Credo. Das Magazin für Mitarbeitende der Katholischen Kirche im Kanton Zürich

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Das Magazin für Mitarbeitende der Katholischen Kirche im Kanton Zürich

N˚2, Dezember 2021

kabel Rettungsseil für Lehrlinge Seite 4

Grosses Interview Caritas-Direktor zieht Bilanz Seite 6

Stille Nacht im Pflegheim Seite 15

Armut im reichen Zürich Wie sich Kirche konkret gegen Armut engagiert. Ab Seite 6

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Editorial

Wer ist mein Nächster?

Cristina Schiavi, Präsidentin von Caritas Zürich Foto: zVg

Am Schönsten ist doch das Weihnachtsfest, wenn die ganze Familie zusammen das Festessen teilt und alle in der warmen Stube Geschenke austauschen. Denn Weihnachten ist das Fest der Nächsten-Liebe. Aber wer ist mein Nächster? Ist es nicht auch die Migrantin, welche sich nicht traut, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, und der Working Poor? Caritas Zürich nimmt sich der Armen im Kanton Zürich an. Professionell wird in diversen Projekten das Empowerment der Armen gefördert und somit die Armut bekämpft. Max Elmiger, welcher nächstes Jahr pensioniert wird, hat 15 Jahre lang als Direktor Caritas Zürich umsichtig geleitet. Kürzlich fragte mich eine Freundin, ob eigentlich die katholische Kirche während Corona auch geholfen habe. Die Kirche finanziert im Stillen einen erheblichen Teil der Kosten von Caritas. Caritas ist ja sozusagen der weltliche Arm der katholischen Kirche. Ohne die Unterstützung der Kirche wären viele Projekte nicht durchführbar. Daher sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Ebenfalls gedankt sei den Spenderinnen und Spendern sowie den Freiwilligen, welche einen weiteren Teil der Kosten decken. Sei es durch Spenden, sei es durch unbezahlte Arbeit. Am Schönsten ist doch das Weihnachtsfest, wenn wir auch mit den Armen teilen und so unsere Verantwortung als Christinnen und Christen wahrnehmen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein frohes Fest. Cristina Schiavi

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2 Editorial

Cristina Schiavi, Caritas 3 Momentum

Weihnachtskrippe auf dem Münsterhof 4-5 Aktuell

kabel, Anlaufstelle für Lehrlinge 10-11

Pfarreien lindern Armut 12 Engagiert

Timo Rüede gegen Food Waste 13 Unsere Kirche

Jugendarbeiterin klettert hoch 14 Perspektiven

Podcast «Gott und Filterkaffee» 15 Seelen-Nahrung

Stille Nacht 16 Ausläuten

Schwestern im Rebberg Impressum credo credo erscheint vierteljährlich und geht an Mitarbeitende, Behördenmitglieder und Freiwillige der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. N˚2, Dezember 2021 www.zhkath.ch/credo credo@zhkath.ch Auflage: 3ʼ800 Expl. Gestaltung/Layout Denis Schwarz, Zürich

Herausgeberin Katholische Kirche im Kanton Zürich Kommunikationsstelle Hirschengraben 66 8001 Zürich Mail info@zhkath.ch Druck und Papier Staffel Medien AG, Zürich BalancePur: hergestellt aus 100% Recyclingfasern und mit dem Umweltlabel «Blauer Engel» zertifiziert


Momentum

Jesus wird jeden Tag neu geboren. Mitten unter uns, auch in Zürich. Foto: Manuela Matt

Adventliche Szenen im Zürich von heute entdecken. Die Künstlerin Fiona Knecht versetzt die Weihnachtsgeschichte in die moderne Stadt. Zu bestaunen ist die Krippe noch bis zum 24. Dezember auf dem Münsterhof.

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Aktuell

Zahlen & Fakten

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Standorte beraten, begleiten und unterstützen kostenlos und vertraulich

«Zum Glück haben wir viel Handlungsspielraum»

kabel, die Fachstelle rund um die Berufslehre, wirkt im Kanton Zürich seit 30 Jahren. 2022 möchte sie neu an zwei zusätzlichen Berufsschulen wirken. Interview: Aschi Rutz

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Beratungsgespräche fanden 2020 mit Lernenden, Eltern, Ausbildungsbetrieben und Lehrpersonen statt.

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Erstgespräche wurden wegen eines Lehrabbruchs geführt.

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Dossiers werden von den kabel-Stellen betreut.

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Urs Solèr leitet die ökumenische Stelle kabel seit 17 Jahren. Foto: aus dem kabel-Video zum 30-Jahr-Jubiläum

Wo drückt der Schuh in der Berufsschule am meisten? Urs Solèr: Die Verunsicherung ist gross bei Lernenden und Eltern. Eine Sorge, die wir mit den Berufsfachschulen teilen, sind die Deutschkenntnisse vieler Lernender. Vermehrt sind junge Erwachsene auch psychisch angeschlagen, und es fehlen freie Therapieplätze. Kurzum, die Fälle sind komplexer, anspruchsvoller und aufwändiger geworden. Was schätzen die Lernenden am meisten, wenn sie zu euch kommen? Wir nehmen sie in ihrer Situation sehr ernst und hören lange und gut zu. Ziel ist immer, mit ihnen zusammen eine tragfähige Lösung zu suchen. Auf was bist du und dein Team vor allem stolz? Unsere Vorgesetzten haben die Zeichen der Zeit erkannt und uns beim Arbeiten viel Spielraum gegeben. So konnten wir schnell handeln und

mit bisher vier Berufsfachschulen eine Kooperation eingehen. Sind in den nächsten Monaten weitere solche Kooperationen geplant? Ja, zwei weitere Berufsschulen möchten unser Angebot nutzen. Dafür fehlt aber momentan das Geld. Der Kanton muss dazu erst eine gesetzliche Grundlage schaffen. Aktuell versuchen wir, die Sache finanziell über Stiftungen und personell in unserem Team zu überbrücken. Welches sind künftige Herausforderungen für kabel? Wir sind daran, eine Ausbildungsbegleitung zu planen, die wir vor allem Lehrbetrieben anbieten wollen. Involviert wären der Lehrbetrieb, der oder die Lernende und kabel. Es ginge darum, Lehrverhältnisse zu unterstützen, mit der Absicht, Lehrvertragsauflösungen zu verhindern.


Aktuell

Weihnachtsgrüsse in elf Sprachen

Wir begrüssen

Wir verabschieden

Martin Filipponi stösst aus Heiligenkreuz/Österreich neu zu den Seelsorgenden im Kanton Zürich und wird ab Januar Vikar in Wädenswil.

Erich Jermann, Gemeindeleiter der Pfarrei Christkönig in Kloten, verlässt nach elf Jahren die Pfarrei und geht in den Ruhestand.

Gertrud Schuster, langjährige stellvertretende Leiterin der Fachstelle für Religionspädagogik (FARP), hat ad interim am 1. September die Leitung der FARP übernommen. Corinne Germann hat Anfang Dezember ad interim die Leitung des jenseits im Viadukt übernommen.

Rund 30% aller Katholikinnen und Katholiken im Kanton Zürich haben einen Carlos Campos ausländischen Pass und stammen aus Jose Barroso leitet seit dem den unterschiedlichsten Regionen der 1. September die portugieganzen Welt. Diesem Umstand tragen die sischsprachige Mission. Angebote der Missionen Rechnung. Björn Callensten ist zum Alle Missionen präsentieren Videos mit neuen Direktor von Caritas Weihnachtsgrüssen in ihrer Sprache. Die Zürich gewählt worden. Er Videoproduzentin Laura Jacober von tritt sein Amt am 1. Juni an. «Bless Media» reiste einen Tag durch Zürich und filmte auf der Liebesbrücke in Wir gratulieren Antonia Sakota, Vikar bei Zürich oder an der Zürcher Bahnhofstras- der kroatischsprachigen se. Das Projekt initiiert haben Don Carlo Mission in Zürich, wird ab 1. De Stasio, Bischöflicher Beauftragter für Januar Nationalkoordinator für die kroatischsprachigen Migrantenseelsorge, und Christof Eberle, Missionen der Schweiz. Bereichsleiter Migrantenseelsorge beim Synodalrat. Der kurze Film ist auf www.zhkath.ch und auf den verschiedenen Homepages der Missionen aufgeschaltet. Die Weihnachtsgrüsse sind in insgesamt elf Sprachen zu sehen und zu hören. Die Seelsorge für die 125ʼ000 ausländischen Katholikinnen und Katholiken aus 150 Nationen umfasst 26 Seelsorgeeinheiten unterschiedlicher Sprachen mit über 100 vollund teilzeitlichen Mitarbeitenden. Angebote wie Sprachunterricht, Beratung, Kinderbetreuung, Kochkurse oder gesellige Anlässe bereichern das Miteinander.

Claudio Cimaschi, seit acht Jahren Diakon und Pfarreibeauftragter in St. Antonius, Wallisellen, verabschiedete sich am 1. Adventssonntag von der Pfarrei und geht ebenfalls in den Ruhestand. Reto Häfliger leitet seit 21 Jahren die Pfarrei Dietlikon und wird Ende Jahr pensioniert. Salvatore Lavorato, Missionar der MCLI Winterthur, kehrt Ende Jahr nach Italien zurück.

«credo» braucht Ihre Mithilfe! Eine Bitte an die Kirchenpflegen und Pfarreiverantwortlichen: Wir verfügen leider nicht über alle postalischen Adressen der Mitarbeitenden in der Katholischen Kirche im Kanton Zürich, zu denen natürlich auch Organisten, Chorleiterinnen, Katechetinnen, Abwarte usw. gehören. Senden Sie uns doch bitte die Adressen Ihrer Mitarbeitenden, aber auch jener wichtigen Freiwilligen in der Pfarrei, die an «credo» interessiert sind. Kontaktadresse: credo@zhkath.ch

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Fokus: Armut im Kanton Zürich

Seit 2005 lädt Caritas-Direktor Max Elmiger zum jährlichen Armutsforum ein. Foto: zVg

Armut im Kanton Zürich Interview mit Max Elmiger Interview: Aschi Rutz und Simon Spengler

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Welche Ziele hattest du als neuer Caritas-Direktor vor 16 Jahren? Max Elmiger: Die erste Zeit habe ich vor allem aufmerksam zugehört und wusste dann instinktiv, dass Caritas Zürich noch näher an armutsbetroffene Menschen herankommen muss … … Warum reden Sozial-Profis eigentlich immer von «armutsbetroffenen Menschen», statt von «Armen», wie es Jesus gemacht hat? Max Elmiger: Jesus musste sich nicht scheren um Medien, Öffentlichkeitsarbeit und Political Correctness. Heute ist das viel komplizierter. Der Begriff «Arme» wird als statisch verstanden. «Armutsbetroffen» signalisiert einen aktuellen Stand mit Entwicklungsmöglichkeiten. Aber eigentlich ist niemand glücklich über diese Umschreibung, man spricht ja auch nicht von «Reichtumsbetroffenen». Zurück zu deinen Zielen. Welche hattest du sonst noch? Max Elmiger: Einmal die Definition von Professionalität und die damit verbundene belastete Beziehung zur Zürcher Kirche zu klären. Caritas Zürich war mit Misstrauen konfrontiert. Als Hilfswerk hatten wir einen Nachholbedarf an Professionalisierung und arbeiteten daran. Stichworte dazu sind Fundraising, Werbung und Sensibilisierung. Von pastoraler Seite und aus der Synode wurde uns «Abgehobenheit» vorgeworfen, mit unseren «Hochglanz-Prospekten» seien wir nicht mehr bei den Menschen. Hier spiegelte sich das damals vorherrschende unterschiedliche Verständnis von der Profession der Sozialen Arbeit bei der Caritas und der pfarreilichen Sozialarbeit. Letztere orientierte sich am Bild des barmherzigen Samariters, der dem Armen an der Pfarrhaustüre hilft. Es galt also, eine vertrauensvollere Zusammenarbeit zur katholischen Kirche aufzubauen. Ende Juni 2022 gehst du in Pension. Hast du deine Ziele erreicht? Max Elmiger: Ganz sicher, was das Verhältnis zu Katholisch Zürich betrifft. Mussten wir uns damals noch für jeden Franken rechtfertigen,

herrscht heute ein gegenseitiges Verständnis und Vertrauen. Wie ist heute das Verhältnis von Caritas und der pfarreilichen Sozialarbeit? Max Elmiger: Wir respektieren die unterschiedlichen Professionalitäten. Obwohl die meisten Sozialarbeitenden die gleiche Ausbildung haben, gestaltet sich die Ausrichtung in den Pfarreien etwas anders, eben pastoraler als beim Hilfswerk Caritas. Wir bei Caritas haben absolut Respekt vor der

«Armut ist nicht naturgegeben, sondern auch ein strukturelles Problem» Max Elmiger kirchlichen Arbeit und begegnen den Sozialdiensten in den Pfarreien auf Augenhöhe. Also alles bestens zwischen Caritas und Pfarreien? Max Elmiger: Um mit einem Bild zu sprechen: Während sich die Pfarreien jeder einzelnen Person als Allgemeinmediziner annehmen, handeln wir eher wie Fachärzte. Im Kanton Zürich gibt es viele Angebote von verschiedensten Anbietern im Sozialbereich. Wir spezialisieren uns auf Armutsbekämpfung und Familien. Wenn du auf der Strasse auf einen Bettler triffst, gibst du ihm was? Max Elmiger: Schwierige Frage, die den Konflikt sehr deutlich zum Ausdruck bringt. Ich gebe ehrlich gesagt

eher nichts. Denn erstens sollte bei uns niemand auf der Strasse betteln müssen, es gibt genügend Angebote für Nothilfe. Andererseits fühle ich mich als Almosengeber in eine Rolle gedrängt, in der ich mich nicht wohl fühle. Anders ist es, wenn ich einem Verkäufer oder einer Verkäuferin des Surprise-Magazins begegne. Da kaufe ich gern ein Exemplar ab oder auch mal zwei. Ganz konsequent bin ich aber nicht, manchmal geb ich dann einem Bettler doch was. Wie sieht die Bilanz bei der Armutsbekämpfung aus? Max Elmiger: Hier sind wir nicht viel weitergekommen ausser dort, wo wir uns fokussieren konnten. Wir schafften es nicht, die Armut zu halbieren, wie wir es uns im 2010 vorgenommen haben. Aufgrund unserer beschränkten Ressourcen konzentrieren wir uns auf Familienarmut und beispielsweise bei der Lehrstellensuche auf diejenigen, die am meisten Unterstützung brauchen, nämlich spät zu uns geflüchtete junge Menschen. Familien, vor allem alleinerziehende Frauen und Männer, haben das höchste Armutsrisiko. Ihnen und insofern den Ärmsten sind wir schon etwas nähergekommen. Zürich ist reicher geworden. Gibt es auch weniger Arme? Warum ist für über 100'000 Menschen im Kanton Zürich noch immer Armut Alltag? Max Elmiger: Leider überhaupt nicht. Für über 100'000 Menschen im Kanton Zürich ist Armut trauriger Alltag. Unser grosser Beitrag liegt in der Sensibilisierung für das Thema. Heute wissen alle, was Working Poor bedeutet, vor 15 Jahren war das für viele noch ein Fremdwort. Seit 2005 organisieren wir das jährliche Armutsforum, an dem wir unsere Grundlagenarbeit einem grösseren Publikum vorstellen und mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft diskutieren. Denn auch die die politische Einflussnahme gehört zum Auftrag von Caritas. Armut ist nicht naturgegeben, sondern auch ein strukturelles Problem unserer Gesellschaft. Darum beziehen wir öffentlich Stellung zu sozialpolitischen Themen.

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Fokus: Armut im Kanton Zürich Die Vorlage zur «Prämienverbilligung» vom Juni 2021 ist abgelehnt worden, die «Mindestlohninitiative» wird es schwer haben. Beide Initiativen hat Caritas mitgetragen. Bei fast allen sozial- und migrationspolitischen Abstimmungen stand Caritas auf der Verliererseite. Frustriert das nicht? Max Elmiger: Ja, die Bilanz ist leider mies. Hingegen bin ich der Überzeugung, dass wir 2014 stark mitgeholfen haben, die Kirchensteuer-Initiative der Jungfreisinnigen abzuwehren. Unsere Arbeit wird wahrgenommen und fördert die Glaubwürdigkeit des sozialen Engagements der Kirche. Wir werden uns weiterhin für eine Politik einsetzen, welche Armut vorbeugt und Betroffenen einen Weg aus der Armut ermöglicht. Vom Staat werden wir ernst genommen. Und so werden wir auch künftig zusammen mit anderen Allianzen schmieden und auf die Lebenssituation von armutsbetroffenen Familien im Kanton Zürich aufmerksam machen. Sind politische Stellungnahmen von Caritas Zürich ebenso umstritten wie jene von Kirchen? Max Elmiger: Nein, überhaupt nicht. Caritas Zürich engagiert sich seit Jahrzehnten politisch. Uns erreichen nur sehr selten negative Rückmeldungen, wenn wir klar Stellung beziehen zu sozialen Anliegen. Eigentlich erwarten die Leute das von uns.

petenzzentrum der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Wie lebt Caritas Zürich mit dem katholischen Label? Max Elmiger: Die Verflechtung mit der katholischen Kirche ist im Vorstand immer wieder ein Thema, besteht doch tatsächlich das Risiko eines Reputationsschadens. Immer wieder erschüttern Missbrauchsskandale die Kirche von neuem. Fakt ist auch, dass uns die kirchlich motivierten Spenderinnen und Spender wegsterben. Die Suche nach neuen ist ein grosser «Chrampf». Allerdings haben wir in der Bevölkerung das Image eines Hilfswerks, das sich für alle einsetzt, weil Armut jeden treffen kann. Wie stehst du zur katholischen Kirche? Max Elmiger: Die katholische Kirche bedeutet mir Heimat, Orientierung und ist auch ein Ruhepol. Die Befreiungstheologie als «Stimme der Armen» und die Soziallehre der katholischen Kirche haben mich stark geprägt, ich lebte und engagierte mich während neun Jahren in Lateinamerika. Die Kirche hat den Auftrag, diakonisch unterwegs zu sein und sich für die Schwächsten einzusetzen. Diese soziale Kraft hat mich immer wieder motiviert, in der Kirche zu bleiben.

Caritas Zürich ist ein kirchliches Hilfswerk, gilt als das soziale Kom-

Ende Juni 2022 gehst du in Pension. Was gibst du Caritas Zürich mit auf den Weg? Max Elmiger: Caritas ist sehr gut aufgestellt. Wir haben eine Geschäftsleitung, die die gleichen Werte trägt und diese auch lebt. Es ist und war immer ein Privileg für mich, für ein solches Hilfswerk zu arbeiten und sich für eine sinnvolle Sache zu engagieren. Wenn ich mir für die Mitarbeitenden etwas wünsche, ist es das: Bleibt authentisch! Armutsbekämpfung hat mit Gefühlen und Unsicherheiten zu tun und kann nicht wissenschaftlich erledigt werden. Anerkennt Grenzen und nutzt alle Räume!

Max Elmiger, 1957 in St. Gallen geboren, wirkte nach dem Theologiestudium in Freiburg i.Ue. fünf Jahre als Kaplan in Flawil/SG. Zwischen 1989-1998 arbeitete er für die Bethlehem Mission Immensee und für Interteam (heute Comundo) in

Peru. Seit dem 1. November 2005 ist er Direktor von Caritas Zürich. Max Elmiger ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder, wohnt in Bülach und ist dort Mitglied der Kirchenpflege.

Caritas Zürich hat im Herbst 2021 eine Armutskampagne lanciert. Zufrieden mit der Resonanz? Max Elmiger: Für eine eigentliche Kampagne sind unsere Ressourcen zu bescheiden. Mit unserem kleinen Budget können wir keine Stricke verreissen. Ich erachte es aber als sinnvoll, die Öffentlichkeit immer wieder für das Thema Armut zu sensibilisieren. Steter Tropfen höhlt den Stein …

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Caritas Zürich ist ein katholisches Hilfswerk und setzt sich für armutsbetroffene Familien und Benachteiligte ein, unabhängig von Nationalität und Weltanschauung.

Caritas Zürich lässt niemanden im Regen stehen: Max Elmiger mit den beiden Caritas-Mitarbeitenden Sandra Hagmann und Patrick Kaufmann (von rechts). Foto: zVg

Organisiert ist Caritas Zürich als unabhängiger Verein. Mit einem Budget von rund 11,5 Millionen Franken bieten die 80 Mitarbeitenden verschiedenste Angebote an: • Beratung und Unterstützung von Familien bei finanziellen Problemen • Mentoring für Jugendliche bei der Lehrstellensuche • Gesunde und günstige Lebensmittel für armutsbetroffene Menschen in den Caritas-Märkten • KulturLegi-Rabatt auf Angebote aus den Bereichen Kultur, Sport, Bildung und Gesundheit für Menschen mit schmalem Budget • Grundkompetenzen zu Lesen, Rechnen und IT im Stellwerk 500 • Freiwilligeneinsätze für junge Menschen sowie Angebote für Schulen, Jugendarbeit und Kirche • Beratung von Pfarreien und von Freiwilligen in der Arbeit mit Geflüchteten Finanziert wird Caritas Zürich über Spenden, Stiftungen, Legate, Beiträge der öffentlichen Hand, durch Eigenleistungen aus den Secondhand-Läden und den Caritas-Märkten sowie durch jährliche Beiträge von über 3 Millionen Franken der Katholischen Kirche im Kanton Zürich.


Mein Wunsch für Max Elmiger

Vera Kaa Sängerin

Caritas verbindet Vor vielen Jahren habe ich zum ersten Mal im Volkshaus an einer Caritas-Weihnacht gesungen. Geblieben sind mir handgestrickte Socken und eine wunderbare Erinnerung an Menschen. Menschen, die versehrt vom Leben mit Dankbarkeit und viel Freude, zusammen mit warmherzigen Helferinnen und Helfern, einfach ein paar Stunden aufgehoben, umhüllt mit Fürsorge an der Wärme Essen und Trinken sowie Zusammensein geniessen konnten. Mit so viel Zusammenhalt, ja irgendwie wahrem Weihnachtsgeist wurde ich persönlich beschenkt. Ich werde diesen Abend nie vergessen. Auch deshalb ist für mich die Arbeit der Caritas so unschätzbar wichtig. Sie verbindet, sie trägt weit über Weihnachten hinaus in jedes neue Jahr hinein. Und ich wünsche dem scheidenden und dem neuen Präsidenten, dass der Geist dieses Hilfswerks wie ein Stab weitergereicht wird. Denn die Arbeit aller, die mitwirken, ist getragen von der Seele, auch in dunkler Zeit. Danke, dass es euch gibt.

Bei der jährlich durchgeführten Caritas-Aktion «Eine Million Sterne» kann man besonderen Menschen eine Wunschkerze schenken. Dir, lieber Max Elmiger, gehört eine davon ganz speziell! Über 15 Jahre hast du dich als Direktor von Caritas Zürich für die Schwächsten unserer Gesellschaft eingesetzt. Mit deiner offenen und besonnenen Art bringst du Menschen zusammen. Du hörst zu und genau hin und förderst den Dialog. Du vernetzt und vermittelst, immer mit Humor und starken Worten. Du schaffst, dass Solidarität gelebt wird! Dafür danke ich dir, auch im Namen des Regierungsrates, von ganzem Herzen. Nun kommt ein neuer Lebensabschnitt. Mit deiner Kerze wünsche ich dir dafür Freude, Glück, Gesundheit und die Zeit und Musse, Neues zu entdecken und zu geniessen. Alles Gute, lieber Max! Ich bin überzeugt: Neben der Million Caritas-Sterne wird auch dein Wirken noch lange für all jene Menschen strahlen, die unsere Unterstützung besonders nötig haben.

Regierungsrat Mario Fehr Sicherheitsdirektor Kanton Zürich

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Fokus: Armut im Kanton Zürich

Armutsbekämpfung an der Pfarrhaustüre Ein Blick in drei Pfarreien und eine Mission

Auch bei uns in der reichen Kirchgemeinde Küsnacht-Erlenbach zeigt sich Armut, wenn auch versteckter. Und es sind mehr als nur Einzelfälle, die wenig Budget zur Verfügung haben, von existentiellen Sorgen geplagt werden oder an Einsamkeit und Depression leiden. Die klassische Passantenhilfe und bettelnde Durchreisende gibt es kaum mehr. Die Not zeigt sich gerade seit der Pandemie etwas anders als früher und heftiger. Vermehrt sind es bekannte Gesichter aus dem klassischen Pfarrei-Milieu, die sich bei uns melden. Ihre finanzielle Notlage mit Rechnungen zur Miete, zur Krankenkasse oder vom Zahnarzt schlägt hart zu Buche. Der Aufwand für Beratung, Betreuung und finanzielle Unterstützung ist grösser geworden. Den armutsbetroffenen Menschen nimmt sich in unserer Pfarrei ein Sozialarbeiter an, der zu 100% angestellt ist, die Gespräche führt und Abklärungen mit Ämtern und Institutionen macht. Die gut gefüllte Hilfskasse, welche mit Beiträgen von Kollekten, der Kirchgemeinde und der Pfarrkirchenstiftung alimentiert werden, verantworte ich – zusammen mit dem Pfarrer. Bargeld gibt es nur in Einzelfällen, manchmal Einkaufsgutscheine. Zusammen mit den armutsbetroffenen Menschen suchen wir konstruktive Lösungen. Matthias Westermann, Diakon und Gemeindeleiter der Pfarrei Küsnacht-Erlenbach

A Z Ü R M U T

Bei uns melden sich besonders viele Migrantinnen und Migranten aus Südamerika mit spanischem Pass sowie Working Poor. Diese Menschen – meist ohne Aufenthalts-

bewilligung – können ihre Rechnungen nicht bezahlen, sie sind auf der Suche nach einem Job oder einer Wohnung. Wir beraten sie, begleiten sie beim Gang zu Ämtern oder sozialen Einrichtungen, bei Vertragsabschlüssen mit Arbeitgebenden und auf der Suche nach einer Übernachtung oder Wohnung. Hilfesuchende Menschen machen wir auf Beratungsstellen und soziale Einrichtungen wie beispielsweise Infodona und Meditrina, auf die Cafés Yucca und Click oder auf die KulturLegi und Märkte von Caritas aufmerksam. Seit ein paar Jahren können wir auch ein Familienbegleitprogramm mit einer Psychologin und einer Pädagogin anbieten, welches sich speziell auch um Jugendliche kümmert. Unsere Türe ist für alle Menschen in Notlagen offen. Wir, das sind drei Sekretärinnen, die an drei Standorten in Kloten, Winterthur und Zürich ihren Auftrag wahrnehmen. Jeweils die Hälfte unserer Arbeitszeit gilt den Notfällen, obwohl wir keine ausgebildeten Sozialarbeiterinnen sind. Geht es um Geld, sind die Missionare zuständig. Maite Leiton, Sekretärin der Misiòn Catòlica de Lengua Española MCLE Canton Zúrich

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Unsere Kirchgemeinde ist vielfach die letzte Anlaufstelle und Hoffnung von Alleinstehenden und Familien. Nachdem auch wir sorgfältig bei der reformierten Gemeinde und bei Sozialämtern abgeklärt haben, können wir unbürokratisch und vor allem rasch reagieren.

Zürich-Liebfrauen ist mit ihrer «Cityfunktion» Anlaufstelle auch für Menschen, die nicht ausschliesslich in unserer Pfarrei Wohnsitz haben. Mit der Pandemie sind einige zusätzlich in Not geraten, die als Working Poor eh am finanziellen Anschlag leben. Viele gehen nicht mit Ihrer Armut hausieren, sondern fragen in ihrer Umgebung nach, ob jemand Hilfe weiss. Sie sprechen häufig in Gottesdiensten Priester an und kommen so zum Sozialdienst. Am Freitagnachmittag bediene ich abwechselnd mit dem Pfarrer die offene Sprechstunde. Unsere Hilfsangebote werden durch Spenden und die Kirchensteuer finanziert.

I C H Hilfesuchende Menschen erhalten dann Gutscheine oder wir bezahlen einmalig Rechnungen für die Krankenkasse, eine Zahnspange oder eine Brille. Es klopfen vor allem Menschen an die Pfarrhaustüre, die man im Städtchen kennt. Allerdings kommen wirklich von Armut Betroffene kaum direkt zu uns, weil sie sich für ihre Situation schämen. Hier erhalten wir Hinweise Dritter. Es geht auch nicht immer um Geld. Viele brauchen schlicht Unterstützung, wenn es um Bewerbungen, das Ausfüllen von Formularen und den Gang auf Ämter geht. Einige sind aber, gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit und verschärft durch die Coronakrise, psychisch angeschlagen. Einen eigentlichen Sozialdienst kennen wir in der Kirchgemeinde nicht. Die Kirchenpflege stellt der Pfarreileitung ein Budget zur Verfügung und diese betreut zusammen mit der Pastoralassistentin und der Pfarreisekretärin armutsbetroffene Menschen. Anna Vegliante, Kirchenpflegepräsidentin der Kirchgemeinde Affoltern am Albis

Der Sorgfalt und Verhältnismässigkeit verpflichtet, prüfen wir die Anfragen inhaltlich und auf Zuständigkeiten. Für uns stellt sich primär immer die Frage: «Was braucht der Hilfesuchende, um sich aus seiner Not zu befreien?» Entsprechend fällt unsere Unterstützung unterschiedlich aus: Hier eine rechtliche Abklärung, dort die Bezahlung einer Rechnung für eine medizinische Behandlung oder eine Monatskarte beim ZVV oder für eine begrenzte Zeit ein Notzimmer organisieren. Ich verstehe mich mehr als Herbergsleiterin denn als Samariterin und stehe mit dem Seelsorgeteam sowie kirchlichen und staatlichen Fachstellen im Austausch. Erste Ansprechperson ist immer der Pfarrer. Nicola Siemon, Sozialarbeiterin der Pfarrei Zürich-Liebfrauen Die Gespräche führte Aschi Rutz.

Wenn Beten allein nicht reicht 50 Sozialarbeitende in den 95 Pfarreien haben ein offenes Ohr für Menschen in Not und helfen konkret. Katholisch Stadt Zürich mit ihren 23 Kirchgemeinden ist Mitträgerin des Vereins Solidara (vormals Zürcher Stadtmission), der sich für benachteiligte Menschen in Zürich einsetzt. Solidara führt mit dem Café Yucca einen Ort für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen oder ohne Obdach. Zudem berät Isla Victoria mit Standorten in Winterthur und Zürich Sexarbeitende. Gassenarbeit im Zürcher Langstrassenquartier leistet seit der Coronakrise der Verein Incontro mit Schwester Ariane und Pfarrer Karl Wolf.

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Engagiert

«Dass so viel Essen in der Schweiz weggeworfen wird, regt uns Junge wirklich auf.» Timo Rüede

Timo Rüede (25), angehender Lehrer und Freiwilliger bei «Food Love» in der Pfarrei Liebfrauen, Hinwil

Jedes Gemüse und jedes Stück Obst, das nicht im Müll landet, ist ein Erfolg für den Klimaschutz. Teilweise sind die Lebensmittel ja schon einmal um die Welt geflogen. Die Lebensmittel, die wir jede Woche vom Verein «Hilfskette» bekommen und nach Hinwil bringen, sind ja nicht schlecht. Sie sind einfach zu viel. Jede Woche etwa 50 Kisten voll, vor allem mit Früchten und Gemüse: Es sind im Jahr an die 10 Tonnen Lebensmit-

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tel, die wir retten. Rund 40-50 Partien, Familien und Einzelpersonen, profitieren von den Lebensmitteln, die für rund eine Woche reichen. Die Leute sind wirklich froh und dankbar. Das Frische und das Gesunde sind ja teuer beim Einkauf. Wir sagen aber nicht, dass jemand arm ist, sondern, dass wir Lebensmittel retten. Wir wollen niemanden brüskieren. Inzwischen ist der wöchentliche Abgabeter-

min bei der katholischen Kirche Hinwil auch Treffpunkt. Die Helferinnen und Helfer bei der Abgabe und dem Sortieren sind Jugendliche, die älteren sind die Fahrerinnen und Fahrer und holen das Essen ab, das die «Hilfskette» bei den Grossverteilern einsammelt. Die Menschen, die kommen, haben einen Migrationshintergrund. So wird alles international und interkulturell. Das ist auch für die Pfarrei ein Gewinn!


Unsere Kirche

Buchtipp Carlo Petrini, Terrafutura. Petrini ist Begründer der Slow-Food-Bewegung, bis heute deren Präsident und seit 2013 regelmässig mit Papst Franziskus in Kontakt. Zum leidenschaftlichen Gedankenaustausch über Ökologie, Migration, soziale Gerechtigkeit und den Zusammenhang mit gesunder, schmackhafter und fairer Ernährung ist zwischen dem Pontifex und dem Agnostiker, dem Katholiken und Kommunisten, dem Argentinier und dem Italiener, dem Theologen und Gastronomen ein höchst aktuelles Buch entstanden. Der Agnostiker Petrini und Papst Franziskus: Gespräche zu politischen Themen, Rotpunktverlag, www.rotpunktverlag.ch

Küchentipp Pasta aus dem Kloster Hauterive Wahrhaft himmlische Pasta (mehrfach getestet!) in Bio-Qualität und nur mit regionalen Zutaten hergestellt bietet der ehemalige Schweizer-Gardist und Koch Lionel Avanthay unter dem Label «Laudato si’» an. Er und sein Team fabrizieren die bereits mehrfach ausgezeichneten Pasta-Sorten in der ehrwürdigen Zisterzienserabtei Hauterive (FR). Erhältlich auch online: https://www.laudatosi.ch/boutique/

Marina Tomanek, Jugendarbeiterin in Hausen am Albis, beim Bouldern in der Halle. Fotos: Michael Zingg

Mein Hobby

Marina Tomanek liebt Bouldern. Als frische Mutter muss sie aktuell passen. Obwohl selbst aus den Walliser Bergen, bin ich über meinen Mann aus Deutschland zum Klettern gekommen und habe dann später mit Bouldern angefangen. Der grosse Unterschied: Beim Bouldern geht es mehr um die Technik, du bist in der Regel alleine und kannst kürzere Sequenzen angehen. Beim Klettern geht es um längere Partien, um Ausdauer und einen oder mehrere vertrauensvolle Partnerinnen oder Partner. Bouldern lässt sich draussen in der Natur und drinnen in der Halle. Dabei kann ich sehr gut abschalten. Ich muss meinen eigenen Rhythmus finden und bin konzentriert auf Griffe und nächste Schritte. Momentan pausiere ich, da Ende Oktober mein Sohn Nils auf die Welt gekommen ist. Auf den langsamen Start in meiner Klettergruppe freue ich mich jetzt schon … Pflegen auch Sie ein spezielles Hobby oder kennen Sie eine Kollegin, einen Kollegen, der davon erzählen möchte? Schreiben Sie uns auf credo@zhkath.ch

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Perspektiven

«Trinken Sie noch Espresso oder geniessen Sie wieder guten, alten Filterkaffee?» Podcast «Gott und Filterkaffee»

Wie können wir als Katholische Kirche im Kanton Zürich junge Menschen erreichen, die kaum noch einen Bezug zur Institution haben und eine grosse Bereitschaft zeigen, ganz aus der Kirche auszutreten? Wir versuchen es nicht mit klassischen Plakaten, sondern möchten diese Zielgruppe während eines Jahres mit einem monatlichen Podcast ansprechen. Dieses Medium erfreut sich einer stark wachsenden Fangemeinde. Dies gilt besonders für die Altersgruppe zwischen 25 bis 40. Daher auch der Filterkaffee, der bei vielen Jungen wieder hoch im Kurs steht. Hörenswert ist er selbstverständlich auch für über 40-Jährige. Junge Menschen, die mit der Kirche nicht mehr viel am Hut haben, können sich durchaus für tiefgründige Diskussionen zu The-

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men rund um Gott, Religion, den Sinn des Lebens oder Spiritualität interessieren. Für sie ist unser Podcast konzipiert. «Gott und Filterkaffee» sowie die digitale Werbekampagne für den Podcast sind am 1. Advent mit dem Thema «Rituale» gestartet. Prominenter Gast der ersten Folge ist der Sänger und Musiker Marc Sway. Er erzählt uns von seinen Ritualen als Musiker und was das Ausziehen seiner Alltagskleider damit zu tun hat. Als Expertin ist die Philosophin und Journalistin Salomé Müller beteiligt. Sie klärt uns über die Wichtigkeit von Ritualen auf und warum ein Ritual nicht immer nur Chance, sondern auch

Gefahr und Ausschluss in einem sein kann. Die zweite Ausgabe Anfang Januar wird sich zum Jahreswechsel mit den Themen Hoffnung und Zukunft auseinandersetzen. Der Podcast wird von der erfahrenen Radiomoderatorin Susanne Giger und dem jungen Journalisten Dario Véreb moderiert. Produziert wird er vom Tonstudio Jingle Jungle. Bei der Konzeption und Umsetzung steht uns die Agentur Farner zur Seite. Über jede Unterstützung der Verbreitung des Podcasts, zum Beispiel durch einen Hinweis auf der Homepage der Kirchgemeinde oder im Newsletter der Pfarrei oder ähnliches, freuen wir uns sehr. Der neue Podcast ist hier zu hören: www.gottundfilterkaffee.ch


Seelen-Nahrung

Stille Nacht Von Susanne Altoè

Bunte Kugeln tanzen von der Decke auf dem langen Korridor. Papiersterne an den Fenstern täuschen über den Nebel hinweg, der das letzte Licht verschluckt. In der Nische steht diskret die kleine Krippe. Frau Abt* liegt schwer krank bei uns. Es sei nicht leicht, in Kontakt mit ihr zu kommen, Seelsorge wolle sie nicht. Das Mitgefühl der Pflegenden berührt mich. Die Not ist gross. Immer wieder führt mein Weg am Zimmer von Frau Abt vorbei und ich hoffe, dass mein stiller Wunsch ihr wenigstens ein Lichtlein bringe. Tür um Türchen öffnet sich am Adventskalender, da sehe ich eines Abends die Tür zum Zimmer einen Spalt weit offenstehen… Vorsichtig strecke ich den Kopf hinein: «Guten Abend, Frau Abt, ich bin von der Seelsorge, mein Büro ist gleich gegenüber. Darf ich kurz gute Nacht sagen?» Frau Abt dreht sich nicht um: «Gute Nacht.» - «Gute Nacht», sage ich, und ziehe leise weiter. Auch am nächsten Abend steht die Türe offen. Was mich wohl erwartet, wenn ich es noch einmal versuche? «Guten Abend, Frau Abt, darf ich kurz Gute Nacht sagen?» - «Ja» sagt sie. Und mit Bestimmtheit lässt Frau Abt mich wissen, dass sie mit der Kirche längst nichts mehr am Hut hat. Und mit Gott? – Abgeschlossen! Sie sei bei Exit angemeldet, der Termin sei schon gemacht. Sie weiss, dass sie dafür aus dem Spital austreten muss. «Oh», entwischt es mir, als ich den Stich in meiner Brust spüre. «Das muss ein schwerer Entscheid gewesen sein.» Wir schweigen lange. «Gute Nacht.» - «Gute Nacht.» Am dritten Abend sitze ich wortlos bei ihr. Es ist zum Ritual geworden: «Gute Nacht.» - «Gute Nacht.» Am vierten wage ich die Frage: «Ist da ein Adventslied, das Sie mögen?» «Nein», sagt sie. Ob ich für sie vielleicht mein Lieblingslied singen soll? Ihr Ja kommt unerwartet. «Maria durch ein Dornwald ging…». «Gute Nacht.» - «Gute Nacht.» «Singen Sie heute wieder?» überrascht sie mich am fünften Abend. «Gern.» «Soll ich aufhören?» frage ich, als sie zu weinen beginnt. «Nein.» Und nach dem letzten Klang presst sie heraus: «Ich gehe auch durch Dornen!» – «Ja.» Mehr weiss ich nicht zu sagen, als mich ihre Not mit Wucht trifft. Irgendwann wird sie ruhiger. «Gute Nacht.» - «Gute Nacht.» Ein Licht steht vor ihrer Tür, als ich nach Tagen wiederkomme. Frau Abt ist gestorben. Von Exit sei keine Rede mehr gewesen, doch leise Zuversicht hätte man gespürt. Es sei manchmal schon geheimnisvoll, sagt jemand. «Ja» sage ich, und lächle dankbar. Stille Nacht, Heilige Nacht. Susanne Altoè ist Seelsorgerin im Gesundheitszentrum Dielsdorf

*Name geändert

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Ausläuten

«Ich bin der Weinstock, ihr seid die Rebzweige» (Johannes 15, 1-8) Text: André Füglister, ehemaliger Synodalrat

Schwestern im Weinberg des Klosters Fahr beim Ernten der Trauben. Foto: zVg

Als Lütolf II im Jahre 1130 dem Für das Publikum sind die EiKloster Einsiedeln Land an der Limmat genprodukte im Klosterladen oder für ein Frauenkloster schenkte, gehör- Hofladen erhältlich. Im Zuge der techten Rebhänge ausdrücklich dazu; in nischen Erneuerung keltern neuerseiner Regel hatte ja schon der heili- dings beide Klöster ihre Trauben in ge Benedikt seinen Gefolgsleuten ein Einsiedeln; im Gegenzug übernimmt «Halbeli» (eine hemina) täglich zuge- der Winzer aus dem Fahr erweiterte standen. Getreulich haben die Nonnen Aufgaben als Rebmeister auch an den zwischen ihren Gebetsstunden unter Halden über dem Zürichsee. Dass sich anderem die Arbeit in den Reben ge- die neue Arbeitsteilung auf Anhieb leistet; erst seit wenigen Jahren neh- bewährt hat, zeigt die Goldmedaille, men ihnen Freiwillige aus den Reihen welche der Pinot noir Kloster Fahr am des Vereins pro Kloster Fahr diese Mühe Grand Prix du Vin Suisse erzielt hat. ab – und werden grosszügig zum ErnWenn sich nun Laien im Rebtedank eingeladen. Eine hemina steht berg dem Kloster zuwenden dürfen, so steigen beim Tun der Hände und Beine natürlich auch ihnen zu.

unter der Sonne die berühmten Gleichnisse Jesu aus der Erinnerung auf: «Ich bin der Weinstock, ihr seid die Rebzweige.» Der Stock ist die dauernde Verankerung und der Lebensspender für die Zweige, welche nicht selbständig leben, aber allein Frucht bringen können. Bringen wir Christen genügend Frucht? Notfalls auch in einem «verhagelten» Umfeld? Unser Trost kann darin bestehen, dass jenen, die sich erst spät zur Mithilfe im Weinberg aufraffen, immer noch der lebensnotwendige Denar pro Tag als Lohn geboten wird (Matthäus 20,2).


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