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Das glückliche Ende der Flucht – ein Bericht von Edeltraud G. Meine Oma stammt gebürtig aus Schlesien, das im heutigen Polen liegt. Im Februar 1945 musste sie im Alter von 10 Jahren mit ihrer Familie von heute auf morgen ihr Haus verlassen. Der Grund war die plötzliche Bombardierung der kleinen Stadt, in der sie lebte. Sie konnte gerade noch ihre nötigsten Sachen zusammenpacken, aber auch nicht viel, da sie alles selber tragen musste. Alle Bewohner des kleinen Dorfes gingen gemeinsam bei Temperaturen um die 0° los, unter ihnen meine Oma, ihr Bruder und ihre Mutter. Sie zogen Richtung Süden, durch die damalige Tschechoslowakei. Auf ihrem Weg wurden sie immer wieder von den Flugzeugen der Sowjetunion beschossen. Immer wieder lagen tote Soldaten und zerstörte Fahrzeuge am Straßenrand. Es war ein schreckliches Bild für alle von ihnen, doch um diese konnten sie sich nicht kümmern, da sie selber weiter ziehen mussten. Meine Oma war zu dieser Zeit erst zehn Jahre alt und hat daher gar nicht wirklich verstanden, wie schrecklich das alles ist. Ihr Ziel war Bayern. Auf dem Weg dort hin sind sie oft auf Bauernhöfen oder ähnlichem untergekommen. Ihre Familie und sie haben durch die Körpersprache der Einheimischen stets gemerkt, dass sie nicht wirklich willkommen waren, doch es gab nie verbale oder andere Anfeindungen gegen ihre Familie und die anderen Flüchtlinge. Die Brücken und Straßen des zurückgelegten Weges mussten zerstört werden, um es den Sowjets unmöglich zu machen, ihnen zu folgen und sie alle zu töten. Nach einem langen Marsch über mehrere Monate, mittlerweile war es Sommer, erreichten sie Bayern, genauer gesagt München. Die Flüchtlinge aus Schlesien, darunter meine Oma und ihre Familie, kamen mit vielen anderen Flüchtlingen, die nach München gelangt waren, in einer großen Turnhalle unter. Es herrschten katastrophale Verhältnisse dort, unter anderem durch die miserablen hygienischen Bedingungen. Man teilte sich mit Dutzenden von Menschen ein Bad und hatte nur begrenzt Zeit, sich zu waschen. Dadurch brachen viele Krankheiten wie z.B. die Krätze aus. Da man auf engstem Raum lebte, verbreitete sich eine Krankheit äußerst schnell, woran auch manche Flüchtlinge gestorben sind. Ein anderes Problem war die geringe Menge an Lebensmitteln. Meist reichte es nicht für jeden einzelnen und sie bekamen sogar Bauchschmerzen vor Hunger. Meine Oma ging daher von Haus zu Haus und bettelte um etwas zu essen für sie und ihre Familie, wobei sie nie auf Ablehnung oder Ähnliches gestoßen ist. Die Einheimischen haben meist geholfen und z.B. etwas Brot an die Flüchtlinge gegeben. Da meine Oma erst 10 Jahre alt war, schien für sie das alles gar nicht so schlimm, wie es in Wirklichkeit war. Ihre Mutter war stets für sie da und hat sie in allen Situationen beschützt. Während ihres Aufenthalts in München wurde ihr Vater aus der Kriegsgefangenschaft


freigelassen. Er war in Hamburg, also fuhr mein Oma mir ihrer Familie mit dem Zug dorthin, um dort ihren Vater nach vielen Jahren wiederzusehen. Sie lebten ca. zwei Jahre in der Hansestadt und reisten im Jahre 1948 weiter mit dem Zug nach Bramsche. In den ersten Tagen nach der Ankunft kamen sie in der Martinusschule unter, in der Nähe des Bahnhofs. Es war lediglich etwas Stroh auf den Boden gelegt worden, worauf sie schlafen konnten. Auch hier lebten sie mit vielen Flüchtlingen auf engstem Raum. Nach ein paar Tagen wurden sie in den Baracken, die damals für die Flüchtlinge bereitgestellt wurden, auf dem heutigen Kirchplatz in der Gartenstadt untergebracht. Zwar wohnten sie und ihre Familie mit einer anderen geflüchteten Familie zusammen, doch so hatten sie endlich ein eigenes Bett, Bad etc. . Auch hier merkten sie, dass sie als Flüchtlinge nicht gern gesehen waren, doch sie wurden nie beleidigt oder sonst ausgegrenzt. Es war sehr schwer, Arbeit zu finden, da auf einen Schlag Hunderte von Menschen Arbeit suchten. Doch meine Oma, sie fing mit 15 an zu arbeiten (neben der Schule), und ihre Mutter fanden in einer Fabrik Arbeit. Sie verdienten nicht sehr viel, doch es reichte um über die Runden zu kommen und es fehlte ihnen an nichts. Mein Opa, auch ein Flüchtling, wohnte nebenan und deshalb begegneten sie sich oft. Sie lernten sich kennen und heirateten schon drei Jahre später. So hatte die Flucht auch ihr Gutes. Mittlerweile sind sie 57 Jahre glücklich verheiratet. Doch in den Jahren danach lebten meine Oma und ihre Familie stets in dem Glauben, dass sie eines Tages wieder in ihre Heimat zurückkommen. Doch dem war nicht so. Erst vor ungefähr zehn Jahren besuchte meine Oma ihre alte Heimat und sah da auch ihr Haus wieder. Der Bericht zu diesem Gespräch stammt von Philipp Stolle.


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