http://www.projekt-bramsche.de/stories/docs/zz/JovanoskiHelmkampMueller

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„Viele haben sich wohl nie richtig einheimisch hier gefühlt“ ­ Ein Bramscher erlebt den Neubeginn von Flüchtlingen und Vertriebenen aus Ostpreußen in der neuen Umgebung. „ Eigentlich kann ich da selbst zu diesem Thema nicht viel sagen, da ich selbst kein Flüchtling war und auch noch relativ jung. Ich hatte meinen zukünftigen Ehemann schon zwei Jahre vorher in dem Lazarett kennen gelernt, wo ich zu diesem Zeitpunkt arbeitete. Er war dort als Kriegsverletzter stationiert. Als die Flüchtlinge nun aus Ost­Preußen in unserer Stadt ankamen, wurde seine Familie in meinem Elternhaus untergebracht. Es war zwar nicht viel Platz da und wir hatten auch ansonsten nicht viel, aber wir versuchten, so gut es ging, zu teilen und alles Verzichtbare abzugeben. Ich weiß noch, dass die hiesige Behörde Zimmer der Häuser beschlagnahmte und dort Flüchtlinge einquartierte. Manchmal waren es nur winzige Zimmer oder Kammern, wo dann eine sechs­ oder mehrköpfige Familie untergebracht wurde. Manche der Einwohner akzeptierten die Flüchtlinge sofort und halfen ihnen auch gerne, andere jedoch protestierten, da sie die Flüchtlinge als „Eindringlinge“ ansahen. Die zuständigen Leute sammelten Geld für die Flüchtlinge, aber auch Töpfe, Teller, Besteck und ähnliches, damit diese Leute selbstständig, so gut es eben ging, leben konnten. Das verstärkte die Antipathie bei manchen Leuten noch mehr, da sie nicht einsehen wollten, dass diese Menschen sowohl das Geld als auch die anderen Utensilien mehr als dringend brauchten. Diese Leute hatten ja wirklich gar nichts mehr, die haben ja alles verloren. Auch ich bekam das ein wenig zu spüren, ich war ja mit einem Flüchtling verlobt. Ich weiß noch, dass ich einmal im Supermarkt angesprochen wurde, dass ich mich mit diesem Abschaum nicht abgeben soll und dass ich mich schnellstmöglich von meinem Verlobten trennen solle. Die Frau sagte mir: „Die ostpreußischen Flüchtlinge sollen sich bloß alle wieder in ihre Löcher verkriechen.“ Das traf mich natürlich sehr. Dennoch erzählte ich es meinem Verlobten nicht, um ihn nicht zu verletzten. Andere haben keine Wohnung oder Zimmer zugewiesen bekommen, da kein Platz mehr war. Diese Leute lebten dann in Baracken. Es war sehr schmutzig dort und es muss schlimm für diese Leute gewesen sein, so zu leben. Das zog sich schließlich über mehrere Jahre hin und diese Leute waren so was ja auch nicht gewohnt. Das waren ja ganz normale Familien. Für die Kinder war es nicht ganz so schwer sich zu integrieren, da sie auch auf die ganz normale Schule kamen und sich so mit den einheimischen Kindern anfreundeten. Aber für die Erwachsenen war es nicht so einfach. Sie mussten sich zwar nicht selbstständig eine Arbeit suchen, weil sie eine zugewiesen bekamen, aber die einheimischen Erwachsenen hatten natürlich auch mehr Vorurteile den Flüchtlingen gegenüber, als deren Kinder. So ging das dann mehrere Jahre, bestimmt drei oder vier. Erst danach fingen die ostpreußischen Flüchtlinge an, sich ein selbstständiges Leben aufzubauen. Es wurden extra große Mehrfamilienhäuserblöcke gebaut und günstig an diese Menschen vermietet und es gab für sie auch die Möglichkeit, sich niedrig­verzinstes Geld bei der Bank zu leihen, was es ihnen leichter machen sollte, zu bauen oder sich eine Existenz aufzubauen. Meine zukünftigen Schwiegereltern nahmen sich dann auch so eine Wohnung. Sie wollten nicht mehr bauen, weil sie ihrer Meinung nach zu alt für ein eigenes Haus waren. Mein Ehemann, wir hatten inzwischen geheiratet, lieh sich dann auch Geld bei der Bank und wir bauten gemeinsam das Haus, in dem ich nun immer noch wohne. Das war aber schon 1963. Daran kann man mal sehen, wie lange das dauerte, bis die Flüchtlinge sich vollständig integrierten. Allerdings ist auch das wohl nicht ganz richtig ist: Viele, so auch mein Ehemann, haben sich wohl nie wirklich einheimisch hier gefühlt. Also mein Mann war bis zu seinem Tod Ostpreuße. Er fuhr auch ab 1973 mehrmals im Jahr in seine alte Heimat. Dennoch ist keiner der Flüchtlinge wieder zurück nach Ostpreußen gegangen. Da herrschte ja schließlich


auch noch der Kommunismus. 1977 zogen meine Schwiegereltern schließlich doch wieder nach Ostpreußen, also dann Polen, um ihren Lebensabend in ihrer alten Heimat verbringen zu können. Doch es war auch für die nicht ganz einfach, da ja auch dort nun alles anders war. Sie hatten da ja auch keine Besitztümer mehr.“ Das Interview, auf dem dieser Bericht beruht, führten Merle Klein­Helmkamp, Daniela Jovanovski und Joane Müller.


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