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EIN HERZ FÜR
Dennis Rodman Schon die Haare, Alter. Rot, pink, silber, schwarz, gemischt und dabei immer blau. Alter Rohrspatz, du weißt, wie man Dunkings versenkt. Du gibst ein Fick auf unsere Medienberichterstattung und informierst dich lieber selber bei Don Kim, ob Onkelchen noch lebt. Lebt er? Er leeeebt. Junge, erst hast du Extra-Bonuspunkte mit Pamela Anderson gesammelt und jetzt hängst du mit dem Erben der größten Pornosammlung der Welt ab. Wir zerfließen im Neid. Unser Herz gehört dir!
Zuerst einmal: Eine grandiose Transferleistung, dass ihr uns wiedererkannt habt, sehen wir doch nun schon ein ganzes Stück anders aus. Besser. Auch inhaltlich hat sich etwas getan. Unser Titelthema umfasst nun drei Artikel, einer flotter als der andere. Hier beleuchten wir verschiedene Gruppierungen, was sie ausmacht und wie ihre teils beeindruckend verqueren Weltanschauungen aussehen. Locoloco. Danach findet ihr den freien Teil, der uns gewissermaßen ausmacht, da geht’s kreuz und quer, hier und da, alles kann, nichts muss. Insgesamt haben wir nun auch sehr viel weniger Artikel als ihr gewohnt seid. Die Auswahl erfolgte über ein demokratisches Auswahlverfahren innerhalb der Redaktion. Diejenigen Artikel, die der Demokratie zum Opfer gefallen sind, werdet ihr aber natürlich online auf www.zqzaubert.de lesen können. Versprechen können wir, dass ihr uns wieder genauso geil finden werdet wie zuvor. Und hübscher. Deshalb guckt, lest, freut euch – wir machen nichts anderes. Robert Hofmann
DIE REDAKTION
VON LINKS NACH RECHTS
MATTI EUROPEAN STUDIES, „ICH WEISS GAR NICHT, WEN ICH ZITIEREN SOLL.“ (ALEX HILCK) FLORENCE PHILOSOPHIE, „EIN MANN MIT EINEM DUMMEN GESICHT ASS EIN KOTELETT, BEKAM EINEN SCHLUCKAUF UND STARB.“ (DANIIL CHARMS) PASCAL GERMANISTIK UND GESCHICHTE, „MAILAND ODER MADRID - HAUPTSACHE ITALIEN.“ (ANDREAS MÖLLER)
ROBERT GESCHICHTE UND SOZIOLOGIE, „IF YOU PUT WATER INTO A CUP, IT BECOMES THE CUP.“ (BRUCE LEE) KATJA PHILOSOPHIE, „DIE KRONE IST DIE PARODIE EINES ANSTÄNDIGEN HUTES“ (LUDWIG WITTGENSTEIN) YANA GERMANISTIK UND LINGUISTIK, „ICH BRAUCHE KEINE PLUTIMIKATION!“ (PIPPI LANGSTRUMPF) CANAN PHILOSOPHIE UND GERMANISTIK „WIR SIND WIE IMMER, NUR SCHLIMMER“ (TIC TAC TOE) RONJA GERMANISTIK UND POLITISCHE BILDUNG, „GEBT GEDANKENFREIHEIT“
(FRIEDRICH SCHILLER) ALEX TECHNISCHER UMWELTSCHUTZ, „ZITIER DOCH MICH!“ (MATTI GEYER) CAROLIN GERMANISTIK UND PHILOSOPHIE, „IHR WERDET UNS JETZT NICHT MEHR LOS.“ (TIC TAC TOE) TOM CHINASTUDIEN, „ANYBODY CAN BE COOL, BUT AWESOME TAKES PRACTICE“ (LORRAINE PETERSON) SOPHIE ANGLOPHONE MODERNITIES IN LITERATURE AND CULTURE „APPARENTLY SHE‘S THE NEW ME. WHATEVER.“ (KATE MOSS ON CARA DELEVINGNE) SARAH GERMANISTIK UND SPANISCHE
PHILOLOGIE, „ON NE NAÎT PAS FEMME, ON LE DEVIENT.“ (SIMONE DE BEAUVOIR) CHRISTOPH GESCHICHTE UND LER, „ICH SPIELE NÄCHSTES JAHR BEIM BVB.“ (MARCO REUS) TONI POLITIK UND SOZIOLOGIE, „IN THE MIDST OF WINTER, I FOUND THERE WAS WITHIN ME AN INVINCIBLE SUMMER.“ (ALBERT CAMUS) JAN GERMANISTIK, „ICH MACH MIR SORGEN ÜBER DEN BIERNACHSCHUB. NACH DIESEM KASTEN UND DEM ANDEREN IST NUR NOCH EIN KASTEN ÜBRIG.“ (HOMER SIMPSONS)
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UNSER TITELTHEMA DER AUSGABE: GANGS So alt wie die Tatsache, dass Menschen nicht alleine trinken mรถchten, ist der Gedanke, sich rote oder blaue Klamotten anzuziehen und die Vertreter der anderen Farbe abzuknallen. Put on my white socks with my all blue chucks. Beziehungsweise way back, when I had my red and black lumberjack. Nicht immer geht es Gangs um Drogen, Money, Power und Respect, manchmal
A YAKUZ
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FELLOWS möchten sie einfach nur in Ruhe verqueren Ideen nachhängen, illustren Gottheiten huldigen und sich die Welt so erklären, wie es ihnen gefällt. Wir stellen euch ein paar Gangs vor. Mal sympathisch, mal eher seltsam, immer aber schwer von sich überzeugt. Wie Biggie. (Der war schwer). Am Ende werdet ihr sehen, wie geil Gangs sind und selber eine gründen wollen. Money, Power, Respect und so weiter.
Ohne Zweifel, unser treuester Gefährte bleibt Pikachú. So treu, dass dieses Gen-Erdmännchen in der gelben Edition gehörig auf den Sack ging, weil es keinen Schritt von uns wich. Eh, es wäre mega lame, Pikachú als liebstes Gangmitglied der ersten 150 Fabelwesen zu nennen. Die wahre Königin ist und bleibt Porenta, #83. CG Jeder hat schon mal mit jedem, und wenn Melina einen Juckreiz verspürt, kann Cosima schon mal ne Salbe besorgen. Starker Alkoholkonsum verhindert die Erinnerung und so ist eigentlich unklar, wer wessen Kind abgetrieben hat und um wen sich Justin und Leopold prügeln. Ist auch egal, denn wer seit 20 Jahren in derselben Gang bangt, kann jeden Konflikt mit ein paar Drogen lösen. KJ
Die ultimative Gang ist und bleibt das Rat Pack. Sammy Davis jr., Dean Martin, Shirley MacLaine, Frank Sinatra (usw.) Wen sonst sah man auf der Bühne besoffen dumme, sexistische Witze reißen, beim Singen vom Stuhl poltern und überhaupt das stilvollste Bild von einer primitiven Alki-Truppe aller Zeiten abgeben? Wenn das Rat Pack kommt, packt der Kleine Tiergarten ein. RH
Lieblingsgangs Memory
Ob Pokemon-Karten tauschen, Chupa Chups lutschen, oder „In wen bist du?“Raten. In den großen Pausen durften nur die Coolen das Mädchenklo bevölkern und sich gestapelt hinter einer der zwei Türen verbarrikadieren. Jungs und Normal-Pinkler kriegen da keine Aufenthaltsgenehmigung. Egal wie sehr die Blase drückt. YD
Aus den tiefen Tiefen des Universums kommen die Decepticons. Nachdem sie von einem Riesenwürfel Leben eingehaucht bekamen, zog es sie weiter gen Erde, wo es galt, sich mit den Autobots um die Zukunft der Menschheit zu prügeln. Und in Kriegsgerät zu transformieren. Ich bin Megatron (!!!!) und die Decepticons einen überteuerten Spielzeugkauf wert. RH
Da gibt es Gryffindor. Die tuen keinem weh, haben Harry Potter als Kapitän und sind schnell Everybody‘s Darling. Hufflepuff hingegen klingt wie die Huffington Post und die ist bekanntlich beschissen. An Ravenclaw würde sich ohne Wikipedia niemand erinnern, aber Slytherin - die sind Hammer! Arrogant wie Christiano Ronaldo, abgewichst wie es nur das Böse sein kann und dann reimen sie sich auch noch auf Benzin. Einfach galaktisch! CG
Bevor wir euch mit harten Fakten zuknallen, hier noch ein kleines Spiel. Findet ihr die Paare zusammen? Ein kleiner Tipp: Schwer ist es nicht. Viel Spaß beim Rätseln und Suchen.
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Gott versus Wissenschaft Woran glaubst du? Die Religiöse glaubt, dass Gott die Fäden in der Hand hält, doch der Rest weiß, wie es wirklich ist. Der Rest, das sind wir, Kinder einer von Wissenschaft und Technik dominierten Welt. Doch der Unterschied zwischen Glauben und Wissen verblasst, wenn es um Letztbegründungen und Fragen des praktischen Miteinanders geht.
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VON FLORENCE WILKEN
Ich bin nicht religiös und glaube nicht an Gott, obwohl ich die letzten drei Schuljahre auf einem katholischen Mädchengymnasium verbringen durfte. Abgesehen von all den wahren Klischees, die einer da so einfallen, muss ich im Nachhinein zugeben, dass mir die Gebete jeden Morgen, der Religionsunterricht bis zum Abitur und die jährlichen, zweitägigen Aufenthalte im Kloster nicht geschadet haben. Im Gegenteil, ich bin froh, dadurch Zeit zum Nachdenken gehabt zu haben, denn die scheint heutzutage ein knappes Gut zu sein. Diese Reflexion hat meine Skepsis gegenüber dem religiösen Glauben allerdings eher verstärkt. Ich habe mich selbst immer als eine Person verstanden, die Verantwortung für ihr eigenes Handeln übernehmen muss und dabei die Anderen nicht aus dem Blick verlieren darf. Dafür brauche ich nicht die Vorstellung von einem übersinnlichen Wesen, das mir über die Schulter schaut und vor dem ich Rechenschaft ablegen muss. In unserer technisierten Wissenschaftsgesellschaft ist das wohl auch die gängige Einstellung zu Religion. Denn, seien wir ehrlich, wir wollen heutzutage nur noch an etwas glauben, wenn wir wissen, dass es wahr ist. Und weil die Wissenschaft wahres Wissen schafft, glauben wir an sie und nicht an irgendein allmächtiges Überwesen. Aber Fakt ist, dass gerade der Bereich der Naturwissenschaft eine Sphäre ist, die letztlich auch auf Glauben als eine Art Wissen beruht. Denn keiner Physikerin ist es bis heute gelungen, eine Letztbegründung hervor zu bringen und jede noch so
geniale Wissenschaftlerin muss sich auf Ergebnisse stützen, die andere vor ihr erbracht haben. Sie muss einfach daran glauben, dass all das Grundlagenwissen, das für ihre Theorie von Bedeutung ist, wahr ist. Die Dichotomie von Wissen und Glauben hat sich im Zuge eines rasanten Technikfortschritts und einem sehr engen Begriff von Vernunft immer weiter verschärft. Rational ist, was sich auf Grundlage logischen Schließens erkennen lässt. Alles muss wissenschaftlich fundiert sein, um dem Ideal von Wahrheit, bzw. Wirklichkeit, möglichst nahe zu kommen. Was man unter Wissen versteht, bezeichnet einen Erkenntniszustand, der sich durch Verallgemeinbarkeit und Intersubjektivität auszeichnet. Dem steht Glauben als eine Art von Erkenntnis gegenüber, die sich auf rein subjektive Annahmen stützt. Der Glaubensbegriff befand sich im geschichtlichen Verlauf dabei in einem ständigen Zwang, seinen Gegensatz zum Wissen hervorzukehren oder eine Übereinstimmung zu suggerieren. Der Mensch des 21. Jahrhunderts ist der wissenschaftliche Mensch, ein animal scientia. Wir betrachten alles und jede als funktionelles Teil eines Systems, das wir Welt nennen. Die Naturwissenschaften behaupten, alles sei bis ins kleinste Detail erfassbar, solange man die richtigen mathematischen Gleichungen aufstellt. Personen, die diese Vorstellung nicht teilen, sondern an eine andere Instanz, nennen wir sie Gott, glauben, unterstellen wir nicht selten Irrationalität. Diese Unterstellung beruht dabei auf dem engen Vernunftbegriff,
der es nach dem wissenschaftlichen Denken nicht zulässt, etwas als wahres Wissen zu bezeichnen, was nicht aus einer logischen Beweiskette folgt. Hier zeigt sich die Vernunft als das Herrschaftsinstrument der technischen Gesellschaft zur Verankerung des wissenschaftlichen Ideals von Wirklichkeit. Wenn mir also jemand begegnet, die von sich sagt, sie glaube an Gott und an die Unsterblichkeit der Seele, merke ich allzu oft, wie ich innerlich schmunzele und das Gefühl habe, ich wäre irgendwie näher an der Wirklichkeit. Wieso eigentlich? Mit dieser Einstellung lief ich neulich durch die Gänge der TU, als ich von zwei Missionarinnen angehalten wurde. Das freundliche Mädchen, das mich ansprach, wirkte ziemlich unauffällig. Neben ihr stand ein junger Mann mit einem Rucksack in der Hand, zurückgegelten blonden Haaren und einer Fielmannbrille auf der Nase. Er gehörte anscheinend dazu, hielt sich aber dezent im Hintergrund und ließ seine Partnerin sprechen. Sie fummelte ein Smartphone aus ihrer Jacke und begann mit der Umfrage, die, wie sich herausstellte, eigentlich ein Bekehrungsversuch war und sich zu einer 45-minütigen Diskussion entwickelte. Das Youtubevideo, das mir auf dem Mobiltelefon präsentiert wurde, zeigte abwechselnd geschmackvolle Sonnenuntergänge und brandende Meeresfluten, es erschienen Bibelverse und eine sonore Stimme erzählte etwas von Gottmutter und Gottvater. Als ich dann im Anschluss das Angebot ablehnte, eine unsterbliche Seele in Gottes Himmelreich zu bekommen, wenn ich nur ihrer Gemeinde beitreten würde, herrschte eine leicht resignierte und peinlich berührte Stimmung. Der bisher stille Begleiter versuchte diese etwas aufzulockern, indem er mir Textstellen aus seiner Bibel zeig-
te. Er versuchte mir klarzumachen, dass der Glaube an Gott gar kein Glaube sei, sondern sicheres Wissen. Diesen jungen Gläubigen schien es wichtig zu sein, ihren Glauben als Wissen ausweisen zu können, um sich vor sich und anderen zu rechtfertigen und ihn an das gesellschaftliche Ideal der wissenschaftlichen Erkenntnis anzupassen. Als Beweis sollten verschiedene Prophezeiungen dienen, die sich bewahrheitet hätten. Die Beweisführung erfolgte anhand ziemlich phantasievoller Interpretationen von Bildern und Symbolen, die schon vor über 2000 Jahren die Entwicklung Europas vorhergesagt hätten. Meine Gedanken schweiften ab und ich musste an Freuds Traumdeutung denken. Schließlich erzählte der blonde Junge, er habe den Glauben für sich entdeckt, weil er Antworten auf die vielen Fragen suchte. Was soll der Mensch auf der Welt, was ist die Seele, was geschieht nach dem Tod? Er habe durch Musik versucht, dem Ganzen einen Sinn zu geben, aber das habe nichts gebracht. Zum Glück habe es da jemanden gegeben, der ihm den richtigen Weg zeigte. Als ich fragte, ob er jetzt glücklicher sei und die Welt besser verstünde, wanderte sein Blick auf den Boden und seine Antwort ließ mich erkennen, dass er nicht glücklicher und nicht weiser geworden war. Er zweifle oft, auch an seinem Glauben, aber trotzdem war er der Meinung, jetzt ein besseres Leben zu haben als vorher, weil er es mit Menschen teilt, die ähnlich denken und fühlen. Mir wurde klar, dass wir genau auf der gleichen Stufe standen. Ich wusste nicht mehr über die Welt als er. Wir lassen uns beide von Geschichten überzeugen und suchen uns die Aspekte heraus, die in unser Weltbild passen. Er liest die Bibel und ich wissenschaftliche
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GOTT VERSUS WISSENSCHAFT
Texte. Wenn es um die Frage nach einem guten Leben, Glück oder einem Leben nach dem Tod geht, hat kein Text mehr Anspruch auf Gültigkeit. Der gläubige Mensch von heute ist ziemlich gut an den Stand der Technik angepasst, aber er versucht sich von seinem Zweifeln abzulenken, indem er seinen Glauben mit dem Etikett des wahren Wissens schmückt. Die Glorifizierung von Naturwissenschaft und Technik kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch diese sich am Ende auf Glauben stützen. Ob man an mathematische Konstrukte als die alles erklärende Instanz glaubt oder an Gott, man bewegt sich in metaphysischen Sphären. Vielleicht aber liegt der Schlüssel zum Glück – zu einem Vertrauen in das eigene Sein – darin, dass man lernt, mit der Ungewissheit und dem Zweifel zu leben, der sich als unliebsames Abfallprodukt ständig wachsender Komplexität in uns anhäuft. Man sollte den Mut aufbringen, immer wieder alles in Frage zu stellen und kritisch zu
beleuchten, denn genau daraus ergibt sich die Verantwortung jeder Einzelnen gegenüber den Anderen und der Welt. Das ist aber auch mühseliger und unbequemer als vorgekaute Überzeugungen zu übernehmen und sich auf jahrhundertealtem Wissen auszuruhen. Letzten Endes haben wir alle ein ideelles Bild vor Augen, ein unbestimmtes Gefühl, was es mit der Welt und dem Sinn unseres Daseins auf sich hat. Am Grund dieses Gefühls finden wir kein wissenschaftlich fundiertes Wissen, sondern eine Art Gewissheit – einen Glauben – und wir fühlen uns den Menschen zugehörig, die ähnlich empfinden. Ich bin nicht religiös und ich glaube nicht an Gott, aber es scheint ein menschliches Bedürfnis zu sein, sich auf eine absolute Instanz zu berufen oder sich eine Grundstruktur unserer Wirklichkeit vorzustellen und sich so der eigenen Existenz zu vergewissern. Ideologische Weltsichten hin oder her; was uns am meisten Halt gibt, ist die Gewissheit, mit all den Fragen und Zweifeln nicht allein zu sein.
Hip Hops 5% Von all den Einflüssen, denen der Hip Hop in seiner langen Geschichte ausgesetzt war, war es wohl der der Nation of Gods and Earths, der ihn am stärksten prägte. Diese semireligiöse Gemeinschaft predigt Afroamerikanerinnen die „Knowledge of Self“. Doch neben ihrem intellektuellen Outfit heftet der Gruppierung eine gehörige Portion Chauvinismus jeder Couleur an, die es schwer macht, sie sympathisch zu finden.
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VON ROBERT HOFMANN
Habt ihr euch schon mal gefragt, warum ihr die Texte des Wu-Tang Clans maximal so halb versteht? Woher all die Ausdrücke eurer Lieblingsrapperinnen kommen, die so alltäglich wirken, aber nicht wirklich in irgendeinen Kontext passen? Der Grund ist die Nation of Gods and Earths, denen viele eurer Lieblingsrapperinnen anhängen. Grundsätzlich teilt die NGE die Gesellschaft in drei Gruppen ein. Die große Masse der „dumb, deaf and blind“, die von den oberen zehn Prozent beherrscht werden, welche einen Teil des Wissens darüber, wie die Welt funktioniert, besitzen, was sie aber nur dazu benutzen, um die eigene Machtposition zu wahren. Die letzten fünf Prozent sind die „poor righteous teachers“. Sie besitzen alles Wissen und nutzen dieses, um die übrigen 85 Prozent aufzuklären. The Five Percent Nation. So der Grundmythos der Nation of Gods and Earths. Diese Lehre basiert darauf, dass jeder Asiatic Black Man Gott („God“) ist, es also keinen „Mystery God“ gibt. Und jede Asiatic Black Woman eine Erde („Earth“), die von Göttern bepflanzt wird. Allah existiert als jeder schwarzer Mensch. Arm-Leg-Leg-Arm-Head. Wegen des Anspruchs, zu den „Five Percent“ zu gehören, denen das Privileg des Wissen aufgebürdet wurde, gehört der Missionscharakter mehr als in den meisten anderen Religionen zum Wesen der Gemeinschaft. Und wer missionieren können will, muss natürlich die Lehren der NGE verinnerlicht haben. Hierzu dienen allerlei intellektuelle Geistesübungen - Lessons. In „Ciphers“,
kreisförmigen Versammlungen, wird der Fortschritt des religiösen Erkenntnisprozesses der Schüler abgefragt. Einen wichtigen Baustein der NGE-Lehre stellen die „Supreme Mathematics“ dar. Hierbei wird jeder Zahl eine bestimmte Bedeutung zugeordnet. Die Kombination und Kombinierbarkeit gleicht einer Wissenschaft. Die Eins beispielsweise repräsentiert die Sonne, das Licht, den Mann und das Wissen, während die Zwei den Mond, das Wasser, die Frau und die Weisheit repräsentiert. Addiert man Eins und Zwei, erhält man die Sterne, Kinder und Verständnis, die Drei. Die spirituelle Vorstellung, die dahinter steckt, ist, dass das Wissen des Mannes sich in der Frau spiegelt, wie das Licht der Sonne im Mond. Von dort strahlt es in Form „weiser Worte“ auf das Kind, welches versteht. Die Frau ist also das Medium des Mannes, sie gibt sein Wissen weiter und ist Trägerin seines Samens. Die Geschlechterrolle, die uns die NGE vermittelt, ist deutlich. Diesen Chauvinismus findet man aber auch bereits, wenn man Eins und Eins zusammenzählen kann. Da kommt nämlich eine Frau bei heraus. In drei Zahlen haben wir nun also bereits Sexismus und Homophobie entdecken können. Dass es, wenn hier von Männern und Frauen geredet wird, stets um Asiatic Black Man und Woman geht, lässt natürlich auch Rückschlüsse auf das rassistische Weltbild der NGE zu. Weiße seien nämlich „Devils“, auch wenn es ihnen teilweise möglich sei, sich entgegen ihrer Natur zu verhalten.
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Peace and blessings manifest with every lesson learned If your knowledge were your wealth then it would be well earned If we were made in his image then call us by our names Most intellects do not believe in God but they fear us just the same Erykah Badu, „On and On“
Ähnlich den „Supreme Mathematics“ gibt es das „Supreme Alphabet“, wobei das Studium der beiden schlussendlich zur Erkenntnis über die Beschaffenheit der Harmonie führen soll, von der das Universum zusammengehalten wird. Die Kultur des „Science Droppings“, also der Verbreitung des Wissens, der Bewusstmachung der eigenen Identität und Göttlichkeit, findet sich immer wieder in Hip Hop Lyrics wieder. „Word is born oder bond“, „Drop Science“ oder „Knowledge“, „Mathematics“ und die „Cypher“. Durch das Unterrichten der Jugend verhelfen die Five Percenter dieser also zu der Erkenntnis, dass sie ihre eigene Herrin sein kann. Die „Self-Consciousness“-Idee war und ist immer eine, die die afroamerikanische Community durchzieht und den Hip Hop,
vor allem in seiner „Golden Era“ Mitte der 80er bis Anfang der 90er, besonders prägte. Das war auch die Zeit, in der die NGE die größte Verbreitung über die mittlerweile dem Mainstream entgegenschwimmende Musikrichtung fand. Rakim, Big Daddy Kane, Erykah Badu, Wu-Tang, Brand Nubian, Gang Starr, Jay-Z und Nas waren alle vor allem in ihrer Frühzeit stark von den Lehren der NGE geprägt. Von den „Poor Righteous Teachers“ brauchen wir gar nicht erst anzufangen. Deutlich offener als andere Künstlerinnen gingen Brand Nubian mit ihren Vorstellungen zur Black Supremacy und ihrer Homophobie um und Public Enemys Antisemitismus verließ bald jede latente Ebene. Aufgefallen sollte sein, dass es vor allem die Legenden, die modernen Vorreiter des Hip Hops sind, die die NGE in ihrer Musik
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HIP HOPS 5%
Supreme Mathematics 1. Knowledge 2. Wisdom 3. Understanding 4. Culture_Freedom 5. Power_ Refinement 6. Equality 7. God 8. Build/Destroy 9. Born 0. Cipher
vertreten. Kool Herc und Afrika Bambaata wurden bisher noch gar nicht erwähnt, doch auch sie bekannten sich bereits früh dazu, die NGE-Lehre studiert zu haben. So wird auch die Frage aufgeworfen, ob es Hip Hop, wie wir ihn heute kennen, ohne die NGE überhaupt gäbe. Russell Simmons etwa beschrieb die Funktion der NGE während der Transformationsphase der schwarzen Jugendgangs zu Hip Hop und seiner künstlerischen und legalen Form des Widerstands als „Brücke“. Die NGE dominierte mit ihrem Anspruch, den Intellekt zu schulen, zu lesen und sich nicht in die Opferrolle drängen zu lassen, nicht nur mit seiner Terminologie die Jugendkultur der schwarzen amerikanischen Unterschicht. Nun kann man sich die Frage stellen, wie man es bewerten soll, dass eine Bevölkerungsminderheit durch eine solche Weltanschauung indoktriniert wird. Doch vielleicht muss man auch einfach anerkennen, dass wir in Europa keine Vorstellung von der Geschichte der Afroamerikanerinnen haben können. Gigantische Bevölkerungsteile, deren Vorfahren über Jahrhunderte selbstverständlich entführt, zu Eigentum erklärt, ermordet und diskrimiert wurden. Und noch immer werden schwarze Menschen im Bildungssystem strukturell benachteiligt und damit um die Chance beraubt, in gleichem Maße an der Gesellschaft zu partizipieren. Dass es zu universalistischem, aufgeklärtem Denken Bildung benötigt, ist kein Geheimnis. Drop a little science on em!
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TIC TAC T Erinnerungen an eine der coolsten Gangs der Musikszene. Ein Kulturnachruf.
I‘m proud to be a child of the 90‘s. Was die Autorin nicht alles veranlassen lässt, diesen Satz mit euphorischer Überheblichkeit in die Kommentarfunktionen sozialer Netzwerke hineinzutippen. Die Neunziger Jahre: Eine Zeit, in der Plastik und Neon die Kindheit schwerelos machten. So als würde Blümchen jede von uns volle Kanne mit dem Boomerang in eine Fantasiewelt katapultieren. In dieser Welt bewegten wir uns mit dem Walkman in der Hand, der heutige Musiklegenden abspielte, so zum Beispiel Loona. Und sind wir mal ehrlich: Den meisten Spaß haben wir nicht auf den fancy Parties, zu denen zu gehen wir uns gezwungen fühlen, sondern auf den 90er Parties, auf denen wir Arm in Arm mit Freundin und Fremder „Backstreet‘s Back“ lauter grölen, als die Boyband es selbst auf jeder CD tun könnte. Eine der schönsten Phänomene der 90er war TicTacToe. Die coolste Gang überhaupt und für immer. Das sollte Konsens sein. Viele Jahre später, durchs Leben begleitet von unterschiedlichsten Bands unterschiedli-
cher Genres, bleibt der Wunsch auf eine längst überfällige zweite Wiedervereinigung! Und um auch den klugen und schönen ZurQuelle-Leserinnen diese Meinung überzustülpen, soll nun gezeigt werden, warum. Diejenige, die jetzt denkt, es folge eine Zerstückelung der Pressekonferenz, die die erste Trennung der Band markierte, soll beruhigt sein. ZurQuelle zehrt nicht an Medieninszenierungen, die in unzählbarer Wiederholung von den Privaten wiedergekaut werden. Lasst uns lieber überlegen, wofür TicTacToe stehen und was sie uns Menschen mitgeben können.TicTacToe, 9
CAROLIN A. I. GRIES
C TOE
eine abholen, an die Hand nehmen und retten. Und so habe ich trotz Schmerz auch nicht angefangen, die Wut mit Drogen zu sublimieren, denn „Warum“ zeigt, was das für Konsequenzen haben kann. Davon abgesehen, dass ich mit meinem gestärkten Selbstbewusstsein nun kein „Stück von dem falschen Glück“ mehr wollte, sollte vor allem meine Freundin niemals so heulen müssen, wie Lee es damals für Melanie tat. Ich bin überzeugt, positiv von dem starken Frauenbild der drei „Gören“ geprägt worden zu sein, und komme nun auf das, was die Band im größeren Zusammenhang leisten kann. TicTacToe ist ein Sinnbild der Rebellion! Festmachen möchte ich das an dem wunderbaren Lied: „Ist der Ruf erst ruiniert“. Eine Kampfansage an die Haterinnen, eingeleitet mit der Parole: „Wir sind, wie immer nur schlimmer“, stellen sie fest: „Skrupellos, seelenlos, abgezockt – wir sind viel schlimmer, als wir dachten, sind von uns selbst geschockt.“ Zeilen wie diese, die bei jeder Mitsingenden ein Gefühl von Stärke hervorrufen und eine motivieren, der Feindin auch mal verbal direkt ins Gesicht zu rotzen und auf die Beurteilung von außen nichts zu geben. Wenn man dann noch das dazugehörige Video sieht, scheint sich dieses Gefühl ins Unermessliche zu potenzieren. Während wir heute in Musikvideos hammerlutschende Mädchen auf Abrissbirnen präsentiert bekommen, über die man nur denken kann „Ich wäre gern so blöd wie du“, konnte man dort drei Zombie-Bräute sehen, wie sie vollkommen losgelöst und wahnsinnig aus dem Untergrund der Straßen emporkommen und ihre Gegnerinnen, hier konkret Polizistinnen, so richtig verhauen. Ohne Frage gab es früher genug Miley Cyrus-Vorgängerinnen (It‘s Britney Bitch!), und heute zum Glück eine kleine, aber feine Gemeinschaft von selbstbewussten Musikerinnen, die ich mir als Vorbild meiner ungeborenen Kinder wünsche. Aber so bedingungslos ausgerastet wie TicTacToe ist nach ihnen keine mehr. In diesem Sinne soll der ZurQuelle-Kulturnachruf mit der dringlichen Bitte enden: Tic Tac Toe, vereinigt euch und schenkt uns mehr Lieder! Wir warten und hören uns solange beim Weinen und Fertigmachen und Vorglühen die alten an. 19
Buchstaben, drei Worte, eine Band, die bereits auf den ersten Blick mit der Kraft der Alliteration überzeugt. Ab 1995 waren das Lee, Jazzy und Rick und später auch Sara. Weg von den biographischen Eckdaten, hin zu ihrem Werk und Bedeutung. Fangen wir hier im Minimaluniversium des Ichs an. Einmal hatte ich großen Liebeskummer, da bin ich zu meiner besten Freundin gegangen, um mir die Welt so schön reden zu lassen, wie sie mir gefiel. Mit allen Wassern der ‚Crew love is true love‘-Kompetenzen hat sie es geschafft, mich davon zu überzeugen, dass die Möglichkeit auf ein weiteres Leben nun nicht verloren sei. Als sie dann noch in Dauerschleife Songs unserer alten Lieblingsband spielte, wir durch die Wohnung hüpften und textsicher alles mitsangen, war ich vielleicht glücklicher als je zuvor in der Überzeugung, all meine Ex-Freundinnen waren „Mr. Wichtige“, denen ich nur noch sagen wollte: „Ich find dich scheiße“ oder „Verpiss dich“. Zum Glück entstanden in den zwölf Jahren mehr oder minder aktiver Produktion so viele Tic Tac Toe-Lieder, dass für jede Stimmung der affektgeladenen „Fickdich“- Haltung Lieder vorhanden sind, die
SPRECHSTUNDE
IN DER
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JULIU S ERDM A N N KULTUREN ROMANISCHER LÄNDER
DU DUZT ALLE STUDIERENDEN UND LÄSST DICH AUCH DUZEN. WARUM?
Es gibt eine simple Antwort und eine komplexere Antwort. Die simple Antwort ist, dass ich schon einen Monat nach dem Master mit 26 angefangen habe, als Dozent an der Uni zu arbeiten. Da konnte ich mich nicht wirklich auf so eine Dozentendistanz einstellen. Also hab ich gesagt, wir duzen uns. Die komplexere Antwort ist: Ich habe in Stuttgart damals Philosophie studiert und habe unter marxistischen Professoren gelernt. Die haben grundsätzlich geduzt, aus einer ideologischen Herangehensweise heraus. Flache Hierarchien, keine Unterscheidung zwischen Dozent und Studierenden und die Idee, dass alle eigentlich an einem großen Projekt zusammenarbeiten, nämlich unser aller Wissen zu erweitern. Diese Ideologie habe ich immer noch. DER DURCH DIE MEDIEN BEKANNTE STUDIENABBRECHER BEN PAUL IST „FREI LERNENDER STUDENT“. LAUT IHM GEHT BILDUNG AUCH OHNE UNI. WAS HÄLTST DU VON ALTERNATIVEN LERNMODELLEN WIE DIESEM?
Ich finde solche Ideen sehr interessant. Ich finde es auch schön, sich außerhalb der Uni mit Leuten zu treffen, die man im Seminar kennengelernt hat und an Themen weiterzuarbeiten. Wir kennen uns alle nicht hundertprozentig aus und wollen aktuelle Phänomene diskutieren, bei einem Bier in einer Kneipe oder bei jemandem zuhause. Die Sache ist: Wenn man sowas machen und kollektiv daran arbeiten möchte, braucht man Leute, die Input geben. Und ich denke, dass es eine Hauptaufgabe innerhalb der Uni ist, Inputs zu geben. Man kann zwar sagen: Ich mache jetzt privat ganz ohne Uni einen Lektürezirkel die Frage bleibt aber: Wird man da nicht bei Standardtexten bleiben? Wie kann man sich von dem Universitären wirklich befreien, wie kann man alternatives Wissen aufbauen? Ich denke, dass man den universitären Hintergrund braucht. Und es gibt genug Dozenten, die offen dafür wären, außerhalb der Uni ein Wissensangebot zu schaffen.
WÜRDEST DU SAGEN, DASS DIE QUALITÄT DER LEHRE UND DER WERT DES BACHELORS SINKEN, ZUM BEISPIEL DURCH DIE IMMER HÖHERE ANZAHL DER STUDIERENDEN AN DEN UNIS? GROSSES THEMA, ICH WEISS…
Puh, das ist ein riesengroßes Thema. Unser akademisches Wissen und Lernen ändern sich gerade sehr viel und auch als Dozenten müssten wir versuchen, darauf einzugehen. Es ist ein Moment – sage ich auch als Medienkulturwissenschaftler –, das sich stark aus den Entwicklungen des Internets ergibt; in der Wahrnehmung, aber auch in der Aneignung von Wissen. Wir werden zu einer Gesellschaft, die heterogener versucht, Wissen aufzunehmen, also auf verschiedene Arten. Eine Gesellschaft, in der wir wissen, wo wir Wissen finden können und nicht unbedingt Wissen abrufen können aus unserem Gedächtnis. Ich glaube, die Gedächtnisleistung lässt nach, aber ich sehe das gar nicht negativ. Meine Aufgabe als Dozent ist es dann, euch nicht nur zu sagen, wo ihr Wissen finden könnt, sondern euch zu zeigen, wie man Wissen infrage stellen kann. Wie man versuchen kann, weiterzugehen. WELCHES WISSENSCHAFTLICHE WERK HAT DICH AM MEISTEN GEPRÄGT?
Wegen meines Studiums an recht klassischen Universitäten – Stuttgart, Freiburg – und aus Ermangelung an Kommilitonen mit gleichen Interessensbereichen habe ich vor meinem Promotionsstudium wenige alternative Werke wahrgenommen. Dann habe ich jedoch völlig neue Ideen kennengelernt, zum Beispiel den Situationismus. Ein konkretes Buch jedoch ist „Die Bildanthropologie“ von Hans Belting: Der Versuch, Bilder in der Ebene zwischen Medium und Körper zu fassen. WIR HATTEN IN DER LETZTEN ZQ-AUSGABE EINEN PSYCHOTEST ZU DATING-APPS. WELCHE IST BEI DIR RAUSGEKOMMEN?
Jappy war es. Ich komm ja aus Ostdeutschland und habe so ein leicht asoziales Gen in mir. Da bin ich sehr nah an Jappy gebaut.
SARAH EMMINGHAUS
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RÖMM RÖMM ABER KEINE GROUPIES DENNIS GARHAMMER INTERVIEW INTERVIEW ROBERT HOFMANN, SOPHIE SCHUBUTZ
Dennis Garhammer fährt für Relentless Energy Drink Freestyle-Motocross. Nebenher fotografiert er Menschen beim Motocrossfahren und schafft es sogar, dabei noch Produktionsmanagement zu studieren. Er wohnt in Reutlingen und macht gerade ein Praxissemester bei einer dort ansässigen Firma.
Seit wann fährst du Motocross und Wie bist du dazu gekommen? Motocross im klassischen Sinne fahre ich seit 20 Jahren. Ich habe ‚93 damit angefangen und glaube, das Ganze liegt bei mir in der Familie. Mein Vater fuhr früher selbst Rennen, war 1990 Vizeweltmeister. Dementsprechend fuhr mein Bruder auch. So bin ich mehr oder weniger auf dem Motocross-Gelände und mit Motorrädern aufgewachsen. Anfangs kasperte ich auf ganz kleinen Kinder-Motorrädern mit Automatik durchs Fahrerlager und fuhr dann selber Rennen. Bleibt neben dem Studium denn überhaupt genug Zeit für Motocross? Bis ich 17/18 war, war Motocross nur ein Hobby. 2006 fing ich mit dem Freestyle-Motocross an, was sich während meiner Ausbildung zum Nebenjob entwickelt hat. Fünf Tage zu arbeiten und am Wochenende in Deutschland und Europa unterwegs zu sein, war dann doch recht stressig. Nach meiner Ausbildung habe ich mir dann eine Zivildienststelle gesucht, auf der man auch mal zwei Tage fehlen konnte. Jetzt, da ich studiere, ist es eigentlich ziemlich optimal. Ihr wisst ja selber, wie das ist, wenn man mal nen Tag an der Uni fehlt. Halb so wild! Also harmoniert das gut miteinander? Absolut. Klar ist man immer mal neidisch, wenn die Kumpels, die fast alles Profis sind, anrufen und sagen: „Hey, lass ‚ne Woche nach Italien fahren“ während du durch irgendwelche Prüfungen gerade an der Uni eingebunden bist. Dann denkt man sich schon, dass es ganz cool wäre, Profi zu sein. Vor allem wegen der Verletzungen in den letzten Jahren denke ich mir dann aber, dass es vielleicht doch ganz gut ist, etwas zu haben, auf das man zurückgreifen kann, wenn die sportliche Karriere vorbei ist. Hast du da auch irgendwelche coolen Leute kennengelernt? Und hast du Groupies? Ja und Nein. Coole Leute kennengelernt auf jeden Fall. Ich bin auf den verschiedensten Events gesprungen, bei Musikfestivals angefangen über Formel1- oder DTM-Events. Ich war mal einen Tag lang bei der Formel1 hin-
„Stolz? Tricktechnisch sicher auf den ersten und einzigen Backflip, den ich auf Erden je gemacht habe.“
ter den Kulissen bei einem freien Trainingstag dabei. Einfach so mit Mark Webber reden können – das sind so Sachen, die man sonst nicht erlebt hätte. Äähm. Groupies? Ich weiß nicht … ob man zwischen ernstzunehmenden Anfragen und einfach total verrückten Sachen … Nein. Was war der geilste Ort, an den dich der Sport gebracht hat? Schwierig. Ich glaube, der coolste Ort war Hossegor in Biarritz, Südfrankreich. Und zwar war das eine Show im Rahmen von Quicksilver Pro, dem größten Surfcontest Europas. Ich hatte vorher mit dem Surfen gar nichts zu tun. Trotzdem war das eine coole Erfahrung, weil unsere Motorräder mit dem LKW angeliefert wurden und wir hinterher fliegen konnten. Im Prinzip hatten wir eine Woche Urlaub an nem Traumstrand und sind nebenbei noch ein bisschen Motorrad gefahren. Wie verkatert kann man Motocross fahren? Sehr! Welchen Erfolg hast du bisher am meisten gefeiert? Tricktechnisch sicher den ersten und einzigen Backflip, den ich auf Erden je gemacht habe. Das war 2009 in Berlin, es war kurz vor‘m Winter, als es einfach an der Zeit war, einen Backflip zu landen. Am nächsten Tag bin ich dann zur Deutschen Meisterschaft gefahren, ich habe mich dann an der Rampe aber überhaupt nicht wohlgefühlt und dann gesagt: OK, das muss nich unbedingt sein. Als Nicht-Profi kann man das dann einfach sein lassen und sagen, ah nee doch nich. Der Backflip ist eigentlich technisch gar nicht der krasseste Trick, erfordert aber die meiste Überwindung. Heute machst du keine Backflips mehr. Warum nicht? Verschiedene Gründe. 2009 war so ziemlich mein bestes Jahr und danach fing es mit einigen Pechsträhnen an. 2010 hatte ich ein durchwachsenes jahr, 2011 ein neurologisches Problem und konnte die ganze Saison nicht fahren. 2012 hab ich mir dann den Oberschenkel und 2013 die Hüfte gebrochen. Beide Male wurde ich in Potsdam operiert. Heute sage ich mir, Backflips hin oder her, ich bin noch dabei... Beim Skaten hat man sich immer gestritten, was die rich-
tige Musik sei, Hip Hop oder Punk. Gibt es sowas beim Motocross auch? Genau die gleiche Diskussion. In der Crew, in der ich eher unterwegs bin, ist Hip Hop angesagt. Ich hab aber auch kein Problem damit, mal Pennywise zu hören. Wie heißt dein Hund? Mein Hund ist ne Katze und heißt Felix. Und wenn du einen Hund hättest, wie hieße dein Hund? Balu – wie der Pilot. Du bist auch Fotograf. Wie vereint sich das mit dem Motocross? Oder sind das zwei verschiedene Dinge? Doch, das vereint sich stark. Ich bin durch Motocross zum Fotografieren gekommen und anders herum. Meine ersten Erfahrungen im Freestyle-Motocross waren, dass ich einen guten Kumpel fotografiert habe, als gerade die ersten Digicams herauskamen. Dann war ich viel mit Fotografen unterwegs, habe denen über die Schulter geschaut und irgendwann bemerkt, dass ich auch ne eigene Spiegelreflex brauch. Mittlerweile probiere ich viel mit Kumpels herum und fotografiere auch für Magazine, da liegen mir vor allem die Action-Shots.
ZURQUELLE ZWANZIG 14 AUSGABE 04
INHALTSVERZEICHNIS _ NACH LINKS BLÄTTERN
Titelthema: Gangs
Studium
08 Unsere Lieblingsgangs Als Memoryspiel.
20 In der Sprechstunde Mit Julius Erdmann.
10 Gott versus Wissenschaft Eine Begegnung.
22 Römm Römm ohne Groupies Ein Interview.
14 5% Hiphop Black Muslim Bewegung. 18 TicTacToe Crew Love aus den 90ern. 02 Ein Herz für... 03 Editorial 04 Die Redaktion
WIR GENDERN IM GENERISCHEN FEMININUM
NACH RECHTS BLÄTTERN
Kultur
Politik & Gesellschaft
28 Act as #1-9 Fotoreihe von Andy Kassier.
38 Krypto Magic Nerds-Cash für alle.
34 cunt cunt cunt Kulturgeschichte der Vagina.
42 Sie sind homophob und das ist mir egal Über Mattuseks und Lehmänner. 44 Umweltschutz im Alltag Militant und geil.
46 Wo ist Walter? 48 Zwei aus Zwanzigtausend 50 Impressum
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Act as #1-9 Als Fan von Milieustudien, die er in Form von detailliert überzeichneten Charakterfotos präsentiert, zeichnet unser Fotograf Andy Kassier unmissverständlich die Methoden der klassischen Werbefotografie nach. Damit macht er uns deutlich, wie einfach es dieser fällt, uns bewusst Bilder zu vermitteln, Eindrücke gewinnen und Emotionen spüren zu lassen. Andy Kassier fotografiert sich selbst. Das klingt nach weniger Aufwand als es ist – Props, Andy!
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VON ANDY KASSIERW
ANDY IST STUDENT DER KUNSTHOCHSCHULE FÜR MEDIEN KÖLN
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t n cu cunt cunt VON CANAN DENLI
The Notorious V.A.G. – Gang aka ZurQuelle findet, es muss hier mal dringend ßber Genitalien geredet werden: deine, meine, unsere, eure.
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GEH ZURÜCK ZUM KÖRPER, DAS IST DER ORT, AN DEM DIE MEISTEN UNSTIMMIGKEITEN DER WESTLICHEN KULTUR ENTSTEHEN
Die US-amerikanische Künstlerin Carolee Schneemann sagte im Zusammenhang mit ihrer Performance Eye/Body: „Geh zurück zum Körper, das ist der Ort, an dem die meisten Unstimmigkeiten der westlichen Kultur entstehen.“ Als Künstlerin, die ihren Körper in den 60er Jahren im Sinne der Kunst häufig nackt zeigte, partizipiert sie an einem Diskurs über (weibliche) Sexualität. Teil dieses Diskurses ist u.a. die Biologie des Menschen und seine Körperlichkeit vor dem Hintergrund der Kultur. In diesem Sinne spielen sprachliche Aspekte eine wichtige Rolle. ZurQuelle muss feststellen: Vagina ist selten der richtige Begriff für das weibliche Genital. „Moment, was?“ – Let’s talk sex. Fangen wir innen an, da haben wir schließlich alle mal angefangen. Die inneren Teile des weiblichen Geschlechtsorgans sind Muttermund, Gebärmutter und Eierstöcke. Das wissen wir. Der Weg von innen nach draußen, somit Teil des Geburtskanals, ist die Vagina. Sie verbindet den äußeren Muttermund mit der Vulva. Sie ist es, die den Penis beim Sex umschließt. Die Vagina ist also genaugenommen die Körperöffnung, die den äußeren und inneren Teil miteinander verbindet. Sie ist lediglich Teil des Organs, nicht das Organ selber. Doch genauso wird der Begriff Vagina häufig verwendet. Die Vulva ist das, was außen liegt und sichtbar ist, also das, was eigentlich meistens gemeint ist, wenn man bei Essen und Bier über Genitalien redet. Die Vulva besteht aus dem Venushügel, den Schamlippen und der Klitoris. Das, was Sex für Jung und Alt zu einem großen Spaß macht. Die Kenntnis über den Unterschied von klitoralem und vaginalem Orgasmus kann man der aufgeklärten Leserin sicher unterstellen, bei der Unterscheidung der Begriffe Vagina und Vulva ist das etwas anderes. Sehr häufig wird nämlich
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CUNT CUNT CUNT
im Alltag fälschlicherweise der Begriff Vagina verwendet, um die Vulva insgesamt zu bezeichnen. Ein Begriff, der die Gesamtheit des weiblichen Geschlechtsorgans umfasst, also Vulva, Vagina und Uterus, im Deutschen aber keine Entsprechung hat, ist das Sanskrit-Wort yoni (wörtl. Ursprung). Dieser Begriff trägt viele äußerst positive Attribute in sich, auch metaphorisch. Ein Wort, das seiner ursprünglichen Bedeutung nach dem noch am nächsten kommt, ist cunt. Heute ist cunt ein fast schlimmeres Piepwort in der englischsprachigen Fernsehlandschaft als fuck. So what’s the fucking deal with cunt? Verwendet in eher vulgären Kontexten, ist es oft auch ein Schimpfwort. Ursprünglich jedoch bedeutet cunt so viel wie „heiliger Ort“ und ist etymologisch mit queen, kinn und country verwandt. In feministischen Kreisen ist es ein gern gesehenes Wort: Provokation und Reclaiming und so. Zu Fehlbenennungen und einem Mangel an Worten kommt es besonders bei der Aufklärung von jungen Mädchen. Die Autorin Mithu M. Sanyal, an deren Buch Vulva dieser Artikel angelehnt ist, sieht hierin eine kulturhistorische Linie. Es wird kritisiert, dass für die Bezeichnung des eigenen Genitals verniedlichende Namen herhalten müssen, die für einen flauschigen Hamster adäquater wären. Vorhandene Bezeichnungen, wie die oben, sind als „Fachbegriffe“ den Erwachsenen vorbehalten, Worte wie Fotze kommen dann als negativ konnotiertes spätestens in der Schule und vor allem durch Jungs hinzu. Fehlt eine adäquate Bezeichnung, verhindert das nicht nur die genaue Kenntnis über den eigenen Körper, sondern auch das Sprechen darüber fällt schwerer. Das Fehlen von Worten begünstigt ein Dunkel um das eigene Genital, das von oben ohnehin nie vollständig einzusehen ist. Zudem steht es in einer langen Tradition von Konnotationen und Reproduktionen, die nicht die eigenen sind, sondern fremdbestimmt. Im Buch von Sanyal findet sich eine Befragung der Eltern zu den Gründen für solche Verniedlichungen; mit dem Schluss, dass die Angst vor der Sexualität der Töchter größer sei als die Angst um ihre Sexualität. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen (Re-)Präsentation und Definitionsgewalt. Was durch Fehlbezeichnung nicht genau verstanden wird, kann nicht (um-)gestaltet werden. Es ist offensichtlich, dass viele Menschen sich derart stark über Geschlechtsorgane definieren, dass man sogar in zwei Gruppen unterscheidet – Männer und Frauen. Eine Aussage über Geschlechtsorgane (sex) ist also auch eine Aussage über das soziale Geschlecht (gender), so Sanyal. Feministinnen, wie z.B. die Journalistin Mimi Spencer, folgern, dass es ohne angemessene Bezeichnung kein Gefühl von Besitz gibt und es so zu einer Entfremdung vom eigenen Körper kommt. Bei dieser Entfremdung spielt natürlich nicht nur eine Rolle, dass man genau weiß, was eine Vulva ist und man Muschi sagt, als ob man’s rappen würde. Die Zusammenhänge sind wesentlich komplexer und umfassender, dennoch ist die richtige Benennung und Kenntnis über den Körper ein wichtiger Teil der (sexuellen) Identität. Der Kampf mit der Entfremdung, ob als individueller oder gesellschaftlicher Zustand, ist ein uns allen bekannter. Marx hat uns gewarnt.
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Obwohl einst als Währung für eine kleine Cyber-Community gestartet und ohne nennenswerten Marktanteil geblieben, geistert der Bitcoin heute regelmäßig durch die Tagespresse und lädt zu allerhand wilden Spekulationen ein. Einführung in ein Phänomen.
Krypto Magic
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VON JAKOB MÜHLE
Ein Bildnis der Einsamkeit: Ende Februar stand ein einzelner wütender Mann vor einer verglasten Hochhausfassade im Finanzdistrikt von Tokyo und stemmte verzweifelt ein Schild in die Luft. „MT GOX- Where is our money?“ war darauf zu lesen. Die Antwort dürfte den unbekannten Protestler sicher nicht erfreut haben, denn die scheidende Geschäftsleitung von besagter MT GOX - der bis dato größten Online-Handelsplattform für die Kryptowährung Bitcoin - teilte kurze Zeit später auf einer Pressekonferenz mit, zum Opfer eines gigantischen Hackerinnenangriffs geworden zu sein, in Zuge dessen Bitcoin-Einheiten im Wert von knapp 473 Millionen Dollar erbeutet wurden. Die Einlagen von Anlegerinnen rund um die Welt verschwanden im Nirwana des kabellosen Datenverkehrs. MT GOX musste Insolvenz anmelden und bescherte der Bitcoin-Community damit ihr ganz persönliches Lehmann-Moment. Meldungen solch spektakulärer Art im Zusammenhang mit der Online-Währung waren in den vergangenen Monaten keine Seltenheit. Und tatsächlich liest sich die Geschichte des Bitcoin ein bisschen wie eine atemlose Western-Story, nur eben mit Cyber-Angriffen anstelle des guten alten Postkutschenraubs. Dabei ist die Idee doch eigentlich charmant und subversiv. Eine Währung emanzipiert sich vom Staat, orientiert sich nicht an Goldstandart oder Wirtschaftsleistung, sondern nur an der Nachfrage im Netz. Sie kann beliebig im bargeldlosen Zahlungsverkehr eingesetzt, aber auch in andere konventionelle Währungen umgetauscht werden und bekommt somit einen reellen Gegenwert. Überlegungen dieser Art sind nicht neu. Schon in den 90er Jahren bastelte eine Handvoll Cyber-Pionierinnen an Codes für virtuelle Währungen. Doch schienen diese 2009, auf dem Höhepunkt der weltweiten Finanzkrise, ganz besonders attraktiv, als das Vertrauen in konventionelles Geld bis ins Mark erschüttert war. Und so wurden im selben Jahr, als sich rund um den Globus Staatslenkerinnen und Ökonominnen darum bemühten, den Schaden der Krise auf ihre Volkswirtschaften in Grenzen zu halten, die ersten Bitcoins erzeugt. Hergestellt werden die Einheiten auf Basis eines kryptographischen Codes, einer Art Rechenaufgabe, deren Lösung alle im Bitcoin-Netzwerk befindlichen Rechner dazu befähigt die Währung zu erzeugen. Als Gegenleistung für die verbrauchte
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Energie beim Rechenprozess, kann die Erzeugerin ihre Einheiten dann auf dem freien Markt anbieten. Dass diese Methode der Werterzeugung von Beginn an ein leicht nerdiger Hauch umwehte, hängt wohl, neben der für Laien ominös wirkenden Herstellungsweise, nicht zuletzt auch mit dem Klientel zusammen, aus der sie ihre Fan-Base generiert. Der ehemalige Branchenriese MT GOX startete ursprünglich einmal als eine Handelsplattform für das Fantasy-Kartenspiel Magic. Und so sind Bitcoins zweifellos ein Nischenphänomen: Weltweit werden täglich nur 70.000 Transaktionen mit dieser Zahlungsmethode vorgenommen. Das sind knapp 0,1% des Transaktionsvolumens konventioneller Währungen, allein in Deutschland. Dass die Währung, trotz ihres verschwindend geringen Marktanteils, einen beeindruckenden Bekanntheitsgrad erreicht hat, kann in Hinblick auf die jüngsten Wechselkursschwankungen aber trotzdem nicht wirklich überraschen. In der zweiten Jahreshälfte 2013 schnellte der Wert eines Bitcoin von 120 US-Dollar binnen kürzester Zeit plötzlich auf ein Zwischenhoch von knapp 900 Dollar, versetzte Teile der Finanzwelt in eine virtuelle Goldgräberinnenstimmung und wurde so zur Geldanlage. Jedoch nicht ohne Risiko. Händlerinnenportale sprossen aus dem Boden, Anlegerinnen parkten Geld in Bitcoins bei Online-Banken - und verloren es. Denn der Hackerinnen-Übergriff auf die MT GOX blieb kein Einzelfall. Auch andere Händlerinnenportale mussten Insolvenz anmelden, weil sie nicht in der Lage
waren, Verluste durch Cyber-Attacken an Anlegerinnen zurück zu zahlen. Der Kurs stürzte stark ab, hat sich aber mittlerweile bei 400 Dollar eingependelt. Die Bundesbank warnt davor, in das Risikokapital Bitcoin zu investieren und die New Yorker Finanzaufsicht sucht nach Wegen, den Handel zu reglementieren. Sprich: Der Bitcoin ist auf dem offiziellen Parkett der Finanzwelt angekommen. Und das, obwohl er bis heute sein verruchtes Image nie loswerden konnte. Der Kryptowährung werden Tendenzen zur Geldwäsche nachgesagt und im sogenannten Darkweb kann man mit ihrer Hilfe von einem Gramm feinstem MDMA bis hin zu einer Auftragskillerin für den unliebsam gewordenen Ehemann alles erwerben. Gegen den Ex-Boss der MT GOX Mark Kapeles laufen mittlerweile Ermittlungen. Angeblich sind die Bitcoin-Einheiten aus dem vermeintlichen Hackerinnenangriff auf seinem privaten Konto aufgetaucht. Und auch der anonyme Demonstrant aus der Tokyoer Innenstadt hat inzwischen einen Namen: Kolin Burger verlor nach eigenen Angaben 300.000 Dollar an der Pleite von MT GOX. Wiedersehen wird er das Geld wohl vorerst nicht. Eine echte Geschichte aus dem Wilden Westen eben.
„R ELENTLESS UND DAS R AVEN-ICON SIND EINGETRAGENE SCHUTZMARKEN. ERHÖHTER KOFFEINGEHALT (32MG /100 ML).“
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Sie sind homophob und das ist mir egal Öffentlich Intoleranz und rückwärtsgewandte Werte zu äußern, ist gerade erschreckend populär. Warum? Weil Toleranz ebenfalls boomt. Fast 200.000 Menschen haben die Gegenpetition zum baden-württembergischen Bildungsplan 2015 unterschrieben. Die Gegenpetition richtet sich hauptsächlich gegen die vorgeschlagene Leitlinie, sexuelle Vielfalt in der Schule zu thematisieren – Kindern also zu erklären, dass es außer der heterosexuellen Ehe andere Formen des Liebens gibt. Matthias Matussek ist (wohl) homophob und findet das klasse und nicht nur in Russland, sondern auch im nahen Frankreich gehen viele Menschen auf die Straße, um gegen LGBT (LesbianGayBiTrans)-Rechte zu demonstrieren. Es mangelt mir an Verständnis für diese heteronormativen Ansichten und ich empfinde nicht selten Ekel, wenn wieder einmal gesagt wird, „dass die schwule Liebe selbstverständlich eine defizitäre ist, weil sie ohne Kinder bleibt“ (Matussek). Trotzdem sehe ich Hoffnung. Ich glaube nicht, dass die Zahl homophober Menschen tatsächlich ansteigt, obwohl die Medienpräsenz von AfDlerinnen und ihren verqueren Ideen das suggeriert. Seit das klassische Familienbild existiert, werden andere Formen von
Sexualität diskriminiert und bestraft. Konservative sehen ihre Werte bedroht. Und das ist gut, denn sie sind es auch. Überholte Werte lassen sich nicht konservieren. Oder, in Victor Hugos Worten: „Man kann sich der Invasion einer Armee widersetzen – nicht aber einer Idee, deren Zeit gekommen ist.“ Paare müssen schon länger nicht mehr verheiratet sein oder Kinder haben, Scheidung ist akzeptiert und Patchwork sowieso. Und jetzt sollen Kinder auch noch beigebracht bekommen, dass Schwulsein okay ist? Und vielleicht sogar, dass bärtige Dragqueens in Kleidern schön gefunden werden dürfen und Songcontests gewinnen können? Egal wie gut Conchita Wurst gesungen hat – dass es beim Eurovision Songcontest nicht um musikalische Leistung geht, macht ihren Sieg umso bezeichnender. Auch wenn deutschsprachige Medien es schon zum Erbrechen herausgetitelt haben: Jener Abend beweist, dass Individualismus belohnt wird. Zwar kamen negative Reaktionen vor allem aus Russland, aber auch im deutschen Recht findet sich viel Homophobie: Im Grundge-
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setz steht immer noch nicht, dass die sexuelle Orientierung eines Menschen kein Grund für Diskriminierung sein darf. Die eingetragene Partnerschaft ist ein schwacher Trost für diejenigen gleichgeschlechtlichen Menschen, die heiraten wollen. Problemlose Adoption ist für LGBT-Menschen immer noch nicht möglich. So richtig normal finden die meisten Deutschen Schwule und Lesben auch noch nicht - geschweige denn Transsexuelle. In unserem Berliner Großstadtleben mag es noch eher erscheinen, als sei schon alles gut. Jede wird irgendwie akzeptiert und auffallen ist eher eine Kunst denn ein Kreuz. Nirgendwo ist der Idealzustand erreicht, aber wir nähern uns. Wir sind laut. Wir verwirren und lösen Sexismusdebatten und Generationenstreits aus, und sei es nur am elterlichen Esstisch. Thomas Hitzlspergers Coming-Out, der #Aufschrei, sogar Conchita Wurst – drei Beispiele für extreme Ereignisse im letzten Jahr, die vorrangig positiv in den Leitmedien aufgenommen wurden. Daher wahrscheinlich die aufkeimende Angst des konservativen Bürgertums: Wir sind so laut, drängen uns so vehement in den Main-
VON SARAH EMMINGHAUS
stream, dass erkannt wird, dass manche Werte in naher Zukunft aussterben. Das Gefahrenpotenzial einer Partei wie der AfD liegt darin, dass die propagierten Ideen sich so schön skandalisieren lassen. Der Familiensinn geht verloren! Ein Kind braucht Vater und Mutter! Schwule verdrängen die richtigen Männer! Arme heterosexuelle Männer, die sich in ihrer Männlichkeit und damit ihrer Persönlichkeit verletzt fühlen. Sie stehen immer mehr Frauen gegenüber, die nicht mehr schwach und unterwürfig, sondern stark und dominant wirken - so vielem widersprechend, was Jahrtausende lang galt. Ja, in unserer Generation hat die Beschäftigung mit dem Ich einen höheren Stellenwert als zuvor. Das kann, muss aber keinen Egoismus implizieren. Wenn wir es richtig machen, ebnen wir den Weg zu mehr Toleranz, zu einem neuen Familiensinn und Akzeptanz sämtlicher Lebensformen, solange sie nicht wehtun. Weh tut, wer diskriminiert und einengt. Nicht weh tut, wer die eigene Persönlichkeit auslebt und neue, zeitgemäße Werte schafft.
Umweltschutz im Alltag Nicht allein die Industrie ist Schuld an Klimawandel und Umweltverschmutzungen. Jede Bürgerin trägt ihren Teil dazu bei. Sich in der Öffentlichkeit umweltbewusst darzustellen, ist ein verbreitetes Phänomen. Die Kundin möchte schließlich Elektrogeräte kaufen, deren Metalle nicht aus Sklavinnenminen stammen, Nahrung konsumieren, die nicht dafür verantwortlich ist, dass Dritte-Welt-Bürgerinnen verhungern. Dabei ist diese Einstellung auch bei vielen Menschen hierzulande Greenwashing – gegenüber sich selbst und auch gegenüber dem persönlichen Umfeld. Die „bewusste“ Konsumgesellschaft für das gute Gewissen ist ein vieldiskutiertes Thema. Mitbürgerinnen möchten grüne Themen in der Politik, kaufen Bio-Produkte und denken dadurch, sie engagierten sich für die Umwelt. Doch das ist häufig nur „persönliches Green-
washing“. Zusammenhänge zu den Themen Energieverbrauch, Effizienz und Abfall sind vielen völlig schleierhaft. Und meistens weiß die Bürgerin nicht mal etwas von ihrer Ahnungslosigkeit. Sie lehnt sich mit gutem Gewissen zurück – völlig zu Unrecht. Um Produkte in ihrer Effizienz zu optimieren, werden Ökobilanzen erstellt. Dafür wird der Lebensweg eines oder (vergleichend) zweier Produkte betrachtet. Hierbei werden Emissionen während der Ressourcenbeschaffung, Produktion, Konsum etc. erfasst, um Handlungsempfehlungen auszusprechen, wie die Umweltwirkungen der Produkte verringert werden können. Wer eine Tasse Kaffee ökobilanziert, instant
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oder frisch gemahlen, findet heraus, dass der gesamte Lebensweg (Produktion, Röstung etc.) eigentlich irrelevant ist, sobald die Kundin mit dem Auto einkaufen fährt. Selbst wenn der Einkauf viele Produkte enthält – die Emissionen werden dann gesplittet –, macht die Autofahrt einen Großteil der Emissionen der Tasse Kaffee aus. Gut, dass Autofahren scheiße ist, ist kein Geheimnis. Aber dieses Prinzip lässt sich auf alles übertragen. Wenn ich für eine Tasse 0,4l Kaffee 0,7l Wasser koche, verbrauche ich ~75% mehr elektrische Energie. Die Emissionen pro Tasse gehen durch die Decke. Zum Vergleich: Wenn durch eine Ökobilanz 10% CO2 Äquivalente eingespart werden können, ist das wie ein Sechser im Lotto. Ähnlich könnte man eine Bilanz für individuelle Menschen erstellen, um Verbesserungspotenziale im Alltag zu finden. Jede von uns macht einige der folgenden Sachen: Ewig duschen. Wasser beim Zähneputzen laufen lassen. Essen wegschmeißen. Elektrogeräte und Licht bei Abwesenheit anlassen. Plastiktüten verschwenden. Heizung an – Fenster auf. Im Supermarkt eine durchsichtige Kühlschranktür oder Gefrierfach öffnen, um dann zwei Minuten zu überlegen, was man braucht. Badewanne mit heißem Wasser zum Händewaschen füllen. Ok, das alles kann schonmal passieren, sollte aber eigentlich die Ausnahme sein. Sollte. Dennoch sieht man es ständig: Die Mitbewohnerin geht zum Kühlschrank, holt etwas heraus, lässt die Tür offen und kocht weiter. Man ist zu Besuch in einer anderen WG und läuft durch eine große, leere, hell erleuchtete Wohnung. Ohne große Mühe könnte die individuelle Umweltbilanz einzelner Menschen massiv verbessert werden. Wer
also die Pilze aus der Umgebung kauft, macht die paar Gramm eingesparte CO2 Äquivalenz im Transport wieder kaputt, wenn sie über Nacht im Flur das Licht anlässt. Ich bin gerne der Klugscheißer, der andere darauf aufmerksam macht, dass das, was sie da tun, nicht konstruktiv, „nicht gut für die Umwelt“ ist. „Ich mach ja gleich den Kühlschrank zu, lass mich doch mal gucken.“ – sagt die vorm Kühlschrank mit der Glastür. Forrest Gump Level. Intellektuelle Geschwisterkinder von Beavis und Butthead! Für viele bedeutet Umweltschutz wahrscheinlich, sich Blumen ins Haar zu binden und sich an Bäume zu ketten. Dabei liegt die Notwendigkeit auf der Hand. Es geht nicht darum, alte Bäume zu retten, und auch nicht darum, Eisbären oder Tiger vor dem Aussterben zu bewahren. Das würde uns nicht mal jucken. Es geht nur um die Menschheit. Menschen sterben nämlich, wenn ganze Landstriche durch Erdölförderung kontaminiert werden und Ackerbau oder Fischerei unmöglich machen. Auch in Deutschland gibt es Opfer unseres Verhaltens. Durch Luftverschmutzung erkranken Menschen, etwa an Asthma. Die sterben dann nicht sofort, aber früher. Das bisschen mehr Strom, das du verballerst, indem du zu viel Wasser kochst, bringt niemanden um, aber du bist zu einem sehr kleinen Prozentsatz mitverantwortlich für eine Erkrankte. Dies macht vielleicht genau so viel Unterschied wie die Wahl eines regionalen Produktes, vielleicht sogar mehr. Wenn du täglich auf diese Dinge achtest, kannst du so gut dastehen, wie jemand, der sich bewusst ernährt. Beides tun ist natürlich noch besser.
VON ALEX HILCKMANN
Z W E I AUS Z W A N Z IG TAU S EN D
Ja n , Kul turwi s s e n s c h a fte n u n d A n g l i st i k
MEIN NÄCHSTES REISEZIEL
WARUM WEINST DU?
Potsdam, Park Sanssouci (Ausstieg in Fahrtrichtung rechts)
Das ist nur der Regen, der von meiner Nasenspitze tropft.
AUF MEINEM MP3-PLAYER LIEF ALS LETZTES
WAS NERVT DICH?
Connan Mockasin - Do I make you feel shy? AUF MEINEM NACHTTISCH LIEGT
WAS FEHLT DIR?
Ohropax. Über mir wohnt ein dickes Kind.
Eine Antwort auf „Was nervt dich?“ DEINE SCHLIMMSTE JUGENDSÜNDE
DIE BESTE BAR DER STADT?
Reiche ich nach, wenn ich alle getestet habe.
Eine Kette mit Hanfblatt und Dreadlocks DURCH DIE NACHT MIT...
WO SIEHST DU DICH IN 10 JAHREN?
Helge Schneider Mit drei Kindern zwei Etagen weiter oben. UND WENN ALLE STRICKE REISSEN...
Oli Geißen
DEIN LIEBLINGSZITAT
„Mit der Union wird es flächendeckende, gesetzliche Mindestlöhne nicht geben.“ Angela Merkel
Z W E I AUS Z W A N Z IG TAU S EN D
Pa ul , Ge rm a n i s ti k un d Geschi cht e
MEIN NÄCHSTES REISEZIEL
WARUM WEINST DU?
keine Ahnung
so richtig emotional werde ich beim Zwiebel schneiden
AUF MEINEM MP3-PLAYER LIEF ALS LETZTES
WAS NERVT DICH?
Goose Freight Train AUF MEINEM NACHTTISCH LIEGT
ausgefragt zu werden WAS FEHLT DIR?
mein grausamer Handywecker DIE BESTE BAR DER STADT?
ganz klar: Geduld. Kann ich gehen? DEINE SCHLIMMSTE JUGENDSÜNDE
BAIZ in Berlin, Olga im ollen Potsdam WO SIEHST DU DICH IN 10 JAHREN?
vermutlich zu selten beim Zahnarzt gewesen... das wird teuer alsbald DURCH DIE NACHT MIT...
ich weiß ja noch nicht mal, ob ich morgen zur Uni gehe
Tomatensaft
UND WENN ALLE STRICKE REISSEN...
DEIN LIEBLINGSZITAT
reisst ja auch der Galgenstrick.. also: Life goes on
Es gibt nichts Gutes, außer man tut es
EINE GESCHICHTE SCHREIBT SICH WEITER
FINDE DEN FEHLER
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IMPRESSUM Verantwortlich für den Inhalt nach § 55 Abs.2 RSTV: Robert Hofmann CHEFREDAKTION Sarah Emminghaus, Christoph Groß, Robert Hofmann REDAKTION Canan Denli, Yana Duckwitz, Matti Geyer, Carolin A. I. Gries, Alex Hilckmann, Robert Hofmann, Katja Jahnke, Ronja Kolls, Alia Lübben, Antonia Reinhard, Jan Russezki, Sophie Schubutz, Pascal Wienicke, Florence Wilken ART DIREKTION Christoph Groß, Thomas Schwaiger KONTAKT Redaktion@zQzaubert. de WERBUNG Leonie@zQzaubert.de ZURQUELLE DANKT RELENTLESS ENERGY DRINK für die Unterstützung, sowie MÖLLER DRUCK und dem ASTA UND STUWE der Universität Potsdam.
BILDVERWEISE: S.1 ERIC ISSELEE / SHUTTERSTOCK.COM, S.50 STEINDY / WIKIMEDIA COMMONS
Seite 50, #4. Hier beginnt unsere Kurzgeschichte, die jede Ausgabe fortgeführt wird. Es war einmal Einer, der war eigentlich keiner. Man hatte ihn bei der Geburt Klaus genannt, aber wenn man ihn fragte „Wer sind Sie, bitteschön?“, sagte er „Niemand besonderes.“ Und so war es tatsächlich. Alles an ihm war so gewöhnlich, wie die Schuppen eines Fisches oder das kurze, aber dennoch beschwerliche Leben Drosophilas. Er hatte Haare und ein Gesicht. An seinem Körper befanden sich Arme und ein paar taugliche Beine, die sich in der Verlängerung nach unten hin zu handähnlichen Gebilden formten. Er steckte diese in Schuhe und seine restliche Gestalt in aus Stoff genähte Säcke, in Geschäften als Hemden oder Hosen angepriesen. Er konnte sich in Gesellschaft aufhalten, ohne auffällig zu werden. Man hatte ihm beigebracht, wenig aufzufallen, denn zu fallen, bedeute nichts Gutes und etwas bedeuten, wollte man schon gar nicht. Als er einmal einer Beschäftigung nachging, geschah jedoch etwas sehr Auffälliges...
WAS DIE REDAKTION HEIMLICH MACHT
Alex Fiktive Gespräche mit Menschen aus der Vergangenheit führen Canan Burger und Pommes für Zwei mit Mayo/Ketchup für Drei im Bett essen Caro Stundenlang mit mir selbst sprechen: Fördert Intelligenz „Caro, Caro, was hast du dir dabei gedacht“ Christoph Vor dem Spiegel tanzen: Zuletzt zu Justin Biebers „All That Matters“ Florence Mit Putin Geburtstag feiern Katja Früh aufstehen, um nicht vorhandene Augenbrauen in mein Gesicht zu malen Matti Laut Popsongs mitsingen Pascal Schwiegertochter gesucht und Frauentausch gucken Robert Zwei Staffeln „Glee“ Sarah Wieder Teenie sein: Vampire Diaries, One Tree Hill, GNTM, Pretty Little Liars Sophie Drake hören‚ cause we started from the bottom now we‘re here Tom Handstand üben Jan Unter der Dusche freestylen mit lässigen Moves oder leise Gedichte auf Beats rappen - Psst! Der Nachbar! Toni Spice Girls hören. Danke Spotify für die Private Session Yana Direkt aus dem Kühlschrank essen. Spart den Abwasch, nicht unbedingt Strom
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