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Zusammen wurde ein Fußballplatz gebaut, das hat den Zusammenhalt gestärkt – ein Engteraner erinnert sich an das Zusammenleben von Flüchtlingen und Einheimischen Die Zeitzeugin ist 1935 geboren und lebt seit seiner Geburt in Engter. Sie ist verheiratet und hat zwei Töchter und vier Enkelkinder. Ihre Familie hat 1945 Flüchtlinge in ihrem Haus aufnehmen müssen. Über ihre Erfahrung berichtet sie im folgenden Interview. Was für Erfahrungen haben Sie mit Flüchtlingen gemacht? Also es war erstmal so, dass jedem ein paar Flüchtlinge zugeteilt wurden. Dabei wurde natürlich jedes Zimmer ausgenutzt, das man frei hatte. Es hing davon ab, wie viel Platz im Haus und Bauernhof war. Es wurde also nicht gefragt, ob man denn einen aufnehmen wollte, sondern man musste es einfach hinnehmen und für uns war es selbstverständlich, das zu machen. Wie viele Flüchtlinge haben Sie aufgenommen? Uns wurde eine 70­jährige Frau zugeteilt. Wir mussten sie pflegen. Am Anfang war man schon skeptisch, aber man kann wirklich sagen, dass sie nach einiger Zeit zu uns gehört hat. Später wurde sie nach Kalkriese verlegt. Dort wurde Alt­Barenau in ein Altersheim umfunktioniert. Dies war entlastend, da sie ja auch bei uns im Zimmer geschlafen hat. Aber ich habe sie wirklich gut in Erinnerung behalten, da sie uns auch einiges beigebracht hat, das wir sonst nicht gelernt hätten. Wie lief der Alltag mit den Flüchtlingen ab? Eigentlich sehr normal. Anfangs etwas angespannt, da ich zugeben muss, dass die Einwohner sehr stur waren und ihren Stolz hatten, aber auf Dauer würde das so nicht funktionieren. Bei alltäglichen Sachen, wie den Mahlzeiten, saßen wir z.B. alle an einem Tisch und nichts war getrennt. Es war ja auch nicht anders möglich, da nicht sehr viel Platz war. Natürlich wurde kontrolliert, dass alle genug zu essen hatten. Ist es einem persönlich sehr schwer gefallen, die Flüchtlinge gut zu behandeln? Nein, überhaupt nicht. Wir haben uns immer gesagt, dass es unseren Jungs auch gut gehen soll. Es war nämlich so, dass Vater im Krieg war und wir natürlich auch gewollt hätten, dass es ihm auch gut geht. Wissen Sie noch woher die Flüchtlinge kamen? Ja. Sehr viele hier in Engter kamen aus Pommern. Mit denen haben wir uns sehr gut verstanden. Es gab aber auch Unterschiede. Z.B. waren welche aus Breslau hier. Vielleicht war es nur Einbildung, aber sie kamen einem anders vor. Wir haben uns nicht so gut mit ihnen verstanden. Also gab es auch mal Ärger? Ehrlich gesagt, anfangs schon, vor allem zwischen den Männern. Da gab es auch mal die eine oder andere Schlägerei bei einer Meinungsverschiedenheit. Aber später war es nicht mehr so schlimm. Wieso später nicht mehr? Es war so, dass die Idee kam, zusammen einen Fußballplatz zu bauen. Die Idee kam eher von den Flüchtlingen. So hat man sich dann zusammengetan und es hat auch wirklich geklappt und das hat den Zusammenhalt gestärkt. Haben Sie die Flüchtlinge umsonst versorgt? Sie haben sehr viel mit geholfen, z.B. auf dem Feld gearbeitet. Sie waren wirklich sehr fleißig. Die, welche am fleißigsten waren, wollten sich hier später etwas aufbauen, also ein Haus bauen. Dafür brauchten sie aber ein Grundstück. Dabei wurden ihnen von den Einwohnern wirklich Steine in den Weg gelegt, da sie ihr Land nicht verkaufen wollten. Das war nicht gegen die Flüchtlinge, doch die Einwohner


hatten nun mal einen gewissen Stolz und waren Sturköpfe. Also mussten die Flüchtlinge weiter wegziehen, um ein Grundstück zu erwerben. Würden Sie also sagen, dass es größtenteils eine positive Sache war, dass viele Flüchtlinge in ihrer Gegend waren? Ja, natürlich. Später wurde auch untereinander geheiratet. Das ist ja sehr gut. Früher oder später hätte es hier wahrscheinlich Inzucht gegeben, wären nicht die Flüchtlinge gekommen. Das Interview führten Elena Arnold, Erik Kräft und Moritz Mühleib.


Erst nach ungefähr zehn Jahren verschwanden allmählich die Vorurteile – ein Flüchtling aus Oberschlesien berichtet über seine Integration in Pente. Die Zeitzeugin ist am 17.10.1922 in Bielaugreisneisel in Oberschlesien geboren. Sie hatte zwei Geschwister und war Sekretärin. Sie war verheiratet und bekam eine Tochter, allerdings erst nach ihrer Flucht nach Pente. Wohin und wann sind sie geflüchtet? Ich bin damals 1947 von Niederschlesien mit meinen Eltern nach Taucha bei Leipzig geflüchtet. Zu diesem Zeitpunkt war ich 25 Jahre alt. Aus welchem Grund sind sie geflüchtet.? 1945 wurde mein Heimatdorf in Oberschlesien von der Sowjetischen Armee niedergebrannt und wir wurden nach Niederschlesien verschleppt, um in der Landwirtschaft zu arbeiten. Es war eine ziemlich schwere Arbeit, die wir zwei Jahre lang ertragen mussten, bis wir flüchteten. Wie sind sie geflüchtet und welche Schwierigkeiten brachte die Flucht mit sich? Obwohl es nur eine relative kurze Strecke von Niederschlesien bis nach Taucha war, war sie ziemlich anstrengend. Wir waren 30 Menschen, die in einem Viehwagen transportiert wurden. Wir hatten kein Essen, nur ein wenig Wasser und keine Toilette. Die Umstände waren menschenunwürdig. Was war das für ein Gefühl? Wussten sie was sie erwarten würde? Nein, ich hatte keine Vorstellung, wie es weitergehen würde und keine Ahnung, was auf mich zu kommen könnte. Man kannte einfach nur Angst. Was haben sie an persönlichen Dingen mitgenommen? Ich hatte so gut wie fast gar nichts dabei. Nur eine kleine Tasche mit dem Allernötigsten und meinen Wintermantel. Mehr konnten wir auch nicht mitnehmen. Ich bin froh, dass ich damals wenigstens noch ein paar Fotos als Erinnerung bei mir behalten konnte. Als sie dann in Taucha angekommen waren, wo wurden sie untergebracht? Ich bin bei einer netten Frau untergekommen, jedoch getrennt von meinen Eltern, die bei einer anderen Familie wohnten. Ich wurde damals zum Glück freundlich von dieser Frau aufgenommen. Ich hatte ziemliches Glück, was nicht jeder damals von sich behaupten konnte. Also war es keine Selbstverständlichkeit das die Einheimischen sie ohne Missachtung aufnahmen? Nein, keinesfalls. Es gab viele Vorurteile uns gegenüber. Wir konnten zwar nichts dafür, aber aufgrund der Tatsache, dass wir bei irgendwelchen Familien auch ohne ihr Einverständnis wohnten, waren diese unzufrieden damit, da wir ihnen ja schließlich ihren Platz im Haus einschränkten. Der Großteil von ihnen nahm Abstand zu uns. In ihren Augen waren wir „schmuddelig“. Wie Stand es mit der Lebensversorgung aus? Woher bekamen sie z.B Nahrung? Das meiste bekamen wir von der Caritas ,sozusagen Almosen. Das bisschen Geld, das wir noch von zu Hause mitgenommen haben, reichte natürlich nicht lange aus und gearbeitet haben wir zu der Zeit auch nicht.


Wie lange verbrachten sie dort in Taucha? Wie ging es weiter? Also ich erfuhr nach ein paar Monaten, dass mein Mann nach Bramsche geflohen war. Er war davor 6 Jahre lang Soldat gewesen. Ich packte meine Sachen und flüchtete sozusagen nochmals, zu ihm. Er war bei einem Bauern in Pente untergebracht, wohin ich dann auch zog und bis jetzt auch 40 Jahre lang gelebt habe. Wurden sie dort ebenfalls als Flüchtling angesehen? Ja selbstverständlich. Oft waren wir der Sündenbock und wir waren zwar Deutsche, jedoch gab es Unterschiede in der Sprache. Die Bauern dort sprachen zu der Zeit Plattdeutsch und wir Schlesisch. Die Kommunikation zwar dementsprechend schon ein Problem. Zum Beispiel bestanden die Verkäufer in den Läden darauf, dass wir auf Plattdeutsch bestellten. Wir waren also gezwungen uns anzupassen. Es war schon ein enormer Vorteil, wenn man sich nach einiger Zeit selbständig machte und sozusagen nicht mehr auf deren Kosten lebte. Wie lange wurden sie als Flüchtlinge angesehen? Durch die Zeit verschwanden allmählich die Vorurteile. Ich würde sagen nach ungefähr zehn Jahren, was schon eine ziemlich lange Zeit war. Man trat immer mehr mit den anderen Leuten in Kontakt und wurde dann auch akzeptiert.


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