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„Der Bauer hat einen Bernhardinerhund gegen bettelnde Flüchtlinge gekauft“ – eine Einheimische berichtet über die Situation der Flüchtlinge in der neuen Heimat Die 68­ jährige Hanna Knospe (geb. Steltenpohl) ist in einem Heuerhaus bei Hörstel, einer kleinen Bauernschaft nahe Neuenkirchen­Vörden, dem früherem Neuenkirchen Oldenburg, aufgewachsen. Heute lebt Hanna Knospe in Malgarten. Wie erlebten Sie die große Flucht der Deutschen, die aus dem Osten in das Osnabrücker Land flohen? Das war folgendermaßen: Es war im Winter, da fuhr plötzlich direkt am Wohnzimmerfenster der Bauer mit seinem Leiterwagen vorbei. Das wunderte mich, weil es ja Winter war, also fragte ich nach, was das denn solle. Meine Oma erklärte mir: „Die suchen sich Flüchtlinge aus, auf dem Bahnhof.“ ‚Aussuchen? Warum denn aussuchen?’ fragte ich mich. Aussuchen klang für mich, wie auf dem Viehmarkt, da sucht man sich das beste Pferd oder die beste Kuh aus, aber doch mit Menschen nicht. Darüber war ich ganz entsetzt, ich war damals erst fünf Jahre alt und konnte es nicht nachvollziehen. Und meine Oma meinte: „Die kommen hier gleich wieder vorbei mit den Flüchtlingen.“ Dann hab ich nur noch an der Scheibe gesessen und gewartet, bis der Leiterwagen wiederkam. Als sie dann endlich wiederkamen, sah ich die Bescherung: Mindestens 12­15 Personen auf diesem Leiterwagen. Kinder, Erwachsene, überwiegend Frauen und alle hatten ein Bündel in der Hand, sie guckten eingeschüchtert und verängstigt, ich fand das alles ganz entsetzlich. Das waren nun dann die „Flüchtlinge“. Wo wurden die Flüchtlinge hingebracht? Die wurden auf dem Bauernhof einquartiert. Die Bauern waren natürlich stinksauer darüber, weil sie zum Teil ihre beste Stube, die sie sowieso nur zu Weihnachten und Ostern benutzten, hergeben mussten für die Flüchtlinge. Darum waren die Bauern nicht gut zu sprechen auf diese Leute. Wurde es dem Bauern vorgeschrieben, eine so große Zahl an Flüchtlingen aufzunehmen? Ja, es war Pflicht. Wer Platz hatte, musste Flüchtlinge aufnehmen, das war einfach so. Unser Bauer musste drei Familien aufnehmen, aber die komplett, also auch die Großeltern und kleine Kinder, die natürlich nicht von ihrer Familie getrennt werden wollten. Eine der Familien hieß Weiher. Inwieweit sind Sie mit den Flüchtlingen in Kontakt gekommen? Ich habe mit den Kindern aus den Flüchtlingsfamilien das erste Mal Hochdeutsch gesprochen, das kannte ich ja gar nicht, wir sprachen ja nur Plattdeutsch. Es war ja auch ziemlich interessant, diese Flüchtlingskinder hatten ja schon viele interessante Sachen auf ihrem Weg gesehen, auch traurige Dinge. Was sie dann erzählt haben, ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass es so etwas überhaupt gab, ich in meiner behüteten kleinen Welt, mit Eltern und Großeltern. Ganz toll fand ich es in der Schule. Ich hatte immer Schinkenbrote mit zur Schule und die Flüchtlingskinder hatten ‚Schmalzenstulle’, wenn überhaupt. Ich habe mein Brot dann immer getauscht, gegen eine Schmalzenstulle, einerseits weil ich es noch nie gegessen hatte, andererseits mochte ich es auch gerne und ich hatte auch ein bisschen Mitleid. In der Klasse waren aber nicht nur Flüchtlingskinder, da waren auch reiche Bauernkinder, aber ich fand es schön wenn ich den Flüchtlingskindern mein Schinkenbrot geben konnte. Ein Flüchtlingsjunge aus der Nachbarschaft hieß Reiner­Rüdiger, er war ein ganz kleiner und hübscher Junge, der oft alleine war. Weil dieser Junge etwas abgemagert war, sagte Oma, er müsse jeden Mittag bei uns zu Mittag essen, damit aus dem Jungen was wird. Dann kam er auch jeden Mittag zu uns. Haben die Flüchtlinge viel über die Flucht gesprochen? Nein, kann man so nicht sagen. Die Älteren wollten gar nicht mehr darüber reden. Sie wollten das einfach vergessen, verdrängen und aus ihren Köpfen vertreiben. Sie wollten ein neues Leben anfangen


und nicht mehr über ihr altes Leben sprechen. Auch die Kinder sprachen kaum darüber, weil es für sie der Vergangenheit angehörte. Konntet Ihr den Flüchtlingen noch in anderer Weise helfen, sei es mit Gütern, Unterkunft oder seelischem Beistand? Wir konnten ja keine Flüchtlinge aufnehmen, aber was wir über hatten, zum Beispiel an Wolle, weil wir ja auch viele Schafe hatten, haben wir abgegeben, manchmal auch schon gesponnene Wolle. Wir mussten ja irgendwie helfen. Unser Bauer war sehr hartherzig und egoistisch. Er hat quer über seinen Hof ein Drahtseil gespannt und sich einen Bernadienerhund gekauft, der keine bettelnden Flüchtlinge, die oft auch aus dem Ruhrgebiet kamen, durchließ. Somit kamen die gar nicht bis zur Tür des Bauern hin, um zu betteln. Wie lebten die Flüchtlinge auf dem Bauernhof? Die Flüchtlinge haben zum Teil zu viert oder zu fünft in einem Raum gewohnt und ihn mit Decken geteilt, die auf einer Leine von der Decke hingen. So gab es einen Schlafraum und einen Wohnraum. Die Küche beschränkte sich auf einen ganz einfachen Herd und auf einen Hocker, den man aufklappen konnte. In diesem Hocker war ein kleines Waschbecken, worin man sich waschen konnte, was natürlich unheimlich praktisch war. Außerdem haben die Flüchtlinge ihre alten Gewohnheiten kaum abgelegt, an Heiligabend gab es einmal Schweinehirn und ähnliches, was wir überhaupt nicht kannten. Das war halt ein regionales Gericht, das aus dem Osten dann hierher getragen wurde.“ Wie entwickelte sich die Situation der Flüchtlinge in den folgenden Jahren? Unser Bauer hat nach zwei bis drei Jahren ein kleines Haus auf seiner Wiese bauen lassen, damit die Flüchtlinge nicht mehr in seiner guten Stube hausierten. Der Bauer wollte die Flüchtlinge ja auch nicht auf dem Hof haben. Für dieses Haus mussten die Flüchtlinge nachher auch Miete bezahlen. Das Interview führten Tim Knospe und David Budweg


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