Wir wurden alle recht freundlich von den Einheimischen empfangen ein Flüchtling aus Pommern berichtet von seiner Flucht und den Anfängen in Bramsche Willi Kalisch, geb. am 22.05.1929, war erst 15 Jahre alt, als er mit seiner Mutter, seiner Großmutter und seinem Cousin am 06.03.1945 aus Greifenhagen, welches ca. 20 km südlich von Stettin in Pommern lag, geflüchtet ist. Am Abend zuvor besuchte uns noch eine gute Bekannte, die von ihrer Arbeitsstelle in der Verwaltung des Roten Kreuzes kam. Als sie uns so friedlich beisammen sah, fragte sie sich auch sehr erstaunt, warum wir so ruhig da säßen und nicht unsere Koffer packen würden. Wir, vor allem wir Kinder haben erst mal überhaupt nichts verstanden, alle schauten sich fragend an. Dann stellte sich heraus, dass am kommenden Morgen der letzte Zug (mit Güterwagen) von hier in den Westen, also weg von der heranrückenden Roten Armee fahre. Für alle war es erst mal eine gute Nachricht, denn wir wussten, dass es zu spät sein wird ein friedvolles Leben weiterführen zu können, wenn die Russen einmarschiert sind. Doch uns packte auch die Angst und Unsicherheit. Wir stellten uns Fragen, was wir mitnehmen sollten oder ob auch Freunde und Verwandte mitkämen. Da uns auch nicht viel Zeit blieb, all die nötigen Besorgungen zu machen, packten wir nur ein paar Kartons mit Anziehsachen und Essen zusammen und warteten darauf, abreisen zu können. Dann um neun Uhr morgens kam auch tatsächlich der Zug. Doch keiner wusste, woher er kam, und erst recht nicht, wohin er fahren werde. Mitten in der Lüneburger Heide hielt er dann plötzlich und ein paar deutsche Soldaten kontrollierten die Waggons, außerdem suchten verlangten sie von den 16 bis 60 Jahre alten Männern, dass sie mit ihnen an die Front kommen. Obwohl ich erst 15 war, hatte ich Angst, mitgehen zu müssen, denn einen Ausweis oder so etwas hatte ich auch nicht und wie sollte man beweisen, dass ich noch keine 16 war. Doch alles lief nach Plan, da sich ein paar Frauen unauffällig vor mich stellten und mich somit vor den Soldaten verstecken konnten. Nach drei Tagen Fahrt kamen wir dann endlich abends am 9. März am Bramscher Bahnhof an. Wir wurden alle recht freundlich von den Einheimischen empfangen, die uns dann in das heutige Pfarrbüro des ''evangelischen Kirchenkreisamtes'' brachten, wo wir übernachten konnten und Verpflegung bekamen. Am nächsten Morgen mussten wir noch einmal zurück zum Bahnhof, wo wir jemandem zugeteilt wurden. Sogar der Bürgermeister ist gekommen, aber vielleicht nur des Formellen wegen. Wir vier wurden Bauer Schütte nach Schleptrup zugeteilt. Die Knechte luden uns auf ihren Wagen und wir waren glücklich, dass wir beisammen blieben. Dort wurden wir dann auch sehr nett empfangen, es gab keinerlei Probleme – wir wurden integriert. Klar, zunächst fiel es uns auch nicht so einfach, uns mit der fremden Umgebung zurechtzufinden, denn wir vermissten alle Greifenhagen und die dort zurückgebliebenen Erinnerungen, aber dennoch waren wir erleichtert, dass die Flucht so reibungslos verlaufen ist und wir den immer näher kommenden Russen entkommen sind. Ich habe zunächst beim Bauen gearbeitet, dann aber kam ich 1946 zu einer Straßenbaufirma. Ein Jahr später wechselte ich in eine Weberei und ab dem 01. 04. 48 arbeitete ich dann zur Rente, also insgesamt 45 Jahre, im Stahlwerk Osnabrück. Vor vier Jahren hab ich meine Heimat zum ersten Mal wieder besucht. Es hat sich viel verändert, doch ich bin froh, dass wir früher geflüchtet sind, denn dadurch konnten wir im Gegensatz zu unseren alten Freunden, die dort bleiben mussten, ein neues Leben beginnen. Das Interview, auf dem dieser Bericht beruht, führten Melanie Löwen und Anastasia Bogatow.