Der schlaue Pate - Bemerkungen und Auszüge

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Prolog Ein Tag zwischen den Jahren … … sollte sich, aus heiterem Himmel, als letzter im Leben einer wunderschönen Frau erweisen. Sie hieß Ellen Kaiser, und in ihren letzten Minuten saß sie auf dem Beifahrersitz eines Kleinwagens neben dem Mann, mit dem sie gerade in ihrer Schrebergartenlaube geschlafen hatte. Dies geschah in Melsungen, einem hübschen Fachwerkstädtchen, romantisch gelegen im kurhessischen Bergland, etwa dreißig Kilometer südlich von Kassel. Es war ziemlich kalt gewesen, denn draußen schneite es zum zweiten Mal in diesem Winter, und der alte Ofen hatte gegen die Kälte nicht viel ausrichten können. Aber das hatten sie dann selbst geschafft. Als Ellen nach einem letzten, innigen Kuss aus dem winzigen silbergrauen Daihatsu Cuore stieg, mit dem Ewald diesmal gekommen war, damit nicht etwa jemand seinen großen Mercedes SUV erkannte, hegte sie sogar die Hoffnung, soeben ein fünftes Kind gezeugt haben zu können. Noch ein Kind, diesmal von Ewald, das wäre schön. Sie konnte seinen Samen noch in sich spüren. Der letzte Kuss hatte nach dem Whisky geschmeckt, den er idiotischerweise noch trinken musste. In dieser Nacht hatte es zum ersten Mal tatsächlich geklappt, und sie hatte sich auch alle Mühe gegeben; Potenz gehörte ebenfalls nicht zu Ewalds starken Seiten. Über dieses Wortspiel lächelte sie, als sie dem Wagen nachwinkte und die etwa fünfhundert Meter bis zu ihrem Haus in Angriff nahm. Im Schnee sahen die Fachwerkhäuser im Zentrum noch romantischer aus als sowieso schon. Halb zwei Uhr morgens, und in Melsungen war kein Mensch mehr auf den Straßen, in keinem der Fenster brannte Licht. Ellen Kaiser brauchte bloß die Mauergasse entlangzugehen und hinter der Fußgängerzone links abzubiegen, dann war es eines der ersten Häuser. Sie hoffte gerade, dass die Kinder alle im Bett wären, damit niemand merkte, wie spät sie nach Hause kam, als es passierte. Die Kinder waren alle im Bett gewesen, und weil Weihnachtsferien waren, fiel am nächsten Morgen erst gegen halb zehn auf, dass die Mama nicht zurückgekommen war. Sophie, die älteste Tochter, probierte dann noch eine Stunde ergebnislos, sie über Handy zu erreichen. Zwischendurch beratschlagte sie mit Marie, der zweiten, was zu tun sei. Nur die beiden Ältesten wussten, mit wem ihre Mutter sich getroffen hatte, denn sie kannten ihn von früher, wenn auch nur als »den Ewald aus Kassel«. Es war dann Marie, die vorschlug, in der Laube nachzusehen, weil Mama da immer hinging, wenn sie mal allein sein wollte. Bei vier Kindern herrschte im Haus ständig Trubel. Die beiden jungen Frauen schlüpften in dicke Wintersachen und aus dem Haus und stapften zu Fuß durch den bereits wieder tauenden Schnee zu einem der wenigen Schrebergärten an der Bahnlinie. Nach wenigen Minuten waren sie da. Sophie öffnete die Tür und begann sofort zu schreien, war aber geistesgegenwärtig genug,


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