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Ohne intelligente Netze wird es nicht gehen!

Der rasante Ausbau der erneuerbaren Energien und der wachsende Markt an Elektroautos bringt gravierende Herausforderungen für unsere Stromnetze mit sich. Eine Transformation von passiven hin zu digitalen, intelligenten Netzen ist als Folge darauf längst im Gange. Mit welchen Herausforderungen man dabei konfrontiert ist und worauf die Forschung aktuell abzielt, erläutert DI Roland Zoll, zuständig für die Netzplanung Strom und Telekommunikation im Bereich Smart Grid bei Wiener Netze, in einem ausführlichen Interview mit zek HYDRO. Zoll betreibt seine Forschungen im Rahmen der Aspern Smart City Research (ASCR), einem gemeinschaftlichen Forschungsunternehmen von Wien Energie, Wiener Netze, Siemens und zwei weiteren Partnern.

Die Stromnetze der Zukunft werden intelligent: Mit Elektromobilität, mit Hightech-Rechenzentren und nicht zuletzt mit dem starken Ausbau erneuerbarer Energien kommen Herausforderungen auf die Netzbetreiber zu, die mit den alten, passiven Stromnetzen nicht mehr zu bewältigen sein werden.

DI Roland Zoll forscht am ASCR in Sachen Smart Grids. Er ist überzeugt, dass an intelligenten Netzen in Zukunft kein Weg vorbeiführt.

Foto: Pixabay

zek: Herr Zoll, warum brauchen wir überhaupt smarte Netze, sind die alten nicht mehr gut genug? Zoll: Der wesentlichste Grund liegt darin, dass sich auch unser Energie-Umfeld ändert, das smart ist – und dazu volatil. Als Verteilnetzbetreiber müssen wir unseren Kunden zu jeder Zeit sicher und zuverlässig Strom zur Verfügung stellen können. Durch den Umstand, dass sich die Abnehmer zunehmend volatil verhalten, müssen wir uns anpassen. Und dafür braucht es intelligente Netze. zek: Was sehen Sie als die großen Herausforderungen dabei? Zoll: Die E-Mobilität im großen Stil steht vor der Tür, ebenso die Herausforderungen, die mit den neuen Energiegemeinschaften, die das EAG möglich macht, einhergehen. Und natürlich können Verteilnetzbetreiber ihre Infrastruktur nicht innerhalb von zwei Jahren erneuern, oder so schnell anpassen, wie der Markt in eine Richtung ausschlägt. Wir brauchen also die Lösungen nicht morgen, sondern heute schon. Wir können nicht nur reagieren, sondern müssen proaktiv in eine strategische Netzplanung hineingehen. Man darf dabei ja nicht vergessen, dass das Ausbringen von Betriebsmitteln zum Teil sehr träge ist. Man denke an die langen Lieferzeiten für Kabel und anderes Zubehör oder etwa die rechtlichen Rahmenbedingungen für Grabungsarbeiten. Daher müssen wir wissen, wann und wo wir welche Leistung benötigen – und nicht im Nachhinein reagieren. zek: Wie stark spielen denn hier die erneuerbaren Energien hinein? Zoll: Die spielen natürlich sehr stark hinein: Wenn die Menschen am Abend heimkommen, kochen, ihren PC und ihr TV einschalten, steigt der Verbrauch. Aber häufig ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr so viel Grünstrom verfügbar, um den Bedarf komplett decken zu können. Daher ist es so wichtig, einen gewissen Zeitversatz zu schaffen. Es geht immer um die Frage: Wann wird Energie erzeugt und wann wird sie benötigt? zek: Wird die wachsende Elektromobilität unsere Netze an ihre Grenzen bringen? Zoll: Naja, ich vergleiche dies immer mit einer Autobahn. So wenig es möglich sein wird, dass wir zu jeder Haustüre eine vierspurige Autobahn bauen, so wenig wird es möglich sein, dass man eine Leitungsinfrastruktur baut, die es jedem Haushalt ermöglicht, einen Tesla gleichzeitig mit allen anderen Haushalten ans Netz zu hängen. So wird es nicht gehen. Aber mit einem intelligenten Management können wir den Kunden diesbezüglich Ängste nehmen. Denn nicht jedes E-Auto braucht zu jeder Sekunde die volle Leistung, das eine ist mehr geladen, das andere weniger, Temperaturwerte können unterschiedlich sein.

Daher ist es so wichtig, dass das Netz mit den E-Autos kommunizieren kann. zek: Was braucht es denn für ein smartes

Netz?

Zoll: Das Fundament bildet zweifellos die

Sensorik. Jeder Messsensor, der uns in der

Niederspannung die Augen öffnet, ist wichtig. Bis dato hat es noch nirgendwo in

Europa ein großflächiges Messsystem im

Niederspannungsbereich gegeben, weil der

Energiefluss ja bis dato nur unidirektional war. Lastumkehrungen hat es im Niederspannungsbereich bis etwa vor 10 Jahren noch gar nicht gegeben. zek: Wie beurteilen Sie die Entwicklung dieser Sensoren?

Zoll: Das läuft sehr gut, da es sich um

Standardsensoren handelt, die für das Monitoring benutzt werden. Sie bringen Industriestandard mit, beginnend bei weni-

Foto: ASCR

Grafik: ASCR

Die Aspern Smart City Research (ASCR) gilt europaweit als eines der größten und innovativsten Energieforschungsprojekte. Wirtschaftlich wird sie von fünf Partnern, Siemens AG Österreich (44,1 Prozent), Wien Energie GmbH (29,95 Prozent), Wiener Netze GmbH (20 Prozent), Wirtschaftsagentur Wien (4,66 Prozent) und Wien 3420 Holding GmbH (1,29 Prozent), getragen. Grundlegendes Ziel der ASCR ist es, Lösungen für die Energiezukunft im urbanen Raum zu entwickeln und das Energiesystem effizienter und klimafreundlicher zu machen. Diese konkrete Anwendungsforschung soll der Stadt Wien und ihren BewohnerInnen zu Gute kommen. Dafür sind über 100 ForscherInnen bzw. MitarbeiterInnen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Bereichen der Muttergesellschaften direkt an der ASCR-Forschung aktiv.

Die Schwerpunkte der Forschung: n Weitere intelligente Vernetzung von Gebäuden, Netzen und Märkten n Vertiefende Erforschung von Wärmeabluftnutzung auch im Sinne der Raumkühlung n Fragen des Betankens von E-Autos sowie deren mögliche Nutzung als künftige Energiespeicher

ger komplexen Smart Meter, um Messwerte zu generieren, bis hin zu High Quality Messsystemen. zek: Wie ist der Status quo der eingesetzten Software? Zoll: Im ersten Schritt haben wir ein Proof of Concept erarbeitet und versuchen nun, die relevanten Stellen und Mitarbeiter bei den Wiener Netzen dafür ins Boot zu holen, um eine möglichst bedienerfreundliche Software zu realisieren, bevor wir das Ganze dann in einer großen Skalierung ausrollen. zek: Welche rechtlichen Aspekte gibt es da zu berücksichtigen? Zoll: Natürlich ist das Thema Datenschutz allgegenwärtig. Wir bemühen uns darum, dass wir Smart Meter Daten, wie in anderen Ländern schon üblich, auch nutzen dürfen. Damit kein Missverständnis aufkommt: Uns interessiert nicht, ob Herr Meier oder Frau Müller um 8 Uhr den Kühlschrank aufgemacht hat. Uns interessieren summierte Spannungswerte und Verbrauchswerte größerer Bereiche des Netzes – keine Einzeldaten von KundInnen – um Strategien und operative Planungen im Netz umsetzen zu können. zek: Wofür setzen Sie den Digital Twin ein? Zoll: Der digitale Zwilling repräsentiert das Smart Grid Lab. Es soll eine digitale Umgebung darstellen, in der man sämtliche Komponenten austesten kann, bevor sie im Netz ausgebracht werden. Das ist aber noch in einem fortgeschrittenen Forschungsstadium. zek: Smarte Netze werden auch Speichersysteme benötigen. Welche eignen sich am besten? Zoll: Momentan geht der Trend bei den stationären Speichern vor allem in die Richtung Lithium-Eisen-Phosphat Technologie. Es gibt aber momentan 308 unterschiedliche Lithium-Technologien. Die Forschung ist hier noch nicht am Ende. Die Energieinhalte bei den Batterien verdoppeln sich nahezu alle sieben Jahre. Uns hilft heute jede Technologie, die sich anbietet, um den Zeitversatz zwischen Erzeugung und Verbrauch besser ausnützen zu können. zek: Ist das eine der zentralen Herausforderungen? Zoll: Ja, heute können wir häufig zwar die Foto:Wien Energie Energie zur Verfügung stellen, aber die Leistung nicht. Das heißt: Wir haben eher mit Leistungsspitzen ein Problem, als Leistung über eine gewisse Zeit abzugeben. Diese Spitze müssen wir kappen. Dass alle versorgt werden, davon bin ich überzeugt. Unsere Netze sind stabil. zek: Wie würden Sie kurz- bis mittelfristig Ihre Ziele definieren? Zoll: Es geht essentiell darum, dass wir uns mit der Digitalisierung, dem Monitoring und unseren Algorithmen etwas Luft verschaffen, um genug Spielraum zu haben, das Netz entsprechend verstärken zu können. Denn eines ist klar: Wir können durch Smart Grid nicht den klassischen Leitungsbau ersetzen. Nur mit Intelligenz bekomme ich nicht mehr Leistung zum Kunden. Zwar werden die Betriebsmittel effizienter genutzt, die Energie besser verteilt und kosteneffizienter gearbeitet. Aber: Wenn ein Kunde mehr Leistung braucht, braucht er auch ein dickeres Kabel und auch mehr Trafostationen und stärkere Umspannwerke. Für Verteilnetzbetreiber bedeutet das, dass der klassische Netzausbau auch in Zukunft eine zentrale Aufgabe bleiben wird. Die Wiener Netze investieren heute in den Netzausbau rund 3 Mrd. Euro, die Digitalisierung kommt da noch obendrauf. Aktuell verfügen die Wiener Netze über 46 Umspannwerke. Und es wird weiter ausgebaut. Schließlich darf man nicht vergessen, dass in Wien in den letzten Jahren jährlich rund 20.000 Wohnungen dazugekommen sind. Das macht sich bemerkbar. zek: Bringt ein intelligentes Netz auch Vorteile hinsichtlich Netzausfälle? Zoll: Durchaus, die Störungsbehebung ist ein sehr großer Vorteil. Momentan sind wir ja immer noch stark biomechanisch im Einsatz. Aber je mehr ‚Augen‘ wir im Netz haben, umso flotter können wir die Störstellen detektieren. Und ähnlich ist das bei der Prophylaxe von Netzausfällen. Mit dem Digital Twin etwa kann ein Rückschluss auf mögliche Fehler und Trends gezogen werden. Man weiß mehr über Sollbruchstellen, die vorsorglich getauscht werden können. zek: Muss man sich Sorgen machen, dass ein digitalisiertes Netz zum Angriffsziel von Hackern wird? Zoll: Die digitale Sicherheit ist ein wichtiger Punkt: Bislang waren Angriffe eher mechanischer Art. Das wird sich mit der Digitalisierung ändern. Der Betreiber einer kritischen Infrastruktur muss sich darauf einstellen. In unserer Forschung beschäftigen wir uns damit intensiv: Wir arbeiten an Sicherheitsstruktur nach dem Zwiebelprinzip. Damit soll eine sichere Grundstruktur auch ohne dem digitalen Überbau erhalten bleiben, die im Fall der Fälle immer noch einen Sockelbetrag an Energie zur Verfügung stellt, um die Grundbedürfnisse der Abnehmer zu decken. Dass nicht alle plötzlich im Finstern sitzen, sollte einmal eine Hacker-Attacke passieren. zek: Wo sehen Sie denn Europas Netze in 10 Jahren? Zoll: Ich hoffe, dass wir den Schritt in die Digitalisierung umgesetzt haben. Ich denke, das wird ein laufender Prozess, sie zu erneuern und anzupassen. Dieser Zyklus für Erneuerung wird für Netzbetreiber eine große Herausforderung, da wir bis dato gewohnt sind, dass unsere Betriebsmittel 40 Jahre oder länger halten. So funktioniert das bei der Digitalisierung nicht. Das Rad dreht sich hier sehr schnell. Ich bin aber sehr optimistisch, dass wir diese Herausforderung meistern werden. zek: Vielen Dank für das Gespräch!

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