ZurQuelle #12 Titelthema: Grenzen

Page 1

#12

Âť

The Sky's the limit und wir steh'n drauf


Ein herz für Recep Tayyip Erdoğan Weißt du, Erdi, du warst uns ja lange ein gern gesehener Gast. Wir haben daran geglaubt, dass du die Türkei »modernisieren« möchtest und fein heim in die wartenden Arme der EU schicken würdest. Jetzt, eine gute Dekade später, müssen wir einsehen: Du hast es nicht begriffen. Erdi: Wer sich mit Böhmi anlegt, kann gegen das geballte deutsche Feuilleton nur verlieren. Nach dir wird sich die Türkei erstmal von dir modernisieren müssen. Schade. Auch auf die Gefahr hin, nun als Terroristinnen zu gelten: In der EU hast du nichts verloren. Stattdessen: Ein Herz. Du darfst es aufbewahren, bis die Türkei ohne dich wieder demokratisch geworden ist.


Editorial

Thema: grenzen

One World, One Quelle and One Destiny — Just Dance for Me Eine Königin repräsentiert die Grenzenlosigkeit eher mittelmäßig. Es sei denn, sie ist die Königin der Welt, wie Leonardo DiCaprio. Trotzdem ist ihre Forderung berechtigt. Wenn alles eine Welt wäre, würde getanzt. Nicht immer und nicht ausschließlich, aber doch viel und häufig. Auf Straßen, Plätzen und natürlich an den Stränden dieser Welt, vor allem den spanischsprachigen: zu den ritmos de la noche und den sounds of fiesta. Diesmal haben wir Grenzen auseinandergenommen. Und wir haben dabei versucht, ein bisschen über die Grenze hinauszublicken, die sinnvollerweise unser Essen auf den Teller beschränkt. (Du verstehst das Bild nicht? Gemeint ist der Tellerrand, du Doof.) Die Geschichte einer Musikerin, die mal ein Musiker war ist die Auflösung einer Grenze – womit Anohni gleich eine neue Grenze gezogen hat, nur von der anderen Seite. Oder die Freundin des Verbindungsstudenten, die bald merkt, dass sie keinen Platz in seiner kleinen dummen Parallelwelt finden wird. Was passiert, wenn sich zwei junge Frauen aufmachen, ihr Glück beim Couchsurfing zu finden? (Spoiler: So ziemlich das, was man erwartet.) Warum ist es diskriminierend, von den berühmt-bememeten #firstworldproblems zu sprechen? Und was ist der Vengaboys liebstes deutsches Wort? (Spoiler: Es ist ein englisches.) Unser Interview rundet das Ganze ab. Zum Zocken findet ihr ein Quartett der geilsten Mauern der Welt. Und wenn ihr euch doch zu schön für uns findet, dann schaut das Alpaka auf dem Cover an. Es ist knusperknusperknäuschen. Robert Hofmann


Patrick R. – Wirtschaftsinformatik »…but personality, that’s what counts – that’s what keeps a relationship going through the years. Like heroin. I mean, heroin’s got fucking great personality.« (Sick Boy in Trainspotting) Anne – Englischsprachige Literatur und Kultur »Die Mittelmäßigkeit steigt auf Maulwurfshügel, ohne zu schwitzen.« (isländisches Sprichwort) Yana – Europäische Literaturen »Unter Umständen ist die Existenz von Mauern nur an wundgestoßenen Köpfen nachweisbar.« (Hannah Arendt) Anna – Koreastudien u. Ostasienwissenschaften »Hebt man den Blick, so sieht man keine Grenzen.« (japanisches Sprichwort) Fidélité – Kulturwissenschaften u. Französisch »Ich liebe Afrika. Südafrika und Westafrika. Das sind beides tolle Länder.« (Paris Hilton)

Jonas – offiziell nichts mehr »Ein Freund von mir sagt, dass er die besten Mixkassetten der Welt zusammenstellt. Ich glaube, das sagt jeder von sich, obwohl nur ich Recht habe.« (DJ Koze) Christopher – Literaturwissenschaft » Enfin, vivre me semble un métier pour lequel je ne suis pas fait. « (Gustave Flaubert) Tilla – Kulturwissenschaften u. BWL »My Merlot is not the answer. It just makes you forget the question.« (2014 Weingut Emil Bauer & Söhne) Thomas – Sinologie »It’s like watching a gameshow with evil players, made up rules and a really confused angry audience.« (Eine brasilianische Freundin über die politischen Ereignisse im Land) Luna – Deutsche Philologie »Wir kaufen nichts« (Meine Großmutter Ute, jedes Mal wenn ich vor ihrer Wohnung stehe und sie die Tür öffnet)

Redaktion Naomi – VWL »Wenn man es kann, ist es keine Kunst. Wenn man es nicht kann, erst recht keine.« (Karl Valentin)

Robert – Geschichte und Soziologie »Mother. I’ll always love her. My mother. So treat her right. Treat her right.« (Mr. T)

Rita – Recht und Wissenschaft »Der Normalzustand der Athmosphäre ist die Turbulenz.« (Der Wetterbericht.)

Samuel – Germanismus u. Geschichtik »My wife and I are both feminists. But as a man, I’m a tiny bit better at it.« (@GuyEndoreKaiser)

Sören – Marburger Mottopartyistik »Für Gott bist du eine ganz kleine Nummer. Die Nummer 1.« (Heinz Strunk) Patricia – Psychologie »Facts are like cows. If you look them in the face hard enough, they generally run away.« (Dorothy L. Sayers) Johanna – Englische Kultur- u. Literaturwissenschaft »The more I learn about people, the more I like my dog« (Mark Twain) Patrick M. – Physik »Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.« (Bob der Baumeister)

Sven – Kommunikationsdesign »Das kann jetzt unmöglich dein Ernst sein!« (meine Ex) Vivien – Kommunikationsdesign »Thanks for getting in touch with us. Please ask your question in German, so we can answer it.« (@Postbank via Twitter) Ali – Kulturwissenschaften u. Anglistik/Amerikanistik »Ich hab’ letztens was gelesen über das KaterBlau, das ist übrigens ein Club in Berlin. In dem Artikel stand, das sei der Gesundbrunnen unter den Berliner Clubs.« (@kmeyzepp)


#12


#12: Grenzen


No Borders – keine Grenzen. Wenn die alte linke Forderung Wirklichkeit würde, gäbe es kein Titelthema. Aber Grenzen sind überall. Ihre Abschaffung zu fordern, würde bedeuten, den Menschen abschaffen zu wollen. Und die Tiere, von denen sich der Mensch abgrenzt. Und alles, was nicht eins ist – unbegrenzt war nur der Urknall – wenn überhaupt, ey. Grenzen sind alles. Grenzen begrenzen nicht bloß Nationalstaaten. AfDWählerinnen etwa stoßen jeden Tag an ihre eigenen Grenzen, wenn sie versuchen, zu verstehen, warum Menschen die europäischen Grenzen überschreiten möchten. Aber diese Menschen sind auch sehr begrenzt. Grenzenlos hingegen ist Loonas Schönheit, ihre Anmut und ihre Sangeskunst. Wer sich dem Charme David Hasselhoffs widersetzt, grenzt sich selbst aus der Gemeinschaft hasselhoff-höriger Deutscher aus. Und wenn jemand wagt, die Liebe der Deutschen zum grenzvernichtenden Hasselhoff zu leugnen, gehören ihm die Grenzen aufgezeigt. Die der Gesellschaft, die Grenzen braucht, um Konformität zu schaffen und die seines Gehirns, das offensichtlich der entgrenzten Dummheit frönt. Grenzen können Ende sein und Anfang, sie können aber auch endlos lang sein oder im Kreis laufen. Sie können zusammenhalten und ausgrenzen, können gesichert und geöffnet werden. Und viele Grenzen gibt es nur im eigenen Kopf.


IN DER SPRECHSTUNDE

Saman Sebastian Hamdi interview: Fidélité Niwenshuti-Mugwaneza


009

Tanz kann Grenzen überwinden. Saman Sebastian Hamdi ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Kulturen romanischer Länder an der Universität Potsdam. Dort unterrichtet er seit 2014. In Veranstaltungen wie etwa »Each One Teach One! Emanzipation und Bildungspotentiale der Hip-Hop-Kultur« drückt sich sein praxisorientierter Ansatz aus. Neben seinem akademischem Fokus auf Kultur, sozialen Bewegungen und alternativer Pädagogik unterstützt er auch privat als Breakdancer Kulturprojekte mit Geflüchteten.

Was bedeutet das Tanzen für dich? Ich tanze schon seit meiner Jugend »Breaking«. Ich denke, dass dies, wie die anderen Hip-Hop-Elemente auch, ein Medium ist, welches Grenzen überwinden kann. Die Breaking-Szene und diverse Reisen haben mir gezeigt, dass alle konstruierten Differenzen im Tanz überwunden werden können und keine Rolle mehr spielen. Diese Idee versuche ich auch in meinen Seminaren und Workshops zu vermitteln. Was macht Hip Hop deiner Meinung nach besonders? Mein Vater war Kurde aus dem Irak und Teil des kurdischen Widerstands gegen Saddam.

Meine Mutter ist Deutsche. Mir wurde früh klar, dass nationalstaatliche Grenzen und ethnische Differenzen künstlich sind und nichts mit dem eigentlichen Menschen zu tun haben. Das war auch einer der Gründe, die mich zum Hip Hop brachten. An welchen praktischen Projekten arbeitest du gerade? Im Moment arbeite ich an einem Projekt, das ich vor drei Jahren mit meiner Gruppe »Flowjob« ins Leben gerufen habe. Dabei geht es vor allem um die Arbeit mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen, etwa aus Syrien oder Serbien, die gemeinsam mit deutschen Kindern in einer Tanzcrew zusammengeführt werden. Es ist schön zu sehen, wie die Kids durch das Spielerische zusammenwachsen und eine Gemeinschaft bilden. Nach und nach überwinden sie dabei kulturelle Grenzen – ein Modell im Kleinen, welches meiner Meinung nach auf andere Kontexte und die Gesellschaft übertragbar ist. Gab es besonders einschneidende Momente in diesen Workshops? Besonders einschneidend ist hierbei die ständige Androhung und Durchführung von Abschiebungen unserer Schülerinnen. Der kleine Vule aus Serbien etwa ist sieben Jahre alt, breakt wie ein Weltmeister und kriegt am laufenden Band Heiratsanträge. Da er und seine Familie, aus einem sogenannten »sicheren Herkunftsstaat« kommen, sollen sie wieder zurückgeschickt werden. Also haben alle Kids der Tanzcrew Briefe an die Härtefallkommission verfasst und darin ihre Freundschaft zu Vule beschrieben. Damit haben wir ein Ja der Kommission zum Bleiberecht erreicht. Der Landesinnenmizqzaubert.de


010 nister will die Familie trotzdem abschieben. Diese institutionalisierte Ungerechtigkeit bereitet Kopfschmerzen und Trauer, aber wir kämpfen weiter dafür, dass unsere Freunde bleiben können. Wo siehst du die Verbindung zwischen Gangsta-Rap und Politik? Kultur und Politik sind für mich untrennbar miteinander verbunden. Ein Nachdenken über Kultur, ohne die großen Machtzusammenhänge mitzudenken, macht keinen Sinn. Kulturwissenschaften sollten sich immer damit befassen. Hip Hop zum Beispiel entwickelte sich aus einer krassen Unterdrückung heraus. So kam es zu einer emanzipierten, kollektiven Kulturpraxis, die eine neue Identität schaffte und Selbstbestimmung erreichte. Natürlich hat eindimensionaler Gangsta-Rap, der zu einem Großteil rassistische und sexistische Klischees bedient, damit nicht mehr viel zu tun. Hast du eine »Lieblings-« soziale Bewegung? In meiner Masterarbeit habe ich mich intensiv mit »Occupy Wall Street« auseinandergesetzt. Dass Menschen der starken Isolation des Einzelnen innerhalb einer Gesellschaft entgegenwirken, hat mich an den gesamten Platzbesetzungsbewegungen besonders inspiriert. Durch das Aufeinandertreffen so vieler Leute entsteht ein gegenseitiger Austausch, eine konstante Selbstreflexion und im Idealfall eine neue Gesellschaftspraxis. Kann eine soziale Bewegung wirklich einen Unterschied machen? Auf jeden Fall. Viele soziale Bewegungen konnten ihren Einfluss unter Beweis stellen. studium

So wie etwa das Projekt »Rolling Jubilee« gezeigt hat, bei dem Schuldenpakete für einen Bruchteil der Schuldensumme aufgekauft und annulliert werden. Eine andere wichtige soziale Bewegung ist die griechische »Solidarity for all«-Bewegung, die 40 Solidarkrankenhäuser errichtete. Dass wir ein Wochenende, Renten, gesetzliche Krankenversicherung und so weiter haben, ist auch nur den sozialen Kämpfen früherer sozialer Bewegungen zu verdanken. Du bist sehr praxisorientiert. Ist dir die Uni zu theoretisch? Theorieorientierung ist gut und sinnvoll, solange der Praxisbezug gegeben ist. Ich glaube, dass gerade das Wissen aus kritischer Geisteswissenschaft mehr in die Außenwelt getragen werden sollte und andersherum. Davon profitieren dann im Endeffekt alle. Wie könnte das dann in der Praxis aussehen? Im Sommersemester biete ich ein Forschungsseminar an, dass sich aktiv mit Kunst-, Kultur- und Bildungsprojekten von, mit und für Geflüchtete beschäftigt. Die Studierenden bekommen so die Möglichkeit, sich eigenverantwortlich mit einer besonderen Form kultureller Inklusionspraxis auseinanderzusetzen: dem Erkenntnisakt, dem Nachdenken, dem Vorausdenken, dem Probehandeln.


011

Studienabbrecherin der Ausgabe:

Bettina Wulff This girl's a fucking fairytale. Mal ehrlich, wenn eine Bettina Körner aus Großburgwedel auf euch zukommt, euch erzählt, dass ihr Vater Bankangestellter ist, würdet ihr ihr zutrauen, every Disney girl's dream true comen zu lassen? Prinzessin zu werden? In einem großen Schloss? Gerade, wenn sie euch auch noch erzählt, dass sie ihr Medienmanagementstudium nach 14 Semestern abgebrochen hat? Jetzt mal 4 real. Wir nämlich auch nicht. Alle Odds waren gegen Bettina damals. Aber das konnte ihr nichts anhaben. Sie hatte einen Traum. Sie wusste genau, wo sie hinwollte, nämlich nach oben. Nichts in der Welt sollte sie umstimmen, nicht der holprigste Pfad und erst recht nicht der Job als Pressereferentin von Continental-Reifen. Denn als sie ihn sah, ihren Märchenprinzen, auf Geschäftsreise, da wusste sie, dass ihre unglaubliche Lebensgeschichte nicht in Großburgwedel enden, nicht in der bürgerlichen Provinz Halt machen, sondern eine atemberaubende Wendung nehmen sollte. Sie wollte Christian Wulff heiraten und mit ihm einziehen ins Schloss der schönen Aussicht in Berlin. Bettina Wulff war geboren. First Lady oder Prinzessin, das war ihr egal. Hauptsache Schloss. Und Prinz. Sie hatte die Odds defeatet. Und wurde in den Medien zur deutschen

Prinzessin Kate, oder dazu, was Nina Kraviz unter Techno-DJs ist: Hübsch aber langweilig. Perfekt für das kontemporäre Deutschland. Zu perfekt, wahrscheinlich. Großburgwedel holte sie ein, und die diversen Vergehen ihres Christians. Sie stolperte mit, »glamourös und gemütlich« (FAZ) zwar, aber immer genau darauf reduziert, was eine Frau in der Öffentlichkeit ist: Eine Frau. Nach der Abdankungsrede ihres Mannes wurde in der Presse über ihr schwarz-weißes Kostüm philosophiert, mit dem sie ein starkes Zeichen des »political dressing« gesetzt hatte. Und der Boulevard attackierte sie infam zu ihrer angeblichen Vergangenheit als Prostituierte. Doch 598 Tage in der Hauptstadt hatten sie mit Teflon verkleidet. Nichts konnte ihr etwas anhaben, nicht einmal die zwischenzeitliche Scheidung von Mann und Ex-Bundespräsi. Denn zwei Jahre später war Bettina wieder auf ihrem Weg angekommen. Wie im Märchen heiratete sie zum Schluss doch wieder, diesmal kirchlich und abermals ihren Christian. Ende gut, alles gut, sollte man meinen. Aber is this the end, Betty? Is it? Jonas Lindt

zqzaubert.de


studium

Foto: Evelyn Chu | Flickr | CC BY-NC-ND 2.0

Text: Anna Zanner

hugging Seoul

012


Vildan vermisst das türkische Essen ihrer Mutter. Und das, obwohl es in ihrer studienbedingten Wahlheimat Seoul Imbisse in reicher Fülle gibt. Immerhin ist das so ziemlich das einzige, was sie vermisst. Denn nach zwei Jahren Koreastudien in Berlin hat sie sich zu einem interkontinentalen Haupstadtwechsel entschieden. Jetzt verbringt Vildan ihr drittes Studienjahr in der Hauptstadt von Nordkoreas superheißer Schwester. Die atomaren Zickereien der beiden lassen die meisten Koreanerinnen übrigens genauso kalt wie die Klimaanlagen im 36 Grad hotten Sauna-Sommer. Die meisten müssten wohl den größt­ annehmbaren Kulturschock erwarten, hat sie doch schon Jamie Lee Krevitz‘ Frisur arg vor den Kopf gestoßen, als sie beim Eurovision Song Contest einzelne asiatische Bräuche mundgerecht aufbereitete. Vildan aber blieb davon verschont. Durch ihr Studium hat sie sich schon vorher die Grob- und Feinheiten der südkoreanischen Kultur angeeignet angeeignet. Diese Berge an Wissen eignen sich perfekt als Landmarks für die Navigation durch den koreanischen Alltag.

Anders als die kleine Jamie Lee es in ihrer Heimat erfahren hat, reden Koreaner­innen zum Beispiel immer respektvoll voneinander. Die Älteste wird als Stammhalterin und Leader respektiert. Hierarchie ist den Koreanerinnen wichtig, schon Konfuzius legte Wert darauf. Hier schlagen dann auch Vildans türkische Wurzeln durch – das mit der Hierarchie kennt sie nämlich. Anders als in der Türkei kann das in Korea aber auch miese Nachteile haben. An der Uni schließen Sonbaes (Seniors) zum Beispiel schon mal Hubaes (Freshmen) aus Projekten aus, wenn diese sie nicht aufmerksam genug behandeln. Abgesehen davon fühlt Vildan sich in ihrer Teilzeitheimat wohl. Auch die Tatsache, dass sie schon vor Beginn des Austauschjahrs einen koreanischen Freund hatte, mit dem sie jetzt zusammenlebt, hat einiges dazu beigetragen. Er hat ihr im Alltag und mit der Sprache geholfen, weil sie sich fast nur auf Koreanisch unterhalten. Außerdem hat seine Familie, die sie auch im Laufe des Jahres kennengelernt hat, ihr Kulturverständ-

nis aufgebessert und ihr Dinge wie die koreanische Teezeremonie beigebracht, die im akademischen Kulturunterricht völlig untergehen. Großartig feiern war Vildan noch nicht. Sie zieht die koreanischen SulJibs (Alkoholhaus) im Seouler Szenedistrikt Shincheon vor. Diese bieten vor allem Südkoreas Lieblingsschnaps Soju an. Die Snacks dort sind natürlich nicht so gut wie das Essen ihrer Mutter. Doch das hält sie nicht davon ab, sich dort freitags mit Freundinnen zu treffen und die Woche gechillt ausklingen zu lassen. In Sachen Feierabend sind die Kulturen manchmal dann doch nicht so unterschiedlich.

013

zqzaubert.de


Vom Antatschen und Ăœbernachten die auszogen, – Zwei, Europas Sofas zu 014

erschnorren

gesellschaft


015

Kann etwas wirklich kostenlos sein, wenn man das Gefühl hat, eine Gegenleistung erbringen zu müssen? Text: Yana Duckwitz & Luna Graffé

zqzaubert.de


016 Zwei junge Frauen packt die Reiselust. Mit magerem Geldbeutel planen sie eine Städtereise durch Europa. Ausschau nach Übernachtungsmöglichkeiten im gemischten 20-Betten-Schlafsaal zu halten, darauf verzichten sie dabei. Schließlich ist im Jahr 2016 Couchsurfing bei weitem nichts ausgefreaktes mehr. Die Chance auf einen Schlafplatz, der mit nichts als seiner puren Anwesenheit bezahlt wird, ist schon länger bekannt. Doch da es sich als frustrierend langatmig herausstellt, einzelne Personen mit positiven Bewertungen direkt anzuschreiben, erstellen sie ein eigenes Profil mit offener Anfrage: »We are two girls from Berlin on a trip through Europe!« Das Ergebnis: Es melden sich grundsätzlich nur Männer, die gerne auch andere Aktivitäten mit den beiden unternehmen wollen. Muss man wirklich nichts geben für diesen Schlafplatz? Geht es hier wirklich nur um einen kulturellen Austausch, wie auf der Webseite angepriesen? Weibliche Gäste, denkt sich so ein Männerhirn, werden mich wahrscheinlich nicht im Schlaf zusammenschlagen. Sie sind womöglich ganz hübsch anzusehen, vielleicht sogar willig, und ich ›kann‹ bald mal wieder, denkt es und macht sich Hoffnungen. Der widerliche Onanist! Fremder Männerhirne Gedanken sind ein offenes Buch für die beiden Couchsurferinnen. Bleibt nur die Frage, wie sie bei der Sache dieses »Verkaufe ich hier gerade meinen Körper?«-Gefühl loswerden können. Nehmen ohne Geben?

Erster Halt: Amsterdam. Pieters Profilbild trügt nicht. Der Mann hat Kohle und bestätigt nicht das ›Ich teile meine schmutstu

zige Matratze mit dir in meiner 15qm-Wohnung‹-Klischee, an das man bei Couchsurferinnen vielleicht denken mag. Worum geht es ihm? Mit ihrem Berliner Sofa müssen sie ihm jedenfalls nicht kommen, er kann sich ein Hotel leisten. Er spendiert Bier und legt bevorzugt Arme um Schultern und Hüften. Am nächsten Morgen will Pieter die beiden auf seinem Boot mitnehmen. Das klingt gut, aber lieber würden sie die Stadt auf eigene Faust erkunden. Sag das mal einem Mann, der dir gratis eine luxuriöse Unterkunft anbietet! Gleiches Spiel mit Bastian in Paris. Andere Gestalt, aber das Gefühl


017

bleibt creepy. Der Gastgeber zittert, starrt und ist partout nicht aus dem Zimmer zu bewegen. Lieb und unbeholfen wie er ist, sind sie auf einmal in der Position, ihm in seiner eigenen Wohnung Grenzen aufzeigen. Geht das oder ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass man wider Willen Zeit mit dem Gastgeber verbringen muss? Europa auf der Couch

»Wir holen uns die Welt auf die Couch!« Hervorragend klingt das! Doch Europa besteht nicht nur aus lustigen Hippies ohne

Hintergedanken. Die Realität sieht so aus, dass schwitzende Ü-40 Glatzköpfe entscheiden, wer wohin darf. Wer aufnimmt, entscheidet, wer reinkommt. Vorzug bekommt immer nur die, die eine bestimmte Schiene bedient. Im globalen Kontext sind das dann die Syrerinnen mit akademischer Laufbahn, in der Couchsurfing-Bude junge, attraktive Europäerinnen. Noch verrückter ist es bei José in Barcelona. Mit einer blonden Swetlana im Schlepptau gibt er gleich einen Drei-Tages-Plan vor und entführt die Couchsurferinnen in ein abgelegenes Haus, das viele leere Schlafzimmer vom antatschen und übernachten


018 und ebenso viele verstaubte Kinderfotos aufweist. Nachts verbarrikadieren die beiden ihre Zimmertür mit ihren Rucksäcken und entscheiden, dass José Swetlana am nächsten Tag allein auf den Fischmarkt ausführen darf. Warum aus Nettigkeit bleiben, wenn von Anfang an die Alarmglocken schrillen? Das sind die eigenen Grenzen, die man setzt. Bei einem Blick zu viel, einem übergriffigen Tagesplan und einer leeren Wohnung der toten Oma. Die Flucht ist vollzogen, doch in weiser Voraussicht haben sie sich noch mehr mittelalte Männer mit dubiosen Motiven und dünnen Matratzen warmgehalten. So treffen sie auf Nuno, bei dem das Gefühl vielleicht deswegen ein besseres ist, weil sich in der Wohnung noch weitere Couchsurferinnen tummeln. Auch wenn die Serbinnen nachts Bäume zersägen, das 2-Mann-Bett eigentlich nicht für vier Menschen gedacht ist und man die schimmeligen Ecke nicht näher beschauen will, stellt sich zum ersten Mal das ein, was wir uns unter wahrem Couchsurfing vorgestellt hatten: gemeinsames Kochen, Balkongeschichten und sich nachts Michael Ende vorlesen. Hier wollen sie bleiben. Und tun es auch einfach. Eine Woche und einen Tag lang, anstatt der angekündigten drei Nächte. Wenn es nach Nuno ginge, hätten sie noch länger bleiben können, auch wenn mittlerweile »echte Mitbewohnerinnen« eingezogen sind, die weniger glücklich über die deutschen Schmarotzerinnen sind, die nachts lauthals Rolf-Zuckowkis Kinderlieder schmettern.

Ein Abgesang

Sind die beiden einfach fiese Nutznießerinnen ohne Anstand? Weder Geld noch Körper wollten sie geben, nur eine gute Zeit und selbstgemachten verkochten Kartoffelsalat. Die Datinganfragen, die noch Monate später auf der Plattform der Studentinnen eintrudeln unterstreichen den Eindruck, dass hier nicht mehr wirklich die kostengünstige Multikulti-Reiselust im Vordergrund steht. Vielleicht sind die Tage des Couchsurfings gezählt und Gratis-Reisen ohne Körper-Hergabe eine Utopie, ebenso wie offene Grenzen für alle. Als behütete EU-Kids können wir uns das leisten. Wir warten an keinen Zäunen, haben ein sicheres Heim. Zwei Wochen Urlaub, ohne je für eine Übernachtung zu zahlen, außer vielleicht mit dem schlechten Gewissen, bedeutet so viel Freiheit wie Egoismus.

Lieblingswaffen der Autorinnen:

Y »›Gummimauer!‹-Blöken. Macht ätzende Blagen im Streit unangreifbar.«

L »Meine Intelligenz! Ne, Spaß. Meine AssiGhetto-Fresse boxt euch weg, ihr Opfer!«

studium


019

e t n a r Tole s u a e ß G rü o v o s o de m K In vielen postsozialisitschen Staaten sieht es nicht so rosig aus. Sie sind kaputt, hassen sich selbst und sich gegenseitig, sind sich dabei aber in einer Sache dennoch einig: Sündenböcke lindern etwas den Selbsthass und lenken superb von den eigentlichen Problemen ab. Doch bei der Opferwahl ist Vorsicht geboten! Es gibt Minderheiten, die einen umfangreichen Rechtsschutz erhalten: Die sollten besser gemieden werden. Insofern stellen die homosexuelle Personen etwa eine ideale Zielgruppe dar, denn sie genießen dieses Privileg in der Regel nicht. In manchen Staaten wie dem Kosovo garantiert jedoch die Verfassung Schutz vor Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Sexualität. Deswegen suchten in den letzten Jahren Tausende Homosexuelle in dem kleinen Balkanstaat Zuflucht. Der Kosovo ist von den Balkanstaaten der einzige mit einem derartigen Gesetz. Die mehrheitlich muslimische Bevölkerung nahm die Schutzsuchenden herzlich auf, da die serbische Unterdrückung vor der Unabhängigkeit noch in den Köpfen der Kosovaren präsent ist. Schön

wär’s, doch natürlich sieht die Realität ganz anders aus. Ein einfacher Verfassungstext reicht eben nicht aus, um gegen Stereotype und die konservativen Denkweisen der Bevölkerung etwas auszurichten. Schulbücher im Kosovo bringen den Kids zum Beispiel bei, Homosexualität sei eine psychische Krankheit und promulgieren dabei gleichzeitig ein männerdominiertes und sexistisches Familienbild. Die Familie will viel Nachwuchs. Wenn sie also erführe, dass es keine Enkel geben wird … Solch Gedankengut ist natürlich erstklassiger Dünger für den Nährboden physischer und verbaler Gewalt. Eine Schwulenbar etwa, die in Pristina eröffnen sollte, natürlich die allererste, musste nach einem Tag schließen, der Wirt aus dem Land fliehen. 2012 stürmten Radikale in Pristina eine Release-Party einer Ausgabe des Magazins Kosovo 2.0, weil darin über homosexuelle Lebensweisen berichtet wurde. Die Angreiferinnen beschimpften die Anwesenden wütend: »Schwule raus. Ihr seid schmutzig.« Sowas reicht aber im Kosovo nicht aus, um den Straftatbestand der Beleidigung zu erfüllen. Verboten wäre nur so etwas wie: »Schwule raus, ihr seid schmutzige Serben!« Lea Wyrwal dessert


020

enage Wie eine junge Liebe gegen die Treue zur Verbindung verlieren muss.

studium


021

text: Peter Penis

Wo die Liebe hinfällt, da wächst kein Gras mehr? Verliebt hatte ich mich in Nils. Was ich nicht wusste: er ist Verbindungsstudent. Vielleicht dauerte es auch deshalb länger, bis mir klar wurde, dass Liebe wirklich blind machen kann. Als ich ihn zum ersten Mal sah, dachte ich nur: »Was für ein Spießer trägt denn ein zugeknöpftes Polohemd und fiese Segelschuhe bei einer Erstifahrt zum Gardasee?« Wie sich später herausstellte, hieß die Pfeife Nils und konnte ziemlich gut küssen. Seine etwas spießige Aufmachung war mir – vor allem als wir uns küssten – mehr oder weniger egal. Als er mir dann aber erzählte, dass er in einer Studentenverbindung sei, war es mir nicht mehr egal. Hatte ich gerade mit einem Nazi in Segelschuhen geknutscht? Liebe macht blind, das ist ja bekannt, aber macht sie aus Feinden wirklich Freunde? Um ehrlich zu sein, hatte ich seinerzeit keine genaue Vorstellung davon, was in Verbindungen tatsächlich vor sich geht. All mein Wissen stammte halt vom Hörensagen. Irgendwie reizte es mich, mehr zu erfahren und so beschloss ich, als Frau hinter den feindlichen Linien, die Verbindung zu infiltrieren. Gut, ein wirkliches Infiltrieren war es nicht: Nils hatte mich eingeladen.

Kriegsspiel und Hahnenkampf Im Verbindungshaus angekommen fand ich keine glatzköpfigen, tätowierten Nazi­Schränke vor, vielmehr waren alle eher so wie Nils. Und ich muss schon zugeben, dass der Abend gar nicht so schlimm war, wie ich erwartet hatte. Dennoch waren die Mitglieder natürlich allesamt mehr als konservativ und bei nicht wenigen Aussagen des Abends schlug mein Gehirn kräftig an die Innenwand meines Schädels. Nils blickte mich oft nonchalant an und versicherte mir, dass es bei seiner Verbindung nicht vordergründig um die politische Ausrichtung ginge, sondern um ähnliche Werte und eine gemeinsame sportliche Betätigung, wie etwa Segeln, Rudern oder Fechten. In Nils’ Verbindung war es das Fechten. Vorgestellt hatte ich es mir eigentlich wie das Sportfechten im Fernsehen, in diesen weißen Fechtanzügen, mit vergitterten Masken und stumpfen Degen und mit elektronischer Trefferanzeige. Das traf es nicht ganz: Wie Nils mir erklärte, dürfen bei der Mensur beide Duellanten nur ihren Schlagarm benutzen und schlagen mit diesem rundenbasiert immer abwechselnd. Man trägt ein Kettenhemd und Schutzhandschuhe, die Augen sind durch eine Art Taucherbrille geschützt. Nils sagte, dass man sich eigentlich nicht verletzen

zqzaubert.de


022

könne und es darum auch gar nicht geht. Das Fechten solle vor allem den Charakter formen und helfen, Ängste zu überwinden, sagt Nils. Außerdem, so berichtet Nils häufig, gebe es nichts Schöneres als im Anschluss mit den anderen zu feiern. Für mich klang das alles eher nach Krieg spielen und Hahnenkampf.

Auf Kneipe mit den Alten Am Abend sind auch einige alte Männer anwesend. Diese »alten Herren«, wie Nils sie nennt, sind Ehemalige. Sie unterstützen die aktuellen Mitglieder finanziell, zahlen Teile der Miete. Das klingt natürlich auf den ersten Blick gar nicht so verkehrt, immerhin hat man als Studentin* wenig Geld: Da lässt man sich doch gerne fördern, oder? Im Gegenzug kommen die alten Herren dafür bei Veranstaltungen vorbei, um Erfahrungen mit den Studierenden auszutauschen. Ist dann immer nur die Frage, was für Erfahrungen es denn sind, die da so weitergegeben werden. Zwei Wochen später: Im Verbindungshaus gibt es ein Seminar zum Berliner Flughafen BER. Ein Wirtschaftsexperte ist eingeladen

studium

und zählt auf, was so alles bei dem Projekt schiefgegangen ist. Nils ist hellauf begeistert; jeden Monat geht er zu den Vorträgen, mir gefällt sein Engagement. Nach dem Seminar muss Nils noch in der Verbindung bleiben: verbindungsinterner Kneipenabend. Er würde nachher zu mir kommen. Wenn es nach mir gehen würde, hätte Nils ruhig mal einen Abend schwänzen können, denn irgendwie schien ihm seine Verbindung wichtiger zu sein als ich.

»Habt ihr noch etwas Champagner?« Ein besonderes Ereignis für Nils war das Stiftungsfest. Das sei der Geburtstag der Verbindung, wie er mir erklärte. Manchmal gebe es auch Feste, um den neuen Mitgliedern beizubringen, wie man sich richtig zu benehmen hat. Nils wirkt sehr ernst, als er mir dies berichtet. Auf dem Fest tragen die Frauen lange Kleider – ich selbst musste mir erst eines kaufen, etwas anderes wäre nicht in Frage gekommen, wie Nils mir sagte. Die Männer tragen Anzüge, dazu Bänder in den Verbindungsfarben. Es gibt Musik, nahezu


023

*Anmerkungen:

unendlich viel zu essen und alles ist sehr förmlich, dadurch ein wenig steif. Aus irgendeinem Grund fühle ich mich an diesem Abend irgendwie besonders und wichtig, im Rückblick schäme ich mich ein wenig dafür. Endlich sollte der legerere Teil des Abends beginnen: »Ja, wir können gleich tanzen. Ich muss nur noch eben kurz mit dem Piet reden«, verspricht mir Nils. In Ordnung, dann mische ich mich eben erst einmal allein unter die Feiernden. Nachdem mir aber zum vierten Mal von der letzten Mensur erzählt wurde und die Ausführungen jedes Mal extremer wurden, entscheide ich mich letztlich für die Ruhe an der Bar. Zwei Weißweinschorlen später immer noch keine Spur von Nils: von wegen »kurz«. Ich erinnere mich noch gut daran, wie sauer ich geworden bin. Schließlich bin ich dann nach Hause gegangen und nach dem Abend hat sich Nils nicht wieder bei mir gemeldet. Irgendwie störte mich das nicht, denn der Abend hatte mir gezeigt, dass ich nicht zu den Menschen in der Verbindung passe und damit auch nicht zu Nils, denn die Verbindung ist ihm wichtiger als alles andere.

Wir gendern im generischen Femininum, natürlich gibt es in Verbindungen jedoch fast nie Frauen (ebenso mag das ähnliche Erscheinungsbild der männlichen Mitglieder auf weitere Aufnahmekriterien schließen, die viele Menschen von einer Mitgliedschaft ausschließen). Alle Namen sind frei erfunden. Figuren und Geschichte basieren jedoch auf den Erlebnissen realer Personen.

Lieblingswaffen des Autors:

P »Meine Lieblingswaffe ist absolut tödlich, unheimlich einschüchternd aber manchmal auch super süß, immer jedoch mega sexy: mein gestählter Body!«

menage À droite


024

e u e n r De s e d t k r Ma Bösen Verborgen im Tor-Browser liegt das Onion-Netzwerk, von N00bs auch Darknet oder Deepweb genannt. Wäre das Internet mit Google, Facebook und Twitter die Winkelgasse aus Harry Potter, so käme das Onion-Netzwerk der verrufenen Nokturngasse gleich, in der zwielichtige Gestalten mit schwarzer Magie handeln. Wer einen Ausflug dorthin wagt, sucht das Böse. Für den Zugang zum Darknet ist neben dem Tor-Browser noch das Hidden Wiki nötig. Das ist die Karte, mit der die gesuchten »Hidden Services« auch gefunden werden können. Anders als im normalen Internet gibt es nämlich keine selbsterklärenden Domain-Namen wie »www.zqzaubert.de«, sondern kryptographische Onion-Adressen á la »32rfckwuorlf4dlv.onion«. Meistens zahlt man mit der anonymisierenden Kryptowährung Bitcoin. Die Coins können später im Internet gegen Euros getauscht werden. Und wie sieht das konkret aus? Statt in Schlepper können zahlungskräftige Flüchtdessert

linge zum Beispiel in Pässe investieren. Praktischerweise bietet etwa ein Online-Anbieter aus Großbritannien echte UK-Reisepässe an. Inklusive Eintrag in die offizielle Datenbank. Und das zum Schnäppchenpreis von 6,125 ฿. Das entspricht je nach Tageswechselkurs circa 2500€. Ein Schnäppchen, noch dazu versandkostenfrei und auf Wunsch mit dem passenden Länderstempel, falls man sich nicht im Schengenraum befindet. Wie das funktionieren kann? Geschäftsgeheimnis. Lustig ist, dass sehr analoge Geschäftszweige wie der Drogen-, Waffen oder Menschenhandel die Digitalisierung gemeistert haben und fast so einfach zu bedienen sind wie jeder normale Online-Shop. Vorbei der Trenchcoat, der Geldkoffer und das Meeting unter dunklen Brücken. Trotzdem sind die Anbieterinnen online nicht weniger zwielichtig und kriminell als analog. Umsehen ist also erlaubt, aber im Darknet einzukaufen ist echt keine gute Idee. Patrick Reuter


025

Sein Geld an den Teufel geben Es gibt da zwei Zahlen: 124 und 185. Die erste mal 1000 Kilogramm ist die Menge an Kokain, die jährlich in Europa konsumiert wird: 124 Tonnen. Das zweite mal 1000 sind die Menschen, die seit 2006 in Mexiko im Drogenkrieg ihr Leben verloren. 185 Tausend Tote. Beide Zahlen steigen. Text: Christopher Gripp

zqzaubert.de


026

»Plötzlich verschwinden ganze Gruppen auf den Toiletten, um sich wenig später wieder an den Tresen zu setzen. Nicht selten kommt auch das Drogentaxi vorbei.«

Einmal in der Woche arbeite ich in einer Bar, einer hippen Bar in einem hippen Stadtteil und bin während der Arbeit ebenso Passiv-Hipster wie ich Passiv-Raucher bin. Bevor es um Kokain geht, das auch in der Bar konsumiert wird, ein paar Worte zum Tabak: Rauchen ist unfassbar dumm. Nicht etwa, weil es schädlich für die Gesundheit ist oder unnötiges Geld kostet oder Zigarettenqualm stinkt und dergleichen mehr, sondern allein deshalb, weil Raucherinnen (und dazu gehören gerade auch viele Menschen unterster Einkommensschichten) ihr Geld an Konzerne geben. Konzerne etwa wie Philip Morris International, der jährlich um die 80 Milliarden Dollar Umsatz einfährt, indem er 15,5 Prozent der weltweiten Tabakprodukte vertreibt. gesellschaft

Gerne treibt PMI Geld aber auch über andere Ecken ein, etwa indem Länder verklagt werden, Uruguay zum Beispiel. Philip Morris fordert tatsächlich 25 Millionen Dollar Schadensersatz für zu scharfe Nichtraucherschutzgesetze in dem südamerikanischen Land. Mit TTIP haben Konzerne wie PMI noch weitreichendere Möglichkeiten zu solchen Schritten. Dass wir freilich gefangen sind in einer von Konzernen gesteuerten Welt, sei hier dahingestellt. Es ist klar, das jeder Einkauf im Supermarkt bedeutet, Geld in die Hände der Wirtschaftsmächtigen zu geben, aber das Rauchen istinsofern eine andere Sache, da es, anders als etwa Nahrungsaufnahme, für den Menschen alles andere als notwendig ist.


027

Sein Geld an den Teufel geben

Was hat das Rauchen mit dem Drogenkrieg in Mexiko zu tun?

Auf den ersten Blick hat das alles wenig zu tun mit Mexiko. Aber ich will erklären und wieder mit Zahlen veranschaulichen: Der Konsum von Kokain hat sich in Europa von 1998 bis 2008 von 63 auf 124 Tonnen nahezu verdoppelt. Weniger Menschen rauchen – abgesehen von Berlin, wo jeder raucht – mehr Menschen leben vegetarisch und vegan, aber illegale Drogen wie Kokain sind heutzutage angesagter als je zuvor. Das merke ich natürlich auf der Arbeit in der Bar. Plötzlich verschwinden ganze Gruppen auf den Toiletten, um sich wenig später wieder an den Tresen zu setzen – ihre Unterhaltungen führen sie dann schreiend und bis um 7 Uhr morgens. Nicht selten kommt auch das Drogentaxi vorbei.

Der Konsum von Kokain ist noch offensichtlicher mit einer kriminellen Parallelwelt verbunden als etwa bei Cannabis, viele Fahrerinnen stammen aus dem Milieu gewalttätiger Familienclans, die mit dem Geld ihre Macht nur weiter ausbauen. Tatsächlich liegen 60% des Gewinns am Kokainhandel bei den Dealerinnen die an die Endverbraucherin verkaufen. Aber das ist natürlich eine andere Geschichte und damit zurück zu Mexiko: Das meiste Kokain stammt aus Kolumbien, Peru und Bolivien. Mexiko selbst produziert nicht sonderlich viel Kokain, sondern transferiert vor allem aus Kolumbien und in die USA. Dort liegt der Verbrauch übrigens bei 267 Tonnen deutlich über den europäischen 124. Auch in Kolumbien herrscht seit nunmehr

dessert


028 60 Jahren ein asymmetrischer Krieg, an dem auch Drogen­kartelle beteiligt sind und die auch nach Europa liefern. Gleichwohl expandieren auch die mexikanischen Kartelle immer stärker auf den europäischen Markt. Beendet die Legalisierung von Drogen die Drogenkriege?

Angesichts der Gewinne, die sich mit Kokain machen lassen, ist dies leider wenig wahrscheinlich. Denn wo zu viel Geld auf dem Spiel steht, da wird in der Regel auch böse gehandelt, das lässt sich beobachten von der FIFA bis zu den amerikanischen Vorwahlen. Würden nun also Drogen legalisiert, so würden die großen Drogenkartelle nun eben in ein legales Geschäft einsteigen, genug Startkapital bringen sie ja mit. Wahrscheinlich würden die verschiedenen Akteurinnen sich in gewohnter Weise weiter gegenseitig bekriegen, um den je eigenen Gewinn zu maximieren, denn so wurde bisher auch vorgegangen und ob legal oder illegal verdient: Geld bleibt Geld. Auch würde illegal produziertes Kokain weiterhin

auf den Markt gebracht werden, neben etwa staatlich produziertem oder eingekauftem. Es könnte zudem wahrscheinlich billiger produziert werden und würde am Ende weiterhin im gesündesten Fall mit Paracetamol und Milchzucker gestreckt werden (tatsächlich werden so jährlich 500 Tonnen reines Kokain zu über 850 Tonnen verkauftem Kokain). Eine wirklich wirksame Strategie gegen Drogenkriminalität wäre eigentlich nur eine staatlich kontrollierte Abgabe von Drogen. Aber ohne diese ist es vorerst nur die Verringerung des Konsums. Jede, die des nachts in hippen Bars in hippen Bezirken das Drogentaxi bestellt, sollte sich also zweierlei Dingen bewusst sein: Ihr Konsum spielt Geld in die Taschen von Kleinkriminellen, von mittelgroßen Familienclans und von großen Drogenkartellen, letztere sind auch in andere Geschäfte verwickelt, etwa Menschenhandel. Und apropos Menschen: Der Konsum kostet vor allem viele Leben und es gibt zwei Zahlen: 185 und 124. Beide hängen zusammen, beide müssen gesenkt werden.

C Lieblingswaffe des Autors: »Mononatriumglutamat, Pfannenwender, Waffeleisen. Die unbesiegbare Troika aus dem Küchenschrank. Abgesehen davon: eines Esels Kinnbacken.«

gesellschaft


029

n e z n e r Die G nik h c e T r de Mit einem Mal setzt Atlas sich in Bewegung. Klackend stellt er einen Fuß vor den anderen. Ein monotones Surren begleitet jeden seiner Schritte. Zielsicher öffnet der Roboter die Glastür und stakst hinaus in die verschneiten Wälder Massachusetts. Der vereiste Boden macht ihm sichtlich zu schaffen – an einem kleinen Abhang torkelt er wie eine Betrunkene. Trotzdem gelingt es ihm, das Gleichgewicht zu halten; unbeirrt setzt Atlas seinen Weg fort. Die Szene stammt nicht aus einem Science-Fiction-Blockbuster, sondern aus einem Werbevideo. Darin demonstrieren die Mitarbeiterinnen von Boston Dynamics, wozu ihre neueste Entwicklung namens Atlas Next Generation in der Lage ist. Der humanoide Roboter mit dem formschönen metallischen Body soll dort eingesetzt werden, wo Menschen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit stoßen. Nach einem GAU könnte er etwa einen Atomreaktor flicken. Die Mensch-Maschine wäre überhaupt eine perfekte Katastrophenhelferin.

Leider steht hier noch ein Konjunktiv. Denn noch werden diese unter gewöhnlichen Menschen rekrutiert, etwa bei der Atomkatastrophe von Fukushima. Die Folgen sind fatal. Abseits von Katastrophenszenarien räumt der hochmoderne und vollkommen kabellose Roboter kleine Pakete in Regale ein, wie in dem Video ebenfalls zu sehen ist. Der Humanoid könnte also auch den langweiligen Alltag erleichtern. Schließlich warten auch hier regelmäßig größte Herausforderungen: Aufräumen etwa, oder Einkaufstüten in den vierten Stock schleppen. Fragt sich nur, ob der Alltag dann nicht noch langweiliger wäre. Außerdem wissen wir ja alle: »Jeder Gang macht schlank.« Was hingegen nicht alle wissen: Atlas ist indirekt auch ein Forschungsprojekt des amerikanischen Militärs. Wir wollen hier nun nicht in wilde Spekulationen verfallen – aber: Einkaufen gehen kann das US-Militär schon allein. Johanna Heidrich

titel des artikels dessert


ts l a h In s i n h c i e z ver telthema ti n e z Gren

im ndern inum Wir ge Femin n e h c is r e n e g

STUDIUM

008 012 014 020

de hstun o p. sprec r Hip H r e fü t d b in le i d Ham Saman SEOUL er t. HUGGING kt und glitz n li b a e hten Ko r ernac n n & Üb e ll h o sv e ntatsc pruch Vom A fing auf ans sur Co u c h Sofas. e ls Keil droit g e -àdung a Ména verbin n e t n ude n. Die St nsche en Me zwisch

gesel

025 038

lscha

ft

GEBEN TEUFEL , AN DEN gen nehmen SEIN GELD ig Dro . h e u r iß e t ns sch D u ka n te halt ann bis aber d lems e­prob pagn m a h . #c ent d e ka d … sind

re per

len

ff a Wuelst in tt ek nye w B a : IN : r r che che abbrebbre dien diena 0st 9 ustu 0110 : WANDERUNG r ec k e otost 032 f TETT -QUAR 053 MAUER TAUSEND AUS ZWANZIG 056 ZWEI Weite

ion: edakt : Chefr   te h u t ng eschic estal essum der G t: und G a t r h u c o u o t r k Eisha er Lay ussle Ali chwaig : Der  Sc h l mas S aiger) idrich, geber o e s w h H h u T c a a : S r n n s mp nn He n a a io m h mi t o o o k J h a e p, Hofma I esch, T räfe, N rt Dir r Grip enke T ann A thrin G z, tophe ober t W a ö R is , fm s K r e o h : te ll e H C e r n A t n ge n Schn Ilkan Gräfe, Rober ise: A ie , : e u Verle p iv n n q n V ip k r , io n A s a t n a u raffé, pher G eigen , Joha Gelha Redak i Anz Graffé Luna G (Sven Christo Gräfe  in , n a r n m te ig u in n m r L N r ü o h , M ller, at und e Gräfe atricia aike G nne-K atrick sehen üller, P Kathrin ahs, P ripp, M itz, A M a G w e k k M n r chulz, c n e ic n S u r h A e D p at nziska omm, ig, Sör Yana ahs, P a G w Christo r a : F d e M u , ts ik L e er t n a h e ck Even itz, M P: Rob n, Sör Schäli n, Sara Duckw Lübbe t ViSd s und arten Lübbe a in ie a M r n t li p a l r r, Y A e w a u le t, dt, eute ch P Rainbo   Z u rQ i Chris as Lin rick R Birnba ert.de kerei: Noem b a, Pat ss , J o n c r, z u o u r e e a r z u n K D a a B r , Tilla ng@zQ Mugw Zanne Jürgen Jordan shutiWerbu Anna Niwen h, Rita rt.de & rwal, e té y b li u W é a id z a Heidric . zQ i, F orf, Le tion@ Nigrin l Wald a  Redak Patricia Samue igen: d Loon e , n ? a z u ! n n m 5 e ig o A h B T ach und , Think en? Hig Evelyn Mitm ntakt tsdam umach nn Ko Uni Po ert.de k mitz c r b o e u B a d z t Hofma A zQ ASt Du has tion@ t: Dem Redak dank


fa

k.com ce b o o

www.z

q za u b

u /zqza

er t

on und .de   V

kultu

040 044 048

ber t

r.com twitte für Za

/zurqu

ubern

elle

m /zqz

auber

t

de

r

i am a now UP AND an I GREW l wom ni ifu : Anoh beaut en zur Frau g n u Vom J S zur VENGABOY Liebe ie VIEW: d ER d T n u IN s y o b n ga Die Ve n Sprache. he h a rt deutsc ur so ich n s n a ann m wie k en? n n gö L G RO F M O LOL

lpaka ier: A Humor) t l e t i t hat d

arm un (Gibt w

in

m.co s t a g ra

s Alpaka n von e h f e u s s a u h das A eigerlic ersuch h unw d V n ic s u n im a Be h doof« wegt m ziemlic ieen, be chen » chreib r des T is s e w b z ri F t u z e su ra ig G il ie n n w a chmale amerik ei die je dem s ser süd «. Wob h ie ß c d ü is s e n h h c dwie odetec t. Man »irgen ß smach ü inen m u s e a h b s c o s e ig ch nnen res ein ein. Do ohneri pielt en zu s Ureinw ehen s eblieb s g s n u e schen A k c s a te d s olle. t, R rn r 80e scheue utende in den nur be e bede Dain h . e c g k n fa t u r in g Untera oder e -Erzeu le e ll o m en a b W r ser K akas le ient de bei die ten Alp rden d is E ut e f g u m it a se Die eck schon chtet. Ihr Zw en d das ie gezü d n s , u n n – e te rd nd d Peru für we Verwa hile un lpau ihren vien, C n die A leich z te b rg in Boli e le , V s . a Im m . T a n L n e ag n hre nt in d launte 3000 Ja gut ge ur ntspan z e o r s is e z b h n e a m nheit nicht g re kau rgange der Lasttie der Ve ler von es als il h s a rc kas in e m u . a La D s ie s ie d la en d nd chsen ussten Währe ell wa en ten, m F s ff ie r a d h ih c s tun iglich Rente Nichts on led lauter -Frakti ie vor s n Alpaka e k. am usdruc ht bek ichtsa Vielleic en Ges rn e lb a etwas

desse

rts

em aus d rüSSe G e t n oler a 019 T sovo Ko Bösen kt d es r a M ue er ne ik 024 D Techn n der e z n e ie G r die 029 D a d e ist emo n d e r #L re raus 043 Aushlen­säu hte Ko . eschic d e r G h rum pfe n h uc a sc h l is e E er im m 046 D sst j e d e n P lä . in e l k Klit ze ? T WOULD 058 WHA

MOMO

DO

und rmen rer wa ih n o lichen ukti freund r Prod rgikere en de ll b A e as als , n k n r Alpa Doch tzende er meh ht kra m ic nftes n a im s m e r e g urch ih vor all utzuta e D h . n rb e e meine rw arbeit ebene s allge Wolle en da n im N hl. h e c n s n n ti e rtgefü eu bei M lbstwe Therap kas ren Se ern sie a e rd d lp fö A n e en stärk Wesen n sorg n und rem ntoure efinde n mit ih Kneipe e h n c e Wohlb a h ic m tl d eih n c u ie ä r d n l ei esichte on ma Auch b r (Sch ende G Beo h c b m u la u P H le n tigen für vie ) jede bedürf heckt? , dass nungs derlich en verc n p u gewöh ip K rw t e r v fü m e u ll rü o g nde Ka en ge ebnis. gene W ch kafarm em Erl a fa in in lp e e A u ehr le sind such z n mer m ollknäu pa im n, biete chen W li hlosse d in Euro c n s u e : fg fre te u s a e ie B r D s n. übe und da werde gegen rfluss euem , ran e o N b , ls Ü b A e ne im megali nisiert. te Lau ht orga und gu lich nic ft a Wolle h c rks ! d gewe rinnen Sie sin e Lese ht, lieb c u Z an die uerle

Bä David


Fotostrecke: Tagebuch Mai 1990 Im Mai 1990, die innerdeutschen Grenze war gerade erst ein halbes Jahr geöffnet und die Menschen im Osten fotografierten sich gegenseitig mit Obst, unternahm Sörens Vater mit einem Studienkollegen eine Wanderung auf dem Rennsteig. Der Thüringer Wanderweg konnte wegen seiner Grenznähe nie vollständig erwandert werden. Für ihn hatte das nun zugängliche Fehlstück zwischen Spechtsbrunn und Blankenstein deswegen besondere symbolische Bedeutung. Seine Tagebucheinträge dieser Zeit atmen seinen jugendlichen Geist, die Verachtung für die ewige Bevormundung und die Erleichterung über das Ende des sogenannten Sozialismus.

»Für uns noch kaum fassbar – ein Loch im Zaun, der vor kurzem nur unter Lebensgefahr zu überwinden war. Ein phantastisches Gefühl!«

Bilder: siegfried maahs


033



035

»Und so einträchtig stehen sie hier beieinander, der blau-weisse bayrische Grenzpfahl und der seines Schreckens beraubte, schwarz-rotgolden gestrichene Betonpfeiler, der, wenn es nach seinem Verursacher gegangen wäre, auf Ewigkeit (mindestens aber noch in 100 Jahren) dem Blau-weissen grimmig ins Angesicht geschaut hätte.«


036


037

»40 Jahre war diese Grenze schier undurchdringlich — eine Grenze der Gewalt, des Todes und der Beherrschung eines totalitären Regimes über ein verdummtes Volk.«


Text: Tilla Kross

#thestruggleisreal Eine der ersten Sachen, nach denen ich im Hotelzimmer Ausschau halte, sind Steckdosen. Die fast 24-stündige Anreise hat an den Akkus meiner mobilen Endgeräte genagt. Es gibt nur eine freie Steckdose. Ich aber habe zwei Handys. »#firstworldproblems« schießt es wie eine Sternschnuppe voller Selbstironie durch meinen Kopf. Ihr aber folgt ein zweiter Gedanke, kometenklumpenähnlich fällt er in mein Bewusstsein und hinterlässt einen Krater, der mit Erkenntnis gefüllt werden möchte: »Was ist falsch an diesem Gedanken?« Kurz darauf treffe ich meine Reisegruppe in der Lobby. Bei der ersten Gelegenheit frage ich nach dem WLAN-Passwort des Hotels. Alle checken pflichtbewusst ihre E-Mails, Fotos werden upgeloadet und WhatsApp zugespamt. »Ich bin in Uganda, bro! Ich rette mit einer NGO die Welt!« Doch das Internet ist zu langsam. »#firstwor...« Darf ich das hier, in der Dritten Welt, überhaupt sagen? Ist das nicht irgendwie exorbitant arrogant? Und überhaupt, wer war eigentlich so dreist und hat die Welt in Erste und Dritte eingeteilt? Und wo ist die Zweite Welt geblieben?

gesellschaft

Man könnte denken, dass es einer Mondlandung gleichkommt, in ein sogenanntes Entwicklungsland zu reisen. Aber nein, ich mache keinen giant leap for mankind, sondern reise bloß nach Uganda, Afrika, Planet Erde, Milchstraße, Universum, um hier mit einer NGO Wasserprojekte zu verwirklichen. #itisacoolworld So kalt wie es auf dem Mond ist, so kalt war auch der Krieg, aus dem diese Terminologie hervorging. Die Erste Welt kreist auf westlichen Umlaufbahnen um die USA, die Zweite Welt auf östlichen um die Sowjetunion. Um erkenntlich zu machen, dass sie in gänzlich anderen Sphären schwebt, gibt die Dritte Welt sich eben diese damals positiv konnotierte Bezeichnung. Die meisten Dritte Welt Länder stehen zudem gemeinsam unter den Sternen von Kolonialismus, Rassismus und wirtschaftlichen Problemen. Die Sterne des Kapitalismus, der Aufklärung, der Bürde des Weißen Mannes und der Sklaverei: Sie alle haben bis heute nichts von ihrer Strahlkraft eingebüßt.


#champagne­ problems #tothemoonandback #workinprogress Was sich jedoch verändert hat, ist die Konnotation des Begriffes Dritte Welt. Es wird als Synonym für ein Entwicklungsland beziehungsweise wirtschaftlich unterentwickeltes Land verwendet, seitdem der Kalte Krieg vom Schwarzen Loch des vermeintlichen Endes der Geschichte verschluckt wurde. Beide Termini bedeuten für uns das Gleiche. Das geht schon seit 1949 so, als die Dichotomie Entwicklung/ Unterentwicklung definiert wurde. So stand auf der einen Seite der scheinbar nie endende Wohlstand und auf der anderen die scheinbar grundlos existierende Armut.

Dass diese Lesart eher in die Zeit, grob um den großen Urknall herum angesiedelt sein sollte, ändert leider nichts daran, dass sie noch immer auf unserem Planeten ihr Unwesen treibt. In Uganda begann ich mich über mich selbst zu ärgern, weil es mir tatsächlich manchmal so vorkam, als wäre ich auf dem Mond gelandet. Ich dachte in Kategorien, als lebten wir alle auf unterschiedlichen Planeten und nicht auf unterschiedlichen Kontinenten. Damit wir davon loskommen so zu denken, sollten wir schon bei kleinen Dingen wie Hashtags anfangen. Es gibt keine #firstworldproblems. Es gibt aber dekadente #champagneproblems. #oneworld #onelove und so. Schampus kann man schließlich auf jedem Stern sippen, sich dabei durchs Teleskop betrachten und der Menschheit zuzwinkern.

zqzaubert.de


I Grew Up And I Am A Beautiful Woman


041

Antony von ›Antony and the Johnsons‹ ist jetzt Anohni. Mit dem neuen Namen und dem neuen Geschlecht beginnt auch eine neue Ära in dem Schaffen der Künstlerin. Mit geballter Power versucht sie nun, die Welt zu retten und die Menschheit aufzurütteln.

Text: Alia Lübben

Als Anohni Anfang des Jahres ihr neues, ihr erstes Album ankündigte, ging eine Welle durch die Musikwelt. Und die Aufregung stellte sich als gerechtfertigt heraus. Die Stimme Anohnis, sphärisch, tief und wohlig, ist immer noch die von Antony. Sie umarmt mütterlich und scheint doch übermenschlich, weder männlich noch weiblich. Aber die Künstlerin hat einen neuen Stil: stark, laut und selbstbewusst. Das Album ist anders als die moderne Kammermusik, die wir von Antony and the Johnsons kennen. Die neue Musik ist tanzbar und elektronisch. Hierdurch grenzt sich Anohni von Antony ab. Obwohl das Album Hopelessness heißt, strotzen die beiden ersten Singles vor Energie und Lebensfreude. Schon jetzt wähnt sich die Musikwelt sicher, dass die Tour zu Hopelessness im Sommer ein Erfolg wird. Es sind große Hallen, in denen sie auftreten wird und die Menschen werden tanzen – denn das soll das neue Album sein: ausdrucksstarke Tanzmusik. Gleichzeitig möchte Anohni mit der Musik aber auch anklagen. Sie soll wütend sein und die politischen Entwicklungen der Welt zur Sprache bringen: Themen wie

Dronenangriffe auf Kinder oder den Klimawandel etwa. Vom Jungen zur Frau

Es scheint, als habe Anohni ein Kapitel ihres Lebens abgeschlossen. Noch in For Today I Am A Boy aus dem Jahr 2005 klangen die Hoffnungslosigkeit, die Beschäftigung mit dem eigenen Selbst und der eigenen Geschlechteridentität wie Fragen. Wie kann sie sich selbst als Frau definieren, wenn der Rest der Welt eine als Jungen sieht? Eine Textzeile lautet: »One day I’ll grow up, I’ll be a beautiful woman. But for today I am a child, for today I am a boy.« Nun ist sie erwachsen. Das neue Album ist eine Antwort. Es ist eine laute Antwort, die keine Fragen braucht. Und eigentlich ist es auch eine Anklage. Anohni hat sich selbst gefunden und geht nun zum Angriff über. Ihr neues Album beschreibt sie als ein Trojanisches Pferd, das sich in unseren Ohren einnistet und unser Gehirn zum Denken anstößt. »Das Schockierende an dem Album ist, dass alle zu mir meinen: ›Es ist so extrem, dass du das tust!‹ nur um dann zqzaubert.de


042

Originalbild: Rough Trade Records/Alice Omalley

zu sagen: ›Ich stimme dir voll und ganz zu.‹ Aber wieso sprechen wir es dann nicht aus?« Der Weg zu diesem neuen Ich bleibt für Anohni jedoch privat. Er soll nicht in ihrer Musik thematisiert werden. Stattdessen ist da eine neue, eigenständige Person. Fragen nach dem Wandel lehnt sie in Interviews bestimmt ab, legt aber großen Wert darauf, dass über sie mit weiblichem Pronomen gesprochen wird. »Ich finde, Worte sind wichtig. Einen Menschen mit seinem von ihm gewählten Geschlecht zu bezeichnen, erkennt seinen Geist, sein Leben und seinen Beitrag zur Gesellschaft an. Das Wort ›Er‹ ist ein unsichtbares Pronomen für mich. Es leugnet, es negiert mich.« MEhr als Musik

Neben der Tour beglückt uns die Sängerin mit noch mehr Kunst. In der Kunsthalle Bielefeld kuratiert sie von Ende Juli bis Anfang Oktober die Ausstellung My Truth, in der auch Werke von ihr selbst zu sehen sein werden. Sie konfrontiert die Besucherinnen mit Kollagen, Zeichnungen und Arbeiten mit Wachs, Haar, Aluminium und anderen Materialien. Zum einen thematisiert sie hiermit ganz weltliche Probleme, unter anderem den ökologischen Niedergang. Zum anderen liegt bei allen Arbeiten ein Fokus auf der Materialität und ihrer haptischen Komponente, also wie sich Dinge anfühlen und wie es sich anfühlt, selbst körperlich präsent zu sein. kultur

Die Umstellung von Antony zu Anohni ist mehr als eine Formalität. Sie setzt ein Zeichen. Anohni ist zu der ›beautiful woman‹ geworden, und hat sich emanzipiert. Dieser Schritt war notwendig: Die nach innen gekehrte Musik, in der sie ihre Beziehung zu sich selbst thematisiert und verarbeitet hat, war das Werk Antonys. Die erwachsene Frau Anohni ist nun bereit, nicht nur sich selbst zu befreien. Sie steht nicht allein für sich selbst und ihre Anerkennung in der Musikwelt ein, sondern auch für die Menschen um sie herum. »Du kannst nicht aktiv für LGBTRechte kämpfen, ohne zu versuchen, die Welt zu retten.« Und eigentlich ist das die Message, die sie in ihrer Musik, ihrer Kunst und als Person ständig wiederholt. Deswegen versteht sich ihr neues Album als Anklage und deswegen spürt man die Wut in ihrer Musik. Anohni hat als Person, die sich von den Fesseln der Gesellschaft befreit hat, die Kraft, an das große Ganze zu denken. Und dafür zu kämpfen, dass dieses Ganze etwas lebenswerter wird.

A Lieblingswaffe der Autorin: »Vertrauen. Nichts setzt dich mehr unter Druck. Hat meine Mama auch gewusst, darum nehm ich keine harten Drogen. «


r e d s Au e d a n o #Lem ohlen­ K e i d t s i s u a r e säur 043

Kann Popmusik irgendetwas, außer nervig sein? Hinsichtlich des begeisterten Hypes um Beyoncés neues Album schien es fast so, als erfände sich die Popmusik gerade neu, würde persönlich und politisch. Schon mit ihrer Performance beim Super Bowl 50 traf Beyoncé einen wunden Punkt in Amerikas Selbstbild. Von rechts hieß es, sie attackiere mit ihrem radikalen Video zu Formation die Polizei, von der anderen Seite (links) wurde ihr unterstellt, sie eigne sich eine Bildsprache der kontroversen Black Panther an, um ein Publikum zu erreichen, das sich durch eine oberflächliche Politisierung leichter zum Konsum überzeugen ließe. Bey’s Aktivismus für Black Lives Matter wird aus ihren eigenen Reihen untergraben, deren kritische Stimmen ihr vorwerfen, kein Vorbild mehr zu sein, seitdem sie sich durch das Bleichen von Haut und Haaren den Schönheitsidealen der weiß dominierten Popwelt unterwarf. Der Vorwurf der »cultural misappropriation« ist durchaus nicht aus der Luft gegriffen: Man denke nur daran, wie die Königin des »Beyhives« in Hymn for the Weekend für Chris

Martin als ›Freundschaftsdienst‹ eine indische Prinzessin spielte, aufwendig bemalt und mit exotischen Accessoires behangen. Der Clip wurde von der indischen Kritik unisono zerrissen – und die hinduistisch inspirierten Farbschlachten sind dermaßen kapitalisiert, dass sie den Reichtum der indischen Kultur geradezu verhöhnen. Auch aus dem Nahen Osten hat Beyoncé eifrig kulturelle Anekdoten gesammelt – in Superpower trug sie einen Niqab, der knapp ihre Brust bedeckte. Das kann man »empowering« oder geschmacklos finden, den gewünschten Effekt (Shitstorm) haben diese Aktionen jedenfalls erzielt. Es ist oft schwer zu unterscheiden, wo die Grenze zwischen glaubwürdiger Kritik und ausgeklügelter Marketingstrategie liegt. Am Ende zählt, was rüberkommt: Beyoncé zeigt der Welt eine Alternative zum heteronormativen Bullshit einer tristen Mainstream-Popwelt und maximiert dabei ihren eigenen Gewinn, indem sie zugleich genau dieses Publikum optimal zu bedienen weiß. Wenn man den zynischen Subtext von Lemonade ausblendet, kann man immerhin politisch korrekt die runden Hüften schwingen. Rita Jordan dessert


Boom Boom Boom, … Interview: Ilkan atesöz, Patrick Reuter, Yana Duckwitz, anna zanner  FOTO: Franz Becker

Wer sich überhaupt noch an die schrägen 90er erinnert, ohne vor Scham in eine Baumkrone zu flüchten, hat auch die Vengaboys nicht ganz vergessen. Als hätte es die Jahrtausendwende nie gegeben, tourt die bunte Steckdosenkapelle unverdrossen umher und klappert jede erdenkliche 90er Party auf diesem Planeten ab. ZurQuelle hatte die Ehre, die Vengaboys in den sumpfigen Katakomben einer Berliner Rummelbumsdisko zu treffen. Kurz bevor sie auf der Bühne BoomBoomBoom’ten, nach Ibiza flogen und die Venga-Party ausriefen, haben wir ihnen ein paar relevante Fragen gestellt.

Is Berlin still a 90’s city? Robin: Yes! Wait … no, it isn’t. Why not? Robin: I don’t know. (Kim besinnt sich. Trotz Adrenalin- oder sonstigen kultur

Rauschs erinnert sie sich an die Bedeutung von PR.) Kim: Yes it is! We spent a lot of time in Berlin back in the 90’s and when we come back we feel super 90’s all over again. What’s your favorite German word? Donny: Cock sucking! That’s not a german word. Donny: Oh, a german word … Denice: Mein Herz. Robin: Auf Wiedersehen! Donny: Schwanzblasen! Is the Venga Bus still running? Do you clean it from time to time? Kim: Yeah, we had to clean it after Donny had an orgy in it. We had a gang bang in the Venga Bus. (Die spanische Sprache lässt das V fast wie ein B klingen. »Venga« ist ein spanisches Wort. »Boys« nicht. Trotzdem: GBBB. Super Lol, diese Vengaboys wissen, wie man mit Sprache spielt.) Donny: That is not true! What is your favorite club in Berlin?


… What Happened in That Room? Alle Vengaboys zusammen: Berghaaaaain! (Donny gibt sich Mühe, jeden Muskel seines Oberkörpers anzuspannen.) Did you ever have a show at Berghain? Donny: Yes, I had a show! Kim: Well that was a whole different show. Donny: Yeah, if you like Schwanzblasen go to Berghain!

that’s the onIy one I know. Let’s talk about DJ Bobo. Would you take him in the band? Donny: In the back? No, not in the back, in the band (Donny wirkt enttäuscht über die Züchtigkeit unserer Fragen.) Kim: He needs to audition first! (Als ob, die Vengaboys »singen« 100% Playback.)

What’s your favorite Loona Song? (Kim wirkt überfragt. Wie kann das sein?) You know Loona, right? Kim: Of course, she is my friend!

Finally, Boom Boom Boom: what happened in that room? Kim: What do you think?

Great, how does she smell? Kim: Just like me! Robin: Where does she smell like you? Kim: Hijo de la Loona!

An exciting game of chess? Kim: Yes, we were playing chess. With three dildos up Donny’s ass. And we made hamburgers.

What about you Robin? Robin: I don’t know any titles.

(Zwei Minuten später standen die vier gealterten Trash-Superstars auf der Bühne – nicht ohne dass Donny unseren Fotografen vorher vielsagenden Blickes gefragt hätte, ob er mit ihm ins Berghain kommen wolle.)

Do you at least know your own titles? Robin: We have a song called Bang Bang,

v.l.n.r.: Donny, Denice, Kim, Robin


046

h c u a h s i De r E te h c i h c s l de r G e e m m i P n e d e j t s . läs litzeklein K . n fe p m u r h sc Wer die Bilder vom Neujahrsabend 1990 an der Berliner Mauer sieht, fühlt unweigerlich ein Drücken im Hals, eine Schwere beim Atmen. Geschichte ist keine leichte Kost, wenn sie so schön ist, so viel Gravitas enthält. Wenn sie schön ist und so viel Gravitas besitzt wie David Hasselhoff. In einer mit Glühbirnen besetzten Lederjacke und Röhrenjeans sang er den Deutschen die Teilung aus den Herzen. Die, die Monate zuvor noch montäglich bekräftigt hatten, dass sie das Volk seien, sahen nun eine blinkende Lichtgestalt, deren Euphorie sich auch auf sie übertrug. Schließlich waren auch sie auf der Suche nach Freiheit gewesen, so lang, seitdem sie ihre Heimatstadt verlassen hatten und die sie bis heute nicht haben finden können – nach eigener Aussage sind die Menschen dort nämlich immer noch das Volk. Dafür sind sie aber sehr viel weniger sozialistisch als 1989. Wie ein Schlag in sein bis heute jungenhaftes Gesicht muss es sich also angefühlt haben, als er erfuhr, dass seine Leistung bei der

Wiedervereinigung nicht gewürdigt werden würde. Das neu errichtete Mauermuseum am Checkpoint Charlie sollte ihn unerwähnt lassen. Er sollte um seinen polit-historischen Platz in der deutschen Geschichte betrogen werden. Der brustbehaarte Hüne war gekränkt, ja sauer. Zu Recht fühlte er sich hintergangen. Die kollektive Erinnerung des deutschen Volkes sollte ihm gehören. Aber das war ihm nicht vergönnt. Heute akzeptiert er sein Schicksal. Das fällt ihm leicht. Er ist immerhin nach wie vor ein Held der Deutschen. Deswegen hat er mittlerweile auch Abstand von seinen damaligen Aussagen genommen. Heute ist er zufrieden mit dem Platz, den er im Herzen der Deutschen eingenommen hat. Dort thront er zwischen Helmut Kohl und Helene Fischer: Der Schlagersänger mit dem Mauerfall. Er weiß, dass er in Deutschland ein Held ist. Politisch konnotiert oder nicht, Baywatch zum Beispiel kennen alle. Außerdem, das weiß er womöglich noch nicht, gibt es mittlerweile im Keller eines schman­digen Berliner Hostels ein Museum, das nur ihn ehrt, ganz unpolitisch. Robert Hofmann

dessert


e im abo? l l e u Q r Zu st e t h c du mö ch Hause? Pro CamPus-Presse award BesTes sTudIereNdeNmaGaZIN VoN uNd FÜr ZauBerNde

Pro CamPus-Presse award BesTes sTudIereNdeNmaGaZIN VoN uNd FÜr ZauBerNde

de na Ein Jahr lang traute Freu it am Stiefel lecken? Du willst der Glückseligke

nächsten vier Für 12,50€ kriegst du die chickt. Ausgaben nach Hause ges ster. + eins unserer hübschen Po Wahl, sofern noch da. + eine alte Ausgabe deiner

»

A SMALL STEP FOR US BUT A GIANT LEAP FOR YOU

rt.de reicht (fast) aus Eine Mail an abo@zqzaube wild drauflos. – und zack, schon leckst du Beispiel SpendenFür andere Abo-Ideen, zum bonnement. Abos: http://zqzaubert.de/a

Wir küssen dich!


048

Wie kann man sich nur so hart gĂśnnen?

Foto: Magnus BrĂĽth | Flickr | CC BY 2.0

kultur


049

Dieser »Text« spielt »ironisch« mit Klischees, um »überkommene« Rollenbilder ›aufzubrechen‹ und zum »›Denken‹« »»anzuregen««. Text: sören MAahs

Nehmen wir an, man könnte willentlich sein Hirn neu organisieren. Warum sollte man das wollen? In der Schule musste man Geschichten lesen, die nannten sich Parabeln. Das sind Erzählungen, die etwas bedeuten, was nicht drinsteht. Tagelang kann man sich über die Botschaft streiten, und jeden normalen Menschen macht das so wahnsinnig, dass man seinem Gehirn für immer verbietet, jemals wieder auf symbolischer Ebene zu funktionieren. Zwar wird das Leben dadurch leichter, dafür checkt man die Hälfte nicht mehr. Dinge, die mit Kunst zu tun haben, kann man dann überhaupt nicht mehr verstehen. Dichtung etwa, bei der man 1 Hendiadyoin von 1 Pleonasmus unterscheiden können muss. Ungefähr so ähnlich verhält es sich mit der Ironie: etwas sagen aber was anderes meinen, Widerspruch auf kleinstem Raum.

Mehltau über der Sprache Dieser verwirrenden Doppelbödigkeit dürfte die nicht ganz unberechtigte Klage über Leute geschuldet sein, über die man nicht auf den ersten Blick sagen kann, wo sie hingehören, ob sie also die idiotische Kleidung und den Schnauzer aus ironischen Gründen tragen oder

vollen Ernstes. Da wird man ganz schön aufs Glatteis geführt! Doch das ist ja gerade das Spaßige an der Ironie, dass man nie so ganz genau weiß, ist das »No Regrats«-Tattoo, die Neonkrawatte mit Windows-95-Logo, der Anzug aus Kunstrasen nun Ausdruck Oscar Wildescher Raffinesse oder eher das Sich-Nicht-Scheren um Modeerscheinungen? Und wer sein Outfit nur nach funktionalen Gesichtspunkten wählt, wonach Kleidung nur dazu dient, zu wärmen und die Scham zu bedecken, der steht sowieso ganz weit abseits der uneigentlichen Schmunzel- und Schenkelklopferkreise. Vielleicht zeigt sich in dieser Ahnungslosigkeit der einzig wahre Ausdruck von Cool. Seitdem Ironie ein alle Lebensbereiche durchdringendes Phänomen geworden ist und sich wie Mehltau über die Kommunikation gelegt hat, leidet die Verständigung. Mit Verständnisproblemen konfrontiert sieht man sich zum Beispiel, wenn man eine Uhr oder so Schnickschnack in einem Laden namens UHRANUS in der Kastanienallee kaufen möchte. Es ist unklar, was die sich bei dem Namen gedacht haben. Ironische Gratwanderung? Ist der Anus-Teil lustig gemeint, Uhren für den Arsch? Pulp Fiction? Oder ist das ein unangenehmes Aufeinandertreffen von Wortspielhölle und Esoterik, das zqzaubert.de


050

vor lauter Planetenverblasenheit die Arschkomponente gar nicht wahrnimmt? Nachfragen lohnt sich wahrscheinlich nicht, denn die nachträgliche Umdeklaration von Dummheit zu Ironie ist eine Erfindung der Berliner (siehe Heinrich Heine, Reise von München nach Genua, Kapitel 3). Ich selber möchte manchmal meine Wohnzimmerwand ironisch »unironisch« mit einem Palmenstrand tapezieren oder googel »ironisch zum tropical island fahren cool oder so 2007?«.

Oasen der Ironiefreiheit Ironie ist sicher ein untrügliches Zeichen für Zurechnungsfähigkeit, besonders jene zarte Ironie, die der Strengen ein Lächeln und dem Lächelnden ein Schielen ins Gesicht zaubert. Aber zuallererst will sie beherrscht werden: Wer – Achtung, Achtung – im Internet Beiträge mit »Ironie on/off« rahmt, ist grundsätzlich super-off. Dann hat sie dort in manchen Dingen auch schlichtweg nichts verloren. Ein Zuviel der aufdringlich ironisierenden Distanzierungsgesten, wenn einfach alles lächelnd auf die Müllhalde geworfen wird, führt zu einstudierten Topcheckerposen, zum ewigen Kenne-ichschon, blasiertem Habe-ich-durchschaut. Zum Glück gibt’s Enklaven der Ironiefreiheit, zum Beispiel die lustvolle Hingabe zum Sport. Beim Spiel geht es darum, dass man sich eins mit der Natur, dem All fühlt, untrennbarer Zusammenklang von Wahrneh-

kultur

mung, Körper, Handlung. Wie angenehm es ist, mit Leuten zu spielen, die mit heiligem Ernst bei der Sache sind und nie auf die Idee kämen, Sätze zu sagen wie: »Soll doch hauptsächlich Spaß machen«, sondern: »Komm, hol ihn!« rufen. Oder: »Schööön!« Oder: »Konzentration, Leute!« Das alles absolut beseelt, mit schmerzenden Gelenken in der prallen Sonne. Und der Erkenntnis, dass nichts so glücklich macht wie Ballspiele: Dieses Gefühl, mit einer Mannschaft auf dem Platz zu stehen und für die Dauer des Spiels an nichts als das nächste Tor, den nächsten Angriff zu denken. Wenn sich auf dem Bolzplatz spontane Mannschaften aus lauter Leuten zusammenfinden, die sich außerhalb des Platzes kaum etwas zu sagen haben und daher immer nur Leder und Schweiß reden. Großes Glück, reine Wonne. Am Sport perlt Ironie ab wie Wasser am Federbürzel einer Ente.

Grenzen der Ironie Bisher blieben augenzwinkernde Ironievolten vornehmlich auf die Akte der Kommunikation beschränkt. Aber wie steht es um die Sphäre des Handelns? Robert Gernhardt zufolge gibt es keinen ironischen Orgasmus. Oder ist ironischer Sex das neue Ding, kann man doch mehrdeutig mit so richtigen Arschlöchern ironisch schlafen und es lustig finden, wenn die es gar nicht merken, dass sie voll verarscht werden? Was ist der nächste Schritt? Ironisch CDU wählen? Werden bald ganze Stadtteile von Anzug und Schlips tragenden ExAssi-Punks bewohnt, die durch tadellosen Leumund und unauffälliges Benehmen ihren Nachbarn seit Jahren ein Schnippchen schlagen? Familiengründung aus


051

Jux, Kinderkriegen »aus Scheiß«, unernste Bausparverträge, Kichern übers eigene Leben im Reihenhaus (»perfekte Tarnung unter Spießern!«), unangepasste Renitenzler, die aus Witz das Treppenhaus fegen und Blumen verschenken als Lausbüberei, Rippenknuff, Nackenschalk? Rebellion in Burberry-Jacke? Ironischer Sexismus? Ironisch zur Arbeit fahren? Ironisch ein »Marketing Professional« werden mit Haargel und Manschettenknöpfen? Ironische Firmengründung? Sich sonntags »ironisch« so »richtig« »bürgerlich« auf der cremefarbenen Kunstledercouch ab 20 Uhr 15 den Rundfunkbeitragsoutput »gönnen«? Ironisch dieses Dschungelcamp gucken, diesen zutiefst öden und uninteressanten Mist, den ihr ironiegestählten Topchecker euch ironisch reinzieht oder zweifach ironisch gebrochen oder siebenfach? 10 Sekunden lang ironisch »headbangen«, wenn irgendwo Gitarrenmusik ertönt? Noch das letzte Quentchen Ironie aus Final Countdown von Europe rausquetschen? Monokeltragende Babys, die ironisch mit Messer und Gabel ihren Brei verspeisen? Ironisch einen Hummer fahren (oder einen Fiat Panda, je nachdem)? »Nette Überraschung« sagen, auch wenn es in Wahrheit weder nett noch eine Überraschung war? Den oder die Liebste mit »Schatz« ansprechen und dabei zwei Mal Gänsefüßchen mit gekrümmten Fingern in die Luft pantomisieren? WITZIG GEMEINTE KLINGELTÖNE, DIE TOTALE VERDIDDLUNG VON ALLEM??????? Falls ihr diesen Text doof findet, dann ist er nur ironisch gemeint gewesen!!!! ;-)

Lieblingswaffen des Autors:

S »›Haunebu II‹, die Reichsflugscheibe der Nazis, erreichte dank Thule-Tachyonator-Antrieb eine Geschwindigkeit von 6.000 km/h, war weltalltauglich und hatte eine KSK-Kraftstrahlkanone als Geschütz. Wirklich wahr! The truth is out there!«

Wie kann man sich nur so hart gönnen?



053

Mauer quAr tett Die tollsten Dinge auf der Welt sind Mauern. Sie trennen Menschen. Sie sperren die aus, die hinein möchten und die ein, die hinausmöchten. Mauern sind universell einsetzbar. Sie dienen zur Stabilisierung der eigenen Macht und einer gesunden Erbfeindschaft. Es wird Zeit, Mauern ein Denkmal zu setzen.

Und vor allem: Herauszufinden, welche Mauer nun die Mauer ist, alle anderen Mauern auszuschließen. Findet es heraus, im ultimativen, alles andere ausschließenden ZurQuelle-Mauerquartett.


Die Ruinen von Sacsayhuamán … in Peru haben ein Mauerwerk, auf das jede europäische Mauer neidisch wäre. Die Inkas haben Steine, von denen einige 350 Tonnen wiegen, ohne Mörtel fugenlos aneinandergesetzt. Bis heute findet nicht mal eine Nadel einen Zwischenraum! Wie sie diese schweren Steine in 3500 Meter Höhe gebracht haben, bleibt ein Rätsel. Leider hat die schöne Mauer ihren Zweck nicht erfüllt. Erbaut wurde sie um die nahe liegende Stadt Cuzco zu beschützen, die 1533 von Spaniern eingenommen wurde. Länge: 600m

zick zack Mauern

Der obergermanischrätische Limes Das Witzige am Limes, also den Grenzbefestigungen des römischen Imperiums ist ja zweierlei: erstens, dass diese nicht von Anfang der Herrschaft der Römer an bestanden haben; zweitens, dass ihr Bau in gewisser Weise bereits den Untergang des Imperiums vorzeichnete. Zum einen waren solch feste Grenzen nur Ausdruck der schwächelnden Militärstärke der Römer. Das erinnert irgendwie an Grenzen, die heutzutage gebaut werden. Man mag »Militär« hier nur durch Menschenrechte ersetzen. Länge: ca.

550 km

Todesopfer: unbekannt Todesopfer: tausende

Inkas und Spanier

Liter Urin, die dagegen geflossen sind:

Liter Urin, die dagegen geflossen sind:

null (der Limes war sehr sauber)

Eine Million Liter spanische Pisse

Die chinesische Mauer Das größte Bauwerk der Welt wird ganz einfallsreich und eloquent auch »große Mauer« genannt und wurde von den Chinesinnen bei einer inoffiziellen Wahl zum siebten Weltwunder gewählt. Diese Auszeichnung ist ungefähr so viel wert wie eine »bester-Papader-Welt«-Tasse. Man munkelt der Mörtel sei aus Klebereis gemacht.Ist das rassistisch? Länge: 8851

km (ca. 5.364.242 liegende Chinesinnen) Todesopfer:

auf jeden Fall über eine Million

Berliner Mauer Kaum eine Mauer dürfte so viel Publicity erhalten haben wie die um Westberlin. Von 1961 bis 1989 diente sie immer wieder als Symbol für die Verbundenheit der Amis mit den Westdeutschen. Von der einen Seite aus wurde sie bald belächelt bis ignoriert, von der anderen zum Symbol der Gefangenschaft. Die meisten, die sie zu überwinden versuchten, wurden abgeknallt. Ein paar Meter weiter pullerten Westberliner betrunken dagegen. Heute ist sie mehr Symbol für die prägentrifizierte Zeit als Mahnmal. Auch weil der Kapitalismus sie Stück für Stück abträgt. Länge: 160

km

Todesopfer: mindestens

138

Liter Urin, die dagegen geflossen sind:

Liter Urin, die dagegen geflossen sind:

Überschwemmungsgefahr (Der Gelbe Fluss hat seinen Namen nicht irgendwoher)

14 Millionen


Israelische Sperranlagen Das Witzige (oder eigentlich Traurige, aber wir Autistinnen von der Quelle können das nicht richtig unterscheiden) an den Israelischen Sperranlagen ist, dass sie viele verschiedene Namen haben. Manche der Alexithymikerinnen da unten nennen sie Schutzwall, andere Apartheid-Mauer. Wir haben keine Ahnung. Vielleicht mal mit Zaubern versuchen?

Mexiko/USA Schwer zu sagen, was hier Zaun ist, was Mauer, was befestigte Grenzanlage und was einfach nur lebensfeindliche Natur: Nichts davon ist unüberwindbar, aber gestorben wird überall. Ob man nun verdurstet, ertrinkt, überfahren oder von übermütigen Grenzschutzsoldaten erschossen wird, ist fast egal: Die USA wollen nicht, dass man ihre Grenze überschreitet. Argument: Islamisten. Viele Süd- und Mittelamerikaner sterben bereits in Mexiko. Drogen- und Schleusergangs sind wenig zimperlich. Ob das alles aber nun gruseliger ist als das Mittelmeer, muss dahingestellt bleiben. Länge:

Länge: 759

km geplant (455 km davon fertiggestellt) Todesopfer: geschätzt

300

Liter Urin, die dagegen geflossen sind:

80 Milliarden (Menge des Wassers, das Israel pro Jahr dem Westjordanland zuteilt)

Demilitarisierte Zone Korea (DMZ) Wie damals im Kalten Krieg trennt auch heute noch ein fetter Grenzstreifen die beiden verkrachten koreanischen Brüderstaaten. In Mitten dieser verminten Todeszone liegt sicher verborgen und gut vor neugierigen Augen abgeschottet das koreanische Äquivalent zur innerdeutschen Mauer. Da sich die beiden Koreas bis heute offiziell nie vertragen haben, kommt es immer gerne zu Konflikten seit Ende des Korea Krieges, bei dem immer wieder Menschen starben, unter anderem auch Touristinnen. Länge: ca.

250 km

Todesopfer: 800 Liter Urin, die dagegen geflossen sind:

+200.000 (v.a. bei eifrigen Grabungsarbeiten unter der Zone seitens des Nordens)

Über 700 Meilen, Tendenz steigend Todesopfer: Mindestens

10.000

Liter Urin, die dagegen geflossen sind:

Vielleicht 100, das Ding liegt mitten in der Wüste, da trinkt man sein Pipi lieber

Israelische Klagemauer Die israelische Klagemauer ist ein besonders heiliges Modell. Zunächst hielt man sie für die einzig noch stehende Wand des zerstörten Tempels, bis schlaue Archäologinnen herausfanden, dass es sich um eine Wand vor dem Tempel handelte. Ergo um eine Mauer. An dieser wurde nun geklagt. Daher der Name. Dort schreiben Menschen ihre Wünsche auf Zettel, quetschen diese in die Mauerritzen und hoffen auf Erfüllung. Das geht im Zeitalter von Social Media sogar über Twitter. Wer will da noch klagen. Länge: 48m Todesopfer: 578 Millionen Wunschzettel die regelmäßig von der Mauer entfernt und amtlich begraben werden. Liter Urin, die dagegen geflossen sind:

Offiziell. Null. Schließlich ist es eine heilige Stätte aus wertvollem Meleke-Kalkstein!


zwei aus zwanzigtausend Sebastian, Physik

Wenn alle Stricke reiSSen?

Deine Lieblingsformel

Kann man keinen Drachen mehr steigen lassen.

Fick'sche Gesetze.

Lieblings Sonnenuntergang?

Capri-Sonne. In wen bist du heimlich verliebt?

Loona. Welches Wort bringst du von Zuhause mit?

Brütche (=Brötchen). Der dümmste Tipp deiner Eltern?

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. So wirst du sterben

Swag nicht runtergedreht. Wer oder was könnte ruhig mal etwas lockerer daherkommen?

Der Typ von der 2aus20000 Deadline.

Wer hat uns verraten?

Saruman. Welche Erfindung braucht die Welt?

Babbelfisch. Lieblingsserie deiner Kindheit

Pokémon. Krass unterschätzt …

Den ganzen Tag verschlafen. Wer sollte mal ein Buch schreiben?

G. R. R. Martin Welche Special-Ability hättest du als Superheld?

Immer kühles Bier.


zwei aus zwanzigtausend Alexander, Physik

Wenn alle Stricke reiSSen?

Deine Lieblingsformel

Ziehe ich zurück in mein Kinderzimmer.

Katzi + Katzi = 2 Katzi

Lieblings Sonnenuntergang?

Wer hat uns verraten?

Die Macht.

Als David Hasselhoff die Mauer fallen ließ.

Welche Erfindung braucht die Welt?

In wen bist du heimlich verliebt?

Quantentransfunktionator.

The Hoff.

Lieblingsserie deiner Kindheit

Welches Wort bringst du von Zuhause mit?

Turtles.

Kölsch.

Krass unterschätzt …

Der dümmste Tipp deiner Eltern?

Arbeiten.

Cover Schlagerlieder, dann wirst du wenigstens gebucht.

Wer sollte mal ein Buch schreiben?

So wirst du sterben

Überdosis Katze. Wer oder was könnte ruhig mal etwas lockerer daherkommen?

Verschlüsse von Marmeladengläser.

G. R. R. Martin Welche Special-Ability hättest du als Superheld?

Alles in Glitzerstaub hüllen.


058

d l u o w t Wha ? o d o Mom Als wären wir alle Stundenblumen setzt die Zeit unserem irdischen Dasein eine Grenze (oder je nach Betrachtungsweise sogar das Ende). Irgendwann haben wir sie, ganz nach unserer menschlichen Gewohnheit, bezwungen und in Sekunden, Minuten, Tage und Jahre gepresst. Aber wann haben wir begonnen uns diesem – zugegebenermaßen beeindruckenden – linearen und vor hexagesimaler Ästhetik nur so strotzenden System ganz und gar zu unterwerfen? Und vor allem: Wer hat beschlossen, dass das Ende der Zeitverschwendung gleichzeitig ihre Erfindung als Sünde war? Gibt es wirklich vergeudete Zeit und kann man Zeit verlieren? Wie wäre es zu leben, ohne dieses täglich einengende Gefühl in einer bestimmten Zeit etwas schaffen zu müssen, und ist es überhaupt noch möglich, Zeit als etwas Relatives zu betrachten?

An jeder Ecke stehen graue Herren, verpaffen hämisch grinsend unsere Zeit. Je mehr Zeit wir einsparen, desto »kürzer« werden die Tage und wir vergessen immer mehr, im Jetzt zu leben. Zeit ist überall und immer, sie ist Geld und in Chronos und Konsorten sogar zum Gott erhoben – auf jeden Fall aber ist sie überbewertet. »Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen«, schreibt Michael Ende in Momo – und wohin kämen wir denn, wenn wir nicht ab und zu auf unsere innere Stimme hören würden? Wir sollten unsere Bezwungenheit also bezwingen; Schande über alle, die diesen Text nur deswegen lesen, weil er kurz ist! Wir sollten Geburtstage ohne Zahlen feiern – a very merry un-birthday! – und das Studium abbrechen, ohne auch nur einen Gedanken an verlorene Zeit zu vergeuden. Wir sollten ohne schlechtes Gewissen Die schönsten Bahnstrecken Deutschlands gucken und solange im Bett bleiben, bis das Gefühl verschwindet, wir verschwendeten damit Zeit. Unsere Uhren sollten wir im Klo versenken und nur noch selbst die Stunde bestimmen – oder einfach mal wieder Momo lesen. Patricia Nigrini

dessert


Wo würde die Redaktion eine Mauer ziehen? Sören: Weiß grad nicht. Aber wäre die Berliner Mauer aus dem von Bildung ungetrübten Selbstbewusstsein der ZurQuelleRedaktion gebaut worden, stünde sie vermutlich immer noch. Anne: Zwischen mir und den Bauarbeitern vor meinem Fenster. Robert: Vor meinem Gesicht. Zu viele Menschen sind angesichts meiner Schönheit bereits zu steinernen Salzsäulen erstarrt. Anna Z.: In Parks oder so, aber nur für wertvolle Graffiti-Verzierung. Fidélité: Generell halte ich viel von der Schallmauer. Immerhin galt sie für lange Zeit als unüberwindbar. Jonas: In den Köpfen. Irgendwo entlang der Blut-Hirn-Schranke. Die ist zu durchlässig. Patrick M.: Können wir die Mauer in Berlin nicht nochmal kurz ganz aufbauen? Dann kommt David Hasselhoff auch endlich zurück zu uns. Christopher: Zwischen die Public und das Viewing. Thomas: Bei Age of Empires. Sollen sie kommen, die Mongolen. Luna: Zwischen meinem Fahrrad, mir und den Autofahrerinnen, die uns keinen Respekt zollen. Nie! Ali: Zwischen mein Dauer-Schlechtesgewissen, weil ich nichts gebacken kriege, und meine gute Laune wegen des Wetters. Man kann das Faulsein einfach nicht genießen, wenn einem der Gedanke an noch nicht erledigte Arbeit ständig dazwischenfunkt! Yana: Eine Schallmauer, die meine Ohren vor dummen Bahnkonversationen schützt. Vielleicht tun es aber auch teure Kopfhörer. Samuel: Ich denke da an vier Stück, hüfthoch, auf meinem Balkon. In die Mitte kommt Wasser. Ich nenne es »Pool«.


Tha J Geiszler fĂźr ZurQuelle www.thageiszler.com


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.