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Das Leben feiern, das möglich ist

Die Flüchtlingsströme aus Afrika, dem Nahen Osten sowie Syrien nach Europa und in die Schweiz reissen nicht ab.

Dazu kommen noch die Menschen aus der Ukraine.

Edith Weisshar, katholische Seelsorgerin, erzählt von ihren Begegnungen in den Bundesasylzentren, wo sie seit drei Jahren arbeitet.

Text und Fotos: Sibylle Ratz

Wenn sie sich auf den Weg ins Bundesasylzentrum (BAZ) nach Embrach macht, hat Edith Weisshar keinen bestimmten Plan. «Als Seelsorgende sind wir hier immer willkommen. Meine Arbeit ist eigentlich unspektakulär. Ich bin offen und vertraue auf das, was kommt. Aber ja, man muss schon viel aushalten», erzählt sie. Sie ist eine von mehreren Personen des interreligiös zusammengesetzten Seelsorgeteams, das im BAZ präsent ist. Im Team sind zwei christliche und zwei muslimische Seelsorgende vertreten.

Trauerarbeit leisten

Die Menschen sollen schnell und unkompliziert zuallererst einmal ein Bett, ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen haben. Das sei grundsätzlich auch richtig und wichtig, sagt Edith Weisshar. Viele Aspekte würden dabei aber untergehen. In der Hektik, in der Masse, sehe man den Einzel- nen gar nicht mehr. Auch die Mitarbeitenden vor Ort kämen zeitweise an ihre Grenzen. «In dieser Hektik Ruhe zu finden ist anspruchsvoll.» Bei den Flüchtlingen sei auch viel Trauerarbeit zu leisten. «Sie haben ihr Zuhause verlassen, Freunde und Familie zurücklassen müssen, auf der Flucht Schlimmes erlebt.» Sie sei immer wieder einmal an einem Punkt, an dem sie jemanden einfach am liebsten mit nach Hause nehmen würde, gesteht sie.

Erwartungen und ist einfach da.

Bei abgelehnten Fällen habe sie auch Mühe. «Es kommt schon vor, dass ich abends weine, weil mir Geschichten und die Erlebnisse der Menschen nahe gehen.»

Ruheinseln schaffen

Die Seelsorgenden haben sowohl für die Flüchtlinge wie auch für die Mitarbeitenden ein offenes Ohr. Es sei wichtig, Inseln der Ruhe zu schaffen. Das gelinge in der Regel nur schon durch die eigene Präsenz als jemand, der von aussen komme und keinerlei Ansprüche habe. Auf die Motivation für ihr spezielles Engagement angesprochen, meint Edith Weisshar: «Ich arbeite hier, weil es nötig ist, weil ich das gerne mache und ich dafür ausgebildet bin.» Für eine gelingende Seelsorge müsse man zuverlässig, offen und präsent sein sowie Zeit haben. «Ich gebe den Menschen einen eigenen, neuen Raum, in dem auch Stille möglich ist.»

Sie habe sich angewöhnt, nicht zu viel zu fragen. «Ich begegne den geflüchteten Personen als Mensch und will wissen, wie es ihnen geht.» Sie brauche keine Fakten. Es gehe darum, möglichst feinfühlig und wertschätzend da zu sein und die Botschaft zu vermitteln: «Du gehörst dazu.» Und in all dem Traurigem, Schwerem und in der Ungerechtigkeit zu sehen, was positiv sei, was trotz allem möglich ist.

Im Gebet verbunden

Montags bis freitags ist jemand vom Seelsorgeteam im BAZ vor Ort. Das Personal kann die Seelsorgenden auch ausserhalb dieser Zeiten erreichen. Jeder Tag ist anders und von Woche zu Woche gibt es Neuankömmlinge. Edith Weisshar schildert, wie schwierig es sei, immer wieder loszulassen. Von den einen könne sie sich verabschieden, wenn ein Wechsel bevorstehe, von anderen nicht. «Mir hilft das Gebet. Ich habe viele Menschen, die für mich beten. Und ich bete für sie. Ich bleib ihnen im Gebet verbunden.»

Der Kontakt zur Zivilgesellschaft und zur örtlichen Pfarrei sei ihr in der Arbeit auch eine enorme Stütze. So konnte beispielsweise auf unkomplizierte Weise einer Person das Klavierspielen im Kirchgemeindehaus ermöglicht werden. Das Miteinander helfe, Entscheide auszuhalten. Vor Weihnachten erfuhr Edith Weisshar, dass es keine Geschenke gibt, so wie in anderen Jahren. «Mit viel Unterstützung konnte ich kurzfristig über 500 Schals in allen Farben für das Fest organisieren. Es war eine kleine Geste, aber sie hatte eine enorme Wirkung, und die Schals haben nicht nur um den Hals Wärme gegeben, sondern auch in den Herzen. Trotz all den Sorgen werde ich bei meinen Einsätzen im BAZ reich beschenkt und gestärkt.»

Humanitäre Korridore

Papst Franziskus hat im März in einer Audienz eine Delegation von Flüchtlingen und Vertriebenen empfangen, die dank «humanitärer Korridore» nach Italien und Europa gekommen sind. Seit 2016 wurden in Italien und dann auch in Frankreich, Belgien und Andorra diese Korridore eingerichtet. Es ist ein Programm der Gemeinschaft Sant’Egidio in Zusammenarbeit mit der Italienischen Bischofskonferenz, Caritas und mit den protestantischen Kirchen Italiens. Über dieses Programm wird Flüchtlingen aus Syrien und Gegenden der Subsahara in Afrika in vulnerablen Umständen ein humanitäres Visum ausgestellt, damit sie auf Kosten der Trägerorganisation in Strukturen oder Häuser aufgenommen und bei der Integration begleitet werden. In der Zeit von 2006 bis heute konnten so rund 6‘000 besonders gefährdete Personen sicher nach Europa gelangen. Die meist vertretenen Herkunftsländer der Geflüchteten sind Syrien (70 Prozent) und Eritrea (15 Prozent), gefolgt von Afghanistan, Somalia, Südsudan, Irak und Jemen.

Beim Namen nennen

Seit 1993 sind mindestens rund 50‘000 Menschen beim Versuch, nach Europa zu flüchten, gestorben. Viele sind im Mittelmeer ertrunken. Für die meisten Flüchtlinge ist Europa eine Festung. An den europäischen Aussengrenzen leben aktuell hunderttausende Menschen in erbärmlichen Verhältnissen und Lagern. Die Aktion «Beim Namen nennen» fühlt sich diesen Menschen verpflichtet. Im Vorfeld des internationalen Flüchtlingstages werden hunderte Namen von auf der Flucht verstorbenen Menschen auf Zettel geschrieben. Diese Zettel werden an verschiedenen Orten installiert. Im deutschsprachigen Raum werden diese Aktionen in zahlreichen Städten durchgeführt. Aktionswochenende 2023 ist am Samstag, 17. Juni, und Sonntag, 18. Juni.

Begegnungen im BAZ

Die ersten Wochen und Monate verbringen Asylsuchende in der Schweiz in Bundesasylzentren. Der Alltag in diesen anonymen Unterkünften ist geprägt von Unsicherheit, fehlender Privatsphäre, Langeweile und Isolation. Verschiedene Organisationen engagieren sich im Rahmen von Projekten und mit Freiwilligen zur Verbesserung der Lebensbedingungen von geflüchteten Menschen im Kanton Zürich. Die Begegnungen zwischen den Menschen stehen im Zentrum.

So gibt es beispielsweise Angebote von Young Caritas (siehe Seite 12) www.beimnamennennen.ch www.youngcaritas.ch www.solinetz-zh.ch

Eine weitere Organisation ist der Verein Solinetz. Er setzt sich für die Würde und Rechte jener Menschen, die aus politischer oder existentieller Not in der Schweiz Zuflucht suchen. Der gemeinnützige Verein wird durch das Engagement zahlreicher Freiwilliger getragen.

Schauen Sie sich um, wenn Sie auch einen Beitrag leisten möchten.

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