten Mal zur Schule gegangen, im Alter von ungefähr acht Jahren. Auf seiner Schule gab es zwei Lehrer, die jedoch schon etwas älter waren und auch noch eine erkennbar nationalsozialistische Einstellung hatten. Einzelne Lehrer konnte man früher bestechen: Wenn der Lehrer zum Beispiel Hühner hatte, brachte man Futter mit; je mehr Futter, desto besser waren dann im Endeffekt auch die Noten. Die Hausaufgaben mussten damals sofort nach der Schule, die bis nachmittags ging, gemacht werden, da es zu späteren Uhrzeiten nicht mehr möglich war. In der Unterkunft hatten sie nämlich keinen Strom, infolge dessen gab es auch kein Licht und man konnte im Dunkeln die Hausaufgaben nicht machen. Laut Manfred Holstein hatten die Kinder damals zwar kein stressiges Leben. Jedoch gab es kein fließendes Wasser, es gab nur eine Pumpe. Dies war insbesondere in den Wintermonaten ein Problem. Insoweit bevorratete man Wasser in Eimern. Schließlich kam Herr Holstein dann über Idaroberstein und Hesepe, wo er drei Jahre auf einem Bauernhof lebte, nach Sögeln, wo er dann ein Haus baute. Im Großen und Ganzen kam es den Flüchtlingen eigentlich nur darauf an zu überleben. Die Flüchtlinge waren damals nicht wirklich willkommen. Die Not war überall groß und die Bauern haben die Flüchtlinge nicht freiwillig aufgenommen, sondern sie wurden ihnen zugeteilt. Für Essen und Unterkunft mussten die Flüchtlinge bei den Bauern arbeiten. Diese Feldarbeit, z. B. Kartoffeln sammeln, führte auch zum Spitznamen „Kartoffelkäfer“. Abschließend meinte Herr Holstein, dass sie seinerzeit aber auch nicht unglücklich waren, da sie zumindest als Kinder keinen Stress oder andere Sorgen hatten – man konnte ja nicht mehr viel verlieren ­. Das Interview, auf dem dieser Zeitzeugenbericht beruht, führten Lukas Ahrens und Pascal Eick.


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