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In welche Zukunft rollen die westlichen Panzer?

Die Führung des Westens braucht noch mehr Krise, um ihre Agenda durchzusetzen. Aber auch wir haben ein grossartiges window of opportunity.

Von Christoph Pfluger

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Jetzt sollen also westliche Kampfpanzer die Wende bringen – 31 Abrams aus den USA, 14 Challenger aus Grossbritannien, 14 Leoparden aus Deutschland und einige mehr aus anderen Ländern, zusammen 88 Stück.1

Betrachten wir diese neuste Wunderwaffe – nach den Javelins, den M777 Haubitzen und den HIMARS Raketenwerfern – zunächst rein quantitativ. Die rund 100 neuen westlichen Geräte machen 2,6 Prozent des ukrainischen Bestandes an Kampfpanzern zu Beginn der russischen Invasion aus. 2600 Stück waren es damals, von denen eine unbekannte Zahl zerstört wurden. 2,6 Prozent zusätzliche Feuerkraft aus Kampfpanzern – das kann nicht die Wende sein.

Noch drastischer ist der Vergleich mit den 12 400 Kampfpanzern, über die Russland Ende 2021 verfügte.2 Selbst wenn die Zahl der zerstörten und eroberten Panzer von 1661 (Oryx 3) stimmt, bleiben Russland immer noch 10’800 Stück, hundertacht mal mehr als die westliche Lieferung.

Gibt es wenigstens qualitative Vorteile? Die westlichen Geräte sind doch wesentlich besser als ihre russischen Gegenstücke – wenngleich die neusten russischen Entwicklungen in der Ukraine offenbar noch gar nicht eingesetzt wurden. Colonel Douglas Macgregor, eine der wichtigsten kritischen Stimmen aus den USA, begründet die amerikanische Zurückhaltung betreffend der Lieferung der Abrams mit der Sorge, der Panzer würde auf dem Schlachtfeld zu einer Blamage führen. Aber: Die Meinungen gehen auseinander. Also lassen wir dem Westen die behaupteten qualitativen Vorteile.

Keine Meinungsverschiedenheiten gibt es jedoch bei der Ausbildung. 22 Wochen, fast ein halbes Jahr, dauert die Ausbildung der Besatzung eines Abrams, schreibt die US ­Army selber, gemäss einer lesenswerten Analyse des Ex­US ­Marinesoldaten Brian Berletic. («US to Send Abrams Tanks to Ukraine: Will it make any Difference?».4 Einen qualitativen Unterschied machen können die westlichen Panzer also erst im Sommer, falls sie denn sofort geliefert würden.

Werden die westlichen Panzer das Kampfgebiet tatsächlich erreichen? Die Logistik ist ein Kerngebiet jeder militärischen Operation. Von der polnischen Grenze ins Kampfgebiet sind es mehr als tausend Kilometer. Sie können nur nachts und auf einem stark beschädigten Schienennetz zurückgelegt werden. Reparatur der Geräte – absolut essenziell – ist nur in Polen möglich. Oberstlt. i Gst. a.D. Ralph Bosshard beschreibt die fast unüberwindlichen logistischen Hindernisse in einer lesenswerten Analyse «Leopard­Panzer an der Grenze der Geografie».5 Bringen die westlichen Panzer wenigstens einen taktischen Vorteil? Ein einzelner Panzer ist nichts. In ein Kampfgeschehen eingreifen können sie nur als Gruppe, geführt von einem höchst komplexen elektronischen Steuersystem, in das die Panzer aus verschiedenen Ländern aber nicht passen. Ob die ukrainische Motivation diesen taktischen Nachteil wettmachen kann, wird sich weisen.

Auf operationeller Ebene sind Panzer für Offensiven gedacht. Aber kann die Ukraine überhaupt eine Offensive lancieren? Sie hat soeben in Bakhmut extrem hohe Verluste erlitten und wird die strategisch wichtige Stadt demnächst verlieren.

Zudem sind Panzer in einer Offensive nur sinnvoll, wenn sie durch Kampfflugzeuge, Artillerie und Infanterie unterstützt werden. Aber: Die ukrainische Luftwaffe ist praktisch inexistent und bei der Artillerie verfügt die Ukraine nur über ein Zehntel der Feuerkraft.

Aus dieser geschwächten Position heraus eine Offensive zu lancieren, ist ein Akt der Verzweiflung. Der Westen weiss das; deshalb hat er mit den Panzern auch so lange gezögert. Es ist nur konsequent, wenn die Ukraine jetzt auch Kampfflugzeuge fordert (die ihre Piloten nicht fliegen können).

Strategisch ist die Lieferung ein kolossaler Fehler. Das zentrale Element jeder militärischen Strategie ist die Täuschung: schwach zu erscheinen, wenn man stark ist und Stärke vorzuspielen, wenn man schwach ist. Der Westen macht das Gegenteil. Das westliche Muskelspiel ist derart dünn, dass nur sein eigenes Publikum darauf hereinfällt, ganz sicher nicht die Strategen in Moskau.

Mit dem Entscheid macht der Westen die drohende Niederlage der Ukraine zu seiner eigenen. Gleichzeitig schiebt er die unvermeidlichen Verhandlungen noch weiter in die Zukunft und schwächt seine Position so weit, dass sie einer Kapitulation gleichkommen wird.

Der Westen scheint von allen strategischen Geistern verlassen. Warum? Vielleicht hat wieder einmal die Politik über das Militär gesiegt. Immerhin erklärte der ranghöchste US ­Militär Mark Milley bereits im November, die Ukraine werde kaum in der Lage sein, von Russland annektierte Gebiete dieses Jahr zurückzuerobern. Im Klartext: Eine grössere Offensive ist unmöglich. Im Neusprech von Reuters heisst das dann, ein baldiger Sieg der Ukraine sei nicht wahrscheinlich.6

Warum begeht der Westen bewusst einen Fehler? Auf diese Frage gibt es eine naheliegende Antwort und eine bedrohliche, die vermutlich zutreffender ist.

Die naheliegende Antwort: Die Politiker können nach all den Proklamationen und Sanktionen gar nicht anders, als das Narrativ aufrechtzuerhalten und weiter Waffen in die Ukraine zu schicken, die dort Leben retten sollen. Ein Eingeständnis der Niederlage würde sie zu Verhandlungen mit Putin zwingen. Und der würde ihnen Bedingungen auferlegen, die sie augenblicklich das Amt kosten würde.

Vergessen wir nicht: Wir befinden uns in einer Phase des Krieges, in der es kein Pardon mehr gibt. Nicht nur der Westen will Russland als Macht zerstören. Auch Russland will mit dem «kollektiven Westen» nichts mehr zu tun haben. Die führenden Köpfe auf beiden Seiten haben jegliche Erwartung auf irgendwie geartete einvernehmliche Lösung verloren. Ein Ende des Krieges ist nur mit neuem Führungspersonal möglich, entweder in Russland oder im Westen.

Und jetzt zur bedrohlichen Antwort auf die Frage, warum die westliche Elite bewusst gravierende strategische Fehler begeht: Weil sie noch mehr Krise will, ja vielleicht sogar braucht.

Sie erinnern sich bestimmt, dass Klaus Schwab die Pandemie als rare window of opportunity bezeichnet hat7, um unserer Welt einen Reset zu verpassen. Er weiss also, dass die hochverschuldete Welt einen Neu­

Deutschland und Frankreich streben nach grösserer «europäischer Souveränität» und wollen die EU «als geopolitischen Akteur ... stärken». Dies geht aus einer DeutschFranzösischen Erklärung hervor, die kürzlich in Paris anlässlich der Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée­Vertrages veröffentlicht wurde.

Die Erklärung sieht weitere militärische Unterstützung für die Ukraine vor, «solange dies nötig ist», kündigt neue Aufrüstungsschritte an und sieht deutsch­französische Manöver «im Indo­Pazifik» vor.

Hintergrund sind unter anderem gravierende Rückschläge der Bundesrepublik in der Rivalität mit den Vereinigten Staaten, darunter eine zunehmende militärische Abhängigkeit sowie die drohende Deindustrialisierung durch die Abwanderung von Produktionsstandorten in die USA.

Wie der französische Publizist Emmanuel Todd urteilt, gehe es in den gegenwärtigen globalen Machtkämpfen – einem «beginnenden dritten Weltkrieg» – auch «um Deutschland». Bundeskanzler Olaf Scholz geht von der Entstehung einer «multipolaren Welt» aus; in ihr sollen sich Deutschland und die EU als militärisch schlagkräftige Mächte eine führende Stellung sichern.

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