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EXPERTENTALK

„DESIGN BIETET ORIENTIERUNG im Universum“

Wie reagieren Design- und Architekturbranche auf die Megatrends, wie Oona Horx sie schildert? Design DE LUXE hat EOOS-Designer Martin Bergmann und DMAA-Architekt Roman Delugan (S. 30) im etwas anderen Expertentalk befragt.

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TEXT: BARBARA WALLNER

Ich finde das Zuhause so faszinierend, weil es so vielschichtig ist“, erklärt Martin Bergmann, Teil des Führungstrio des Designstudio EOOS, „es ist Leben, Wohnen, Arbeiten. Es ist Repräsentation, aber auch Privatsphäre, die Höhle, in die man sich zurückzieht.“ Welche Rolle spielt Design in diesem Spannungsfeld? „Design bietet Orientierung“, so Bergmann, „der Mensch muss Pflöcke einschlagen, er muss sich in seinem Universum orientieren – dafür ist Design ein tolles Werkzeug.“

Solche Werkzeuge liefert EOOS – unter der Führung von Martin Bergmann, Harald Gründl und Gernot Bohmann – seit mittlerweile 27 Jahren im Bereich Möbel und Produktdesign. Zu den Kunden des international renommierten Studios gehören Größen wie Walter Knoll, Carl Hansen & Søn und bulthaup. In diesem Sinne ist EOOS zwar präsent im Zuhause des Endkunden, aber doch einen Zwischenschritt davon entfernt: „Wir sind ja keine Innenarchitekten, wir setzen uns immer primär mit dem Objekt, dem Möbel auseinander – und natürlich dem Unternehmer, der es produziert.“ Und doch ist es das Objekt, in dem sich gesellschaftliche Entwicklungen manifestieren, die man deshalb auch im Studio diskutiert. Als größtes bestimmendes Element in dieser Diskussion sieht man bei EOOS derzeit das Thema Arbeiten. „Arbeit findet immer mehr zu Hause statt, da braucht es neue Ideen. In der Pandemie ist man am Küchentisch gesessen, hat sich dann vielleicht in eine ruhige Ecke verzogen, um zu telefonieren – das ist kein Dauerzustand.“ Bergmann prophezeit deshalb die neu interpretierte Rückkehr eines alten Bekannten: des Sekretärs. „Er wird eine neue Blüte erleben. Doch es wird nicht mehr der alte, schwere Sekretär sein – er muss vielmehr beweglich sein, etwas, das sich mit dem Raum auseinandersetzt, mit Licht und Wärme. Etwas, das ich im Sommer ans Fenster und im Winter näher zur Heizung rücken kann. Auch der Hintergrund wird im Zeitalter der Videokonferenzen mehr Beach-

„Der Sekretär wird eine neue Blüte erleben – als ein Stück, das sich mit dem Raum auseinandersetzt.“

Die EOOS-Designer: Harald Gründl (l.), Martin Bergmann (M.) und Gernot Bohmann (r.).

Die Küche bulthaup b2 passt sich an die Lebensgewohnheiten an.

Auch nachträglich können Elemente der b2 verändert werden.

tung finden. Wie platziere ich mich, wie viel Zutritt gewähre ich den Teilnehmern zu meinem Zuhause?“

MODULAR IST TRUMPF

Womit wir beim zweiten großen Thema wären, das sich durch Design, Architektur und Trendforschung zieht: die Modularität. „Früher waren Einbaumöbel wahnsinnig wichtig“, erzählt Bergmann, „die werden sich aber in Zukunft zurückhalten – denn sie sind nicht individualisierbar.“ Moment – ist nicht die Maßküche, der getischlerte Schrank, der so nur bei mir zu Hause anzutreffen ist, der Inbegriff der Individualität? Nein, sagt Bergmann – denn all das kann nicht mit mir mitleben: „Was passiert, wenn sich meine Arbeits-, Ernährungs- oder Kochgewohnheiten ändern? Wenn ich umziehe? Möbel müssen variabel an neue Situationen angepasst werden können.“ Als Beispiel nennt Bergmann die Küche b2, die man für bulthaup entwickelt hat: Die drei Elemente – Werkbank, Werkschrank und Geräteschrank – können im

„Küche sollte Variabilität zulassen – das Leben ist auch so einschränkend genug.“

MARTIN BERGMANN

Raum frei kombiniert werden. Geräte, verborgen in Schrank und Werkbank, können ein- und auch ausgebaut sowie verändert werden. „Küche sollte mehr Variabilität zulassen – das Leben ist auch so einschränkend genug“, findet Bergmann.

Auch die eingangs angesprochene Mischung zwischen privat und öffentlich, die das Zuhause ausmacht, sollte sich im Interieur spiegeln. Verbringe ich einen Abend gemütlich auf der Couch mit Popcorn und Filmvergnügen, habe ich ganz andere Bedürfnisse, als wenn ich Familie und Freunde bewirte – trotzdem haben wir in der Regel nur eine Couch. Auch dafür hat EOOS Lösungen entwickelt, etwa das Sofa Muud für Walter Knoll: „Einen Teil des Ecksofas kann ich zu einer Plattform schwenken, dann habe ich es abends gemütlich – kann es aber auch zu einer sehr aufgeräumten Sofaecke machen, auf der auch meine älteren Verwandten ergonomisch richtig sit-

zen können.“ Ein ähnliches Prinzip verfolgt das Embrace Sofa(-System), das man neu für Carl Hansen entwickelt hat: „Es besteht aus Einzelelementen, die man in hundertfacher Varianz zusammenstellen kann, die durch einen Schnappverschluss verbunden werden. Je nach Bedürfnis kann ich die Elemente verbinden oder trennen, in einen anderen Raum stellen – es ist einfach sehr lebensfreundlich.“ Ein weiterer Vorteil: auch kleine Grundrisse könnten mit solchen Möbeln sehr luxuriös und flexibel bespielt werden.

SOZIAL UND NACHHALTIG

Flexibilität und Nachhaltigkeit gehen an sich schon Hand in Hand: Möbel, die man beim Umzug stehen lassen – oder noch schlimmer: wegschmeißen – muss, weil sie in die neue Umgebung einfach nicht integrierbar sind, sind weniger nachhaltig als solche, die einen durch Qualität und Flexibilität lange begleiten. Doch auch das Bewusstsein für Kreislaufwirtschaft hält zunehmend Einzug in der Designbranche. „Wir müssen einfach alles neu denken“, sagt Bergmann „Auf den Entwurf sollte es keinen Einfluss nehmen und im Gebrauch keine Rolle spielen – aber natürlich verändert es das Lebensgefühl, wenn ich weiß, dass mein Möbel kreislauffähig ist. Es wird den Menschen – auch beim Kauf – wichtiger.“

Design als Werkzeug – nicht nur für die eigene Entfaltung und Lebensqualität, sondern auch für Mitmenschen und den Planeten. Aus diesem Gedanken ging 2020 das Tochterunternehmen EOOS NEXT hervor. „Angefangen hat es mit einem Projekt, das wir auf der Architektur-Biennale ‚Places for people‘ in Venedig vorgestellt haben. Damals war der Höhepunkt der Flüchtlingskrise, drei Asylquartiere in Wien wurden von zwei Architektenteams und einem Designteam unter der gemeinsamen Leitung von Biennale-Kommissärin Elke Delugan-Meissl neu konzipiert. Eines davon war ein altes, unattraktives Gebäude in Wien Erdberg. Darin waren Menschen aus 50 Nationen in Einzelzimmern untergebracht, die auf den positiven oder negativen Asylbescheid gewartet haben. Essen wurde geliefert, das holte man sich ab und aß im Zimmer. Wir haben begonnen, mit den Bewohnern gemeinsam Möbel und Küchen im DIY-Verfahren in fast jedem Stockwerk einzubauen und Zutaten liefern zu lassen – dann haben alle angefangen zu kochen und Geschichten auszutauschen. Im Keller gab es eine Werkstatt, in der die Möbel gebaut wurden – Asylwerber dürfen ja nicht arbeiten und haben sich über die Beschäftigung gefreut.“ So entstand das Konzept Social Furniture – das gleichsam auch den Eintritt des Designs in die Sharing Economy markiert: „Alle Möbelentwürfe gibt es online zum kostenlosen Download – jeder auf der Welt kann sie nachbauen.“

„Es verändert das Lebensgefühl, wenn ich weiß, dass mein Möbel kreislauffähig ist.“

MARTIN BERGMANN

„UNSER UMFELD PRÄGT UNS– und umgekehrt“

Wie Oona Horx (S. 22) und Martin Bergmann (S. 26) setzt sich auch Roman Delugan von Delugan Meissl Associated Architects mit den neuen Wohnbedürfnissen auseinander – und hinterfragt durchaus provokant die aktuelle Praxis.

TEXT: BARBARA WALLNER

Sollte man noch Einfamilienhäuser bauen? Sind grüne Fassaden sinnvoll? Müssen Schlafzimmer geheizt werden? Roman Delugan lässt mit plakativen Fragen aufhorchen. Er irritiert – aber ist es nicht genau diese Irritation, die uns neugierig macht? Denken wir die Dinge nicht immer erst dann neu, wenn wir Altes einmal probehalber über Bord werfen?

Und die Dinge neu zu denken, das scheint ein Steckenpferd des Architekten von Delugan Meissl Associated Architects zu sein. Gern genanntes Beispiel ist die Smart-Wohnung, der er wenig Liebe entgegenbringt: „Als Architekten sind wir nahezu verpflichtet – ich schildere das jetzt sehr plakativ –, um das Bett herum noch 80 Zentimeter herum zu planen, und das ist dann das Schlafzimmer. Anders können wir dem Gedanken der Smart-Wohnung eigentlich nicht mehr gerecht werden. Und ich frage: Wo bleibt da für den Bewohner die Möglichkeit der Entwicklung? Die Fähigkeit, die Wohnung nach den eigenen Bedürfnissen zu gestalten und an die eigenen Bedürfnisse anzupassen?“ Tatsächlich haben ja viele von uns in den letzten Jahren enge Bekanntschaft mit dem Homeoffice gemacht. Entweder saß man im Trubel am Küchentisch oder – wenn denn Platz war – es wurde gerne ein Schreibtisch ins Schlafzimmer bugsiert.

ARCHITEKTUR ALS PRÄGENDES ELEMENT

„Wir wissen“, so Delugan, „dass wir zu etwa 40 Prozent ein Produkt unserer Gene sind, 30 Prozent sind Erziehung und 30 Prozent Umfeld. Architektur ist enorm prägend – und wir sehen großen Handlungsbedarf. Wir alle spüren den Druck, verantwortungsbewusster mit Ressourcen umzugehen, Lebensgewohnheiten zu überdenken. Die Frage ist, wie.“ Man könne als Architekt nicht günstiger oder nachhaltiger bauen, ohne irgendwo Abstriche zu machen. Aber warum müssen diese Abstriche immer in der Größe sein? „Als Kind habe ich einmal eine Woche bei Tiroler Bergbauern verbracht. Dort gab es eine beheizte Wohnküche – und der Rest war unbeheizt.“ Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – habe er wunderbare Erinnerungen an die Zeit, in der man sich genussvoll mit der Wärmflasche ins Bett kuschelte und der klirrenden Kälte trotzte. Verfechter des Null-Grad-Schlafzimmers

„Es ist so viel möglich – nehmen wir den Menschen doch nicht die Quadratmeter weg, die sie zum Leben brauchen.“

ist er dann freilich doch nicht. „Warum müssen Schlafzimmer immer auf 22 Grad geheizt werden? Wir setzen gerade ein Projekt in Bremen um, das nahezu so realisiert wird, wie wir es uns anfangs vorgestellt haben. Auch dort wird es ein wohntemperiertes Schlafzimmer geben – es wird allerdings nicht 22 Grad haben. Es sind kleine Wohnungen, in denen wir versuchen, die Wärme über ein Speichersystem aus dem Wohnzimmer in das Schlafzimmer abzugeben – und was dann noch übrig bleibt, damit heizen wir das Gewächshaus. Es ist so viel möglich – nehmen wir doch den Menschen nicht die Quadratmeter weg, die sie zum Leben brauchen.“

Wer heute eine Wohnung bezieht, bezieht einen Lebensentwurf: da das Bad, hier die Küche, dort idealerweise die Couch. Bodenbelag inklusive. Auch da bleibt für Delugan die Flexibilität auf der Strecke. „Es ist mir nie klar geworden, warum man Wohnungen nicht in einem Rohzustand übergeben kann. Ja, die Sanitäranschlüsse, die Küchenanschlüsse muss man vielleicht vorgeben, sonst wird es teuer. Aber warum kann es nicht ein Roh-Estrich sein?“ Überhaupt werde zu viel vorgegeben, das ohnehin nicht angenommen werde: „Wenn über einer Tür ein Schild mit der Aufschrift ‚Kommunikationsraum‘ oder ‚Sozialraum‘ hängt, dann wird es deshalb nicht zwingend so sein. Im Gegenteil, glaube ich. Ein Gebäude muss gar nicht viel hergeben – aber es muss Identifikation ermög-

„Wir müssen der Natur zurückgeben, was wir ihr wegnehmen.“

ROMAN DELUGAN

Das Haus Achim in Deutschland steht auf einer Säule und raubt der Natur damit kaum Fläche. Durch große Glasflächen verschmelzen Innen und Außen, und die Natur wird Teil des Wohnraums. (unten)

lichen. Viel entsteht dann zufällig.“ Was angenommen werde, ist Delugan überzeugt, seien vielmehr Nischen, die man entdecken könne. Schließlich ist es ein Bedürfnis des Menschen, sich Raum kreativ zu eigen zu machen, für sich zu nutzen.

DIE NATUR ALS HAUPTDARSTELLER

Das nachhaltige – oder nennen wir es zwecks Klischeevermeidung das naturintegrative – Bauen steht den Architekten von Delugan Meissl sehr nahe. Was man der Natur wegnehme, das müsse man ihr zurückgeben – auch in der Architektur. Allerdings bitte nicht an der Fassade: „Das Grundinvestment ist teuer, die Betriebskosten enorm und der Mehrwert dafür zu gering. Ich kenne kein Projekt auf der Welt, bei dem das anders wäre“, stellt Delugan fest und nennt als seine Wunschalternative den guten, alten Baum: „Richtig gepflanzte Bäume können viel mehr leisten als eine begrünte Fassade.“ Natur in die Vertikale zu treiben, um die Zersiedelung in der Horizontalen auszugleichen, erscheint in der Schilderung Delugans dezent verfehlt – womit wir bei der eingangs erwähnten Abneigung gegen Einfamilienhäuser wären. „Aus unserer Sicht liegt die Lösung in der Nachverdichtung. Jeder Quadratmeter, den wir der Natur wegnehmen, ist ein Problem.“

Doch Moment: Ist nicht das H.O.M.E House 2021, das Delugan Meissl Associated Architects in dem gleichnamigen Magazin präsentierten, ein Einfamilienhaus? Wie passt das zusammen? „Zum einen haben wir hier nahezu ein Nullenergiehaus geschaffen. Zum anderen: Wenn wir der Natur zurückgeben, was wir ihr wegnehmen, sage ich: Warum nicht? Mit dem H.O.M.E House tun wir das zu 80 Prozent.“ Tatsächlich wirkt das skulpturale Glasgebilde wie ein Gewächshaus, in dem die Natur ihren Lebensraum mit dem Menschen teilt. Die Weiterentwicklung des Gedankens entsteht mit dem Haus Achim in Deutschland. Achim steht auf einer sieben bis acht Meter hohen Säule und minimiert so die Grundfläche, ohne die Wohnfläche einzuschränken.

KINDER SPIELEN ÜBERALL

Ein weiteres Projekt, das Delugans Sicht der Dinge gut abbilde, sei das Wohnprojekt Antonianum in Meran. „Der Hauptdarsteller ist hier die Natur. In drei Jahren wir das ganze Projekt komplett zugerankt sein.“ Das Ensemble aus drei Gebäuden mit Garten- und Terrassenräumen ist nicht nur mit Rankgittern auf mehreren Ebenen durchzogen, sondern ebenso von großzügigen Grünflächen. „Und wo ist der Kinderspielplatz?“, fragte die Baubehörde in klassischer Baubehördenmanier. Überall, so Delugans Antwort: „Das war so ein typisches Beispiel, bei dem ich sagte: Wir denken falsch. Der Kinderspielplatz ist nicht der genormte, eingezäunte Bereich. Er ist überall – vielleicht hängt dann an einem der Rankgitter eine Schaukel. Vielleicht ist es ein Kirschbaum, auf den die Kinder klettern. Das haben wir auch in den Mietverträgen so festgelegt: Überall ist Spielplatz.“ Grenzen werden nur dahingehend gesetzt, dass ein Zaun das Grundstück vom Straßenverkehr trennt.

Insgesamt sieht Delugan einen Paradigmenwechsel in der Architektur: „Die Natur wird ein größerer Player, die Beziehung zwischen Natur und Architektur wird sich vertiefen. Und schließlich wird die Natur die Architektur vorgeben.“ ∏

In der Wohnanlage Antonianum in Meran darf sich die Natur ausbreiten. Das Projekt ist durchzogen von Rankgittern.

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