http://www.projekt-bramsche.de/stories/FacharbeitVdB

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Greselius-Gymnasium Bramsche Malgartener Straße 52 49565 Bramsche

Seminararbeit im Seminarfach „Krieg und Frieden“

„Zwangsarbeit in Bramsche während des Zweiten Weltkrieges“

Verfasserin: Verena Vor dem Berge, Jhg. 12 Fachlehrer: Herr Stich & Herr Fasterding

Seminararbeitszeitraum: 17.12.2008 bis 18.02.2009


Inhaltsverzeichnis I. Einführung I.1 Themenstellung und Ziele der Arbeit

S. 4

I.2 Methodische Vorgehensweise

S. 4

II. Der allgemeine Einsatz von Zwangsarbeitern II.1 Definition der Zwangsarbeit

S. 5

II.2 Ursachen und Hintergründe

S. 6

III. Der Weg nach Bramsche III.1 Die geographische und politische Lage Bramsches

S. 6

III.2 Die Deportation ausländischer Arbeitskräfte

S. 7

III.2.a Polen

S. 7

III.2.b Ukraine

S. 8

III.2.c Niederlande

S. 9

IV. Die Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter IV.1 Das Lagerleben

S.10

IV.2 Die Zwangsarbeitsplätze bzw. Einsatzstellen

S.12

IV.3 Das Verhältnis zur Bramscher Zivilbevölkerung

S.14

V. Das Ende des Zweiten Weltkrieges V.1 Der Abzug aus der Stadt und das Leben danach VI. Schlusswort

S.15 S.17


VII. Anhang VII.1 Literaturverzeichnis

S. 1

VII.2 Zeitzeugenberichte / (Vortrag Dieter Przygode)

S. 2

VII.3 Internetquellen

S. 3

VII.4 Zeitungsartikel der Bramscher Nachrichten

S. 4

VII.Abbildungsverzeichnis

S. 8

VII.6 Selbstst채ndigkeitserkl채rung

S.13


I. Einführung I.1 Themenstellung und Ziele der Arbeit Wenn davon berichtet wird, dass während des Zweiten Weltkrieges 55 – 60 Millionen Menschen ihr Leben verloren, davon allein 6 Millionen Juden systematisch umgebracht und 12 Millionen Menschen deportiert wurden, wenn viele Städte und Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und den Volkswirtschaften nicht wieder gut zu machende Schäden zugefügt wurden, dann hat das schier unvorstellbare Dimensionen, die auch an meiner Heimatstadt Bramsche nicht spurlos vorbei gegangen sein können. "Willst du ein Stück Weltgeschichte kennenlernen, so sieh dich in der Geschichte deiner Vaterstadt um." 1

Die zahlreichen Erzählungen meines Großvaters, der als Jugendlicher den Beginn des Zweiten Weltkrieges in Bramsche und schließlich als junger Soldat bzw. als Kriegsgefangener das Ende des Krieges erlebte, machten mich neugierig, regionale Geschehnisse aufzuarbeiten. In der vorliegenden Seminararbeit möchte ich mich mit dem Einsatz von Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkrieges am Beispiel der Stadt Bramsche umfassend auseinandersetzen.

I.2 Methodische Vorgehensweise Die Seminararbeit basiert auf

einer detaillierten Studie der Literatur aus der

stadteigenen Bibliothek und der Internetquellen. Gespräche mit meinem Großvater dienten ebenfalls als Informationsquellen. In dem privaten Archiv meines Großvaters waren unter anderem Artikel von Dieter Przygode, einem Hobbyhistoriker aus Bramsche-Achmer, vorzufinden. Ausgehend von diesen Artikeln suchte ich im lokalen Zeitungsarchiv nach weiterem Material von Dieter Przygode und anderen Autoren zu dem Thema „Zwangsarbeit“.

1

Zitat des Landauer Geschichtsschreibers Joh. Georg Lehmann, http://freenet-homepage.de/ulisinz/privat/landau2.htm


Schließlich verabredete ich mich persönlich mit Dieter Przygode, der sich aus familiären Gründen mit der Geschichte der Stadt Bramsche im Zweiten Weltkrieg befasst. Noch bis heute hält er Briefkontakt zu ehemaligen Zwangsarbeitern in Bramsche. Przygode hielt in der Volkshochschule Bramsche im Jahre 2005 einen Vortrag unter dem Titel „Am Anfang war das Essen sehr knapp…“. Es handelte sich dabei um einen Vortrag, der sich mit den persönlichen Schicksalen einiger Zwangsarbeiter beschäftigte. Der Inhalt dieser Facharbeit ergibt sich aus den gesammelten Materialien und wird strukturiert und unverfälscht wiedergegeben.

II. Der allgemeine Einsatz von Zwangsarbeitern II.1 Definition der Zwangsarbeit Der Begriff der „Zwangsarbeit“

entstammt der Nachkriegszeit und umfasst laut der

Internationalen Arbeitsgemeinschaft (IAO) von 1930 Personen, die eine Arbeit oder Dienstleistung zu verrichten hatten, die von einer weiteren Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die er sich nicht freiwillig zur Verfügung stellt.2 Dabei wird zwischen vier Gruppen von Zwangsarbeitern unterschieden: die ausländischen Kriegsgefangenen, die Konzentrationslagerhäftlinge, die jüdischen Zwangsarbeiter und schließlich die ausländischen Zivilarbeiter, die von 1940 an die größte Gruppe der in Deutschland eingesetzten Zwangsarbeiter bildeten.3 Im zeitgenössischen Sprachgebrauch wurden sie verharmlosend auch als „Fremdarbeiter“ bezeichnet. Im Verlauf dieser Arbeit umfasst der Begriff der Zwangsarbeiter nur die letztere Gruppe.

II.2 Ursachen und Hintergründe Mit Anfang des Krieges und den damit zusammenhängenden Eroberungen ausländischer Gebiete, herrschte Arbeitskräftemangel in Deutschland. Nach

dem

Abklingen

der

Weltwirtschaftskrise

und

dem

Einsatz

verschiedener

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verschlechterte sich der Zustand in der Kriegswirtschaft mit

2 3

Definition „Zwangsarbeit“ http://lexikon.meyers.de/wissen/Zwangsarbeit+%28Sachartikel%29 vgl. Vortrag von Dieter Przygode „Am Anfang war das Essen sehr knapp…“, 13.01.2005, VHS Bramsche


jedem weiteren Jahrgang, der zur Wehrmacht oder zur SS (Schutzstaffel) eingezogen wurde, drastisch.4 Während die Regierung im Ersten Weltkrieg diesen Mangel noch durch Dienstverpflichtung deutscher Frauen zu kompensieren versuchte5, sah die nationalsozialistische Staatsmacht davon ab und engagierte Arbeitskräfte aus den zu erobernden Ländern, indem sie sie als Freiwillige anwarben oder gewaltsam nach Deutschland deportierten. Obendrein ergab sich bei Einstellung ausländischer Arbeitskräfte ein finanzieller Vorteil für die Firmen, da die Zwangsarbeiter im Gegensatz zu den einheimischen Arbeitern gar nicht oder weniger entlohnt wurden.6

III. Der Weg nach Bramsche III.1 Die geographische und politische Lage Bramsches Die Textilstadt Bramsche, im Rahmen des Zweiten Weltkrieges aufgrund ihrer zentralen Lage inmitten dreier Militärflugplätze auch bekannt als „die Stadt im Flughafendreieck“ 7, liegt im westlichen Niedersachsen und umfasste im Jahre 1939 zu Beginn des Krieges 5266 Einwohner.8 Die Stadt ist seit jeher eine sozialdemokratische Stadt gewesen und konnte auch nach starken Propaganda- und Kampfmethoden nicht von dem Nationalsozialismus überzeugt werden.9 Die Macht über Bramsche erreichte die NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) erst nach der „Gleichschaltung“ von Magistrat und der Verwaltung.10 Nichtsdestotrotz ging das „gewerkschaftliche und sozialdemokratische Bewusstsein“ der Bramscher nicht verloren, was den Zwangsarbeitern in vielen Fällen zugute kam (s. hierzu IV.3).11

II.2 Die Deportation ausländischer Arbeitskräfte Insgesamt wurden im Laufe des Krieges von 1939 bis 1945 mehr als 12 Millionen Menschen aus den von der deutschen Wehrmacht besetzten Teilen Europas ins Deutsche Reich 4

5 6 7 8 9 10 11

vgl. Gander, Michael u. Titz, Hubert, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in der Grafschaft Bentheim, S. 18 ebd. vgl. Hein-Janke, Ewald, Bramsche im II. Weltkrieg, S. 28 vgl. Bramscher Schriften Band 2, „Aufstehen! Kaffee holen!“, S. 15 vgl. Gottlieb, Albert, Bramsche. Die Stadt der Tuche, Leinen und Tapeten, S.63 vgl. Gottlieb, Alfred, Bramsche – Eine Stadtgeschichte, S.72 vgl. Gottlieb, Alfred, Bramsche – Eine Stadtgeschichte, S.72 vgl. Bramscher Schriften Band 2, „Aufstehen! Kaffee holen!“ S. 15


deportiert12 – unter anderem nach Bramsche. Auch hier arbeiteten fast genauso viele Zwangsrekrutierte verschiedener Nationen wie reguläre einheimische Arbeitskräfte.13 Da der Umfang dieser Seminararbeit begrenzt ist, geht es im Folgenden nur um die Deportierten aus Polen, der Ukraine und den Niederlanden, die in Bramsche den größten Teil der dort ansässigen Zwangsarbeiter bildeten.

III.2.a Polen Mit dem Angriff auf Polen begann am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg („Polenfeldzug“) unter der Führung Hitlers.14 Nachdem die Deutschen zahlreiche Gebiete des Landes im Oktober besetzten, folgte eine harte Zeit für die polnische Bevölkerung: Sie wurden aus ihren Wohnorten verjagt, ganze Familien getrennt, es herrschte Hungersnot und Geldmangel. 15 Viele der älteren Menschen wurden festgenommen, inhaftiert und in Konzentrationslager geschickt. Die jüngeren dagegen, die arbeitsfähig erschienen, wurden in Razzien in den betreffenden Städten auf der Straße aufgegriffen und – sofern sie nicht durch entsprechende Papiere nachweisen konnten, dass sie beschäftigt waren - zur nächsten Sammelstelle gebracht. Verladen in Viehwaggons, die der großen Menschenmenge nicht gerecht werden konnten, machten sie sich auf den Weg nach Deutschland in die zahlreichen Zwangsarbeiterlager – so landete ein Teil nach einem Zwischenstopp in einem weiteren Durchgangslager in Bramsche. Alle Arbeiter, die aus Polen stammten, wurden auf ihrer Kleidung mit einem „P“ gekennzeichnet16 (s. hierzu VII.5, Abb.1).

III.2.b Ukraine Den vorliegenden Zeitzeugenberichten zufolge gingen die deutschen Besatzer nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 in der Ukraine noch erbarmungsloser und gewalttätiger vor. Die Allgemeinheit versteckte sich in Nachbardörfern, in Wäldern oder suchte – meistens erfolglos - an sonstigen Orten Schutz vor der Polizei, die dafür zuständig war, einen Großteil der ukrainischen Bevölkerung zur Zwangsarbeit einzuziehen.

12 13 14

15 16

vgl. Zwangsarbeit im NS-Staat, http://www.bundesarchiv.de/zwangsarbeit/, 15.1.09 17.41h vgl. Bramscher Schriften Band 2, „Aufstehen! Kaffee holen!“, S. 15 vgl. Die Deutsche Geschichte Vom Siebenjährigen Krieg bis zum Zweiten Weltkrieg, Bd. 3, S.477 vgl. Brief von Zygmund Kempa an Dieter Przygode vgl. Zwangsarbeit im Nationalsozialismus - Geschichte im Überblick, http://www.berlinergeschichtswerkstatt.de/zwangsarbeit/geschichte.htm


Die damals 16-jährige Antonina Wassiljewna war eine von ihnen und beschreibt einige Jahre nach dem Krieg in einem Brief an Dieter Przygode ihre Impressionen von dem schweren Weg nach Bramsche: „Wie lange wir unterwegs nach Deutschland waren, weiß ich nicht. Ich habe nichts gegessen, fast nicht geschlafen, nur geweint. (…) Die nächste Station war wahrscheinlich schon in Deutschland. Wir wurden in irgendein Lager gebracht, Baracken hinter dem Stacheldraht. (…) In diesem Lager hat man uns desinfiziert, das war so erniedrigend. Dann hat man uns in eine größere Stadt gebracht, später habe ich erfahren, die Stadt hieß Osnabrück. Da wurde ich von meinen Landsleuten getrennt, und mit drei Leuten in den Zug gesetzt. Bei einem Halt hat mich die Schaffnerin mit all meinen Sachen abgesetzt. (…)“ 17

Antonina war eine derjenigen, die nach Bramsche verschleppt wurden und von diesem Zeitpunkt an dort als so genannter „Ostarbeiter“ leben und arbeiten mussten18 (s. hierzu VII. 5, Abb. 2). In den vorliegenden Materialien ist ausschließlich von Ukrainerinnen die Rede. Die männliche Bevölkerung wird nicht erwähnt, woraus sich schließen lässt, dass sie nicht nach Deutschland bzw. zumindest nicht nach Bramsche zur Zwangsarbeit deportiert wurden.

III.2.c Niederlande Eine der letzten großen Gruppen, die nach Deutschland deportiert wurde, traf im Herbst 1944 aus den Niederlanden ein. Die ca. 800 Arbeiter, die nach Bramsche gesandt wurden, kamen aus der niederländischen Stadt Hilversum, dem damaligen Standort des Hauptquartiers der deutschen Wehrmacht.19 Am 22.Oktober 1944 hingen in der gesamten Stadt Bekanntmachungen, die alle Männer im Alter von 17 – 50 Jahren dazu aufforderten, sich am kommenden Tag um 9 Uhr in den Sportpark „zwecks Ausführung von Erdarbeiten“ zu begeben.20 Die Deutschen setzten kein allzu großes Vertrauen in die freiwillige Meldung, sodass sie schon früh morgens die Wehrmacht und die SS beauftragten, die verlangte Zahl von Männern

17 18

19 20

Brief von Antonina Wassiljewna an Dieter Przygode, Datum nicht bekannt vgl. Zwangsarbeit im Nationalsozialismus - Geschichte im Überblick, http://www.berlinergeschichtswerkstatt.de/zwangsarbeit/geschichte.htm vgl. Bramscher Schriften Band 2, „Aufstehen! Kaffee holen!“, S. 16 vgl. Bramscher Schriften Band 2, „Aufstehen! Kaffee holen!“, S. 55


unter Zwang zu dem Sammelpunkt zu treiben. Der Aufruf wandelte sich in eine gewaltsame Razzia.21 In dem Sportpark wurden die Menschen zunächst ärztlich überprüft. Es gab kaum Krankschreibungen - die meisten von ihnen wurden als arbeitsfähig erklärt und nach Amersfoort geschickt. In Amersfoort arbeiteten sie für eine Woche unter der Aufsicht der Organisation Todt (kurz: OT), die für die Zwangsarbeiter sowohl in der niederländischen Stadt als auch später in Bramsche die Verantwortung übernahmen.22 Wider Erwarten der Arbeiterschaft kehrten sie danach allerdings nicht in ihre Heimat zurück, sondern wurden in Zügen weiter gen Osten deportiert, Ziel war der Hauptbahnhof Osnabrück.23 Die Hilversumer waren von dem Anblick der Stadt entsetzt, alles war zertrümmert und zerstört. Die Stadt litt kurz zuvor am 13.September 1944, dem so genannten „Tag, an dem Osnabrück unterging“, unter einem heftigen Bombenangriff.24 Ein Teil der Niederländer (ca. 800 Männer) fuhren noch weiter und kamen am 1.November 1944 letztlich in Bramsche an.25 Jan Edelstein war einer der niederländischen Zwangsrekrutierten und berichtet über seinen ersten Eindruck bei der Ankunft in Bramsche: „Beim Anblick des friedlichen Städtchens, offenbar unzerstört, atmeten wir trotz der Müdigkeit der langen Reise erleichtert auf. Die Erleichterung dauerte aber nur so lange, bis wir mit den örtlichen Unterkünften konfrontiert wurden.“ 26

(s. hierzu IV.1)

IV. Die Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter IV.1 Das Lagerleben Die Zwangsarbeiter wurden direkt nach ihrer Ankunft in verschiedenen Lagern untergebracht. Insgesamt gab es in und rund um Bramsche 10 Standorte 27 (s. hierzu VII.5, Abb.3). In den 21 22 23 24 25 26 27

vgl. Bramscher Schriften Band 2, „Aufstehen! Kaffee holen!“, S. 57 vgl. Bramscher Schriften Band 2, „Aufstehen! Kaffee holen!“, S. 62 vgl. Bramscher Schriften Band 2, „Aufstehen! Kaffee holen!“, S. 62 vgl. Der Tag, an dem Osnabrück unterging – 13.September 1944, S.30ff. vgl. De la Rive Box, Hans, „Die Hölle von Bramsche“, S.73 „Aufstehen! Kaffee holen!“ Bramscher Schriften Band 2, S. 64 Privatarchiv Dieter Przygode


meisten Fällen handelte es sich um alte, ungenutzte

Baracken oder ehemalige soziale

Einrichtungen, wie z.B. Hospize oder Altersheime.28 Welche Zwangsarbeiter in welches Lager kamen, war abhängig von ihrer Nationalität und der Arbeit, die sie in der Bramscher Region zu verrichten hatten (s. hierzu IV.2). So wurden die Polen hauptsächlich in dem Lager an der Engterstraße (Lagerbezeichnung: Lager Hühnerkamp) und in manchen der selbstständigen Landgemeinden der Stadt Bramsche einquartiert.29 Die Ukrainerrinnen kamen zum größten Teil ebenfalls im Lager Hühnerkamp unter, ein anderer Teil wohnte mit Frauen aus den Beneluxländern in der „Herberge zur Heimat“ an der Osnabrücker Straße (heute Polizeigebäude)30 (s. hierzu VII.5, Abb. 4). Die niederländischen Zwangsrekrutierten wurden nicht den Gemeinschaftslagern zugewiesen, ihr Quartier war das Barackenlager am Lutterdamm (Lagerbezeichnung: OT-Lager)31 (s. hierzu VII.5, Abb. 5). Ungeachtet der verschiedenen Standorte hatten alle Lager eine Gemeinsamkeit: Es herrschten katastrophale Wohnverhältnisse. Die Menschen hausten mit ihren Kameraden auf engstem, spärlich ausgestattetem Raum und mussten dicht gedrängt auf dem Boden oder in kleinen Etagenbetten schlafen.32 Die Schlafmöglichkeiten waren grundsätzlich nur mit Stroh bedeckt, das nie ausgewechselt wurde und infolgedessen nach kürzester Zeit verdreckt und von Insekten gespickt war.33 Hinzu kommt, dass viele der Insassen keine Ersatzwäsche besaßen, da sie unvorbereitet und sehr plötzlich eingezogen wurden. Sie behielten für den gesamten Aufenthalt ausschließlich die Kleidung an, die sie an dem Tag der Razzia trugen. Nur für die Niederländer gab es Anfang 1945 einmal die Möglichkeit in ihre Heimat zu reisen, um Ersatzwäsche zu besorgen. 34 Es war unverkennbar, dass die Kleidung mit der Zeit elendig und verlumpt aussah und den Menschen insbesondere im Winter nicht ausreichend Schutz und Wärme gewährte. Sie konnten ihre Wäsche nicht einmal vernünftig reinigen, da ihnen kaum Waschgelegenheiten zur Verfügung standen. Das führte dazu, dass die Menschen und das gesamte Umfeld einen sehr penetranten Geruch annahmen.35 28 29 30 31 32 33 34 35

ebd. ebd. vgl. Hein-Janke, Ewald, Bramsche im II. Weltkrieg, S. 27 vgl. Bramscher Schriften Band 2, „Aufstehen! Kaffee holen!“, S. 65 vgl. Brief von Jerzy Guz an Dieter Przygode, Datum nicht bekannt vgl. De la Rive Box, Hans, „Die Hölle von Bramsche“, S.75 vgl. Ham, Bertie, „Arbeider in Moffenland“, S. 159 vgl. Hein-Janke, Ewald, Bramsche im II. Weltkrieg, S. 27


Insgesamt lässt sich feststellen, dass nicht nur die Hygiene, sondern auch die Ernährung zu damaliger Zeit unzureichend war. Die Zwangsarbeiter erhielten anfangs nur ein Stück Brot von ca. 800g, das sie sich für zehn Tage einteilen mussten. 36 Wenn sie abends von der Arbeit wieder kamen, gab es eine Portion Rübensuppe aus der lagereigenen Küche, die keineswegs sättigte.

Eine Ukrainerin beschreibt die Suppe als „(…)ein Gemisch, dass auch Hunde nicht fressen würden.“ 37

Später wurde das Essen ein wenig besser, aber der Hunger war ein stetiger Begleiter und neben den bereits erwähnten Zuständen die Ursache vieler Krankheitsfälle.38 Die zuständigen Kommandanten der Lager, die in den meisten Fällen ohnehin schon sehr unfreundlich und skrupellos schienen39, ließen sich von den Schmerzen der Menschen oft nicht beeinträchtigen und schickten die Lagerbewohner trotzdem täglich zur Arbeit.40 Nur bei extremer und wirklich offensichtlicher Arbeitsunfähigkeit durften sie tatsächlich „zu Hause“ bleiben, um sich auszukurieren oder vom Lagerarzt untersucht zu werden. Doch oft wurden die Krankheiten gar nicht bzw. erst viel zu spät diagnostiziert, was viele Menschen mit dem Leben bezahlen mussten und auf dem Bramscher Friedhof von den eigenen Kameraden beigesetzt wurden.41 Die zu Tode gekommenen Zwangsarbeiter sind nach dem Krieg in ihrer Heimat umgebettet worden.42

IV.2 Die Zwangsarbeitsplätze bzw. Einsatzstellen Die Zwangsarbeiter wurden in allen möglichen Bereichen als Ersatz für die fehlenden Arbeitskräfte eingesetzt. Die Arbeit, die sie in und um Bramsche zu verrichten hatten, war von ganz unterschiedlicher Natur. Sie arbeiteten beispielsweise in den Textilfabriken, auf dem Land bei den heimischen Bauern, im militärischen Bereich auf den drei Flugplätzen oder in Osnabrück in den Bahnanlagen, die im Verlauf des Krieges schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden (s. hierzu III.2.c Z. 15 ff.).43 Unabhängig von der teilweise sehr körperlich 36 37 38 39 40 41 42 43

vgl. Bramscher Nachrichten, „Peitsche und Rübensuppe“, 22.01.2005 Brief von Elena Trofimowna Jurkowskaja an Dieter Przygode, Datum nicht bekannt vgl. Brief von Stanislaw Sielitzki an Dieter Przygode, Datum nicht bekannt vgl. Bramscher Nachrichten, „Peitsche und Rübensuppe“, 22.01.2005 vgl. Bramscher Schriften Band 2, „Aufstehen! Kaffee holen!“, S. 81 vgl. Hein-Janke, Ewald, Bramsche im II. Weltkrieg, S. 29 f. vgl. Gottlieb, Alfred, Bramsche – Eine Stadtgeschichte, S.74 vgl. Hein-Janke, Ewald, Bramsche im II. Weltkrieg, S. 27, Bramscher Nachrichten, „Zu Hause


anstrengenden Arbeit, die sie zu leisten hatten, war der Tagesablauf aller in Bramsche ansässigen Arbeiter sehr ähnlich. Bis auf den arbeitsfreien Sonntag, begann ihr Arbeitstag meistens um 6.30 Uhr.44 Sie machten sich je nach Ort ihres Zwangsarbeitsplatzes mit dem Zug oder zu Fuß auf den Weg und gingen bis ca. 18.30 Uhr ihren Verpflichtungen nach. Während dieser Zeit arbeiteten sie mit den verbliebenen einheimischen Angestellten zusammen und standen unter strenger Aufsicht der jeweiligen Firmenführung oder der Bauern. Auch wenn die Firmen, wie bereits erwähnt, von der Einstellung von Zwangsarbeitern profitierten, warfen sich zugleich auch die einen oder anderen Probleme auf. Durch das Sprachproblem war eine Kommunikation unter den Zwangsarbeitern der verschiedenen Nationen als auch eine Kommunikation der Einheimischen mit den Zwangsarbeitern sehr schwierig.45 Zum anderen waren die Deportierten natürlich nicht motiviert, sich bei der Arbeit anzustrengen. Sie zogen es hinsichtlich der mangelnden Ernährung vor, ihre Kräfte lieber zu schonen, um den Überlebenskampf zu überwinden.46 Entsprach der Einsatz der ausländischen Kräfte nicht den Vorstellungen der Aufseher oder arbeiteten sie nicht schnell genug, drohte ihnen das Konzentrationslager (KZ) oder eine kurzzeitige Einweisung in das nahe gelegene Arbeitserziehungslager (AZL) Ohrbeck bei Osnabrück.47 Im Vergleich dazu waren die Zwangsarbeiter bei den Bauern ein wenig besser aufgehoben. Sie zeigten im Gegensatz zu den Aufsehern in den Firmen schon eher Mitleid und waren barmherziger. Obwohl der Kontakt zu den Zwangsrekrutierten strengstens untersagt war, war es nicht selten, dass die Bauern ihre Arbeiter mit nach Hause brachten (s. hierzu IV.3)48. Wenn die ausländischen Arbeitskräfte nicht gerade arbeiten mussten, verbrachten sie die restliche Zeit gezwungenermaßen im Lager und beschäftigten sich damit, ihre Kleidung weitestgehend zu reparieren und zu waschen oder sich gegenseitig von Läusen zu befreien.49 Für die Niederländer bestand darüber hinaus die Option, zwischenzeitlich einmal nach Hause zu reisen, um die Familie zu besuchen.50 Um diese Möglichkeit wahrzunehmen, mussten sie vorerst einen Antrag beim Arbeitsamt Osnabrück und beim Landkreis Bersenbrück stellen.51 Wurde dieser Antrag genehmigt, war es natürlich eine große Verlockung auf diesem Wege 44 45 46 47 48 49 50 51

hieß es, sie hätten für Hitler gearbeitet““, 21.06.2001 vgl. Brief von Anatoljewna Pasetschnik an Dieter Przygode, Datum nicht bekannt vgl. Hein-Janke, Ewald, Bramsche im II. Weltkrieg, S.28 ebd. vgl. Bramscher Nachrichten, „Mindestens 30 Einweisungen aus dem Altkreis ins Lager Ohrbeck, 22.11.2000 vgl. Brief von Elena Jurkowskaja an Dieter Przygode, Datum nicht bekannt vgl. Brief von Jerzy Guz an Dieter Przygode, Datum nicht bekannt vgl. Aussage Willi Vor dem Berge ebd.


dem Lager und vor allem aus Deutschland zu entkommen. Wenn der Ausreisende nicht zurückkehrte, wurde ersatzweise einer seiner Kameraden strengstens bestraft, unter Umständen sogar mit dem Tod. Zeitzeugen zufolge bestand unter den Niederländern eine solch tiefgründige Kameradschaft, dass sie immer wieder zurück kehrten und selten Ersatzbestrafungen vorgenommen wurden.52

IV.3 Das Verhältnis zur Bramscher Zivilbevölkerung Die nationalsozialistische Regierung untersagte ausnahmslos jeglichen Kontakt zwischen den Zwangsarbeitern und der deutschen Zivilbevölkerung. Als Zivilist war es folglich gesetzwidrig mit den ausländischen Arbeitskräften an einem Tisch zu essen, sie mit Lebensmitteln zu versorgen oder mit ihnen eine nähere, sogar sexuelle Beziehung einzugehen.53 Bei Verstoß dieser Anordnungen wurde man mit dem KZ, in den schlimmsten Fällen sogar mit dem Tod bestraft.54 Dessen ungeachtet existierten viele Freundschaften in der niedersächsischen Textilstadt, da sich ein Großteil der Bramscher Zivilbevölkerung laut Zeitzeugenberichten als sehr hilfsbereit und barmherzig erwies. Diese Hilfsbereitschaft äußerte sich insofern, als dass sie sich bei der Arbeit heimlich ihr Essen teilten, sie ihre „Kollegen“ mit zu sich nach Hause nahmen, um sie mit Kleidung und einer warmen Mahlzeit zu versorgen55, ihnen bei Bombenalarm Unterschlupf zu bieten56 oder um ihnen die Möglichkeit zu geben, über Radio die aktuelle Lage ihrer Heimat in Erfahrung zu bringen.57 Im Laufe der Zeit vertieften sich viele dieser Kontakte und es entwickelten sich feste Freundschaften und Liebesbeziehungen, die auch teilweise noch bis weit nach dem Krieg bestanden.

V. Das Ende des Zweiten Weltkrieges V.1 Der Abzug aus der Stadt und das Leben danach

52 53 54

55 56 57

ebd. vgl. Hein-Janke, Ewald, Bramsche im II. Weltkrieg, S. 28 vgl. Gander, Michael u. Titz, Hubert, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in der Grafschaft Bentheim, S. 155 vgl. Brief von Elena Jurkowskaja an Dieter Przygode, Datum nicht bekannt vgl. Bramscher Nachrichten, „Zu Hause hieß es, sie hätten für Hitler gearbeitet“, 23.06.2001 vgl. Bramscher Schriften Band 2, „Aufstehen! Kaffee holen!“, S. 171


Mit dem Einmarsch der britischen Truppen am 10. April 1945 endete die Zwangsarbeit in Bramsche.58 Von dem Zeitpunkt an bezeichneten die Alliierten die Zwangsrekrutierten als „Displaced Persons“ (DPs), die in dem „Outline Plan for Refugees and Displaced Persons“ folgendermaßen definiert sind: „[Displaced Persons sind] Zivilisten außerhalb der nationalen Grenzen ihres Landes aus kriegsbedingten Gründen, die nach Hause zurückkehren wollen, aber dazu unfähig sind, oder die ohne Hilfe kein Zuhause finden oder die in feindliches oder ehemals feindliches Territorium zurückgebracht werden müssen.“ 59

Die Rückreise in die Heimat gestaltete sich von Nation zu Nation unterschiedlich. Die Niederländer traten ihren Weg zu Fuß oder mit Fahrrädern an, die ihnen von den Bewohnern zur Verfügung gestellt wurden. Sie konnten im Gegensatz zu den Ukrainerinnen und den Polen sehr schnell in ihr Heimatland zurückkehren, auch wenn sie recht lange unterwegs und dem zu der Zeit noch andauernden Krieg ausgesetzt waren. Für alle war die Überschreitung der niederländischen Grenze ein emotionaler Moment und löste ein „Gefühl der Befreiung“ in den Menschen aus.60 Im Kontrast zu der Rückkehr der westeuropäischen Arbeitskräfte, erwies es sich für die Displaced Persons der osteuropäischen Länder wie Polen und der Ukraine als weitaus schwieriger.61 Die

Osteuropäer

kamen

nach

ihrer

Befreiung

vorerst

noch

in

sogenannten

„Filtrierungslagern“ unter, in denen sie von dem sowjetischen Geheimdienst verhört und teilweise zu weiteren Jahren Zwangsarbeit abgeurteilt wurden.62 Wer diese Zeit überlebte, konnte daraufhin in seine alte Heimat zurückkehren, wo allerdings weitere Probleme in der Gesellschaft in Erscheinung traten: Man hatte es als ehemaliger Zwangsarbeiter beispielsweise sehr schwer, eine Wohnung bzw. einen neuen Arbeitsplatz zu erlangen. Ihnen wurde Verrat und Kollaboration mit den Deutschen unterstellt und viele der Einheimischen spotteten, sie hätten „für Hitler gearbeitet“.63 58

59 60 61

62

63

vgl. Vortrag von Dieter Przygode „Am Anfang war das Essen sehr knapp…“, 13.01.2005, VHS Bramsche Der Begriff "Displaced Person", http://www.geschichtsatlas.de/~ga2/dps.htm vgl. Bramscher Schriften Band 2, „Aufstehen! Kaffee holen!“, S. 91 vgl. Vortrag von Dieter Przygode „Am Anfang war das Essen sehr knapp…“, 13.01.2005, VHS Bramsche vgl. Sowjetische Kriegsgefangene im Dritten Reich und deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion – ein Vergleich, http://www1.ku-eichstaett.de/ZIMOS/Netzwerk/Chavkin.htm vgl. Bramscher Nachrichten, „Zu Hause hieß es, sie hätten „für Hitler gearbeitet““, 21.06.2001


Für viele ehemalige Zwangsarbeiter, unabhängig ihrer Herkunft, war und ist es auch zum Teil heute noch sehr schwer, über ihre grausame und leidvolle Vergangenheit in Deutschland zu sprechen. Erst mit Gründung verschiedener Organisationen wie z.B. „MEMORIAL“, einer Institution aus Moskau, konnte das erste Schweigen gebrochen werden.64 Mit Hilfe dieser Einrichtungen wird bis heute versucht Kontakte zu ehemaligen Zwangsarbeitern zu knüpfen und Verbindungen zwischen Familien, die damals Hilfe und Unterkunft boten (s. hierzu IV.3), herzustellen.65 In Bramsche gibt es seitens der Stadtverwaltung und einiger Heimatforscher ebenfalls sehr viele Bemühungen, mehr über die einstige Geschichte der Stadt und die Schicksale der Betroffenen in Erfahrung zu bringen. Neben den regionalbezogenen Büchern und einer Vortragsreihe, liefern auch die Bramscher Nachrichten in gewissen Abständen Artikel, die das Leben in Bramsche während des Zweiten Weltkrieges schildern. Darüber hinaus erinnern zwei Denkmäler, die zu Ehren der ehemaligen Bramscher Zwangsarbeiter in Kooperation und enger Freundschaft mit der Stadt Hilversum errichtet wurden, an die schwere Zeit.66 Eines dieser Monumente befindet sich in Bramsche am Ort des ehemaligen Barackenlagers am Lutterdamm, das andere steht an dem Hilversumer Sportplatz67 (s. hierzu VII.5 Abb. 6 und 7).

VI. Schlusswort Inzwischen liegt der Zweite Weltkrieg 60 Jahre hinter uns und bildet im Unterrichtsfach Geschichte einen Themenschwerpunkt. Im Schulunterricht erscheint das Kriegsgeschehen oftmals als fern und „woanders“, doch die Realität und Unmenschlichkeit des Krieges mit all seinen Härten und Grausamkeiten machten auch vor unserer Heimat keinen Halt. Es sollte eine selbstverständliche Aufgabe sein, sich mit der heimatlichen oder auch mit der allgemeinen Geschichte im Zweiten Weltkrieg zu befassen und daran mitzuarbeiten, die schreckliche Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Jeder Einzelne ist 64 65 66 67

vgl. Bramscher Nachrichten, „Zu Hause hieß es, sie hätten „für Hitler gearbeitet““, 21.06.2001 Memorial, http://de.wikipedia.org/wiki/Memorial „Aufstehen! Kaffee holen!“ Bramscher Schriften Band 2, S. 228 ff. „Aufstehen! Kaffee holen!“ Bramscher Schriften Band 2, S. 228 ff.


gefordert, die Erinnerungen an das Geschehene wach zu halten und dafür zu sorgen, dass sich die Geschichte nicht wiederholen kann. Das könnte z.B. dadurch geschehen, dass man sich an der Demokratie beteiligt, indem man sein Wahlrecht an Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen wahrnimmt und/oder sich selber durch aktive Mitarbeit in den demokratischen Gremien in das tägliche Leben einbringt. Das trägt dazu bei, dass dem Extremismus, ganz gleich welcher Art, entgegen gewirkt und das politische Leben immer wieder durch Kompromisse neu gestaltet wird. Wenn sich darüber hinaus die Völker verständigen und sich gegenseitig in ihrer Rasse, ihrer Religion und ihrer Kultur respektieren, dann wäre ein großer Schritt getan, die Welt ein wenig friedvoller zu gestalten.


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