Erlebnisse eines Schlesiers: Krieg, Besetzung, Vertreibung Kindheitserlebnisse in Schlesien Mein Name ist Gerhard Scholz und ich wohne in Bramsche. Ich wurde 1931 in Schönau in Schlesien als viertes Kind einer großen Familie geboren. Mein Vater war gelernter Schmied und hat auf einem Gut gearbeitet. Da es aber Streit mit dem Gutsherrn gab, weil mein Vater sich nicht kommandieren lassen wollte, gab er die Stelle auf und wir zogen nach Krinsch. Als mein Opa, ebenfalls ein Schmied, verstarb übernahm mein Vater als jüngster Sohn den Betrieb. Da es jedoch Streit ums Erbe gab und mein Vater die weiteren Erben nicht auszahlen konnte, musste die Schmiede verkauft werden und wir zogen erneut um. 1938 sind wir dann nach Neumarkt gezogen, wo ich auch eingeschult wurde. Mein Vater hat dort als Lokomotivfahrer gearbeitet. Über die vielen Umzüge hatte er noch das Parteihandbuch der SPD, wo er vor Hitlers Zeiten eingetreten war, behalten. Da die Partei von den Nationalsozialisten verboten wurden, hätte dieses Buch gar nicht mehr existieren dürfen. Im Nachhinein hat uns dieses Buch viel geholfen. Im November dann war die Reichspogromnacht. Ich habe die wie folgt erlebt: Ein paar Kinder haben mich gefragt, ob ich mitkommen würde zu einem Spielzeugladen eines jüdischen Besitzers. Angeblich habe die SA den Laden geschlossen und sämtliche Spielsachen auf die Straße gestellt. Aus Neugierde bin ich dann mitgegangen und tatsächlich war das ganze Spielzeug auf der Straße und wir haben uns, ohne etwas dabei zu denken, etwas mitgenommen. Ich hatte eine Trommel für meinen Bruder gefunden und für mich nahm ich ein Xylophon mit. Als ich dann nach Hause kam, wurde ich natürlich von meiner Mutter gefragt, wo ich denn das Spielzeug herhätte. Ich erzählte ihr, dass der jüdische Spielzeugladen geschlossen wurde und die SA Leute gesagt hatten, dass wir uns ruhig etwas mitnehmen könnten. Da meine Mutter im Haushalt einer jüdischen Ärztin arbeitete, kannte sie fast alle jüdischen Geschäftsleute bzw. Familien. Sie schimpfte mit mir, warum ich das denn gemacht hätte. In der Zeit hat es an mehreren Stellen in Neumarkt der Kreisstadt gebrannt. Meine Mutter bekam dann eines Tages Bescheid und musste ihre Arbeitsstelle bei der jüdischen Ärztin aufgeben. Ich erinnere mich an einige Worte. Sie sagte: „ Es ist furchtbar, was die mit den Menschen machen, aber wir können nichts dagegen machen.“ Mein Vater hat an der Autobahn gearbeitet und bekam kurze Zeit später eine Arbeitsstelle in Breslau in einer Autowerkstatt der Post. Wir sind dann 1939 nach Breslau gezogen. Unsere Wohnung war am Flughafen Kandau in einer Siedelung für Postbedienstete. Ich wurde dann in die Schule an der Frankfurter Straße umgeschult. Da wir eine sehr Kinderreiche Familie waren und mein Vater (geboren 1902) bei der Post gearbeitet hatte, wurde er vom Wehrdienst zurückgestellt. Mit 10 Jahren bin ich dann in die Hitlerjugend gekommen, in die Gruppe der Pimpfe, die Gruppe für die kleinsten Mitglieder. Jede Woche war ein Mal Dienst. Wir trafen uns und bekamen von den Führern, unseren Gruppenleitern, die neuesten Informationen über aktuelle Geschehnisse von dem Krieg und die Erfolge der Wehrmacht´. Wir redeten auch viel über die Gefangenen. Die Junkers Motorwerke hatten in Breslau ihren Sitz. Zahlreiche Flugzeugteile wurden über die Straßen geschoben. Auf dem Flugplatz wurden dann die Teile überwiegend von Fremdarbeitern zusammengebaut(Tschechen & Polen) unter der Aufsicht von Soldaten. Ich erinnere mich, dass die Fremdarbeiter verschieden gekennzeichnet waren. Die Juden hatten die bekannten gelben Sterne um den Arm. Die Polen hatten eine blauweiße Raute und
ich meine die Tschechen hatten eine einfache Armbinde, wobei ich mir nicht mehr ganz sicher bin. Gegenüber unserer Siedelung waren die Rüttgers Werke. Das gesamte Gelände war eingezäunt und es hat bestialisch gestunken. Unter diesen Verhältnissen mussten die in Gefangenschaft genommenen Russen dort arbeiten. Das Gefängnislager war mit Scheinwerfern beleuchtet und die Sperrzone begann weit vorne mit einem Stacheldrahtzaun und dem Schild: „Betreten Verboten! Schusswaffengebrauch!“ Der Garten, den wir damals hatten, war Teil eines alten Spielplatzes, der unter den Bewohnern aufgeteilt worden war. Als meine Mutter m Garten gearbeitet hatte, kamen einige Russen an den Zaun und bettelten nach Essen. Meine Mutter hat ihnen Butterbrote gemacht und hat sie ihnen unter den Zaun zugesteckt. Dabei musste sie aber sehr Acht geben, da zwischendurch auch Wachpersonal zur Kontrolle herumlief. Die Fremdarbeiter haben sich so gefreut, dass sie mir ein Krokodil gebastelt und geschenkt haben. Wir Kinder haben öfters aufgepasst, damit meine Mutter den Fremdarbeitern ungehindert Brote zustecken konnte. 1941 wurde dann die Schule geschlossen, die ich besucht habe, und als Lazarett verwendet. Wir mussten dann weiter weg zur Schule gehen. Auf dem Weg waren viele Litfasssäulen, wo die neusten Nachrichten der deutschen Wehrmacht geschrieben standen. Durch Lautsprecher hörte man Marschmusik und regelmäßig die aktuellsten Nachrichten. Der Dienst bei der Hitlerjugend hat Spaß gemacht es war sehr interessant. Jedoch wird einem erst später klar, was die uns da eigentlich erzählt haben. Die Russen wurden als Untermenschen beschrieben und behandelt. Während Franzosen und Engländer auch mal Baden durften, mussten die Russen unter schwerster Bedingung arbeiten und hatten nicht so viele Freiheiten. Uns wurde immer erzählt, dass die Russen deutsche Frauen vergewaltigen würden und ihnen die Zunge abschneiden. Allerdings muss man bedenken, dass sich die Deutschen nicht anders verhalten haben und genauso Frauen vergewaltigt haben. Meine Mutter hat mir und meinen Geschwistern immer Geld für die Straßenbahn gegeben, damit wir zur Schule kommen: Wir liefen jedoch meistens zu Fuß zur Schule. Von dem Geld haben wir uns Eis gekauft und mein kleiner Bruder hat sich immer Sauerkraut gekauft. Ich kann mich an einen Morgen erinnern, an dem wir wieder zur Schule gelaufen sind. Die Strecke lag an der Bahn. Ein Trupp Juden musste am Bahndamm arbeiten, der wahrscheinlich durch den Winter kaputt gegangen war. Ich war erschrocken, wie die Juden aussahen. Sie hatten so ausgehungerte Gesichter, wie man sie sonst nur in den Medien sieht. Der eine konnte sich kaum auf den Füßen halten, doch er sollte schneller arbeiten. Er konnte aber nicht, ich habe nur gesehen, wie er einen Schlag mit dem Gewehrkolben bekommen hat und einen Tritt. Er kullerte den ganzen Bahndamm herunter. Zu dem Zeitpunkt war ich 11 Jahre. Wir nahmen unsere Füße in die Hand und rannten so schnell weg, wie wir nur konnten. In der Schule standen wir immer sofort auf, wenn der Lehrer reinkam und grüßten ihn mit dem HitlerGruß. Danach begann der Unterricht. Mein Vater war ein jungverheirateter Mann, der nicht für die NSDAP war. Er war auf der Seite der SPD, die zu diesem Zeitpunkt jedoch verboten war. Er hat damals schon unsere Bekannten vor den Nazis gewarnt: „ Das führt uns noch in die Katastrophe!“ In dem Omnibusbetrieb, in dem mein Vater arbeitete, waren viele Fremdarbeiter, überwiegend Tschechen, die ihn auch öfter besuchten. Mein Vater war politisch sehr interessiert und hörte die BBCNachrichten auf Deutsch, die strengstens verboten waren. Er stellte das Radio immer ganz leise und setzte sich ganz nah davor, er wollte sich ein Bild über die ganze Situation machen. Es gab viel Streit mit ein paar Nachbarn, die Parteigenossen waren, bis es so eskalierte dass sie meinen Vater anzeigten. Irgendwann klingelte es an der Tür und ich machte die Tür auf. Zwei fremde Männer kamen stürmisch rein, ohne irgendwas zu sagen. Meine
Mutter stellte sie zur Rede. Sie sagten, sie wären von der Gestapo und hätten einen Durchsuchungsbefehl, weil mein Vater beschuldigt wird, gegen die Ordnung zu sein. Das Has würde seit längerem beobachtet und sie wussten von dem tschechischen Besuch. Desweiteren wurde er beschuldigt, BBC zu hören. Sie beschuldigten ihn außerdem, im Keller eine Drehbank zur Herstellung von Waffen zu haben. Unter der Chaiselongue hatte mein Vater eine Schreibmaschine und diverse Papiere. Sie prüften die Schreibmaschine und haben sämtliche Briefe gelesen. Der letzte Brief war an den Staatsanwalt in dem er sich gegen diese Vorwürfe gewehrt hatte. Mein Vater hatte eine Pistole, er war ein Waffennarr. Hätten sie diese gefunden, wäre er geliefert gewesen. Die vermeintliche Drehbank im Keller war tatsächlich ein altes Motorrad (aus dem Metall hatte mein Vater uns Kinder immer Weihnachtsgeschenke gebastelt), das abgedeckt war und die Gestapo wohl auf die falsche Fährte gebracht hatte. Die Hausdurchsuchung wurde beendet und es gab keine weiteren Folgen für meinen Vater. Anfang 1944 wurde mein Vater eingezogen und musste ins Baltikum an die Front. Mein Vater war insgeheim Kriegsgegner und wollte dies nicht machen, musste jedoch. Als einzigen Ausweg sah eine Selbstverstümmelung. Als er alleine war, hat er seinen Arm unters Rad gelegt und der Wagen fuhr drüber her. Die Kameraden haben ihn dann gefunden und ins Lazarett gebracht. Er wurde oft verhört, sagte aber immer, dass er nichts mehr wisse. Er könnte sich nur an einen feindlichen Beschuss erinnern und wäre dann vom Wagen gefallen. Erst war er in dem Lazarett in Pilow, was dann geschlossen wurde, da die Rote Armee näher heranrückte. Da er den Arzt sehr gut kannte, wurde er dann nach Breslau gebracht. Meine Brüder waren zudem Zeitpunkt schon eingezogen worden. Der älteste, Heinrich, war bei der Luftwaffe und erlitt eine Augenverletzung und lag im Lazarett. Fritz war beim Arbeitsdienst. Mein Vater war jedoch wieder zuhause. Heinrich kam dann nach Sprotten in Berlin auf den Flugplatz. Die immer häufiger werdenden Flüchtlingstrecks, die vor der Roten Armee flüchteten, wurden mit Kaffe und Essen versorgt. Bis in die Nacht mussten wir immer wieder Leute versorgen. Gescheiterte Flucht und Besetzung durch die Rote Armee Eines Morgens wollte ich zur Schule, doch über Lautsprecher wurde mitgeteilt, dass die Schule ausfällt. Die Zivilbevölkerung sollte Breslau verlassen. Mein Vater hatte den Arm ja in Gips und lag noch im Lazarett, aber er bekam von dem Stabsarzt einen Passierschein, um aus dem Lazarett rauszukommen. Da wir nicht mit dem Zug wegkamen, mussten wir uns etwas Anderes überlegen. Krinsch war nur 30 km von Breslau entfernt. Mein Vater wollte uns da alle hinbringen und suchte nach einer Mitfahrgelegenheit bei den Bauern. Am 20. Januar 1945, einem Sonntag, flohen wir aus Breslau. Wir packten Geschirr und Bettwäsche auf zwei Schlitten. Meine jüngste Schwester Elli, die schwanger war, und mein jüngster Bruder Herbert (ca. 9 Jahre) saßen auf dem einen vollbepackten Schlitten. Meine Mutter hat den einen Schlitten gezogen und ich half ihr indem ich anschob. Mein Vater und Herbert zogen den anderen. Zum Teil mussten wir Sachen wegschmeißen, weil es einfach zu schwer war. An diesem Sonntag liefen wir ungefähr 15 km zu meinem Onkel. Dort übernachteten wir eine Nacht und marschierten von da aus weiter über Feldwege nach Krinsch. Als wir dann in Krinsch ankamen, waren die meisten Bauern schon weg. Nur noch Fremdarbeiter, darunter auch Frauen, waren noch auf dem Hof, die meisten davon waren Polen und Ukrainer. Wir wohnten im Gasthaus einer Großtante meines Vaters. Weil die Russen aber Breslau mittlerweile in die Zange genommen hatten, kamen aus Krinsch nicht mehr weg.
Wir hatten keine Versorgung mehr und standen unter Beschuss der Artillerie. Mein Vater war in Zivil angezogen und lief mit seinen Gips Arm rum. Die Front kam immer Näher. Ich suchte mit meinem Vater weiter nach Essen. Auf einem Bauernhof gingen wir in den Stall dort fanden wir einen steifgefrorenen Toten mit nur einem halben Kopf, der andere Teil war weg geschlagen. wir gingen sofort nach Hause. Dort angekommen versteckte mein Vater sofort seine Uniform im Pferdestall. Kurz bevor die Russen kamen, hat meine Schwester dann ihr Kind bekommen. Als die Russen dann da waren, suchten sie nach Wertsachen. Sie nahmen eine Uhr und die Trauringe meiner Eltern mit. Meine Schwester und ihr Kind lagen im Bett. Ein Offizier guckte sofort unter die Decke, wo wir Geld und Auszeichnungen aus dem 1. Weltkrieg versteckt hatten. Am zweiten Tag kam ein Offiziersstab und nahm alles im Beschlag. Mein Vater wurde vom Offizier vernommen. Papa sagte, dass er kein Soldat sei. Er musste sogar seinen Gips abnehmen damit sie sehen, dass der Arm wirklich gebrochen war. Nun kam uns das SPD Parteibuch zugute. Mein Vater zeigte es ihnen und dies war schließlich unsere Rettung. Wir wurden nicht Russland verschleppt. Allerdings war auch die Situation in Krinsch grausam. Ich habe einige Vergewaltigungen mitbekommen müssen. Für die im Ort verbliebene Bevölkerung standen nur zwei Häuser zur Verfügung, eins im Ober und eins im Unterdorf. Das hieß, dass ca. 15 Leute in einem Zimmer wohnten. Die Offiziere schickten Wachposten, um uns zu bewachen. Mein Vater war 1945 47 Jahre alt. Er wurde vom Ortskommandanten als Bürgermeister eingesetzt. Er musste organisieren und die Stadt verschönern. Z.B. nahmen sie kleine Bäume aus dem Wald und stellten sie um die Misthaufen. Immer wieder wurde meinem Vater von den Russen gesagt: “Fritz nix Kultura“ Von der sogenannten Ortskommandantur haben wir alle verschiedene Aufgaben zugeteilt bekommen. Die Männer mussten in den Wald, um Bäume zur Verschönerung zu holen, die Frauen kümmerten sich um die Wäsche der Soldaten und machten den Haushalt. Im März musste mein Vater mit einigen älteren Bauern eine Bestandsaufnahme machen. Sie mussten genau protokollieren, was für Maschinen noch vorhanden sind und mit was die Felder im Winter bestellt worden waren (z.B. Wintergetreide). Er musste dann die Aufstellung in die 8 km entfernte Kreisstadt Neumarkt, zur Kommandantur, bringen. Meine Mutter ist mitgegangen da sie ihren Vater besuchen wollte, um zu sehen, ob er noch lebt bzw. noch dort wohnt. Als sie dann gegen Nachmittag nach Hause kam, erzählte sie uns was vorgefallen war. Als meine Eltern bei der Kommandantur angekommen waren, hat mein Vater mit Händen und Füßen probiert, den Wachposten, die kein Deutsch konnten, zu erklären, dass diese Aufstellung abgegeben werden muss. Der Soldat hat ihn an Kragen gepackt und eingesperrt. Meine Mutter durfte jedoch gehen und hat meinen Opa in dessen Haus in der Jungerstraße gesucht und dort tatsächlich gefunden. Meinen sahen wir zunächst nicht wieder Wir wohnten mit mehreren Familien im Obergeschoss. Wir schliefen auf Stroh und die Vorräte an Essen wurden geteilt, es gab nichts mehr wirklich nichts mehr. Zum Glück hatten wir noch zwei große Säcke Mehl, die mein Vater irgendwo auf einem Bauernhof gefunden hatte. Zwei Höfe weiter waren noch zwei Arbeiter, ein Deutscher in Zivil und ein Tscheche. Beide konnten Fremdsprachen, somit durften sie als Fremdarbeiter da bleiben. Sie hatten noch Vieh und haben jeden Tag gemolken. Von ihnen haben wir jeden Tag eine Kanne Milch bekommen, sodass meine Mutter Tag ein Tag aus Milchsuppe kochen konnte. Es gab wirklich nichts anderes als Milchsuppe, doch wir waren froh, überhaupt etwas zu Essen zu bekommen. Meine Schwester konnte somit ihr Kind mit verdünnter und angebundener Milch füttern. Ich war damals 12 Jahre alt und bin immer rum gelaufen, um Nahrung zu suchen. Wenig später
wurden wir von den Offizieren zum Schutz auf einen Hof geschickt, da plündernde Soldaten durch die Stadt zogen, die auch auf die Frauen einen Blick warfen. Gleich in der ersten Nacht wurden wir überfallen. Wir wohnten im oberen Geschoss mit ca. 20 Personen. Auf ein Mal hörten wir Krach im Untergeschoss und lautes Schreien und plötzlich kamen die Soldaten auch bei uns rein. Sie wollten die Frauen rauszerren auch meine Schwester. Meine Mutter stellte sich zum Schutz davor und wurde mit dem Gewehr bedroht. Eine Streife von Offizieren kam und diese brüllten ein Kommando. Daraufhin ließen die Soldaten von den Frauen ab. Damit waren die jungen Frauen, die bei uns oben wohnten, geschützt. Doch die, die im Erdgeschoss wohnten, wurden vergewaltigt und geschlagen. Zwei Ponys liefen immer in unserer Gegend herum, wir fütterten sie an und spielten und ritten. Das war die einzige Freude, die wir damals hatten. Eines Tages liefen Herbert, mein jüngster Bruder, Freunde von mir und ich auf der Chaussee. Das ist eine asphaltierte Durchgangsstraße. Dort kam uns ein Panjewagen entgegen, das war ein Pferdefuhrwerk, mit 2 Soldaten, die kein Deutsch konnten, und meinem Vater drauf. Mein Vater sagte sofort, dass wir nicht stehenbleiben sollen und dass wir so tun sollten, als ob wir ihn nicht kennen würden. Er erzählte, dass er für den Kommandanten das Auto reparieren muss. Er hatte dem Kommandanten erzählt, dass in Krinsch ein Hof wäre, wo er Ersatzteile herholen könne. Der Kommandant willigte ein, sodass mein Vater nun da war. Er sagte, dass er in Neumarkt in der katholischen Schule untergebracht sei. Die Schule lag genau neben dem Gefängnis von der GPO( der russischen Staatspolizei). Dort waren alle Männer, die gefunden worden und arbeitsfähig waren. Nach und Nach wurden sie nach Russland zum Arbeiten verschleppt. Mein Vater wurde dort auch verhört und nach seinem Beruf gefragt. Als sie fragten, ob er Autos reparieren könne, und er das bejaht hatte, durfte er belieben. Nach seinem kurzen Aufenthalt in Krinsch wussten wir wenigstens, wo mein Vater war. Kurz darauf zog der Offizierstab Richtung Breslau weiter und wir hatten keinerlei Schutz mehr. Die plündernden Soldaten zogen durch und vergewaltigten die Frauen. In dem Keller vom Nebengebäude wohnte eine Frau mit ihren Kindern. Wir hörten, wie sie vergewaltigt wurden. Nach einiger Zeit kamen sie wieder und kamen zu uns. Sie konnten kein einziges Wort Deutsch. Sie sagte die ganze Zeit nur Paninka, das russische Wort für Frau. Wir Jungs standen unten und sagten die ganze Zeit „Nichts Paninka“ Doch sie kamen trotzdem hoch. Die Frauen und Mädchen gingen auf dem Boden und versteckten sich in dem großen Taubenhaus in der Ecke. Ein Soldat ist wollte die drei Frauen jedoch aus dem Taubenhaus zerren. Meine Mutter hat angefangen mit ihnen zu schimpfen. Darauf hin fing der eine an, mit dem Revolver rumzufuchteln und drohte zu schießen. Meine Mutter sagte nur: „Du auch deine Mutter schießen?“ Da ließ er von ihr ab, weil wieder ein Kommando zu hören war. Ein russischer Soldat, der aus der Ukraine kam und Deutsch konnte, hat die zwei vertrieben. Am selben Tag bin ich zu meinem Vater nach Neumarkt gelaufen und habe ihm alles erzählt. Mein Vater hat sofort mit dem Major gesprochen, der sofort eingewilligte, dass mein Vater uns nach Neumarkt holte. Ganz in der Nähe von meinem Vater haben wir eine Wohnung bekommen, da die meisten durch die Flucht leer standen. Mein Vater arbeitete und wurde zum Glück nicht nach Russland gebracht und unsere Familie ist zusammengeblieben. Die Russen hatten das nämlich so organisiert, dass ein paar Schneider, ein Paar Schumacher etc dableiben durften, um für sie zu arbeiten. Da mein Vater arbeitete, wurden wir versorgt. Oft gab es Cappos, dass ist eine Art Kraut. Das Baby hat Milch von den Kühen, die die Russen mitgebracht hatten und hinter der GPO und dem Gericht im Garten hielten, bekommen.
Das, was in der Küche abfiel, war unsere Verpflegung, auf die wir angewiesen waren. Es war kurz vor Kriegsende, doch das wussten wir nicht, wir bekamen keine Informationen, wir hörten lediglich manchmal Bomben. Die Russen waren mit der Arbeit meines Vaters sehr gut zufrieden, sodass er eines Tages einen großen Kochschinken mitbrachte, weil keiner ihn haben wollte. Der Kochschinken war voll mit Maden. Meine Mutter hat ihn dann in Lauge gelegt, weil auf diese Weise die Maden nach oben kommen. Also hatten wir später einen schönen madenfreien Kochschinken, der super geschmeckt hat. Es war etwas sehr Besonderes, nach so langer Zeit endlich mal wieder Kochschinken zu essen. Anfang Mai haben wir eines Morgens eine Wahnsinns Schießerei gehört. Wir dachten, dass unsere Soldaten zurück kommen würden (die Deutschen). Doch nach einiger Zeit war Ruhe und ich sagte, dass ich nachgucken würde. Als Kind hatte man die besseren Möglichkeiten. Als ich rauskam, stand im Gefängnishof ein Soldat, der wie wahnsinnig in die Luft schoss. Ich konnte einige Wörter russisch und fragte ihn: „ Genosse was ist los?“ Daraufhin antwortete er mir: „Krieg zu Ende, Hitler kaputt!“ Er hat sich darüber riesig gefreut, da er hoffte bald nach Hause zu können Jetzt wusste ich, dass das so genannte Deutsche Reich am Boden lag und zerstört war, was mich auch erschüttert hat, weil keiner wusste, was nun kommt. Die Kommandantur (GPO) wurde weiter nach Westen verlegt, in den Raum Dresden, und mein Vater sollte erst mitkommen, doch wegen der Familie durften wir bleiben. Mein Vater wurde dann an der Stadtkommandantur als Autoschlosser weiterbeschäftigt und hat einen Fuhrpark übernommen. Im Sommer kamen die ersten polnischen Bürger, die dort angesiedelt worden sind, sie wurden damals aus Ostpolen vertrieben. Auch in Schlesien wurden sie eingesiedelt und kamen in die Stadt. Mein Vater musste dann 1945 im Sommer zur Erntezeit im ganzen Kreisgebiet Maschinen in Ordnung bringen und ich musste mit, um ihm zu helfen. Wir bekamen Pferd und Wagen und haben jeden Tag die Messer der Maschinen ausgetauscht. Mein Vater nahm die ein Meter langen Messer vom Bindemäher mit. Das waren Mäher die schon selber gebunden haben, und die Arbeiter mussten das nicht mehr selber machen. Für die Arbeit hat mein Vater Deputate bekommen, Lebensmittelzuteilungen. Es kamen immer mehr Polen aus dem Osten. Dort hatten sie schließlich nichts mehr, alles wurde ihnen von den Russen weggenommen. Damals haben wir unter primitiven Verhältnisse gelebt , auch Geschäfte gab es noch nicht. 1946 kamen dann immer mehr polnische Arbeiter nach Schlesien, sodass die ehemalige schlesische Bevölkerung (ca. 30 % der ursprünglichen Bevölkerung) zwangsweise ausgesiedelt und vertrieben wurde, in dem Zeitraum von 1946 1947. Die russische Kommandantur wurde aufgelöst und die Stadt kam unter polnischer Verwaltung. Als die russische Kommandantur dann abgerückt war, kam mein Vater zur polnischen Verwaltung und leitete eine Autowerkstatt. Er verdiente dann auch wieder Geld und es siedelten sich immer mehr Handwerker an. Aus Oberschlesien kamen Metzger, Bäcker etc. Mein Vater hat damals 800 Zloty verdient. Doch ein Brot z.B. kostete 6080 Slotti, sodass 800 für uns nicht viel waren. Vertreibung nach Thüringen Bis Mai 1947 mussten wir dennoch Neumarkt verlassen haben, weil mein Vater sein „Deutsch sein“ nicht aufgeben wollte. Wir mussten von einem auf den anderen Tag die Stadt verlassen und konnten nur das Gepäck mitnehmen was wir auch tragen konnten. Wir sind von
Neumarkt mit dem Zug im Viehwagon ausgereist. Meine älteste Schwester war schon 1946 freiwillig nach Deutschland gegangen, da sie sich erhoffte, ihren Mann wiederzufinden. Wir hielten auf der Fahrt plötzlich an. Aus dem Zug, in dem wir saßen, wurden plötzlich die Männer und Jungen geholt und keiner wusste, was los war. Die Befürchtungen waren enorm. Wir wurden mit einem Transporter wir in einen Wald gebracht. Erst dort erfuhren wir, was los war. Dort gab es viele Waldbrände und wir wurden zum Löschen eingesetzt. In der Nacht wurden wir zurückgebracht und der Zug durfte weiter fahren. Bei Forst sind wir dann über die Grenze nach Deutschland, n Leipzig vorbei bis nach Altenburg in Thüringen. Dort mussten wir dann den Zug verlassen und kamen in eine Entlausungsbaracke. Männer und Frauen wurden getrennt und gereinigt. Dort haben wir Verpflegung bekommen und nach ein paar Tagen ging es mit dem Zug weiter. Wir fuhren bis nach Rudolphstadt (Thüringen). Da kamen wir in ein ehemaliges Arbeitsdienstlager namens Kirchhasel. Von da aus wurden wir in verschiedene Orte und Gemeinden verteilt. Wir kamen mit einigen Heimgenossen nach Gräfenroda (Thüringen). Dort wurden wir mit allen anderen in einem Tanzsaal untergebracht und uns wurden verschiedene Wohnungen im Ort zugeteilt. Uns wurde eine sog. Dinterfäller Wohnung zugewiesen.Das Haus lag am Ortsausgang am Berghang ca. 4 km vom Ortskern entfernt. Hier sammelte ich noch einige beeindruckende Erlebnisse. Dr. Dinter, nach dem das Haus benannt wurde, war eine Nazigröße der ersten Jahre und mit Hitler befreundet gewesen. Hitler selber war zwei bis drei Mal, zur Taufe der Kinder, in Gräfenroda. Dinter selber wohnte dort aber mittlerweile nicht mehr. Das Gebäude stand leer und wurde von sogenannten Umsiedlern, wie wir es waren, bewohnt. Ich entschloss mich, da die Zeit sehr schlecht und ich inzwischen 16 Jahre alt war (1947), nicht mehr mit der Schule neu zu beginnen, sondern gleich ein Handwerk zu erlernen. Da es dort nur Gas und Holzindustrie gab, und ich damals in Schlesien 19461947 gezwungenermaßen in einer Fleischerei ausgeholfen hatte, entschloss ich mich den Beruf des Metzgers zu erlernen. So hatte ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, einerseits hatte ich einen Beruf, durch den ich satt wurde, und andererseits konnte ich meine Eltern entlasten. In der alten DDR war es sehr schwierig für uns Umsiedler richtig integriert und akzeptiert zu werden. Immerhin ging ich zur Berufsschule und hatte dort keine Schwierigkeiten, da ich in meiner Schulzeit in Breslau sehr viel gelernt hatte. Bald darauf gab es eine Währungsreform und Deutschland wurde geteilt. Wir wohnten im östlichen Teil und hatten den Wunsch, in den Westen zu gehen, da dort all unsere Verwandten waren, die eher geflüchtet sind. Ich habe meine Gesellenprüfung abgeschlossen und bin dann bei einem Besuch in Diepholz bei meiner dort lebenden Schwester geblieben und habe mir da eine Stelle als Fleischer besorgt, mit dem Ziel, meine Eltern und meine zwei jüngeren Geschwister hinterher zu holen. Doch leider ist der Versuch gescheitert. Somit blieben meine Eltern und jüngeren Geschwister in der DDR. Im März 1959 legte ich dann meine Meisterprüfung ab. Das Interview, aus dem dieser Bericht hervorging, führten und bearbeiteten Isabell Kluge, Lena Endebrock und Sabrina Tebbe.