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Neues Leben für wichtigste Wehranlage Innsbrucks
Die Schleuse Matrei, rund 20 Kilometer südlich von Innsbruck, gilt als eine der wichtigsten Wehranlagen der IKB. Sie wurde nun nach fast 120 Jahren Dauerbetrieb erneuert.
Foto: IKB/Hoch3
NEUES LEBEN FÜR DIE WOHL WICHTIGSTE WEHRANLAGE INNSBRUCKS
Nach 120 Jahren Kraftwerksbetrieb war für die Wehranlage Matrei im Tiroler Wipptal die Zeit gekommen: Betreiberin IKB schlug für sie ein neues Kapitel auf, indem sie von Spätherbst 2020 bis zum Frühling letzten Jahres einen Ersatzneubau an gleicher Stelle realisierte. Damit gelang es nicht nur, den Hochwasserschutz der Anlage zu verbessern und sie an die EU-Wasserrahmenrichtlinie hinsichtlich Restwasserabgaben anzupassen, sondern sie generell auf den Stand modernster Wasserkrafttechnik zu bringen. Die wichtigste Wehranlage der Innsbrucker Kommunalbetriebe ist damit für die nächsten Jahrzehnte gerüstet.
Sie galt als Pionierleistung ihrer Zeit: Zwischen 1901 und 1903 wurde die Wehranlage Matrei – damals „Schleuse Matrei“ genannt – im Rahmen des Baus des Kraftwerks Obere Sill realisiert. „Man kann die planerische und bauliche Leistung nicht hoch genug schätzen: Es wurde ein Stollen durch den Berg geschlagen, die genietete Druckrohrleitung gebaut, ein Krafthaus mit sechs Maschinensätzen und die Wehranlage errichtet. Und das alles in der kurzen Zeitspanne von nur drei Jahren. Heute wäre man nicht viel schneller“, sagt DI Herbert Schmid, seines Zeichens Geschäftsbereichsleiter Strom Erzeugung bei den Innsbrucker Kommunalbetrieben, kurz IKB, und merkt ergänzend an: „Zur Zeit seiner Errichtung war das Kraftwerk Obere Sill mit der Schleuse Matrei das leistungsstärkste Kraftwerk der K.u.K.-Monarchie – und eines der modernsten dazu.“
FRAGE NACH DER HOCHWASSERSICHERHEIT Doch der Zahn der Zeit hatte längst seine Spuren an der mittlerweile fast 120-jährigen Wehranlage hinterlassen. Obwohl in den 1980er Jahren einmal eine umfangreiche Revitalisierung vorgenommen worden war, entsprach die Anlage nicht mehr dem Stand der Technik. Es bestand Handlungsbedarf, wie Herbert Schmid bestätigt: „Zwar hat sich der damals eingebaute Granitstein als sehr robust gegen Abrasion erwiesen, aber wir hatten trotzdem keine 100-prozentige Gewissheit, dass die Fundamente der Wehrpfeiler noch voll belastbar waren. Es wurden Kernbohrungen durchgeführt, doch letztlich sind das doch nur Nadelstiche, die nicht alle Verbindungspunkte im Inneren abdecken“, so Herbert Schmid. Hinzu kam, dass sich durch den Klimawandel in den letzten Jahren auch die Berechnungen hinsichtlich eines 100-jährlichen Hochwassers geändert hatten, das mit dem alten Wehr nicht mehr garantiert abführbar gewesen wäre. Ein grundsätzlicher Nachteil lag aber vor allem darin, dass ein Teil des Querbauwerks neben dem bestehenden Wehrfeld als fixer Wehrrücken ausgeführt war. Auf diese Weise war nicht die gesamte Breite des Wehrbauwerks für die Hochwasserabfuhr nützbar.
Abgesehen von der Kiesgasse wurde die gesamte Wehranlage neu errichtet.
Foto: IKB/Hoch3
VORTEILE FÜR DIE ÖKOLOGIE Ein weiterer wichtiger Punkt hinsichtlich der Neukonzeptionierung der Wehranlage betraf deren ökologische Anpassung. „Uns war natürlich wichtig, dass wir die neue Anlage auch konform mit den Vorgaben des Nationalen Gewässerplans NGP2 realisieren. Daher haben wir im Vorfeld bereits proaktiv mit den Behörden das Gespräch und den Austausch gesucht, um eine Lösung zu finden, die dann auch Bestand hat. Leicht war dies nicht, da zu diesem Zeitpunkt in Tirol noch nicht so viele Projekte dieser Art durchexerziert worden waren“, erinnert sich Herbert Schmid, der aber darauf verweist, dass man letztlich einen tragbaren Kompromiss fand, der eben auch eine Erhöhung der Restwassermengen vorsah. Was eine eventuelle Fischdurchgängigkeit betraf, so bestand diesbezüglich kein Handlungsbedarf. In der Schluchtstrecke oberhalb der Wehranlage stellt eine über 2 m hohe Kaskade eine natürliche Barriere für Fische dar. Zusätzlich besteht wenige hundert Meter oberhalb der Wehranlage mit einer Schussrinne unterhalb der Brennerbahnstrecke eine kaum sanierbare Barriere. „Aus diesem Grund konnten wir auf den Bau einer Fischaufstiegshilfe verzichten. Dennoch haben wir im Rahmen der ökologischen Ausgleichsmaßnahmen zu einer Verbesserung der Migrationsmöglichkeiten für die Fische in der Sill beigetragen. Es wurden mehrere Wehrschwellen von uns rückgebaut, und wir sind maßgeblich daran beteiligt, dass nun eine durchgehende Fischpassierbarkeit im Unterlauf bis zur Sillmündung hergestellt werden kann“, so der Geschäftsbereichsleiter Strom Erzeugung der IKB.
Einheben des ersten Wehrsegments. ENGES TERMINKORSETT Grundsätzlich erfolgte die Sanierung der wichtigen Kraftwerkskomponenten in zwei Bauphasen. Nachdem 2014 ein neuer Kanal zur direkten Übernahme des Triebwassers aus dem Oberliegerkraftwerk errichtet und die nicht vom Neubau des Querbauwerkes berührten Stahlwasserbauteile erneuert wurden, folgte 2019 der Baubeschluss für Phase 2 –den Neubau der Wehranlage Matrei. „Abgesehen von der Kiesgasse, die im Wesentlichen erhalten geblieben ist, handelt es sich de facto um einen Neubau. Das betrifft den Tiefbau, die Gründung, das Tosbecken und natürlich den Stahlwasserbau“, erklärt Herbert Schmid und räumt ein, dass man bei dem Projekt baulich vor einigen Herausforderungen gestanden sei. Vor allem der Zeitplan sorgte für einiges Kopfzerbrechen: „Terminlich war unser Projekt eingezwängt zwischen dem Ende von Brückenbauarbeiten und den geplanten Revisionsarbeiten an der Oberlieger-Anlage, dem Brenner-Kraftwerk der TIWAG. Erschwerend kam hinzu, dass der Beginn der Arbeiten wegen Hochwassers verschoben werden musste. Auch Corona und Lieferkettenengpässe sorgten dafür, dass die Einhaltung des Terminplans eine echte Herausforderung wurde“, erinnert sich Herbert Schmid.
Foto: IKB/Hoch3 Foto: IKB/Hoch3 Foto:Wien Energie KRIECHHANG SORGT FÜR AUFREGUNG Eine weitere Herausforderung, mit der man nicht gerechnet hatte, bereitete der orographisch rechte Hang neben der Wehranlage. Der geriet im Laufe der Bauarbeiten geringfügig in Bewegung. Projektleiter Thomas Schmid, der für die IKB auch die Bauaufsicht innehatte, erklärt: „Das neue Bauwerk war ursprünglich nicht auf den Hangdruck berechnet. Wir haben daraufhin sämtliche tragende Bauteile und deren Verbindungen untereinander zusätzlich verstärkt und zusätzlich mehrere Betonquerriegel als Aussteifungselemente eingebaut. Mit der Hinterfüllung des Querbauwerks ist der Hang dann wieder langsam zum Stillstand gekommen.“ Es wurden zwar keine speziellen Hangsicherungsmaßnahmen erforderlich, jedoch wurden ein Hangmonitoring und zwei Inklinometerbohrungen durchgeführt, um die Bewegungen und deren Tiefe festzustellen. Obwohl der Hang nach Abschluss der Arbeiten wieder als stabil gilt, steht er weiterhin unter Beobachtung.
Eine Winterbaustelle am Grunde des Wipptals: Die Baufirma Strabag war mit Schnee und Temperaturen bis -15 Grad Celsius konfrontiert.
Foto: GMT
Über die modernen Wehrsegmente mit aufgesetzter Klappe der Firma GMT können sehr einfach Geschwemmsel, aber auch Sedimente abgeführt werden.
Generell war es keine einfache Baustelle, wie Thomas Schmid betont: Nicht nur der enge Zeitplan, auch die tiefen Temperaturen der Winterbaustelle am Grund des Wipptals von bis zu -15 Grad Celsius verlangten dem Bauteam der Firma Strabag so einiges ab. Verständlich, dass Thomas Schmid zufrieden resümieren kann, dass man allen Widrigkeiten zum Trotz im engen Zeitplan geblieben ist.
ZWEI WEHRFELDER ANSTELLE VON EINEM Vom Wasserkonsens, der nach wie vor eine maximale Einzugsmenge von 15 m3/s erlaubt, und von seinem grundlegenden Konzept unterscheidet sich die neue Wehranlage gar nicht so stark vom Altbestand. Der auffälligste und wichtigste Unterschied liegt allerdings in der Nutzung der Wehrbreite. Während der fixe Wehrrücken der alten Wehranlage die Wasserabfuhr einschnürte, weist das neue Wehrkonzepte ein zusätzliches Wehrfeld auf, sodass nun die gesamte Breite nutzbar und die heute geforderte (n-1)-Bedingung erfüllt ist. Dabei handelt es sich um eine redundanzbasierte Vorgabe, wonach auch beim etwaigen Ausfall eines Sicherheitsorgans die Funktionstüchtigkeit der Anlage weiterhin durch die anderen sichergestellt ist. Neu im Konzept ist auch das betonierte Tosbecken. Während im Altbestand der Weg des Wassers über eine Rampe in einen angeschlossenen Gumpen führte, erfolgt an der neuen Wehranlage nun ein kontrollierter Energieabbau im Unterwasser im oben genannten Tosbecken. FLEXIBILITÄT DANK NEUER WEHRSEGMENTE Zentrale Bedeutung kommt bei jeder Wehranlage natürlich der stahlwasserbaulichen Ausführung zu. Unter der fachlichen Aufsicht von Projektingenieur Günther Thurner von der IKB wurde mit dem beauftragten Partner, der Firma GMT Wintersteller aus dem Salzburger Tennengau, die neue Stahlwasserbauausrüstung realisiert. Dabei lieferte GMT nicht nur die beiden 7 m breiten Segmentschütze, sondern auch den Rechengrundschütz für die 3,5 m breite Kiesgasse und sämtliche Antriebsaggregate. Der Rechengrundschütz ist als Doppelharkenschütz ausgeführt, der einerseits als Grundablass und anderseits als Regelschütz zur Stauhaltung dient. Die wichtigsten Elemente stellen jedoch die als Segmente mit aufgesetzter Klappe ausgeführten Wehrverschlüsse dar. Durch das Öffnen des Segments am Grund wird die Abfuhr von Geschiebe ermöglicht, bei einer Öffnung der aufgesetzten Klappe kann problemlos allfälliges Geschwemmsel über die Wehranlage geführt werden. Selbstverständlich kann dies heute vollautomatisch erfolgen. Günther Thurner resümiert zufrieden: „GMT hat uns bewiesen, dass sie nicht nur qualitativ hochwertigen Stahlwasserbau liefern können, sondern dass sie auch ein Partner mit Handschlagqualität sind. Das ist in Zeiten wie diesen wichtig, wenn man ein Projekt erfolgreich umsetzen möchte.“
KNOW-HOW AUS DEM EIGENEN HAUS Was den Geschäftsbereichsleiter DI Herbert Schmid besonders stolz macht, ist der Umstand, dass die IKB bei diesem Projekt jede Menge eigenes Know-how einbringen konnte:
Technische Daten
• Gewässer: Sill n Konsenswassermenge: 15 m3/s • Wehrfelder: 3 n Breite gesamt: ca. 20 m • Stahlwasserbau: GMT • Verschlussorgane: Segmente m. Aufsatzklappe /
Doppelharkenschütz • Anzahl d. Segmente: 2 Stk. n Breite: 7.000 mm • Stauhöhe ohne Aufsatzklappe: 1.900 mm • Aufgesetzte Klappe: • Abmessungen: 5.900 mm x 1.000 mm • Stauhöhe: 2.905 mm • Gesamthub Segmente: 3.860 mm • Gewicht Segment inkl. Aufsatzklappe: 2 x 7,9 t • Doppelharkenschütz: • Breite: 3,5 m Stauhöhe: 3,75 m • Gesamthub Doppelharkenschütz: 4.500 mm • Gewicht Doppelharkenschütz: 3,7 t • Bauaufsicht: IKB • Elektro- & Leittechnik: IKB • Inbetriebnahme: Frühling 2021
Foto: IKB/Hoch3
Die neue Wehranlage ist auf 100-jährliches Hochwasser ausgelegt. Sollte eines der Wehrfelder ausfallen, bleibt die volle Funktionsfähigkeit der Wehranlage dennoch zur Gänze erhalten.
Foto: IKB/Hoch3
Offizielle Inbetriebnahme der neuen Wehranlage per Knopfdruck im Mai 2021: DI Thomas Gasser, MBA (Vorstandsdirektor IKB), Ing. Marco Rainer (Projektleiter Leittechnik IKB), Ing. Günther Thurner, MEng (Projektleiter Stahlwasserbau IKB), Ing. Thomas Schmid (Projektleiter & Bauaufsicht IKB), DI Herbert Schmid (Geschäftsbereichsleiter Strom Erzeugung IKB), Univ.Prof. a.D., Dr. Manfried Gantner (Aufsichtsratsvorsitzender IKB), DI Helmuth Müller (Vorstandsvorsitzender IKB) (v.l.)
„Zum einen konnten wir mit Günther Thurner als Projektleiter für den Stahlwasserbau und Thomas Schmid als Gesamtprojektleiter der Anlage den Überblick über die zentralen Agenden behalten. Zum anderen hat unser E-Technik-Team auch die gesamte Leittechnik realisiert. Das ist für uns doch sehr erfreulich.“ Konkret wurde die komplette Leittechnik vom Team der IKB erneuert und diese in die übergeordnete Zentralwarte eingebunden. Darüber hinaus wurde auch die gesamte SPS-Programmierung für die Wehrregelung hausintern entwickelt. Heute ist die Wehranlage komplett kameraüberwacht. Diensthabende können sich in Echtzeit zu jeder Kamera zuschalten und natürlich sämtliche relevante Parameter abrufen. WICHTIGSTE WEHRANLAGE DER IKB Rund 7,2 Millionen Euro haben die IKB in Summe in die Erneuerung investiert. Erfreulich für die Verantwortlichen der Innsbrucker Kommunalbetriebe, dass dabei eine Punktlandung im veranschlagten Kostenrahmen gelungen ist. „Wir liegen vermutlich sogar knapp darunter“, ergänzt Herbert Schmid nicht ohne Stolz. Und auch der enge Terminplan konnte perfekt eingehalten werden. Nachdem man im Spätherbst 2020 mit den Bauarbeiten begonnen hatte, konnte die neue Anlage Anfang Mai 2021 wieder den Betrieb aufnehmen. Es ist ein neues Kapitel, das die traditionsreiche Wehranlage nach 120 Jahren kontinuierlichem Betrieb nun aufschlägt. Was sich von Anfang an nicht geändert hat: Es ist und bleibt die wichtigste Wehranlage der IKB, die in Summe heute zehn Wasserkraftwerke betreibt. Von ihr wird das Wasser den größten Kraftwerken zugeführt: dem Kraftwerk Obere Sill und dem KW Ruetz – und in der letzten Stufe auch dem größten IKB-Kraftwerk, dem KW Untere Sill, bevor es letztlich im Stadtgebiet von Innsbruck wieder in die Sill mündet. Die „Schleuse Matrei“ ist heute wieder technisch und ökologisch auf dem Letztstand der Technik und bereit für alle Anforderungen der Wasserkraft in den nächsten Jahrzehnten.
Weitere Infos zur IKB und ihren Projekten auf: www.ikb.at
Foto: zek Foto: Stockinger