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Nachhaltig

Von Susanne Altoè

«Das Tischchen unter ihrem Fernseher ist einmalig schön! Darf ich fragen, woher Sie es haben?» frage ich Herrn Bless einige Wochen nach seinem Einzug im Gesundheitszentrum Dielsdorf (GZ). Er lacht. «Raten Sie mal!» sagt er neckisch und zwinkert mit den Augen. «Also von Ikea ist es nicht», bemerke ich und nenne die paar Möbelgeschäfte, aber Herr Bless schüttelt bei jedem den Kopf und grinst. «So ein Möbel würde wirklich hervorragend in mein Wohnzimmer passen», ertappe ich mich, wie es mir durch den Kopf geht, «es wäre genau das, was ich mir wünsche…!» Meine Branchenkenntnis ist hingegen rasch erschöpft und hilfesuchend schaue ich zum 90-Jährigen, der in seinem Sessel sitzt wie auf einem Thron.

Der alte Mann zuckt mit den Schultern: «Mein Vater hat es mir gebaut, als ich vier Jahre alt war, als mein Schreibpult, ein kleiner Schemel war nämlich auch noch dabei. Später wurde es zur Sitzbank für einen grösseren Tisch, und jetzt … Nun, jetzt steht der Fernseher drauf.» Fasziniert höre ich die Geschichte, mein Blick geht zwischen Herrn Bless und seinem Möbelstück hin und her. In Gedanken stelle ich mir vor, wie der kleine Noldi als Kindergärtner daran geschrieben und gezeichnet hat. «Das ist beeindruckend. Es hat Sie also fast Ihr ganzes Leben lang begleitet? Es könnte sicher viele Geschichten erzählen.»

Und Herr Bless beginnt zu erzählen: vom Elternhaus und dem Brand der Scheune, bei dem nur wenig gerettet werden konnte, von der Schulzeit und dem Mädchen mit den dunklen Zöpfen, in das er sich mit zwölf verliebte und mit dem er über 50 Jahre verheiratet gewesen war, bevor der Krebs sie ihm geraubt hat, vom Vater und seiner Werkstatt, der Mutter, an deren Gutenachtkuss er heute noch manchmal denken muss, wenn er abends einschläft. Er endet und es ist still. Dann deutet Herr Bless auf sein Fernsehmöbel. «Es hat mir halt gedient. Es war für vieles gut und hat mich auch immer an die guten alten Zeiten erinnert. Das tut es bis heute.» «Ja, das tut es», sage ich und lächle. «So», sagt Herr Bless und schlägt mit den Händen auf die Oberschenkel. «Jetzt muss ich mich aber bereit machen. Meine Enkelin kommt noch zu Besuch. Wissen Sie, die ist Ärztin. Ich gebe ihr mein Tablet vom vorletzten Jahr, ich habe jetzt ja das neue!» Er zeigt stolz auf ein brandneues Gerät. «Wissen Sie, meine Enkelin ist so öko und freut sich, wenn sie meine Sachen erben kann!»

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