Greselius Gymnasium Bramsche
Kriegsgefangenschaft im zweiten Weltkrieg bei den Amerikanern mit Zeitzeugeninterview
Autor: Johannes T端ting
Seminarfach: Krieg und Frieden Betreuende Fachlehrer: Tobias Stich und Frank Ferdinand Fasterding Abgabetermin: Mittwoch, 3.04.09
Inhaltsverzeichnis
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Trotz der schlechten Situation in den Lagern wurden Hilfen vom Internationalen Roten Kreuz nicht angenommen. Dann wären nämlich Vertreter des IRK in die Lager gekommen und hätten so die unmenschliche Lage der Soldaten erfahren und womöglich publik gemacht..........................................................................13 „Die Gefangenen graben sich Erdlöcher, um vor der schlimmsten Kälte geschützt zu sein. Auch das wird immer wieder untersagt, so daß die Gefangenen oft gezwungen sind, die Erdlöcher zuzuschütten. Es geschieht, daß Bulldozer durch die Lager fahren und Erdlöcher samt den darin vegetierenden Gefangenen zuwalzen.“.......................................................................................13 Die Lager wurden zwar durch die Amerikaner errichtet, aber unterstanden nicht alle ihrem Kommando. Einige Lager wurden an Großbritannien und Frankreich abgetreten. Dies bedeutete aber nicht, dass sich die Behandlung der Internierten verbesserte...........................................................................................................13 Zuerst wurden sie in ein Zwischenlager nach Gummersbach gebracht, später weitergeleitet in das Gefangenenlager Remagen. Dieses Lager war eines der größten der Rheinwiesenlager. In unserem Gespräch schildert er mir seine Geschehnisse und zeigte mir sein Tagebuch, indem er alles wichtige notiert hatte. Wenn er sich nicht mehr genau erinnern konnte, schaute er in seinem Tagebuch nach.....................................................................................................14 4. Zeitzeugeninterview........................................................................................14 4.1 Kommentar zum Interview............................................................................18 In dem Interview konnte ich mir ein Bild machen, wie Georg Tüting die Gefangenschaft erlebte. Er schilderte die Situation sehr ausführlich, so dass ich mich in sie hineinversetzen konnte. Auffällig war, dass er trotz der Erlebnisse nicht abwertend über die Amerikaner sprach. Natürlich sagte er, dass der Aufenthalt im Lager schrecklich war, aber machte die Amerikaner dafür nicht verantwortlich......................................................................................................18 Als klare Essenz des Ganzen ist, dass der Aufenthalt im Gefangenenlager einer reiner Kampf ums Überleben war. Die Internierten halfen sich zwar gegenseitig, z.B. wenn sie zusammen an ihrer Gruben lebten. Aber Georg Tüting ließ anklingen, dass, wenn es ums eigene Überleben ging, jeder für sich kämpfte, z.B. bei der Essensausgabe..................................................................................18 5. Abschließende Auswertung der Ergebnisse....................................................18 Die Erkenntnisse aus der Literatur möchte ich nun zusammenfassen und mit dem Zeitzeugeninterview vergleichen. So kann ich abschließend meine Ausgangsfrage beantworten................................................................................18 In der Literatur wird das Verhalten der Amerikaner im Umgang mit den Gefangenen als bemüht dargestellt. Bei der Fokussierung auf die Rheinwiesenlager erhält man zwar ein ganz anderes Bild, dies liegt aber weitestgehend an der Überforderung und nicht, wie in manchen Quellen behauptet wird, am Hass auf die Gefangenen. Es gab definitiv schwarze Schafe innerhalb der amerikanischen Reihen, so dass es zu gewalttätigen Übergriffen kam. Diese waren aber sehr vereinzelt und kamen nur in den Rheinwiesenlagern vor. ......................................................................................................................19 Generell plädierte die amerikanische Regierung immer für die Einhaltung der Genfer Konvention, um die Gefangenen zu schützen. Zudem waren sie bemüht, 2
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die Gefangenen schnellstmöglich wieder zu entlassen. Hierbei lässt sich vermuten, dass sie dies nur taten, um ihren Versorgungsapparat zu entlasten....19 Sowohl in der Literatur als auch in dem Interview wird die schwierige Situation in den Internierungslagern beschrieben und belegt. Bei den Gefangenen stand der tägliche Kampf ums Überleben im Vordergrund. Sie mussten mit den geringen Essensrationen haushalten und dafür sorgen, nicht zu erfrieren. Die amerikanische Besatzungsmacht scheint sich bemüht zu haben, die Menschenrechtskonventionen einzuhalten, waren aufgrund der hohen Zahl der Gefangenen jedoch gegen Ende des Krieges überfordert....................................19 Über den Status den der Zeitzeuge erhielt, konnte er nicht berichten, somit lässt sich vermuten, dass der Status letztendlich uninteressant war, nur dazu benutzt wurde, um das Vorgehen zu rechtfertigen und nicht wegen eines Kriegsverbrechens angeklagt zu werden.............................................................19 Generell lässt sich sagen, dass die Erlebnisse des Zeitzeugens mit den Fakten aus der Literatur übereinstimmen. Wobei die Literatur in manchen Teilen deutlich kritischer und negativer die Situation beurteilt, z.B. die hohe Sterblichkeit.........................................................................................................19 In dem Gespräch mit dem Zeitzeugen erschien es so, als ob er die schlimmen Erfahrungen lieber verdrängte, als darüber zu reden. Gezielte Fragen in die Richtung wurden abgeblockt, somit irrelevant für das Interview und gestrichen. Außerdem wird er zwar vieles gesehen haben, aber wiederum auch vieles nicht, sodass er gar nicht in der Lage ist, über jeden kleinen Teilbereich der Gefangenschaft zu reden.....................................................................................19 Die Antwort auf meine Ausgangsfrage ist, dass der Zeitzeuge die Situation in Gefangenschaft verzerrt gesehen hat, da er kein negatives Wort über die Amerikaner verlor, wird daran gelegen haben, dass er froh war, dort gefangen zu sein. Es mag paradox klingen, aber unter den Gefangenen war es allgemein bekannt, dass die Lager der Westalliierten deutlicher „humaner“(soweit man es als human bezeichnen kann) als bei den Ost- Staaten. Deshalb war wahrscheinlich mein Zeitzeuge froh dort gewesen zu sein und nicht den woanders. So lässt sich erklären weshalb er keine wirklich schlechten Worte über die Behandlung der Amerikaner verlor. .....................................................19 Im Vergleich zu den Westalliierten hat die Sowjet Union ihre deutschen Gefangenen zu „Wiedergutmachungsarbeiten“ in reinen Arbeitslagern gezwungen. Die letzten überlebenden Kriegsgefangenen sind erst 1955, nach den Verhandlungen mit Bundeskanzler Adenauer in die Heimat zurückgekehrt. Überwiegend kamen die Gefangenen unterernährt und krank zurück, sodass sie sich zunächst in ärztliche Behandlung begaben..................................................20 Dennoch ist die Situation bei den Amerikanern nicht akzeptabel gewesen und meiner Meinung nach ein Kriegsverbrechen. In den Lagern herrschten Situationen wie in „Guantanamo bay“, die heutzutage für Aufruhr und Empörung sorgen.................................................................................................20 Abschließend lässt sich sagen, dass die Bedingungen, mit denen die Gefangenen konfrontiert wurden, menschenverachtend waren. Der einzige Gedanken, der ihnen durch den Kopf ging, war der des Überlebens. Um sich aufzumuntern, dachten sie wahrscheinlich daran, dass es sie noch schlimmer hätte treffen können.................................................................................................................20
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1. Einleitung Kriegsgefangenschaft im zweiten Weltkrieg, ein Alptraum für jeden Soldaten und in der heutigen Zeit ein Stück Geschichte. In der Schule wird die Thematik nur kurz 5behandelt, betroffene Zeitzeugen verdrängen die Zeit und möchten über die Erlebnisse nicht reden. Doch wie war es in den Gefangenenlagern der Alliierten? Über dieses Thema gibt es unzählige Bücher und Dokumentationen, doch wie haben die Gefangenen sie subjektiv erlebt? Stimmt das Bild, welches sich der Zeitzeuge selbst gemacht, mit denen aus der Literatur überein oder sehen die Betroffenen die 10Geschehnisse verzerrt?
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Dieser Frage möchte ich im nachfolgenden Hauptteil meiner Facharbeit nachgehen und abschließend beantworten. Ich befasse mich in dieser Facharbeit ausschließlich mit der Situation gegen Ende des zweiten Weltkrieges. Es soll um deutsche Kriegsgefangene in den Lagern der Alliierten 5gehen, genauer gesagt um die Gefangenschaft bei den Amerikanern zum Ende des Krieges mit besonderem Blick auf die Rheinwiesenlager. Für eine qualitative Beantwortung der Frage vergleiche ich diverse Literatur- und Internetangaben mit einem Zeitzeugeninterview. Das Interview wurde anlässlich dieser Facharbeit von mir durchgeführt. Der Zeitzeuge war Kriegsgefangener im zweiten 10Weltkrieg im amerikanischen Rheinwiesenlager bei Remagen, sodass sich meine Aussagen lediglich auf die Situation in amerikanischen Kriegsgefangenenlagern beziehen kann und hier insbesondere auf das Lager bei Remagen. Zunächst wird ein allgemeiner Überblick über Kriegsgefangenschaft gegeben, welche völkerrechtlichen Bestimmungen es gibt und wie die Alliierten allgemein mit 15Kriegsgefangenen umgingen. Danach folgt eine Spezifizierung im Bezug auf die Internierung
bei
den
Amerikanern
mit
einem
wichtigen
Unterpunkt,
den
Rheinwiesenlagern. Darauf folgt das Zeitzeugeninterview mit markanten Fragen und einer ausführlichen Schilderung durch meinen Interviewpartner. Abschließend ziehe ich ein Fazit bzw. vergleiche die persönlichen Erlebnisse mit denen aus der Literatur, um 20meine Ausgangsfrage umfassend beantworten zu können.
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2. Historischer Hintergrund 2.1 Kriegsgefangenschaft im 2. Weltkrieg Um eine humane Behandlung der Kriegsgefangenen zu sichern, gibt es zwei Abkommen. Das erste, die „Haager Landkriegsordnung“ von 1907, die besagt, dass die Gefangenen genauso verpflegt werden sollen, wie die Truppen der gegnerischen Seiten. Die Zweite Richtlinie bildet die Genfer Kriegsgefangenen Konvention von 1929; hier 5
wurde festgelegt, dass die Gefangenen nicht zu gefährlichen und unmenschlichen Arbeiten gezwungen werden dürfen.1 Bis auf Japan und die Sowjetunion unterzeichneten alle am zweiten Weltkrieg beteiligten Staaten diese Abkommen.2 Allerdings hatte die deutsche Führung nicht immer die Vereinbarungen eingehalten. 5Zum Beispiel wurde nach dem Überfall auf Polen im Jahre 1939 den internierten polnischen Soldaten der Status als Kriegsgefangener aberkannt. Folglich standen sie nicht mehr unter dem Schutz der Konvention und wurden durch die Deutschen zur Zwangsarbeit gezwungen,3 so dass die Deutschen befürchten musste, dass ihnen das gleiche Schicksal widerfährt wie den Gefangenen in ihrer Haft. Getreu dem Motto 10„Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Gegen Ende des zweiten Weltkrieges gerieten immer mehr deutsche Soldaten in die Hände der Alliierten. Nach deren Landung in der Normandie 1944 stieg die Zahl der Internierten bis auf 11 Millionen4 an. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die Bedingungen der kriegsvölkerrechtlichen Konventionen eingehalten. 15Die Lager waren für die steigende Gefangenenzahl jedoch nicht ausgelegt. Deshalb wurden zum Beispiel über eine Million Gefangene in die Rheinwiesenlager gebracht. Dies war ein mit Stacheldraht umzäunter Acker. Die Gefangenen lebten unter menschenverachtenden Bedingungen, es gab keine Zelte und nicht genügend Nahrung. Hungersnot und Seuchen waren die Folge. 20Die Rheinwiesenlager wurden von amerikanischen Kommandeuren errichtet, deswegen staunten die deutschen Häftlinge über eine solch schlechte Behandlung. Schließlich genossen die amerikanischen Gefangenen in den deutschen Lagern eine gute Behandlung.5 Gegen Ende des zweiten Weltkriegs waren die Alliierten in der Regel mit den hohen 25Gefangenzahlen Menschenmassen
überfordert.
Erstens
unterzubringen,
und
hatten
sie
zweitens
nicht
die
Kapazitäten,
die
fehlte
es
ihnen
an
selbst
Nahrungsmitteln, sodass die Gefangenen am Ende der Versorgungskette standen. Generell lässt sich sagen, dass die Bedingungen für die Gefangenen zu Beginn des Krieges noch der Genfer Konvention entsprachen und sich erst im Laufe der Zeit 30zunehmend verschlechterten.
1
Vgl. In der Gewalt des Feindes; Hubert Speckner; S. 11 Z.10-40 Vgl. Die „vermisste Million“; Arthur L. Smith; S. 17 3 Vgl. http://www.schaepp.de/kriegsgefangene/in.html (2009) 4 Vgl. Die „vermisste Million“; Arthur L. Smith; S. 17 Z. 5 55 Siehe 1 2
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Dies lag an dem neuen Status (DEF/SEP)6 der Gefangenen, der die Kriegsgefangenen zu Strafgefangenen degradierte und somit die Genfer Konvention umging. Erschwerend kam hinzu, dass die deutschen Soldaten einer hohen psychischen Belastung ausgesetzt, die durch die Erinnerung an das völlig zerstörte Deutschland 5entstand. Desweiteren lässt sich ein „Ranking“ der Alliierten erstellen. Am besten wurden die deutschen Gefangenen bei den Amerikanern behandelt und versorgt. Die Briten waren nicht in der Lage, die Gefangene ausreichend zu versorgen, aber behandelten sie menschlich. Die Franzosen waren den Deutschen nicht wohl gesonnen, aber mussten 10durch diverse Abkommen mit den Amerikanern garantieren, dass sie die deutschen Kriegsgefangenen so behandeln, wie es in der Genfer Konvention vorsah.7 Die unmenschlichste Situation traf die deutschen Soldaten in russischer Gefangenschaft. Sie wurden lediglich in einem begrenzten Gebiet bewacht, ansonsten weder medizinisch versorgt noch mit Nahrungsmitteln verpflegt. Sie gruben nach Grundwasser und 15ernährten sich von den Pflanzen im Lager. Obwohl
unter
den
deutschen
Soldaten
bekannt
war,
dass
die
russische
Kriegsgefangenschaft sehr entbehrungsreich war und die Sowjetunion offensichtlich die Versorgung der Kriegsgefangenen nicht sicherstellen konnte, versuchte die sowjetische Regierung weitere deutsche Soldaten zur Kapitulation zu bewegen und damit weitere 20Kriegsgefangene zu machen. Deshalb wurde 1943 das „Nationalkomitee Freies Deutschland“8 gegründet, dessen Aufgabe lautete, durch Flugblätter und Lautsprecherbzw. Rundfunkdurchsagen die Soldaten zur Aufgabe zu über reden. Sie warben z.B. mit Plakaten auf denen glückliche deutsche Kriegsgefangene abgebildet waren, obwohl dies ganz und gar nicht der Realität entsprach. Der sich- versprochene Erfolg blieb jedoch 25aus.9 Da der deutschen Militärführung die Situation in den Lagern der einzelnen Ländern bekannt war, wurde versucht die Kapitulation Deutschlands in den letzten Kriegswochen möglichst lange heraus zu zögern, um den eigenen Soldaten den Rückzug aus der Sowjetunion nach Deutschland zu ermöglichen. Grund hierfür war, 30dass die deutschen Soldaten nicht in russische, sondern besser in die Gefangenschaft der Westalliierten geraten sollten. 6
DEF= Disarmed Enemy Force; SEP: Surrendered Enemy Personnel Vgl. Die „vermisste Million“; Arthur L. Smith; S.30. 8 Das NKFD war ein Zusammenschluss gefangener deutscher Soldaten, kommunistische Funktionäre und deutsche Emigranten. Ihr Hauptziel war der Kampf gegen den Nationalsozialismus. 59 http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/kriegsverlauf/gefangenschaft/index.html (2009) 7
7
2.2 Besonderheiten in amerikanischer Gefangenschaft Bei den Amerikanern hießen die Gefangenen zu Beginn des Krieges „Prisoners of War“ (POW), sie trugen alle eine einheitliche Kleidung (vgl. Foto 1 und 2).
Foto 1 und 2: Bekleidung US-amerikanischer Kriegsgefangener mit dem Aufdruck PW (Prisoner of War)10
Bis 1944 brachten die Amerikaner insgesamt 370.000 Internierte11 in die USA, um sie dort arbeiten zu lassen. In amerikanischer Hand genossen die Gefangenen eine sehr gute 5Behandlung, denn die Amerikaner konnten sich in den ersten Kriegsjahren noch an die Richtlinien der Genfer Konvention halten. Einige Gefangenen gefiel es in Amerika so gut, dass sie gar nicht mehr nach Hause zurückkehrten. Sie erhielten für ihre verrichtete Arbeit Lohn und wurden bei dem Arbeitgeber untergebracht. Die amerikanische Führung ermöglichte den Gefangenen, ihre Familie zu informieren, das heißt, sie 10durften regelmäßig Briefe in die Heimat schicken, damit die Angehörigen sich keine unnötigen Sorgen machten. Nach 1944 wurden kaum noch Gefangene in die USA transportiert. Der Grund hierfür war, dass die Amerikaner nun die Möglichkeiten hatten, die gefangenen deutschen Soldaten in Europa zu internieren. 10
Deutsches Historische Museum Berlin; http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/ak204772/index.html. (2009) 11 . Die „vermisste Million“; Arthur L. Smith; S. 23 Mitte.
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Oberbefehlshaber der amerikanischen Truppen in Deutschland war Dwight D. Eisenhower12. Außerdem war er Oberbefehlshaber des alliierten Quartiers in Frankreich, dem sogenannten Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force (kurz SHAEF). Eine wichtige Aufgabe des SHAEF war es, den von den Amerikanern ausgearbeiteten 5Anweisungen zur Behandlung der Kriegsgefangenen durchzuführen. Diese Operation hatte den Codename ECLIPSE.13 Trotz des stetigen Anstiegs an Internierten geriet die Situation zunächst nicht aus den Bahnen. Das amerikanische und internationale Rote Kreuz sowie die amerikanische Regierung lieferten Lebensmittelpakete in die Lager, somit waren die Gefangenen 10ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgt.14 Als die Gefangenenzahl gegen Ende des Krieges jedoch drastischer anstieg (bis auf 7,5 Millionen)15 kam es allerdings zu Problemen. Die amerikanischen Kommandeure waren mit der hohen Zahl von Kriegsgefangenen überfordert. Es gab nicht genug Platz in den Gefangenenlagern
und
nicht
genügend
Nahrungsmittel.
Aus
dieser
15Überforderungssituation heraus entstanden die so genannten „Rheinwiesenlager“ (siehe 3.3). Sie sollten eigentlich nur vorübergehend als „Herberge“ genutzt werden, aber schon nach kurzer Zeit befanden sich 1 Millionen Soldaten hinter dem Stacheldraht. Trotz der erschwerten Bedingungen plädierte die US-amerikanische Führung für die Einhaltung der Genfer Konventionen, da sie Leben und Gesundheit der von den 20Deutschen gefangen gehaltenen amerikanischen Soldaten nicht riskieren wollten. Schließlich überzeugte die britische Regierung die Führung der USA, die deutschen Kriegsgefangenen zur Zwangsarbeit bzw. zur Wiederaufbauarbeit heranzuziehen. Dies ließen die Amerikaner aber nur aufgrund der hohen Gefangenenzahl zu und hielten es geheim.16 25Obwohl die Alliierten verabredet hatten, für die deutschen Kriegsgefangenen zu gleichen Teilen verantwortlich zu sein (im Rahmen der Genfer Konvention für angemessene Unterbringung und Versorgung), war die US-amerikanische Führung mit dieser Anforderung überfordert. Den internierten Soldaten wurde der Status von Kriegsgefangenen aberkannt. Sie wurden als Strafgefangene (auch genannt DEF: 30Disarmed Enemy Forces; übersetzt: Entwaffnete feindliche Streitkräfte) deklariert. 12
Eisenhower (* 14. Oktober 1890 in Denison, Texas; † 28. März 1969 in Washington D.C.); später sogar Präsident der USA. 13 Vgl. Arthur L. Smith (Jahreszahl): Die „vermisste Million“; S.18 sowie http://de.wikipedia.org/wiki/Supreme_Headquarters_Allied_Expeditionary_Force. (2009) 514 http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/kriegsverlauf/gefangenschaft/index.html. (2009) 15 Deutsches Historisches Museum http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/kriegsverlauf/gefangenschaft/index.html. (2009) 16 Vgl. Die „vermisste Million“; Arthur L. Smith; S.19.
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Als Kriegsgefangener wurde man bezeichnet, solange der Staat des inhaftierten Soldaten noch existierte. Da aber das SHAEF der Ansicht war, dass kein funktionierender deutscher Staatsapparat vorhanden war, konnten die Gefangenen also als Strafgefangene inhaftiert werden. 5Strafgefangene durften im Unterschied zu Kriegsgefangenen unterhalb der festgelegten Richtlinien der Genfer Konvention behandelt werden, das heißt, die Nahrungsmittel mussten nicht mehr den Vorschriften entsprechen, den Gefangenen wurde keine medizinische Versorgung angeboten und sie durften zu Arbeiten herangezogen werden, die äußerst gefährlich waren, wie z.B. Minenräumung.
Dieser Schritt der US-
10amerikanischen Regierung sorgte für Aufruhr seitens des Internationalen Roten Kreuzes.17 Trotz der Veränderung des kriegsvölkerrechtlichen Status der Kriegsgefangenen zu Strafgefangenen bestand das Problem der Ernährungssicherung der überwiegend geschwächten Gefangenen. Da es keine Möglichkeit eine ausreichenden Versorgung 15zugewährleisten, kam es zu großen Engpässen. Dies veranlasste die US-amerikanische Regierung sogar dazu, die Essenrationen ihrer eigenen Soldaten um 10% zu reduzieren.18 Die kritischste Phase war von April bis Juli 1945 in den Rheinwieselagern. In den Lagern wurde ein drastischer Anstieg von Todesfällen verzeichnet, u.a. durch unzureichende Verpflegung. 20Aufgrund des Abkommen zwischen den Alliierten wurden einige der Rheinwiesenlager den Briten und Franzosen übergeben. Außerdem überstellten die Amerikaner deutsche Gefangene nach Frankreich zur Zwangsarbeit. Dies geschah aber nur unter der Bedingung einer humanen Behandlung der Internierten. Daran hielten sich die Franzosen aber nicht, sie zwangen die Deutschen zur Zwangsarbeit, gaben ihnen viel zu 25wenig zu essen und es kam zu gewalttätigen Übergriffen. Auf Drängen des Internationalen Roten Kreuzes wurde die Überstellung deutscher Gefangener nach Frankreich gestoppt und die geschwächten sowie kranken Deutschen wieder zurückgebracht.19 Ab Mai 1945 begannen die Amerikaner mit der Entlassung ihrer Gefangenen. Genaue 30Zahlen darüber gibt es nicht, da schon bei der Registrierung einige Fehler gemacht worden waren: Nicht jeder Gefangene wurde registriert bzw. manche wurden doppelt
17
Report of the International Commitee, Band 1, S. 539. Vgl. Die „vermisste Million“; Arthur L. Smith; S.22. 19 Vgl. Die „vermisste Million“; Arthur L. Smith; S.32. 18
10
aufgenommen. Deshalb kann über die Zahl der Entlassungen keine objektive Aussage getroffen werden.20 Zusammenfassend lässt sich über die Kriegsgefangenschaft bei den Amerikanern sagen, dass sie sich stets um eine humane Behandlung der Kriegsgefangenen bemühten. Dabei 5ist kaum zu entscheiden, ob sich die US-amerikanische Führung so verhielt, weil sie das Völkerrecht beachten wollten oder um die eigenen Soldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft vor Übergriffen zu schützen. Anzumerken ist zudem, dass sie vor allen anderen Alliierten die Gefangenen entließen. Desweiteren erhielten die Entlassenen ein großzügiges Entlassungsgeld, Kleidung für den Heimweg sowie einen 10Teil der beschlagnahmten Gegenstände zurück.21 Das Verhalten der Amerikaner im Umgang mit den Gefangenen in den Rheinwiesenlagern war in keiner Weise charakteristisch. In den anderen Lagern war eine deutlich bessere Versorgung vorzufinden, da die Amerikaner nicht so viele Menschen auf einmal versorgen musste und das Internationale Rote Kreuz sie dabei 15unterstützte.
2.3 Die Rheinwiesenlager
20 21
Vgl. Die „vermisste Million“; Arthur L. Smith; S. 28. Vgl. Heimkehr aus dem Zweiten Weltkrieg; Arthur L. Smith; Kapitel 6
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Foto 3: Kriegsgefangenenlager bei Remagen 122
Foto 4: Kriegsgefangenenlager bei Sinzig
Die Rheinwiesenlager wurden nach Überschreiten des Rheins der Westalliierten durch die Amerikaner errichtet. Sie bestanden aus 20 verschiedenen Einzellagern mit einem Kapazität von ca. 1.3 Millionen Menschen.23 Zwischen dem Lager Remagen und dem Lager Sinzig lag eine Fläche von 10 km².24 5Die Zustände in den Rheinwiesenlagern waren unmenschlich. Sie wurden provisorisch errichtet und ständig erweitert, um die exponentiell steigende Anzahl internierter Soldaten sowie Zivilisten, die immer häufiger gefangenen genommen wurden, unterzubringen Die
Menschen
in
den
Rheinwiesenlagern
lebten
zeitweise
unterhalb
des
10Existenzminimums. Weder Zelte noch Baracken waren vorhanden, sodass die Menschen unter freiem Himmel auf dem unbedeckten Boden schliefen. Wenn es etwas zu essen gab, handelte es sich meistens nur um eine Mahlzeit für den ganzen Tag, teilweise gab es nichts, sodass die Gefangenen hungerten. Nach der Genfer Konvention sollen die Gefangenen zwischen 2000-3000 kcal. zu sich nehmen, aber sie 15bekamen u.U. nicht ein mal 1000 kcal.. Daraus folgt, dass es sehr schnell zu einer Schwächung der Gefangenen kam. In der Folge kam es zu vielen Erkrankungen und Epidemien.
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Auf dem Bild ist das Rheinwiesenlager bei Remagen zu sehen; http://images.google.de/imgres? imgurl=http://www.bpb.de/cache/images/SKFKES_400x300.jpg&imgrefurl=http://www.bpb.de/popup/p opup_bild.html%3Fguid %3DSKFKES&usg=__EwompHhCuHltikR84rmR13rUnM=&h=300&w=400&sz=41&hl=de&start=10& 5um=1&tbnid=NjsmKk6oHyFAmM:&tbnh=93&tbnw=124&prev=/images%3Fq%3Drheinwiesenlager %26um%3D1%26hl%3Dde%26client%3Dfirefox-a%26rls%3Dorg.mozilla:de:official%26sa%3DN. (2009) 23 http://www.infobitte.de/free/lex/ww2_Lex0/r/rheinwiesenlager.htm. (2009) 24 Vgl. Die „vermisste Million“; Arthur L. Smith; S42.
10
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„Ich sehe sie bereits halb verhungert in unseren Lagern und in einer Weise behandelt, wie man keinen Hund behandeln würde.“25
Trotz der schlechten Situation in den Lagern wurden Hilfen vom Internationalen Roten Kreuz nicht angenommen. Dann wären nämlich Vertreter des IRK in die Lager 5gekommen und hätten so die unmenschliche Lage der Soldaten erfahren und womöglich publik gemacht. Um einen Schutz vor Wind und Wetter zu haben, gruben sich die gefangenen Soldaten Erdlöcher, in denen sie einigermaßen geschützt waren und die Nacht verbrachten. Durch den dauerhaften Regen fielen einige Löcher zusammen und die darin 10vegetierenden Menschen erstickten. „Die Gefangenen graben sich Erdlöcher, um vor der schlimmsten Kälte geschützt zu sein. Auch das wird immer wieder untersagt, so daß die Gefangenen oft gezwungen sind, die Erdlöcher zuzuschütten. Es geschieht, daß Bulldozer durch die Lager fahren und Erdlöcher samt den darin vegetierenden Gefangenen zuwalzen.“26
15Weiterhin mangelte es an Sanitäreinrichtungen, lediglich eine Latrine, die notdürftig mit einem Balken über ein Loch errichtet wurde, diente zum Austreten. Den Gefangenen mangelte es nicht nur an Nahrung bzw. Obdach, sondern auch an Kleidung und Besteck. Das Essen wurde mit Händen oder mit irgendwelchen Hilfsmitteln zu sich genommen, was mit mangelnder Hygiene verbunden war. Dies begünstigte wiederum 20das Ausbrechen von Krankheiten und Seuchen. Dies war auch eine Ursache dafür, dass die Sterblichkeitsrate zu der Zeit drastisch anstieg. Um Abhilfe zu schaffen, bemühten sich die Amerikaner die Gefangenen schnellst möglich zu entlassen oder den anderen Alliierten zu übergeben. Die Lager wurden zwar durch die Amerikaner errichtet, aber unterstanden nicht alle 25ihrem Kommando. Einige Lager wurden an Großbritannien und Frankreich abgetreten. Dies bedeutete aber nicht, dass sich die Behandlung der Internierten verbesserte.
3.Vorstellung des Zeitzeugen 25 26
John Dos, Tour of Duty, Boston 1946, S. 251. Zitat James Bacque, kanadischer Publizist und Romanautor.
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Bei dem Zeitzeugen handelt es sich um Georg Tüting, meinem Großvater. Er ist gegen Ende des Krieges in Gefangenschaft geraten. Zu dem Zeitpunkt war er 17 Jahre alt und wurde im Rahmen des letzten Vormarsches eingezogen. Seine Aufgabe war es, mit 50 weiteren Soldaten die Flugabwehrstationen im Ruhrgebiet zu bedienen sowie zu 5bewachen. Nach einigen Tagen im Gefecht wurde seine Kompanie aufgelöst, da die Abwehrstationen an anderer Stelle benötigt wurden. Georg Tüting und seine Kameraden blieben noch einige Tage in der besagten Kaserne. Als sie endlich die Kaserne verlassen konnten, war ihr erster Gedanke, dass der Krieg beendet sei und sie nun wieder zu ihren Familien zurückkehren konnten. Doch als sie ihr Herberge verließen, wurde sie 10direkt von den amerikanischen Soldaten gefangen genommen. Zuerst wurden sie in ein Zwischenlager nach Gummersbach gebracht, später weitergeleitet in das Gefangenenlager Remagen. Dieses Lager war eines der größten der Rheinwiesenlager.27 In unserem Gespräch schildert er mir seine Geschehnisse und zeigte mir sein Tagebuch, indem er alles wichtige notiert hatte. Wenn er sich nicht mehr 15genau erinnern konnte, schaute er in seinem Tagebuch nach.
4. Zeitzeugeninterview Wann wurdest du eingezogen und welche Aufgaben hattest du im Krieg? „Ich wurde am 6. Januar [1945] im Ruhrgebiet eingezogen. Wir waren zuständig für die Funkmessgeräte, die den Raketenabwehrstationen die genaue Position der gegnerischen Raketen übermittelte, um sie abzuschießen.“ 20Wie kam es zu deiner Internierung? „Nach
einigen
Monaten
wurde
unsere
Kompanie
aufgelöst,
da
die
Raketenabwehrstationen nun zum Beschuss von Panzern benutzt wurden. Somit saßen wir als Reservisten in unserer Kaserne. Am 17. April kam dann der Befehl, unsere Kaserne zu verlassen und uns wieder nach Hause zu begeben. Wir alle dachten, der 27
Vgl. Arthur L. Smith (Jahreszahl): Die „vermisste Million“; S.42 (An der Uni muss man das immer so machen: Autor, Jahreszahl, Titel, Seitenzahl – Man kann den Titel auch weglassen, weil das ja alles im Literaturverzeichnis auftaucht.)
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Krieg sei endlich vorbei, aber als wir die Kaserne verließen und einige Stunden unterwegs waren, wurden wir von den Amerikanern eingesammelt. Diese haben nämlich den Ruhrpott eingekesselt. Wir wurden auf Lastwagen verladen und zu einem Sammellager nach Gummersbach gebracht. Dort war ich 7 Tage, bis ich dann wieder 5auf einen Lastwagen verladen wurde und dann nach Remagen transportiert wurde. Der Transport war irgendwie komisch, die Leute die ganz vorne standen haben immer gesagt, in welche Richtung wir uns legen sollten, damit der LKW nicht umfällt.“ (Er musste ein wenig lachen). Wie waren deine Erlebnisse in Gummersbach? 10„Das Sammellager war eine Wiese, die in einer Schlucht lag, links und rechts war ein steiler Hang, der kaum bewachsen war. Und dies wurde uns zum Verhängnis, da das Wasser den Hang herunter lief und sich unten in der Schlucht sammelte, so dass sich nach einigen Regentagen eine 20 cm tiefe Schlammschicht gebildet hat. In dieser Matsche mussten wir es aushalten, was sich bei mir schwieriger gestaltete, da ich Frost 15in den Füßen hatte und vor Schmerzen nicht einmal laufen konnte. So kroch ich zur Essensaufgabe und zum Austreten. Eines Tages wurden alle Gefangenen mit Frost in den Füßen eingesammelt und in ein Zelt vom Roten Kreuz gebracht. Hier war der Boden mit Stroh ausgelegt und es gab vernünftiges Essen, aber eine medizinische Versorgung wurde nicht angeboten. Übrigens, die Gefangenen aus dem Rote-Kreuz20Zelt wurden als letztes nach Remagen transportiert. [Er erinnerte sich, als er das Zelt verließ, waren so gut wie gar keine Gefangenen mehr im Lager.] Wie war dein erster Eindruck von Remagen? „Wir fuhren oberhalb von den Lagern auf einer Straße, hier hatte ich einen guten 25Überblick über die Lager. Von der Straße bis kurz vor den Rhein und von Remagen bis Sinzig habe ich nur Menschen gesehen. Soweit ich gucken könnte, waren nur Menschen. Als ich das gesehen habe, dachte ich, dass ich hier nie wieder lebendig rauskomme. Wie sollten die das mit der Verpflegung schaffen. Aber das haben sie einigermaßen hinbekommen. Und ich habe es überlebt.“ 30 Wie waren die Lager aufgebaut?
15
„Bei den Lagern handelte es sich um eingezäunte Wiesen. Es sah sehr notdürftig aus. Einfach Stacheldraht um die Fläche gespannt, die mit Sicherungsposten auf Hochsitzen bewacht wurden. An den Rändern standen große Lampen, die nachts angezündet wurden, das Lager war dann fast taghell. Von diesen eingezäunten Gebieten gab es 5bestimmt 40-50 mit jeweils 5000 Gefangenen. In der Mitte befand sich ein extra Gebiet, indem angeblich die Verbrecher eingesperrt wurden, also Mitglieder der SA oder SS. Dieses Gebiet war noch mal extra umzäunt mit einem Elektrozaun. Ich selber habe es nie mitbekommen, aber es wurde mir erzählt von Gefangenen, die mal dort in der Nähe waren.“ 10Wie war die Unterbringung in Remagen? „Wir lagen Mann an Mann auf der Wiese ohne ein Dach über dem Kopf. Es gab weder Zelte noch Baracken für uns. Wir waren Tag und Nacht der Witterung ausgeliefert. Um ein bisschen Schutz vor der Kälte und dem Regen zu bekommen, haben wir uns zu zweit ein Loch mit Hilfe einer Marmeladendose gegraben, in das wir uns bei schlechtem 15Wetter verkrochen haben. Manchen Gefangenen wurden diese Löcher auch zum Verhängnis, da die Amerikaner sie manchmal zugeschüttet haben, obwohl da noch wer drin vegetierte. Zum Austreten musste man recht weit laufen, um zu den Latrinen zu gelangen. Zu Beginn war es nur ein Graben mit einem Brett drüber, hier war es schwer, die Balance 20zu halten und manche Menschen sind in den Graben gefallen. Später wurde Holzkisten umgedreht und oben ein Loch reingesägt, das war schon deutlich einfacher zum Austreten.“ Wie sah die Verpflegung aus? „Mit der Verpflegung war es eine schwierige Sache. Die Amerikaner gaben uns in die 25abgezäunten Gebiete solche Notpakete, die wir unter uns aufteilten, d.h. es gab zum Beispiel 1000 solcher Notpakete für 5000 Menschen, sodass sich am Ende fünf Gefangenen eine Mahlzeit teilten. So sah eine solche Mahlzeit dann aus: -
8-10 Kekse; 2 Löffel Zucker; 2-3 Löffel Milchpulver; 2-4 Löffel Kaffee; 4-6 Tomaten; 2-6 Löffel Sauerkraut
30Damit musste man den ganzen Tag um die Runden kommen. Man konnte froh sein, wenn es was gab und wenn nicht, hatte man halt Pech gehabt. Da wir auch keine Möglichkeit hatten, das Essen irgendwie als Mahlzeit zu uns zu nehmen, mussten wir es 16
so essen wie es kam, immer löffelweise. Wir hatten auch kein richtiges Besteck, nur einen Löffel und ich habe mir ein Messer aus einem Dosendeckel gebaut.“ Gab es Freundschaften zwischen Gefangenen? Es gab keine richtigen Freundschaften, wir trafen auf völlig unbekannte Menschen aus 5ganz Deutschland. Neben dem man lag, freundet man sich an, aber keine wahren Freundschaften geschlossen. Ich habe mit einem ein Loch gebuddelt, und wir lebten zusammen an dieser Grube. Eines Tages kam er mit einer Runkelrübe wieder und hat die gegessen. Er hätte sie sogar mit mir geteilt, aber ich wollte nicht, da sie ungenießbar war. Am nächsten Tag ging es im sehr schlecht und er ging zu einer 10Baracke, wo es medizinische Hilfe gab. Also es gab Verbände und gegen Durchfall gab es Kohle. Aber seitdem er dahin gegangen ist, habe ich ihn nicht wieder gesehen.“ Hast du mitbekommen, was mit flüchtenden Gefangenen passierte? „Ja, es gab Gefangene, die unter dem Stacheldraht durch gekrochen sind und dann in das angrenzende Kornfeld verschwanden. Wenn die Amerikaner dies merkten, wurden 15die Felder ausgeleuchtet. Hat sich etwas im Feld bewegt, haben die Soldaten auf den Posten sofort geschossen, bis der Flüchtling ruhig auf dem Boden liegen blieb. Dann wurden sie mit einem Jeep vom Feld abtransportiert und wieder ins Lager gebracht. Dies kam aber nicht häufig vor, da alle sehr geschwächt und körperlich nicht in der Lage waren zu flüchten. Da wurde man nicht mehr aufmüpfig.“ 20Wie war deine Entlassung? „Vor meiner Entlassung wurde ich noch einmal in ein anderes Lager gebracht und zwar in eines von den Briten. Dort war ich noch drei Wochen und ich muss sagen, dort ging es uns besser als bei den Amerikanern. Die Engländer waren netter, es gab mehr zu essen, sogar Brot, und die Bewacher waren nicht mehr so streng. Aber wir mussten 25auch dort wieder draußen schlafen und hatten kein Dach über dem Kopf. Kurz vor unserer Entlassung mussten wir einen Zettel ausfüllen, auf dem unseren persönlichen Daten standen und wo wir gefangen waren etc.. Als wir den abgegeben haben, bekamen wir noch 40 Reichsmark fürs Rumliegen, aber die waren ja echt zu nichts mehr nütze. 30Und am 9. Juli wurde ich endlich nach Osnabrück abtransportiert, von dort sollten wir nach Bersenbrück gebracht werden und dann zurück nach Hause kommen. In 17
Osnabrück wohnten wir auf dem Boden einer Fabrik, dort gab es gutes Essen. Hier konnte man es aushalten. Ich traf sogar zwei Männer aus meiner Nachbarschaft. Als wir da warteten, haben wir uns gedacht, dass es doch sinnlos ist - erst nach Bersenbrück und dann wieder nach Engter zurück, also meldeten wir uns bei dem 5Kommandeur ab und liefen querfeldein nach Hause.
4.1 Kommentar zum Interview In dem Interview konnte ich mir ein Bild machen, wie Georg Tüting die Gefangenschaft erlebte. Er schilderte die Situation sehr ausführlich, so dass ich mich in sie hineinversetzen konnte. Auffällig war, dass er trotz der Erlebnisse nicht abwertend über die Amerikaner sprach. Natürlich sagte er, dass der Aufenthalt im Lager schrecklich 10war, aber machte die Amerikaner dafür nicht verantwortlich. Als klare Essenz des Ganzen ist, dass der Aufenthalt im Gefangenenlager einer reiner Kampf ums Überleben war. Die Internierten halfen sich zwar gegenseitig, z.B. wenn sie zusammen an ihrer Gruben lebten. Aber Georg Tüting ließ anklingen, dass, wenn es ums eigene Überleben ging, jeder für sich kämpfte, z.B. bei der Essensausgabe.
5. Abschließende Auswertung der Ergebnisse 15Die Erkenntnisse aus der Literatur möchte ich nun zusammenfassen und mit dem Zeitzeugeninterview vergleichen. So kann ich abschließend meine Ausgangsfrage beantworten. 18
In der Literatur wird das Verhalten der Amerikaner im Umgang mit den Gefangenen als bemüht dargestellt. Bei der Fokussierung auf die Rheinwiesenlager erhält man zwar ein ganz anderes Bild, dies liegt aber weitestgehend an der Überforderung und nicht, wie in manchen Quellen behauptet wird, am Hass auf die Gefangenen. Es gab definitiv 5schwarze Schafe innerhalb der amerikanischen Reihen, so dass es zu gewalttätigen Übergriffen kam. Diese waren aber sehr vereinzelt und kamen nur in den Rheinwiesenlagern vor. Generell plädierte die amerikanische Regierung immer für die Einhaltung der Genfer Konvention, um die Gefangenen zu schützen. Zudem waren sie bemüht, die 10Gefangenen schnellstmöglich wieder zu entlassen. Hierbei lässt sich vermuten, dass sie dies nur taten, um ihren Versorgungsapparat zu entlasten. Sowohl in der Literatur als auch in dem Interview wird die schwierige Situation in den Internierungslagern beschrieben und belegt. Bei den Gefangenen stand der tägliche Kampf ums Überleben im Vordergrund. Sie mussten mit den geringen Essensrationen 15haushalten und dafür sorgen, nicht zu erfrieren. Die amerikanische Besatzungsmacht scheint sich bemüht zu haben, die Menschenrechtskonventionen einzuhalten, waren aufgrund der hohen Zahl der Gefangenen jedoch gegen Ende des Krieges überfordert. Über den Status den der Zeitzeuge erhielt, konnte er nicht berichten, somit lässt sich vermuten, dass der Status letztendlich uninteressant war, nur dazu benutzt wurde, um 20das Vorgehen zu rechtfertigen und nicht wegen eines Kriegsverbrechens angeklagt zu werden. Generell lässt sich sagen, dass die Erlebnisse des Zeitzeugens mit den Fakten aus der Literatur übereinstimmen. Wobei die Literatur in manchen Teilen deutlich kritischer und negativer die Situation beurteilt, z.B. die hohe Sterblichkeit. 25In dem Gespräch mit dem Zeitzeugen erschien es so, als ob er die schlimmen Erfahrungen lieber verdrängte, als darüber zu reden. Gezielte Fragen in die Richtung wurden abgeblockt, somit irrelevant für das Interview und gestrichen. Außerdem wird er zwar vieles gesehen haben, aber wiederum auch vieles nicht, sodass er gar nicht in der Lage ist, über jeden kleinen Teilbereich der Gefangenschaft zu reden. 30Die Antwort auf meine Ausgangsfrage ist, dass der Zeitzeuge die Situation in Gefangenschaft verzerrt gesehen hat, da er kein negatives Wort über die Amerikaner verlor, wird daran gelegen haben, dass er froh war, dort gefangen zu sein. Es mag paradox klingen, aber unter den Gefangenen war es allgemein bekannt, dass die Lager der Westalliierten deutlicher „humaner“(soweit man es als human bezeichnen kann) als 19
bei den Ost- Staaten. Deshalb war wahrscheinlich mein Zeitzeuge froh dort gewesen zu sein und nicht den woanders. So lässt sich erklären weshalb er keine wirklich schlechten Worte über die Behandlung der Amerikaner verlor. Im Vergleich zu den Westalliierten hat die Sowjet Union ihre deutschen Gefangenen zu 5„Wiedergutmachungsarbeiten“ in reinen Arbeitslagern gezwungen. Die letzten überlebenden Kriegsgefangenen sind erst 1955, nach den Verhandlungen mit Bundeskanzler Adenauer in die Heimat zurückgekehrt. Überwiegend kamen die Gefangenen unterernährt und krank zurück, sodass sie sich zunächst in ärztliche Behandlung begaben. 10Dennoch ist die Situation bei den Amerikanern nicht akzeptabel gewesen und meiner Meinung nach ein Kriegsverbrechen. In den Lagern herrschten Situationen wie in „Guantanamo bay“, die heutzutage für Aufruhr und Empörung sorgen. Abschließend lässt sich sagen, dass die Bedingungen, mit denen die Gefangenen konfrontiert wurden, menschenverachtend waren. Der einzige Gedanken, der ihnen 15durch den Kopf ging, war der des Überlebens. Um sich aufzumuntern, dachten sie wahrscheinlich daran, dass es sie noch schlimmer hätte treffen können.
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