http://www.projekt-bramsche.de/stories/docs/zz/NguyenSchulzendorf

Page 1

„Mit finanzieller Hilfe der Einheimischen konnten wir ein Haus bauen“ – Ein Flüchtling berichtet über seinen Neuanfang in Bramsche „Weil meinen Eltern als Umsiedlungsort Bramsche zugewiesen wurde, ließen wir uns in einem kleinen Dorf im Umland nieder. Alle Bauerhöfe dort waren schon mit anderen Flüchtlingen belegt und so mussten wir die ersten paar Tage in unserem Pferdewagen leben, der das einzige war, was uns geblieben war. Wir hatten kein Geld und so mussten wir uns aus geklauten Brettern und dem Pferdewagen eine Baracke bauen. Auch Lebensmitttel und derlei waren nicht so einfach zu bekommen: Wasser mussten wir uns von einem nahegelegenen Brunnenholen, der für uns Flüchtlinge angelegt wurde, Lebensmittel wie Kartoffeln und Brot erhielten wir, indem wir unser Pferd eintauschten. Da wir kein Beil hatten, um Bäume zu fällen, und auch die wenigen Büsche im Umkreis schnell verheizt waren, mussten wir Brennholz aus den Vorräten der Bauern klauen. Wir mussten klauen, da wir von der Bevölkerung keine Hilfe zu erwarten hatten. Diese hielten von den Flüchtlingen wenig, weil sie in uns allen am Anfang nur Diebe und Schmarotzer sahen. Davon habe ich als Kind jedoch nicht so viel mitbekommen. Aber die einheimischen Kinder behandelten mich anders als einen der ihren. Ich spielte mit den andern Kindern am Nachmittag, aber in die Schule ging ich nicht mit ihnen, denn wir hatten kein Geld, um die Schulmaterialien zu finanzieren. Nach zwei Monaten wurden wir jedoch einer reicheren Bauernfamilie zugeordnet. Sie bezahlten mir die Schulkosten und sie gaben uns immer zu essen. Als Gegenleistung musste mein Vater Holz hacken und die Felder pflügen. Meine Mutter und ich mussten die Wäsche waschen, die Kühe melken und die Hühner füttern. Wir arbeiteten so fleißig und zielstrebig, dass wir nach einem halben Jahr auch schon zusätzlichen Lohn erhielten. Die Bauernfamilie und meine Schulkameraden waren die einzigen Einheimischen, mit denen wir dauerhaften und langen Kontakt hatten. Ansonsten trafen wir uns nur mit anderen Flüchtlingsfamilien. Gemeinsam verarbeiteten wir das Erlebte und halfen denen von uns, die es geschafft hatten, genug Geld zu verdienen, um sich ein eigenes, kleines Haus zu bauen. Über die Bauernfamilie, bei der wir einquartiert waren, lernten meine Eltern mit der Zeit auch immer mehr Einheimische kennen und freundeten sich mit einigen sogar an. Mit deren finanzieller Hilfe und der Hilfe anderer Flüchtlinge, denen wir damals auch geholfen hatten, konnten wir nach einigen Monaten sogar auch ein eigenes Haus bauen. Zwar war es ein kleines Haus und wir mussten Untermieter aufnehmen, um das Geld, das uns geliehen wurde, an unsere einheimischen Bekannten zurückzahlen zu können, aber es war unser Haus und wir waren glücklich darüber. So hatten wir einen Neuanfang geschafft und Bramsche war meine neue Heimat geworden und obwohl es für meine Eltern die alte Heimat nie wirklich ersetzen konnte, wurden auch sie hier glücklich.


Das Interview, auf dem dieser Bericht beruht, führten Nam Nguyen und Thomas Schulzendorf.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.