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Herr R. aus Bersenbrück erzählt in einem Interview über seine Flucht aus Schlesien. Welche Gründe hatte die Flucht? Wir mussten am 20.01.1945 flüchten, weil dir Russen kamen. Was haben Sie an Hab und Gut mitgenommen? Wir konnten nur die nötigsten Sachen mitnehmen und Pferdewagen. Wie sind Sie überhaupt geflüchtet, zu Fuß oder mit dem Zug? Wir sind hauptsächlich zu Fuß geflüchtet und streckenweise auch mit Pferdewagen. Wie alt waren Sie zu diesem Zeitpunkt? Ich war damals fünf Jahre alt. Haben Sie damals schon verstanden, warum Sie flüchten mussten? Als es hieß, dass die Russen kommen, wurde mir erst richtig bewusst, was hier gerade passiert, weil wir unsere Heimat verlassen mussten. Ist Ihr Vater mitgekommen oder war er im Krieg? Ja, mein Vater war im Krieg und ist dort auch in Kriegsgefangenschaft genommen worden. Wie lange hat Ihr Weg insgesamt gedauert? Wir sind von 20.01.1945 bis zum Ende des Krieges geflüchtet. Wie viele Personen waren Sie? Wir waren insgesamt zu fünft. Meine Mutter, ihre Eltern und mein Großer Bruder. Wo waren Ihre Zwischenstopps während der Flucht? Wir sind von Schlesien über das Erzgebirge geflüchtet bis Chemnitz. Wir wohnten östlich der Oder­ Neiße­Grenze. Es hieß, Alles, was östlich der Oder wohnt darf wieder in die Heimat zurück, also in unserem Fall nach Schlesien. Mittlerweile waren jedoch auch dort die Amerikaner. Letztendlich wurden wir dann wieder vertrieben, diesmal von den Polen. Wir mussten erneut weg, diesmal bis nach Osnabrück. Später fuhren wir per Zug wieder nach Chemnitz zurück, weil dort mein Vater wohnte, nachdem er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wurde. Was für Probleme sind während Ihres Wegs aufgetreten? Wir wurden einmal von den Russen eingeholt und mussten deswegen immer wieder Sachen zurücklassen, damit wir schneller vorankamen. Welches Erlebnis ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben? Auf dem Weg von Schlesien nach Chemnitz ist mein Opa gestorben. Wir mussten ihn schon vorher im Bollerwagen transportieren, weil er nicht mehr richtig laufen konnte. Als wir dann zurück in Schlesien waren, ist meine Oma auch verstorben. Wie sind Sie während der Flucht an Essen gekommen? Wir mussten uns unser Essen in den Kellern, in denen wir übernachtet haben, zusammensuchen. Aber die Bevölkerung hat uns mit dem Nötigsten versorgt, sodass wir nicht verhungert sind. Wo haben Sie auf ihrer Flucht übernachtet? Übernachtet haben wir in großen Scheunen, in Kellern und in Schlosskellern von verlassenen Schlössern. Dadurch, dass wir unter ständigen Beschuss der Russen standen, konnten wir teilweise


täglich nur zwei bis drei Kilometer zurücklegen. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie schrecklich das alles war. Wie war Ihr Lebensstandard zum Zeitpunkt nach der Flucht? Wir haben bei meinem Onkel in Chemnitz gewohnt, der Pferdehändler war. Wir durften damals bei ihm über den Pferdeställen wohnen. Es waren eigentlich Wohnungen für seine Arbeiter. Dort haben wir ungefähr ein Jahr gelebt. Danach sind wir in eine andere Wohnung gezogen. Mein Vater hat als Kraftfahrer gearbeitet und damit sein Geld verdient, um seine Familie zu ernähren. Somit habe ich dort meine Kindheit verbracht und bin dort auch zur Schule gegangen.

Das Interview führten Lena Rauschenbach und Aniko Wirp.


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