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ABENTEUER
FRANCO BANFI NATUR PUR AM OCHOTSKISCHEN MEER
text Laurent Grabet fotos Franco Banfi
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Einzigartig wie Fingerabdrücke: Die imposanten und doch anmutigen Grönlandwale sind an ihrer einmaligen weissen Zeichnung am Kopf erkennbar.
Das Ochotskische Meer im äussersten Osten Russlands ist jedes Jahr nur für kurze Zeit nicht zugefroren. Franco Banfi nutzte das Wetterfenster, um in seine Tiefen abzusteigen. Der bekannte Tessiner Fotograf, Taucher und Abenteurer wollte sich auf die Suche nach Grönlandwalen machen. Mitgebracht hat er schliesslich viel mehr.


Vorsichtig: Der Tessiner hat sich den Grönlandwalen mit dem Paddleboard genähert, um sie nicht zu erschrecken.
Franco Banfi... diesen Namen kennen die Leserinnen und Leser von 30°. Im Lauf der Jahre haben sich die faszinierenden Aufnahmen des Tauchers und Fotografen in ihre Köpfe und ihre Herzen gebrannt. Der 61-jährige Tessiner zählt zu den besten Unterwasserfotografen der Welt und wurde bereits vielfach ausgezeichnet, unter anderem als «Wildlife Photographer of the Year». Er ist schon auf den Bahamas mit Hammerhaien, in Sri Lanka mit Blauwalen, im Hohen Norden mit Belugas, in Norwegen mit Walrossen und in den trüben Gewässern des Amazonas sogar mit einer furchterregenden Anaconda geschwommen. Und er hat sich in Grönland unter gigantischen Eisbergen treiben lassen. Immer bereit für eine neue Herausforderung machte sich Franco Banfi im vergangenen August auf zum Ochotskischen Meer, jener fast ganzjährig zugefrorenen Eisfläche zwischen der langgezogenen Kamtschatka-Halbinsel und den Kurilen. Er wollte am Tor zur Arktis mit Grönlandwalen auf Tuchfühlung gehen und sie aus nächster Nähe fotografieren. Mit dem Flugzeug reisten Franco und sein Team zunächst in die russische Stadt Chabarowsk, rund 30 Kilometer von der Grenze zur chinesischen Mandschurei. Danach fuhren sie 800 Kilometer mit einem Kleinbus nach Komsomolsk am Amur. Von dort ging es mit dem Geländewagen durch die Taiga und schliesslich mit einem Boot zur Wrangel-Bucht, wo sie für die nächsten zehn Tage ihr Zelt an einem Strand aufschlugen. Zivilisation war weit und breit keine zu sehen.
VORSICHTIGES HERANTASTEN MIT DEM PADDLEBOARD
Würde es Franco gelingen, sich den Grönlandwalen zu nähern? Die Kolosse sind 18 Meter lang und können bis zu 100 Tonnen schwer werden. Mehr Gewicht bringen nur die Blauwale auf die Waage. Und ihre Lebenserwartung ist mit 200 Jahren


Das Ochotskische Meer ist Heimat vieler Raubvögel wie der Riesenseeadler.
die höchste aller Säugetiere. Grönlandwale haben keine Finne, dafür eine unverkennbare weisse Zeichnung am Unterkiefer, die bei jedem Wal anders aussieht. Zudem singen sie fünf Monate lang ununterbrochen und können bis zu einem Meter dicke Eisschichten mit einem einzigen Kopfschlag durchbrechen. Für einen Tierfotografen ist ein solches Wesen ein Geschenk. Geduld und eine sorgfältige Vorbereitung sind das A und O jedes Tierfotografen. Garantie, dass die Fotos gelingen, gibt es aber auch dann nicht. Schliesslich ist die Natur unberechenbar. Franco Banfi musste das am eigenen Leib erfahren. Es war ihm nur ein einziges Mal vergönnt, einen dieser gigantischen Meeressäuger aus der Nähe zu betrachten. «Wir haben uns mit einem Paddleboard langsam zu einer Gruppe Wale herangeschlichen, um sie nicht zu erschrecken. Als wir nahe genug waren, sind wir abgetaucht. Leider war die Sicht so schlecht, dass wir die Tiere nur einmal zu Gesicht bekamen», bedauert der Tessiner. Er war umso frustrierter, als er und die anderen Expeditionsteilnehmer nachts im Zelt hören konnten, wie die Wale regelmässig an die Oberfläche kamen. Für ihn, der sehr emotional reagiert, wenn ihn ein wildes Tier nah an sich heranlässt, war diese Erfahrung eine grosse Enttäuschung.
ZEHN TAGE ALLEIN IN DER WILDNIS
Wenn nicht im Wasser, dann eben an Land! Mit dieser Einstellung machte sich Franco Banfi daran, die ungemein vielfältige Tier- und Pflanzenwelt im äussersten Osten Russlands zu erkunden. Im Sommer sind die Temperaturen relativ mild und das sonst praktisch das ganz Jahr hindurch zugefrorene Ochotskische Meer erreicht Temperaturen von 8 bis 12° C. In dieser etwas weniger kalten Zeit blüht das Leben. Der Wald – einer der weltweit grössten, der vom Mensch noch nicht erschlossen wurde – ist dicht und üppig. Er bietet Lebensraum für Luchse, Wölfe, Rentiere, Hirsche, Elche und Bären. In den Flüssen tummeln sich Lachse, die zum Laichen gekommen sind. Sie sind nicht nur ein gefundenes Fressen für die Raubtiere, sondern auch für das Team, das sich mehr als einmal sattgegessen hat. Beeindruckt waren die Expeditionsteilnehmer auch vom unglaublichen Vogelreichtum in der Region. «Auf einigen Inseln wie auf Talan verdunkelt sich der Himmel, wenn sich die riesigen Schopfalkschwärme in die Luft erheben», erzählt Franco Banfi mit unverhohlener Begeisterung. Das Ochotskische Meer ist zudem als Heimat einer der weltweit grössten Konzentrationen von Riesenseeadlern bekannt. Auf dieser Welt gebe es für neugierige, abenteuerlustige und aufgeschlossene Reisende noch viel zu entdecken, befindet der Fotograf. «Die Region des Ochotskischen Meers gehört definitiv dazu!»
www.wildlifephototours.ch www.banfi.ch

