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DIMITRI VOGT EIN KLETTERER MIT PRINZIPIEN

text Laurent Grabet foto Marco Müller

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Die Olympischen Spiele von Tokio rücken immer näher. Vor einem Jahr hat Dimitri Vogt zur allgemeinen Überraschung beschlossen, sich aus ökologischen Gründen aus dem OlympiaKletterpool zurückzuziehen. Der 22-jährige Berner hat uns bei sich in Worben (BE) empfangen, um uns seine Entscheidung zu erklären und mit uns über den Klettersport zu sprechen.

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Der Bieler Dimitri Vogt liebt das Felsklettern. Seine Entscheidung, auf Wettkämpfe zu verzichten, die er nicht mit dem Auto oder den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann, lässt ihm mehr Zeit für seine Lieblingsdisziplin. Das grosse Teenager-Zimmer, in dem Dimitri Vogt an seiner Technik feilt und seine Muskeln stählt, sieht aus wie eine Kletterhalle. Rund 600 Griffe hat er im Lauf der Jahre und der Einnahmen an den fünf Meter hohen Wänden seiner 30-Quadratmeter-Bude angebracht. In einer Ecke, zwischen einem Haufen ausgelatschter Kletterschuhe und einem anderen mit Klettergurten, Hanteln und Expresssets, scheint sich ein Bücherregal verirrt zu haben. Darauf stehen fast nur Kletterführer sowie ein paar Bücher zu Geologie und Umweltschutz. Dimitri Vogt ist Mitglied der Elite-Nationalmannschaft von Swiss Climbing und Speed-Schweizermeister 2018. Er isst, schläft, träumt und atmet fürs Klettern. 20 bis 25 Stunden trainiert er pro Woche, an sechs von sieben Tagen – ganz freiwillig, denn er liebt, was er tut. Umso mehr überraschte sein Entschluss, auf die Olympischen Spiele in Tokio zu verzichten. Erstens ist dort seine Lieblingsdisziplin erstmals vertreten, zweitens war er Mitglied des exklusiven Olympia-Pools, dem nur fünf Schweizer Hoffnungsträger angehören. «Ich stehe voll und ganz hinter der Entscheidung», beteuert Dimitri. Während er im Schneidersitz auf einem seiner vielen Crashpads sitzt und uns seine Beweggründe erläutert, bestreiten seine Teamkameraden von Swiss Climbing Wettkämpfe auf der ganzen Welt.

SEINE WAHL VERSCHLIESST IHM TÜREN UND ÖFFNET IHM NEUE

Sein Talent, seine Leidenschaft und seine Arbeit hatten ihn bis nach Neukaledonien, China und in die USA gebracht. Dieses internationale Kapitel ist jetzt weitgehend geschlossen. Der junge Bieler fährt nur noch an Wettkämpfe, die mit dem Auto oder den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind. Er hat sich die schwierige Entscheidung reiflich überlegt: «Letztes Jahr habe ich begonnen, mich mit Umweltschutz und Klimawandel zu befassen. Ich habe viel darüber gelesen und an der Universität Bern, wo ich Geologie studiere, einen Kurs zur nachhaltigen Entwicklung besucht. Das hat mir die Augen geöffnet. Mir wurde klar, dass unsere westliche Lebensweise viel mit dem Klimawandel zu tun hat. Dass es uns materiell so gut geht, geschieht teilweise auf Kosten anderer Menschen. Wenn ich mit mir selbst ehrlich sein wollte, musste

ich an meinem Leben etwas ändern.» Dimitri will jedoch nicht als Moralapostel auftreten. «Mir ging es nur darum, mit mir im Reinen zu sein», erklärt er. Vor der Reaktion der Kletterkollegen und Trainer habe er sich etwas gefürchtet, sie hätten seinen Entschluss aber gut aufgenommen. Konsequenzen hat der Rückzug dennoch: Dimitri bleibt die Teilnahme am Spitzensportprogramm der Schweizer Armee verwehrt und er kann keine Profikarriere als Kletterer mehr anstreben. Im Olympia-Pool wurde der 22-Jährige nicht ersetzt, da kein anderer Athlet die Selektionskriterien erfüllt. Seine konsequente Haltung hat für ihn persönlich aber durchaus auch positive Konsequenzen: «Ich habe mehr Zeit für das, was ich am liebsten mache: Felsklettern! Letzten Frühling ging ein Kindheitstraum in Erfüllung: Mir ist die Rotpunktbegehung der Coup de Grâce gelungen!», frohlockt er. Die Route im Val Bavona (TI) ist seine zweite 9a nach der Cabane au Canada, die er mit 19 Jahren auf den Spuren seines Idols Adam Ondra aus Tschechien durchstiegen hat. Ihr Name steht zwischen zwei farbigen Griffen mit dickem schwarzem Filzstift auf Dimitris Wand – neben Muir Wall, einer legendären, 1000 Meter hohen 8a+ im Yosemite-Nationalpark, die er im April 2017 zusammen mit Silvan Schüpbach gepunktet hat.

FELSKLETTERN ALS OFFENBARUNG

«Als ich ernsthaft mit dem Klettern angefangen habe, wusste ich, dass der Wettkampfsport nur eine Zeit dauern, der Fels mich aber ein Leben lang begleiten würde», erzählt Dimitri. Er war sechs, als er im Rahmen eines Eltern-Kind-Kurses das erste Mal mit dem Sport in Berührung kam. Er habe sich lange davor gefürchtet, höher zu klettern als drei Meter, lacht er. Mit zehn Jahren nahm er das Training unter der Leitung von Robert Rehnelt auf. Mit vierzehn wurde er in die Nationalmannschaft aufgenommen und mit sechzehn Jahren bestritt er seine ersten internationalen Finals, «davor häufig gestresst und danach immer frustriert». Gleichzeitig schloss er sich der grossen Familie der Felskletterer an. «Einfache, offene, geradlinige und unkomplizierte Menschen, die dich sofort duzen, egal, wie gut du bist», beschreibt er die Gemeinschaft. Er entdeckte das Gefühl, «sich lebendig zu fühlen, im Hier und Jetzt zu leben, und die richtigen Griffe aneinanderzureihen, ohne an etwas anderes zu denken». Dieses Gefühl mache süchtig, sagt er. Bei den U20 liess es Dimitri locker angehen. Er sah den Wettkampfsport als Spiel, bei dem man sich stetig verbessern kann, und wagte mehr. Die Strategie ging auf. Er gewann einen Europacup, wurde an der EM Zweiter und an der WM Dritter. Nach der bestandenen Sportmatura ermutigten ihn seine Eltern und «Hauptsponsoren» weiterzumachen, übten aber keinen Druck aus. Dimitri will nicht auf Teufel komm raus vom Klettern leben. Hat er Zukunftspläne? Er sehe sich in zehn Jahren eher in einer sinnvollen Tätigkeit als Geologe, «zum Beispiel in der Schiefergasförderung oder in der Gewinnung von Erdöl und Erdgas». Bis dahin will er vor allem einige bekannte Big Walls klettern, die an der Wand seines Boulderzimmers stehen. Und er träumt davon, zusammen mit Freunden einen langen Climbtrip durch Europa zu unternehmen, bei dem er seine ökologischen Überzeugungen mit seiner Liebe zum Klettern vereinbaren kann.

AUF INS ABENTEUER!

Auch wenn die Erde keine Ecken hat, durchforscht sie 30° trotzdem bis in den hintersten Winkel. Wir machen vor nichts Halt, steigen auf die höchsten Gipfel des Himalaja und tauchen in die tiefsten Meere. Wir besuchen paradiesische Strände, aber auch unwirtliche Regionen – Hauptsache, das Abenteuer winkt! Und Sie, wann brechen Sie auf? Ob nach Thailand oder ins Waadtland, es gibt immer einen guten Grund, die Koffer zu packen. Ob Sie leicht oder praktisch, urban oder offroad reisen, sich selbst oder jemandem eine Freude machen möchten, 30° denkt an seine von Fernweh geplagten Leserinnen und Leser.

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