„Unsere Nachbarn waren so verängstigt, dass sie sich in der Jauchegrube ertränkten.“ – Kriegserinnerungen aus Pomern Das Interview, auf dem dieser Bericht beruht, führte Daniel Fritz Ich bin 1939 geboren und zu dieser Zeit fing der Krieg an. Kurze Zeit später kamen die Russen und Polen nach Pommern. Wir mussten flüchten, weil sie uns regelrecht rausgeschmissen haben. Und dann sind wir von meinem Geburtsort in Lauenburg mit dem Bollerwagen zu meiner Tante aufs Land gefahren. Wir haben nur die allerwichtigsten Sachen aufgeladen. Etwas zu essen und Kleidung, da es ja Winter war. Meine Oma haben wir auf den Bollerwagen gesetzt, weil sie schon sehr alt und gebrechlich war. Wir mussten ca. zwanzig Kilometer laufen. Wir Kinder durften und auch hin und wieder auf den Bollerwagen setzen. Wir waren ja so ein ganzer Trupp und dachten, wir seien auf dem Land bei meiner Tante sicherer. Doch das ganze Haus war schon voll mit anderen Flüchtlingen. Deswegen mussten wir im Kuhstall auf Stroh schlafen. Jeder nahm sich das zu essen, was da war oder was man dort in der Gegend kriegen konnte. In der Nähe war noch eine Mühle, die bis Kriegsbeginn noch in Betrieb war. Mein Opa und meine Mutter sind dann dort hin und haben dann Mehl geholt. Aus dem Mehl wurde Brot gebacken oder der Herd wurde mit Speckschwarte eingerieben und dann wurden daraus Pfannkuchen gemacht. Nachher hatte man auch kein Salz mehr und wir mussten auf Viehsalz ausweichen. Das schmeckte aber ekelig. In der Nähe waren auch noch Kühe, die wir heimlich gemolken haben. Die Milch bekamen dann die Kinder oder es wurde Mehlsuppe draus gemacht. Nachher hörte man in der Ferne Gechützfeuer und dann kamen die Polen und die Russen. Wir versteckten uns alle, aber die Russen haben unserer Sachen in den Keller geschmissen und Vieh runtergeschickt. Unsere Sachen waren nachher vollkommen zerstört. Daraufhin haben wir alle unsere Sachen verloren. Wir durften dann nochmal in die Mühle und haben dort Mais gemahlen, weil es kein Mehl mehr gab. Aber es war kein reiner Mais, sondern eine Mischung aus Sand, Mais und Mehl. Dann ging das da aber auch nicht mehr, weil der Russe immer näher kam. Die Russen waren friedlich, aber nur wenn solange es Wodka und Schinken gab. Ansonsten haben sie mit dem Gewehrkolben einfach zugeschlagen. Zu den Kindern waren sie aber ziemlich freundlich. Mich konnten die Russen gerne leiden. Die Soldaten kriegten so ein Kommissbrot, so etwas Ähnliches wie Schwarzbrot, nur in sehr dicken Scheiben. Dann haben sie die Scheiben in Sahne und Zucker getunkt und das haben wir Kinder dann auch manchmal zu essen gekriegt. Das war für uns natürlich eine Spezialität. Deswegen mochten wir die Russen auch eigentlich. Doch die meiste Zeit waren sie ja besoffen. Dann ging das bei meiner Tante auch nicht mehr, weil es auch nichts mehr zu essen gab. Meine Schwester hat sogar rohe Zwiebeln gegessen, weil sie Hunger hatte. Doch nicht mal das durfte sie. Dann hat sie sich auf dem Klo versteckt und hat dort rohe Zwiebeln gegessen. Die anderen sind dann aber dahinter gekommen und dann haben sie ihr das auch genommen. Also sind wir wieder zurück zu unserem Haus nach Lauenburg und haben gedacht da haben wir jetzt Ruhe. Als wir ankamen, war das ganze Haus aber voll Ostpreußen. Es waren natürlich viele Kinder dabei. Wir hatten
an unserem Haus aber nur ein Plumpsklo. Für eine Familie reichte das aus. Aber nach kurzer Zeit war die ganze Jauchegrube überschwemmt und unser Hof voller Fäkalien. Mein Opa hat dann die Fäkalien mit einigen Leuten auf den Graben rausgetragen. Unsere Nachbarn waren durch die vielen Flüchtlinge, die Russen und Polen, die Schüsse und die Kolbenschläge so verängstigt, dass sie in Ihre Jauchegrube gesprungen sind. Sie wollten sich alle ertränken. Aber da es eine große Familie war, waren die ersten ertrunken und die andern sind drauf gesprungen und wieder raus geklettert, weil die Grube voll war, und sind weggelaufen. Ich habe nie mehr was von ihnen gehört. Nach einiger Zeit wurde es dann etwas besser. Man konnte in der Stadt auch wieder etwas kaufen. Es gab Marken, um Brot zu bekommen. Aber man musste sich schon nachts anstellen, um welches zu kriegen. Die Flüchtlinge aus unserem Haus sind dann weitergewandert. Aber wir wollten nicht dort bleiben, weil wir mit den Russen und Polen nicht gut leben konnten. Meine Oma war inzwischen gestorben. Das war im Januar. Meine Oma wurde dann auf einem Schlitten zum Friedhof gebracht. Ich bin mitgegangen, meine Schwester blieb zuhause. Während wir auf dem Friedhof waren, kam so eine Art Gesundheitsamt zu unserem Haus und hat es desinfiziert. Mit einem weißen Pulver. Wegen der Ansteckungsgefahr an Typhus oder anderen Seuchen. Mein Vater, der als Soldat inzwischen nach Schleswig Holstein entlassen worden war, suchte uns über das rote Kreuz. Aber in Schleswig Holstein gab es auch nichts. Sie durften noch nicht einmal die Kartoffelschalen vom Misthaufen holen. Viele Soldaten haben sich dann Schnecken gekocht. Aber mein Vater sagte, das wäre zu ekelig gewesen, er hat sich dann Brennnessel gekocht. Er hat sich bemüht, weiter in den Westen zu kommen. Dann ist er nach Wehrendorf (nahe Bad Essen) gekommen. Dort gab es noch einen Schlachter und Bauern. Die mussten dann aber ein Zimmer für Soldaten abgeben. Weil er uns aber rüberholen wollte, gab er uns die Adresse und wir bekamen auch eine Zuzugsgenehmigung. Wir packten also unsere paar Sachen, die übrig waren. Viele schmissen ihre Sachen weg, weil sie die nicht mehr tragen konnten. Wir sind dann mit Viehwagons nach Helmstedt gefahren. Wir wurden dann dort in einem Flüchtlingslager untergebracht. Dort gab es Brotsuppe. Altes Brot mit Wasser und Salz gekocht. Wir wurden desinfiziert und mussten dazu in Tonnen steigen, die mit Desinfektionsmittel gefüllt waren. Ich hatte nur eine Puppe, die mit Geld gefüllt war, von dem ich aber nichts wusste. Meine Puppe wurde dann aber nicht weggenommen und so hatten wir wenigstens etwas Geld. Als wir hier ankamen, war ich sechs Jahre alt. Dann in Bohmte sind wir mit einem Wagen nach Wehrendorf gefahren. Dort wurden wir notdürftig versorgt. Wir waren aber überhaupt nicht beliebt, weil es hieß: jetzt kommen die Ziegeuner, die klauen uns alles Weg. Wir haben dann aber viel gearbeitet und verschafften uns so Anerkennung. Sogar mein Opa, der 80 Jahre war, hat geholfen. Später ging ich zur Schule., aber man war trotzdem immer das Flüchtlingskind. Wir wurden etwas ausgegrenzt und bis wir integriert waren, dauerte es ca. vier Jahre. Dann in Wehrendorf haben wir auch Care-Pakete enthalten. Wir haben Süßigkeiten und Kleidung gekriegt. Später haben wir in Bohmte gebaut, ich habe geheiratet und Kinder gekriegt.