„Denn Gott verlässt die Seinen nicht...“ Auszüge aus den Erinnerungen von Frieda S. Es kam aber schlimmer, als ich es je geahnt hätte. Im Januar 1945 kamen die ersten Flüchtlinge zu mir. Sie erzählten von den Strapazen auf den Landstraßen und von dem Rückzug unserer Truppen. Man hoffte im Stillen doch noch auf eine Wende. Leider erfüllte sich der Wunsch nicht. Am 1. März 1945 mussten auch wir auf militärischen Befehl auf den Treck. […] Niemand von den Menschen wusste wohin. Die Männer wurden verschleppt, die Frauen mit den Kindern in Scheunen gebracht. Viele von ihnen wurden von den Russen zu ihrer Lust vergewaltigt, von denen manche an den späten Folgen sogar starben. Es wurden Frauen tot und nur mit Nachthemd bekleidet aufgefunden. (Ob diese Vorfälle mit den Russen innerhalb einer Gefangenschaft oder während der Flucht passierten, kann man den Aufzeichnungen nicht entnehmen. Es könnte auch sein, dass die Russen den Flüchtlingen gefolgt sind und ihnen aufgelauert haben) Ein polnischer Offizier riet uns zur Heimkehr. [...] Wir fuhren nur Landwege. Des Nachts schliefen wir bei den Pferden, aus Angst vor den Russen. Unterwegs sahen wir viel Verwüstung, tote Menschen und auch Vieh. [...] Je näher wir der Heimat kamen, umso schwerer wurde unser Herz, denn wir wussten ja, dass wir in ein besetztes Gebiet kamen. Wir waren am 9. März wieder daheim, aber die Schikanen fingen erst an. (Die Familie ist, nachdem sie bereits bis Dolgen (Mecklenburg Vorpommern) geflüchtet war, wieder zurück in ihren Heimatort Hundskopf (Pommern) gekehrt.) Im Laufe der Zeit wurden alle Höfe von Polen besetzt. Sie kamen aus Lagern und hassten uns Deutsche und so nahmen die Schikanen von Tag zu Tag zu. Oft kamen auch Russen ins Dorf. [...] Trotz Verbot habe ich viele Frauen in der Scheune versteckt und ihnen Essen gebracht. Es war eine böse Zeit! [...] Im Frühjahr wurde noch das Feld bestellt so gut es ging, auch wurden Kartoffeln gepflanzt. Ein paar Kühe hatte Hoppe [ein befreundeter DeutschPole] wieder vom Treck eingefangen. So hatten wir wieder Milch. Mehl wurde selbst geschrotet, so brauchten wir nicht direkt zu hungern. Auch hatte ich vor dem Treck viel Eingewecktes eingegraben, was uns nun zugute kam. Leider schmeckte das Schmalz sehr nach Erde, aber es wurde erhitzt und war besser als nichts. Ich konnte noch vielen Menschen damit helfen, denn sie hatten fast alle die Krätze und es gab keine Salbe. Dann half ich mit Schmalz aus. […] Wir Deutschen wurden immer verzweifelter und unser ganzes Sinnen richtete sich auf die Ausreise, denn wir wussten, dass es für uns kein Bleiben mehr gab! Am 7. Februar 1946 wurden sie (vier Kinder und sechs Erwachsene) ausgewiesen. Um überhaupt mit dem Zug reisen zu dürfen, mussten sie wertvolle Dinge, wie zum Beispiel Trauringe, abgeben. Zudem wurden sie im Zug von „Janek und Franek“ (vermutlich Bezeichnung für Polen) bis auf die Unterwäsche ausgeraubt. Ohne Hab und Gut marschierten sie durch das zerbombte Berlin und suchten ein amerikanisches Flüchtlingslager auf. Da der Bruder in Lintern (zwischen Ueffeln und Neuenkirchen) in Kriegsgefangenschaft auf einem Bauernhof war, baten sie um Einreise, so führte sie dann schließlich der lange Weg nach Achmer. Für die Familie, insbesondere für Frieda S., muss Gott in dieser schwierigen Zeit, die uns eigentlich eher als hoffnungslos erscheint, eine wichtige Rolle gespielt haben. Durch ihn haben sie, wie sie betonte, das Vertrauen in eine bessere Zukunft und damit ihren Lebenswillen und das Kämpfen nicht verloren. Er muss wohl auch eine Art Zufluchtsort dargestellt haben. Die Auswahl und Redaktion der Erinnerungen besorgten AnnaLena Sube und MarieCharlotte Loose.
„Sie kamen auf einem Heuwagen, zusammengepfercht wie Schweine“ ein Zeitzeugenbericht von Hanne W. aus Sögeln Ich war zehn Jahre, wir haben auf der Straße gespielt und dann kamen sie! Sie kamen auf einem Heuwagen, zusammengepfercht wie die Schweine. Das war so schrecklich, dass ich es nie wieder vergessen werde. Dieses Bild behalte ich immer im Kopf. Die Flüchtlinge wurden auf die großen Bauernhöfe verteilt; bei Wrocklage auf dem Saal gab es großes Gedränge um einen Schlafplatz. Die meisten der „großen“ Bauern waren nicht erbaut über die Situation, während sich die „kleinen“ hilfsbereit zeigten. Auf den größeren Bauernhöfen wurden die Flüchtlinge zum Teil auch als billige Arbeitskräfte ausgenutzt. Aber es gab auch andere Familien: Auf GutSögeln beispielsweise wurden die Flüchtlinge gern aufgenommen und fair behandelt. Die Gutsherren räumten bereitwillig Zimmer und beschränkten sich auf einen Saal, ein Kinderzimmer, Schlafzimmer und Küche (und Toilette). Die Flüchtlinge bekamen auch genug zu essen und Lohn, sodass sie keinen Hunger leiden mussten. Manche der Eingeborenen sahen das Kommen der Flüchtlinge positiv, indem sie ein wenig ironisch sagten: „Da kam endlich mal wieder frisches Blut!“ Zu dieser Zeit waren nämlich fast alle Einwohner miteinander verschwägert, sodass es auf kurz oder lang im Inzest geendet hätte. Doch selbstverständlich waren auch manche der Ansicht, dass es sich nicht gehöre, einen Flüchtling zum Mann oder zur Frau zu nehmen; sie wurden zwar geduldet, aber sollten unter sich bleiben: „Stand bi Stand“. Hanne W. und ihre Freunde machten keinen Unterschied zwischen Flüchtlingen und Eingeborenen, sie verbrachten Schulzeit und Freizeit gemeinsam und freundeten sich an. Sie hätten auch erst gar keinen Gedanken daran verschwendet. diese Leute anders zu behandeln. Ihre Oma selbst konnte keine Flüchtlinge aufnehmen, da das Haus in dem sie bereits mit zwei Familien wohnten, zu überfüllt war. Jedoch bekamen die Flüchtlinge, immer wenn sie darum baten, Essen. Es gab viele Bettler in dieser Zeit, Leute, von denen gedacht wurde, sie seien arm, weil sie ohne Hab und Gut hier ankamen, und denen nichts anderes übrig blieb als zu betteln, obwohl sie in ihrer Heimat sogar Gutsherren gewesen waren. Die Flüchtlinge versuchten sich ihr altes Leben wieder aufzubauen, indem sie sich ein Haus bauten, sich einrichteten und Gärten anlegten. In diesen Häusern lebten sie auch noch längere Zeit. Das Interview, auf dem dieser Bericht beruht, führten AnnaLena Sube und MarieCharlotte Loose.