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Axpo nutzt Wasserüberleitung zwischen zwei Stauseen

An der Stauanlage Curnera hat die KVR AG unter der Federführung der Axpo Ende 2021 ein neues Kleinwasserkraftwerk in Betrieb genommen. Die in die bestehende Infrastruktur unter Tage integrierte Anlage wird im Regeljahr rund 10 GWh sauberen Strom aus bislang ungenutztem Energiepotential erzeugen.

Fotos: Axpo

KLEINWASSERKRAFTWERK CURNERA ERZEUGT 250 M TIEF IM BERG ÖKOSTROM

Kurz vor dem vergangenen Jahreswechsel hat die Kraftwerke Vorderrhein AG (KVR) in der Graubündner Stauanlage Curnera ein neues Kleinwasserkraftwerk in Betrieb genommen. Die in einer Schieberkammer 250 m tief im Berg errichtete Anlage nutzt das bislang ungenutzte hydroenergetische Potential einer Wasserüberleitung vom Stausee Curnera in den Stausee Nalps. Da das Kraftwerk zur Gänze in die vorhandene Infrastruktur unter Tage integriert wurde, konnte der Neubau ohne jegliche Lärm- oder Umweltbelastungen realisiert werden. Das Herzstück der Anlage, eine auf 5 m³/s Durchfluss und 2.500 kW Engpassleistung ausgelegte Francis-Spiral-Turbine, lieferte der österreichische Branchenexperte WWS Wasserkraft GmbH.

Die Kraftwerksgruppe Vorderrhein (KVR) im Kanton Graubünden besteht im Wesentlichen aus den drei Stauseen Curnera (40,8 Mio. m³ Nutzinhalt), Nalps (44,5 Mio. m³) und Santa Maria (67 Mio. m³) und den beiden Kraftwerkszentralen Sedrun und Tavanasa. In der Kavernenzentrale Sedrun wird das Triebwasser von drei Pelton-Turbinen mit einer Engpassleistung von 150 MW das erste Mal zur Stromgewinnung genutzt. Anschließend führt der Triebwasserweg weiter zur rund 23 km Luftlinie entfernten Zentrale Tavanasa. Dort turbinieren vier Pelton-Maschinen mit einer Engpassleistung von 180 MW das Wasser ein weiteres Mal, bevor dieses in den Rhein eingeleitet wird. Die Betriebsführung der Kraftwerkskaskade liegt im Zuständigkeitsbereich der Axpo, welche mit 81,5 Prozent auch den größten Anteil an der KVR hält. 10 Prozent der AG stehen im Besitz des Kantons Graubünden, die restlichen 8,5 Prozent der Anteile sind unter mehreren Konzessionsgemeinden verteilt. Im Durchschnitt erzeugt die KVR mit ihren Großkraftwerken alljährlich rund 840 GWh Ökostrom.

Für den Transport der bis zu 6 t schweren Bauteile zum Zugangsstollen wurde eine temporäre Materialseilbahn aufgestellt.

STROM GEWINNEN STATT ENERGIE VERNICHTEN

Der Anstoß zur Integration einer zusätzlichen Kleinwasserkraftanlage in das bestehende System der KVR gehe auf eine vor sechs Jahren angestellte Potentialstudie zurück, berichtet André Schluep, Axpo-Projektleiter Maschinenbautechnik: „Seit dem Bau der Kraftwerksanlage wurde das Wasser vom höher gelegenen Stausee Curnera in den Stausee Nalps durch einen 3.680 m langen Druckstollen über eine Druckminderungseinrichtung geleitet. 2016 wurde ein Konzept ausgearbeitet, bei dem das bislang ungenutzte Energiepotential durch den Bau eines Kleinwasserkraftwerks in der Schieberkammer, in der sich der Druckminderer befindet, genutzt werden sollte.“ Richtig in Fahrt kam das Projekt rund drei Jahre später. 2019 wurde die Zusage zur Gewährung des geförderten Schweizer Ökostromtarifs „Kostendeckende Einspeisevergütung“ (KEV) für eine Periode von 15 Jahren erteilt, womit die Wirtschaftlichkeit

Die Zufahrtsstraße ins Projektgebiet knapp 2.000 m ü. M. musste ab Mitte Mai 2021 von einer bis zu 8 m hohen Schneedecke befreit werden.

des Projekts gewährleistet war. Im Anschluss an die vertiefende Projektausarbeitung und das Ausschreibungsverfahren konnte die Umsetzung schließlich im Sommer des Vorjahres in Angriff genommen werden.

HERAUSFORDERNDE LOGISTIK

André Schluep merkt an, dass die Projektdurchführung an eine ganze Reihe von herausfordernden Randbedingungen geknüpft war: „Wegen der Höhenlage knapp unter 2.000 m ü. M. konnte das Projekt wegen der enormen Schneemengen im Winter und der damit einhergehenden Lawinengefahr nur in einem begrenzten Zeitfenster durchgeführt werden. Die grundlegende Schwierigkeit bestand allerdings im Transport der bis zu annähernd 6 t schweren Einzelteile an ihren Bestimmungsort. Der einzig mögliche Zugangspunkt zum Einbringen des Equipments war ein zur Schieberkammer führender Fensterstollen, der aber nicht mit einer Zufahrtsstraße erschlossen ist.“ Um den Stolleneingang zu erreichen, wurde eine temporäre, 250 m lange Materialseilbahn aufgestellt, mit der die Höhendifferenz von 130 m überbrückt wurde. Das Einbringen der mehrere Tonnen schweren Bauteile wie Generator-Rotor bzw. Stator, der Transformator oder die Turbinen-Spirale vom Stollenfenster zur Schieberkammer erfolgte mit einem elektrisch betriebenen Schlepper und einem Transportwagen. „Dieser komplizierte Zugang mit Materialseilbahn, engem Stollen und minimalen Zwischenlagerflächen bedurfte einer gut vorbereiteten Logistik mit definierter Anlieferreihenfolge und genau terminierten Lieferzeitpunkten“, so der Projektleiter. In der Schieberkammer 250 m tief im Berg mit äußerst begrenzten Platzverhältnissen wurde der Maschinensatz auf der in Fließrichtung gesehen rechten Seite an den Flansch einer Druckminderungsdüse angeschlossen. Bei der Positionierung der Turbine musste sichergestellt werden, dass die Zugänglichkeiten für Revisionsarbeiten am Druckminderer, der Drosselklappe und der Maschinengruppe gegeben sind. Die zweite Düse des Druckminderers blieb weiterhin erhalten, für den Fall einer Störung der neuen Maschinengruppe bzw. für allfällige Wartungs- und Servicearbeiten. Mit der Räumung der Zufahrtsstraße von der bis zu 8 m hohen Schneedecke hatte das Projekt Mitte Mai des Vorjahres aufgrund der Schnee- und Lawinensituation einen schwierigen Start. In der Schieberkammer konnten die Arbeiten mit der Demontage der Druckminderungsdüse im Juni beginnen. Danach ging es mit schwerem Gerät an den Ausbruch des alten Betonfundaments, das im Anschluss für die neue Maschinengruppe und das bestehende Hosenrohr wieder neu aufgebaut werden musste.

Hochbetrieb in der zu einer Kraftwerkszentrale umfunktionierten Schieberkammer kurz vor der Erstinbetriebnahme Ende November des Vorjahres.

OBERÖSTERREICHER LIEFERN HERZSTÜCK

Die durchgetaktete Anlieferung und Montage der hydromechanischen Bauteile in die baulich entsprechend adaptierte Schieberkammer konnte Mitte Juli beginnen. Den Zuschlag zur Lieferung des Herzstücks der neuen Anlage, eine Francis-Spiral-Turbine mit einem direkt gekoppelten Generator, konnte sich im Rahmen der Ausschreibung die WWS Wasserkraft GmbH aus Österreich sichern. Der in Oberösterreich in der Nähe von Linz ansässige Wasserkraftallrounder gilt international als zuverlässiger Branchenexperte und kann rund um den Globus auf eine ganze Reihe von erfolgreichen Projekten verweisen. Bereits vor fünf Jahren hatte WWS für die KVR in der Zentrale des Kraftwerks Sedrun die Eigenbedarfsversorgung erneuert. Die finale Auslegung der Turbine wurde in Zusammenarbeit mit dem Institut für hydraulische Strömungsmaschinen an der Technischen Universität Graz ermittelt. Konzipiert wurde die vertikal-

Technische Daten

• Ausbauwassermenge: 5 m³/s • Fallhöhenbereich: ca. 40 – 75 m • Turbine: Francis-Spiral • Turbinenwelle: vertikal • Regelung: hydraulisch • Drehzahl: 750 U/min • Engpassleistung: 2.500 kW • Hersteller: WWS Wasserkraft GmbH • Generator: Synchron • Drehzahl: 750 U/min • Spannung: 900 V • Nennscheinleistung: 2500 kVA • Hersteller: Hitzinger • Jahresarbeit: ca. 10 GWh/a

achsige Maschine für eine Ausbauwassermenge von 5 m³/s und einen Fallhöhenbereich von 40 – 75 m, womit das strömungshydraulisch optimierte Kraftpaket eine Engpassleistung von 2.500 kW erreicht. Das Francis-Laufrad mit einem Durchmesser von 780 mm treibt den direkt gekoppelten Synchron-Generator vom Hersteller Hitzinger mit exakt 750 U/min an. Der luftgekühlte Energiewandler erreicht eine Spannung von 900 V und wurde auf eine Nennscheinleistung von 2,5 MVA ausgelegt. Zur Ableitung des erzeugten Stroms konnte eine bestehende Energieanbindung der Stauanlage verwendet werden. Die Anbindung an die zentrale Steuerung der KVR erfolgte durch einen vorhandenen Netzwerkanschluss in der Schieberkammer. Für die Programmierung der Steuerung sorgte als Sub-Auftragnehmer von WWS die Schweizer Rittmeyer AG. Komplettiert wurde die neue Kleinwasserkraftanlage durch die Mittelspannungsschaltanlage und einen Transformator. Die Verkabelung des elektrotechnischen Equipments wurde von Axpo-Technikern in Eigenregie durchgeführt.

10 GWH ÖKOSTROM JÄHRLICH

Im Anschluss an die finalen Installationsarbeiten konnte der neue Maschinensatz Ende November 2021 erstmals angedreht werden, noch vor dem Jahreswechsel ging die Anlage in den Regelbetrieb über. „Bis auf die starken Schneefälle im Frühsommer, die uns Kopfzerbrechen bereiteten, ging das Projekt reibungslos über die Bühne. Abgesehen davon konnten sämtliche Projektschritte und Termine auf den Tag genau eingehalten werden. Zu verdanken ist dies in erster Linie dem Team der Axpo und den beteiligten Unternehmen, die allesamt sehr gute Arbeit geleistet haben“, resümiert André Schluep. In Summe investierte die KVR rund 3 Millionen CHF in das Vorzeigeprojekt, dessen Umsetzung keinerlei negativen ökologischen Auswirkungen auf die Umwelt mit sich brachte. Im Regeljahr wird die KVR mit ihrem neuesten Kleinwasserkraftwerk rund 10 Mio. kWh Ökostrom erzeugen. „Die Investition in das Kleinwasserkraftwerk Curnera bekräftigt das Engagement von Axpo für die Erneuerbaren in der Schweiz“, sagt Jörg Huwyler, Divisionsleiter Hydroenergie und Biomasse bei Axpo. „Im wirtschaftlich anspruchsvollen Umfeld der Schweizer Wasserkraft, helfen Projekte wie dieses, den stockenden Ausbau voran zu bringen – allerdings ist das Potenzial für solche Anlagen begrenzt.“

Die international renommierte WWS Wasserkraft GmbH aus Österreich lieferte den Maschinensatz der Anlage. Bei einem Fallhöhenbereich zwischen 40 und 75 m und 5 m³/s Ausbauwassermenge erreicht die Francis-Spiral-Turbine im Volllastbetrieb eine Engpassleistung von 2.500 kW.

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