Nicolai No 2

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nicolai

No 2 Juli – September 2012

ZEITUNGSMAGAZIN FÜR KUNST, KULTUR, DESIGN & ARCHITEKTUR

DER Kunstsommer 2012 Die wichtigsten und spannendsten Ausstellungen und Orte

manifesta in Genk

Gehen Sie auf eine kulturelle Zeitreise!

Brasiliens Kunstboom

Der südamerikanische Kunstmarkt vibriert

und noch viel mehr ...

Fluxus in Wiesbaden, Off Spaces in Berlin, Bilbao, die Fotosammlung von Mr. Photokina, Ferientipps für Kinder, u.v.a.

Gratis und wertvoll



Inhalt

Es ist wieder Sommer. Reichlich Zeit für Kunst!

N

icht, dass etwa nur im Sommer die Kunst ihren großen Auftritt hätte. Natürlich kann man rund ums Jahr Kunst genießen, sei es in Ausstellungen, auf Vernissagen oder bei privaten Atelierbesuchen. Doch im Sommer scheint Kunst Hochsaison zu haben. Selten gibt es eine Reiseroute, die nicht an einem Baudenkmal vorbeiführte, für das es sich nicht lohnte, einen kurzen Stopp einzulegen. Auch gibt es selten eine Museumsausstellung, die nicht just in den Reisekalender passte. Ja und dann die vielen spontanen Möglichkeiten, die sich erschließen, wenn man einmal nicht dem Trott des (Arbeits)Alltags folgen muss. Daher nimmt sich diese Ausgabe von nicolai der Thematik des Reisens an und lädt ein zum kunstreichen Verweilen. Unser Autorenteam hat zahlreiche Tipps und Routen für Sie zusammengetragen und in manchen Beiträgen über das Reisen an sich oder die Mobilität in unserer heutigen Zeit nachgedacht. Das Reisen bedingt auf den ersten Blick die Bewegung von einem Ort zum anderen. Doch je mehr man sieht, hört und erlebt, desto deutlicher wird ein Phänomen, das dem Reisen innewohnt: Reisen beginnen oftmals im Kopf mit einer Idee oder Vorstellung des Andersartigen und enden in unseren Erinnerungen, häufig auch als Inspirationen, die die eigentliche Reisezeit überdauern. So wünschen wir, dass Sie unsere Vorschläge und Beispiele inspirieren, ob für eine längere Fahrt oder einen kurzen Trip. Auch wenn Sie keine Reise in diesem Sommer unternehmen sollten, so könnten Ihnen die folgenden Beiträge Anregung sein, in Ihrer näheren Umgebung das kulturelle Angebot einmal kennenlernen zu wollen. Oftmals zeigt sich gerade dort, wo man es nicht erwartet, Überraschendes und Großartiges. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen, liebe Leser, eine schöne, erlebnisreiche Sommerzeit, die sowohl Bewegendes, Motivierendes als auch Entspannendes für Sie bereit hält. Alexandra Wendorf, Chefredakteurin

Abbildung oben: Wenn kleine Dinge ganz groß werden, verändert sich der Blick auf das Ganze (siehe hierzu auch unseren Bericht zu Brasiliens boomender Kunstszene, S. 18-19): Camille Kachani, Ohne Titel, Plüsch auf Eisen, Fiberglas, Harz und Polyurethan, 210 x 72 x110 cm, 2010. Foto: © Camille Kachani Titelbild: Ohne Titel, Plüsch auf Eisen, Fiberglas, Harz und Polyurethan, 180 x 72 x 110 cm, 2010. Foto: © Camille Kachani

nicolai | No 2 | Juli - September 2012

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Forum

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Manifesta in Genk

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Kolumne: What about Fashion, Prinzessin Bentheim? Junge Kunst Aller Anfang ist schwer - Kunstpreise können der erste Schritt sein

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Mit der Kamera im Gepäck

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Eine Geschichte, die nie aufhört. Fluxus wird 50.

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Der Kunstsommer 2012

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Modernes Nomadentum

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Bilbao - eine Stadt erfindet sich neu

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Brasiliens Kunstboom

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Lesen. Sehen. Gehen

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„Eine Sammlung abzugeben ist ein kurzer Schmwerz, aber lange Freude“ Die Sammlung Gruber stellt Fotogeschichte dar

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Lesenswert Kolumne: What about Street Art, Yasha Young?

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Souvenirs, Souvenirs

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Rattenscharf

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nico

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Agenda & Guide

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Spiel mit mir!

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Reiseziele ins Berliner Off

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„Ein Bild muss nicht übersetzt werden“

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Reise-Itinerary

Einmal rund um die Welt ... Für Abenteurer und Globetrotter

Gehen Sie auf eine kulturelle Zeitreise!

Immer auf der Suche nach den besten Street Style Looks

Von Wiesbaden in die Welt

Fünf Schlaglichter, die eine Reise wert sind

‚Instant Housing‘ - eine neue Sicht auf Mobilität

Kunst kann sehr bewegen

Der südamerikaische Kunstmarkt vibriert

Vom Unterwegsein in Kunst und Literatur

Das große Geschäft mit den (kleinen) Reiserinnerungen

‚TransRatFashion‘ wirft einen anderen Blick auf die Szene

Die kunstvollen Seiten für Kinder und Jugendliche

News, Termine, Veranstaltungen & Service rund um Kunst und Kultur

Neue Formen in der öffentlichen Skulptur

Eine inspirierende Alternative zu Block-Bustern: Die Off Spaces

Die poetischen ‚Lost White Nights‘ von Frank Rothe

Wo Sie in diesem Sommer Kunst finden

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Forum Kunst, Fashion, Design und Architektur

Immer die Orientierung behalten! Kaspar + Richter aus Uttenreuth ist bekannt für die Konstruktion und Herstellung feinmechanischer Präzisionsinstrumente. Von Ferngläsern bis Höhenmessern gibt es eine große Auswahl, die die Reiseausrüstung vervollständigt. Ob zu Land oder Wasser weist der Kompass Reisenden seit jeher zuverlässig den Weg. Hier ein ganz klassisches Modell, das an die gute alte Zeit des Reisens erinnert. Auch heute aktuell, damit Sie auch im tiefsten Urwald nicht die Orientierung verlieren. www. kasper-richter.de

Zum Pausieren Das kennen Sie sicher auch: den ganzen Tag in der fremden Stadt herumgelaufen, die vielen Sehenswürdigkeiten non stop aufgesucht und nun noch schnell ins Museum. Der Geist ist noch wach, die Beine leider schwach. Da hilft der Museumshocker ‚Stockholm II‘, ein Leichtgewicht zum Auseinanderklappen, jederzeit einsatzbereit - und bequem. Funktioniert natürlich auch in Kirchen, auf Messen oder bei Führungen. Effektiv und ästhetisch, ist er schon festes Inventar mehrerer Museen. www.cedon.de

... und sie dreht sich doch. Auf der Suche nach dem nächsten Reiseziel ist der Globus ein praktisches Utensil. Besonderes inspirierend wirkt das Modell der dänischen Designer Jakob Wagner und Louise Christ. Durch die zarte Magnetaufhängung schwebt der Globus nahezu wie die Weltkugel im schwerelosen Raum. Durch das elegante Design wird der Globus zum dekorativen Hingucker weltgewandter Einrichter. www.menu.as

Einmal rund um die Welt ...

Sein eigenes, kleines Universum schaffen Michiel van der Kley lässt sich von der Natur und Jazzmusik inspirieren. Intuitiv entwickelt er funktionale Möbelstücke mit klaren Linien und futuristischen Formen. Mit seinem ‚Globe‘ hat der niederländische Designer einen innovativen Arbeitsplatz geschaffen, der zugleich den heutigen Anspruch einer flexiblen Arbeitsstätte erfüllt. Öffnet sich die geheimnisvolle Kugel, biete der ‚Globe‘ einen Tisch und einen bequemen Drehstuhl. Bei diesem mobilen Büro verfliegt augenblicklich jeder Arbeitsstress und eine eigene Welt tut sich auf. www.michielvanderkley.nl

Kunstvolle Reiseerinnerungen Was wäre eine Reise ohne die Möglichkeit seine Erlebnisse festhalten zu können? Ein besonders schönes Erinnerungsstück wird das Reisetagebuch mit mit dem ‚Logbook of a journey‘ von Sabrina Tibourtine. Die Illustratorin und Animatorin aus Köln arbeitet unter dem Pseudonym ‚Eine der Guten“. Neben Illustrationen für verschiedene hochkarätige Magazine und Zeitungen im In- und Ausland kreiert sie Notizbücher, Postkarten und Kalender, die das Leben verschönern. www.eine-der-guten.de

Ein nützlicher Reisepass für Weltenbummler Wussten Sie schon, dass es in Süd Korea als Beleidigung aufgefasst wird, weniger Alkohhol als der Gastgeber zu trinken? Dass man in Japan nie volljährig ist oder dass es in Ohio verboten ist, einen Fisch betrunken zu machen? Der Weltenbummler Reisepass von Berlin Press ist ein Sammelsurium an kuriosen Bräuchen, skurrilen Gesetzen und allerlei Absonderlichkeiten aus nahezu allen Teilen der Welt. Der Weltenbummler Reisepass begleitet Sie auf amüsante, praktische, informative und manchmal sogar lebensrettende Weise durch die Welt. www. cedon.de

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Forum Kunst, Fashion, Design und Architektur

Eine ganz persönliche Weltkarte Das Wand-Board aus Kork ist perfekt in Form einer Weltkarte geformt. Wo immer Sie Ihre Reisenleidenschaft hinführt oder aus welchen Ländern und Städten auch immer Ihre Freunde Ihnen Postkarten schicken: Hier finden Erinnerungen und Karten aus aller Herren Länder endlich einen passenden Platz. Ob kleine oder große Reisegeschichten und Erlebnisse; auf diese Weise werden sie ins rechte Licht gerückt. www.luckies.co.uk

Für Abenteurer und Globetrotter Exentrisches für die Reise Die außergewöhnlichen Koffer der Londoner Designerin Sarah Jane Williams haben nicht nur Ecken und Kanten, sondern auch Bögen und Kurven und versprühen trotz ihres revolutionären Designs den Charme historischer Gepäckstücke. Die handgearbeiteten Objekte aus hochwertigem Leder werden nur in einer streng limitierten Anzahl hergestellt. Mit diesen Stücken findet der globetrotter unkonventionelle und exklusive Reisebegleiter, die jeweils ihr außerge-wöhnliches und zugleich äußerst praktisches Innenleben erst beim Öffnen preisgeben. www.williams-handmade.com

Von einem der auszog ... Helge Timmerberg ist wohl einer der ganz wenigen Abenteurer unserer Zeit. Er hat den letzten ihm noch unbekannten Kontinent bereist, sieben Monate lang, von Nord nach Süd, von Ost nach West. Dabei hat er wunderbare, aufregende, spannende Geschichten aufgeschrieben, flott und lebendig. Ein hintergründiges, lebenskluges und humorvolles Buch – und eine ebenso exzentrische wie sympathische Abenteurergeschichte, die - ganz nebenbei - auch von einer großen Liebe erzählt. www.rowohlt.de

Außgefallenes Geschenk für Weltenbummler

Reisen inspirieren! Auf einer Reise durch Zentralamerika entstand bei Matthias und Moritz von „Kerbholz“ die Idee für Sonnenbrillen aus Naturhölzern. Bei der Verarbeitung der Edelhölzer ist es den Designern besonders wichtig, weitestgehend auf Lackierung und Beize zu verzichten. So werden Maserung und Färbung des Materials zum Hauptmerkmal des außergewöhnlichen Accessoires. Die Sonnenbrillen sind mit hochwertigen UV 400 Sonnenschutzlinsen versehen, so dass man auch das gleißendste Sonnenlicht genießen kann. www.aufdemkerbholz.de

Über die Rubbel Weltkarte, auch Scratch Map genannt, freut sich bestimmt jeder Weltreisende. Individuell und ganz nach der persönlichen Route und den bereits besuchten Ländern wird die mit Goldfolie überzogene Weltkarte freigerubbelt. So wird die Landkarte mit der Zeit immer bunter und zeigt an, wo Sie schon überall gewesen sind. Die Karte zeigt viele Details wie Längenund Breitengrade sowie Länder- und Städtenamen. In einer schönen Papprolle verpackt, eignet sie sich daher als perfektes Geschenk für alle die schon viel gereist sind oder sich gerade aufmachen wollen, die Welt zu entdecken. www.takeoff24.

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Edward Burtynsky, China, Manufacturing, 2005. Auswahl von acht Fotografien, unterschiedliche Maße. Unterstützung von Galeria Toni Tàpies, Barcelona. Courtesy: Galeria Toni Tàpies, Barcelona, Nicholas Metivier Gallery, Toronto, Stefan Röpke Gallery, Köln. © Edward Burtynsky

Manifesta in Genk Gehen Sie auf eine kulturelle Zeitreise! Text: Ann-Katrin Günzel

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ls eine der leiseren, aber dennoch sehr qualitätvollen Biennalen für zeitgenössische Kunst, findet alle zwei Jahre die 1996 gegründete manifesta statt. Sie ist jedesmal an einem anderen Ort in Europa angesiedelt. Dieses Jahr findet sie zum 9. Mal statt und zwar in Genk, einer kleinen, etwas weniger als 64.000 Einwohner zählenden Stadt in der belgischen Provinz Limburg. Genk war lange Zeit ein eher unbekannter Ort, der erst 1901 zu größerer Bedeutung gelangte, als man dort Kohlevorkommen entdeckte und drei Minen einrichtete: Zwartberg, Winterslag und Waterschei. Mit der Ankunft der Bergarbeiter aus verschiedenen Ländern Europas wuchs er zu einem wichtigen industriellen Zentrum Belgiens heran, wobei die einzelnen Minen eigenständige Kernpunkte darstellten, die auch heute noch im urbanen Gefüge Genks erkennbar sind. In den 1960er Jahren setzte dann der auch andernorts auftretende Strukturwandel ein, die erste der drei Minen wurde wieder geschlossen und die wirtschaftliche Entwicklung verlagerte sich auf das zeitgleich in der Stadt eröffnete Fordwerk sowie das Stahlwerk Arcelor Mittal, die heute die Hauptarbeitgeber des damit immer noch bedeutenden Industriestandortes sind. Die manifesta 9 findet dieses Jahr in dem verlassenen Komplex der stillgelegten Mine Waterschei statt. Kuratoren der Ausstellung sind der Mexikaner Cuauhtémoc Medina (*1965), der in Mexico City als Kunstkritiker und Kurator tätig ist und bereits 2009 den mexikanischen Pavillon auf der Biennale in Venedig kuratierte, die aus London stammende Kunsthistorikerin Dawn Ades (*1943) und die griechische Kunstkritikerin Katerina Gregos (*1967). Zusammen haben sie eine dreiteilige Ausstellung konzipiert, die Vergangenheit und Gegenwart kombiniert. Erstmals in der Geschichte der manifesta sind diesmal nicht nur Arbeiten zeitgenössischer Künstler zu sehen, sondern auch eine Sammlung historischer Werke, welche eindrucksvoll die Geschichte des Kohlebergbaus der Region präsentieren. Unter dem Titel ‚The Deep oft he Modern‘ sind für den ersten Teil 35 zeitgenössische Künstler eingeladen worden, Arbeiten mit einem regionalen Bezug zur manifesta zu erstellen, deren globale Bedeutung dahinter jedoch nicht zurücksteht. Inhaltlich geht es um eine Reflexionsebene in der zeitgenössischen Kunst, die sich mit den Veränderungen

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des Produktionssystems auseinandersetzt, so dass Arbeiten entstehen, die sensibel mit den Werken der anderen beiden Sektionen interagieren (können). Im zweiten Teilbereich der Ausstellung sind kunsthistorische Werke des 19. und 20. Jhds. zu sehen, die sich mit der Geschichte der Kohleindustrie beschäftigen, während im dritten Teil das gegenwärtige Vermächtnis der Kohleindustrie in der Region Limburg hervorgehoben wird. Wichtig war dem internationalen Kuratorenteam, dass mit diesem Konzept ein regionaler Schwerpunkt und ein Bezug zum Austragungsort der Biennale gesetzt wurde, der sowohl die geografischen als auch die bildlichen Aspekte des Industriekapitalismus als globales Phänomen beleuchtet. Die manifesta 9 kann man also sehr gut als Anlaß nehmen, sich mit der Region und einem der zentralen Themen europäischer Industriegeschichte näher zu beschäftigen. Das Areal, auf dem die manifesta 9 stattfindet ist allemal eine Reise wert und führt den Besucher auf eine atemberaubende Zeitreise. Die spektakuläre Industriearchitektur und das riesige Gelände scheinen fast die Hauptrolle in dieser Inszenierung zu spielen, während die Kunstwerke zuweilen etwas zu theoretisch daherkommen. Dies ist denn auch die Problematik der diesjährigen Biennale: Sie ähnelt eher einer historischen Lehrveranstaltung als einer Schau zeitgenössischer Kunst. Zu sehr sind die künstlerischen Positionen auf die Thematik bezogen, als dass den Werken ein angemessener Raum zur eigenen Entfaltung bliebe. Dennoch sollte man sich davon nicht abschrecken lassen, sondern vielmehr neugierig auf Entdeckungstour gehen. Dabei sollte man die etwas kompliziert gestaltete und nicht ganz so leicht durchschaubare Homepage manifesta9.org schon im Vorfeld zu Rate ziehen und sich darüber informieren, was in der gesamten Region stattfindet. Viele Orte zeigen parallele Ausstellungen und Kunstprojekte, für die eigens ein Plan bereitsteht: www.paralleleventsm9.eu Da die Region Limburg integraler Bestandteil der manifesta 9 ist, wurde in Zusammenarbeit mit dem Kulturzentrum Het Vervolg eine viereinhalb stündige Bustour konzipiert, die manifesta 9-mine-area-tour, die jeden Freitag und Sonntag um 14 Uhr stattfindet. Auf einer Rundreise werden Sie von einem

ortskundigen Begleiter in die historischen und kulturellen Hintergründe der Kohleregion eingeführt. Der Preis von 30 Euro pro Person beinhaltet auch Eintrittsgelder. Teilnehmen können an dieser exklusiven Tour auf Niederländisch oder Englisch lediglich acht Personen. Die Anmeldung erfolgt am selben Tag ab 10 Uhr am Info-Point. Für Familien mit Kindern ab 6 Jahren bietet das manifesta-Team den attraktiven ‚Familienmittwoch“ an, d.h. an jedem Mittwoch gilt ein besonderes Angebot für Eltern, die gemeinsam mit ihren Kindern die manifesta entdecken wollen: interaktive Besichtigung der Ausstellung, Workshops, ein Spaziergang über das ehemalige Bergbaugelände, Picknick und Performances und das alles bei freiem Eintritt! 4. und 18. Juli sowie 1. und 15. August 2012. Außerdem gibt es jeden Sonntag zwischen 14 und 17 Uhr einen Kinderworkshop, bei dem den Kleinen zuerst das Gelände erklärt wird und sie anschließend selbst kreativ als zeitgenössische Künstler tätig werden können. Hierfür gilt lediglich der Eintrittspreis. Für die Erwachsenen findet sonntags ebenfalls eine ganz besondere Führung unter dem Motto 4 x 9 stories statt. Dafür werden jedes Wochenende ganz unterschiedliche Gäste eingeladen, die einen Rundgang aus ihrer eigenen Perspektive über die manifesta 9 anbieten – das können ein Koch, eine Musikerin, ein Soziologe, eine der Kuratorinnen oder ein/e Anwohner/in sein. Sicher ist nur, dass es eine einzigartige Veranstaltung wird, welche ganz neue Sichtweisen eröffnet. Die Teilnahme ist kostenlos (Eintritt muss gezahlt werden) und findet samstags und sonntags jeweils um 15 Uhr statt. Es können max. 15 Personen mitgehen. Eine Anmeldung ist unter mediation@manifesta.org möglich. Genk ist während der manifesta 9 aber auch ein optimaler Ausgangspunkt, um eigenständig die Region Limburg zu entdecken. Von den Veranstaltern wurden dafür die Parallel Events ins Leben gerufen, an denen sich die Initiatoren zeitgleich zur Biennale stattfindender Kulturprojekte beteiligen. Die Idee dahinter ist, die lokale Kunst- und Kulturszene vielseitiger darstellen zu können und gleichzeitig eine Plattform


Ein spektakuläres Ausstellungsgebäude: Die ehemalige Kohlemine von Waterschei, Genk, Limburg, Belgien, Foto: © Kristof Vrancken, 2011

Oberes Bild: Bea Schlingelhoff, I’m Too Christian for Art, 2012. Neun Drucke auf Seide, je 150 x 200 cm. Unterstützt von: ifa Institut für Auslandsbeziehungen. Commissioned by Manifesta 9. Unteres Bild: Erik van Lieshout, keine Kohle, kein Holz, 2009-2012. Video installation mit Skulpturen und Zeichnungen. Unterstützung von: Mondriaan Fund, Amsterdam. Courtesy: Galerie Guido W. Baudach, Berlin, Centraal Museum, Utrecht. Fotos: © Die Künstler

für Künstler und Kuratoren zu öffnen, die nicht unmittelbar an der manifesta 9 beteiligt sind. Die Parallelprojekte finden in verschiedenen Orten weit verstreut um Genk herum statt und reichen von Düren bis Neerpelt (s. Karte). So bietet z.B. Taxi Détour an bestimmten Tagen der manifesta eine performative Kunstreise zwischen Maastricht und Genk an. Dabei wird der Akt des Reisens betont, die Beziehung zwischen Gegenwart und Vergangenheit durchleuchtet, lokale Geschichte, Mythen und Anekdoten während der Reise erzählt. Für mehr Informationen und Reservierung: taxidetour@b32.org Teilnehmer sind unter anderem auch die Akademie Genk Plastische Kunsten, das Literaturcafè De Tijd Hervonden in Hasselt oder das Cultuurcentrum Maasmechelen. Von Köln (ca. 120 km) oder Aachen (ca. 56 km) erreichen Sie Genk schnell und bequem mit dem Auto über die A4. Wollen Sie jedoch in das kurz hinter der belgische Grenze liegende Genk von Berlin (ca. 677 km), Hamburg (ca. 500 km) oder München (knapp 700 km) aus gelangen, so lohnen sich auf jeden Fall Flieger und Hotel. Dazu noch ein paar hilfreiche Tips für einen schönen und entspannten Aufenthalt. Wenn Sie vor Ort zentral und elegant mit Sauna, Spa und Türkischem Bad nach dem Ausflug auf die manifesta entspannen möchten, empfiehlt sich das 4-Sterne Carbon Hotel in der Europalaan für ca. 120 Euro Nacht/DZ oder das ebenfalls sehr zentral, am Molenvijer-Park gelegene M Hotel. Auch in diesem eleganten, aber etwas günstigeren Hotel erwarten sie 4 Sterne und von Garten und Terrasse ein schöner Blick auf den See. Etwas außerhalb von Genk, direkt am Golfplatz „Spiegelven“ liegt das Hotel Stiemerheide im englischen Landhausstil inmitten

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der Natur. Ab 120 Euro können Sie sich hier im stilvollen Ambiente erholen, Schwimmbad und Sauna inklusive. Kulinarische Genüsse, kunstvolle Arrangements saisonaler Produkte und moderne Kreationen der belgischen und französischen Küche des Küchenchefs Jeffrey van der Kwaak sowie eine reichhaltige Weinkarte erwarten Sie im Restaurant „Corneille“. Wiemesmeerstraat 105. 3600 Genk. Tel. + 32 (0) 89 35 58 28. Geniessen Sie also Belgien und die Region rund um Genk, die neben der manifesta 9 viel zu bieten hat und längst aus ihrem postindustriellen Dornröschenschlaf erwacht ist. Weitere Restaurants und Cafes: De Kristalijn; Wiemesmeerstraat 105, Genk 3600, Tel. +32 (0)89 355 828: belgisch französische Küche im Preisbereich von 42 – 104,- €; etwas außerhalb von Genk, ebenfalls am Hotel Stiemerheide gelegen. Italienische Küche im Restaurant La Posta; Vennestraat 185 3600 Genk; Tel: 089 303048. Hier bekommen Sie bei sehr moderaten Preisen (zw. 10-15 €) italienische Pasta mit Meeresfrüchten oder ganz klassisch à pomodoro, dazu Vino Rosso oder Bianco und zum Nachtisch ein hausgemachtes Tiramisu. Manifesta 9 Infos: Öffnungszeiten: täglich von 10 – 19 Uhr, freitags bis 22 Uhr Tickets: für 1 Tag 10 Euro/ermäßigt 6 Euro; für 2 Tage 15 Euro/ermäßigt 10 Euro Adresse: Koolmijn van Waterschei-Genk; André Dumontlaan 3600 Genk m9@manifesta.org

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manifesta9.org

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Junge Kunst Aller Anfang ist schwer Kunspreise können der erste Schritt sein Text Isabel Richter

What about Fashion, Prinzessin zu Bentheim?

J H

eute melde ich mich live vom Flughafen. Da ich ja jede Woche ungefähr zwei bis drei mal irgendwo hin fliegen muss, kann es auch mal passieren – so wie heute – dass der Reiseplan ins stagnieren gerät. Sprich Flug verspätet, in der Wartehalle gefangen. Zum Glück hatte ich das noch nicht so oft. Öfter kommt mir aber der Koffer abhanden. Auf dem Rückweg ist mir das ja noch egal, aber wenn es auf dem Hinflug passiert, werde ich zu einer Wildkatze, die um ihre wertvollen Kleider, Accessoires und Schmuck bangt. Eine Horrorvorstellung, wenn mein Koffer voller neuer Kollektionsteile auf einer Versteigerung in falsche Hände käme. Heute habe ich aber ein gutes Gefühl. Ich bin auf dem Weg nach Cannes. Herrlich, fühlt sich an wie in den Urlaub fahren. Das ganze Unrath & Strano Team sitzt mit mir am Gate und wir freuen uns wie die Kinder, trotz langer Wartezeit, Berlins grauem Wetter zu entfliehen. An der Croisette sollen wir ausgesuchtem russischen Publikum unsere neue Sommerkollektion präsentieren. Insgeheim hoffen auch wir, im weltberühmten Hotel Carlton die Bekanntschaft berühmter Leute zu machen. Schon als Kind war ich eher ungeduldig und konnte nur schwer Stillstand ertragen. Deshalb bin ich heute glücklich, dass ich in der schnellsten Branche der Welt arbeite. Eigentlich bewegt sich nämlich die gesamte Fashion-Crowd, durch die Modewochen bedingt, einmal um den ganzen Globus. Wer glaubt, es sei mit Berlin-Mailand-ParisNew York getan, der irrt. Wir kommen immer gerade von einer Reise zurück oder bereiten eine andere vor. Fashionweeks, Orderwochen, Pressdays, Fotoshootings, oder einfach nur Events. I LOVE IT! Eigentlich trifft man dann zwar überall dieselben Leute wieder aber auch das kann lustig sein. Eine wichtige Redakteurin, die einen in Berlin nicht bemerken würde, begrüßt Dich in Mailand wie eine gute Freundin. Strange world. Es ist wie früher auf Klassenfahrt nur eben in der Grown-Up-Version. Ich fühle mich immer beschwingter als zuhause. Man genehmigt sich vor dem Mittagessen einen Wein, isst Schokoladencroissants ohne sich schuldig zu fühlen und lässt sich von den internationalen Street Style-Königinnen zu den verrücktesten Outfits inspirieren. Und wenn man dann in der Pariser Innenstadt die Moderedakteurinnen aus aller Welt dabei beobachtet, wie sie auf den höchsten Schuhen riesige Handtaschen schleppen – was übrigens den Alkohol vor 12 Uhr erklärt – dann erfasst mich jedes Mal aufs Neue diese Lust, auf diese von außen betrachtet doch sehr skurrile Branche, die knallhartes Business so wunderbar in den schönsten Kleidern zu verstecken vermag. Hohe Schuhe auf Reisen sind für mich ja eher ein Dilemma. Ich liebe Schuhe, habe es mittlerweile zu einer ansehnlichen Sammlung gebracht, aber ich gehöre nicht zu der Gruppe, die auf 15 ½ Zentimetern Milch holen geht oder Pasta zubereitet. Während einer Fashion-Reise ist man ja den ganzen Tag soviel auf den Beinen (nächstes Jahr dringend Fahrer organisieren), dass man am liebsten nur die ‚Mir-doch-egal-Latschen‘ tragen will. Aber das würde definitiv den Look zerstören. Und Look gleich komplettes Outfit – nur so kann eine Fashionista zeigen, wer sie wirklich ist. Mehr Fashion, weniger Fasching ist angesagt. Letztes Jahr in Paris bekam ich sogar vom vielen Tragen der Highheels eine Entzündung am Knie. Man sollte also akzeptieren, dass die neuen Super-Louboutins noch so toll sein können – wenn sie drücken, steht es einem ins Gesicht geschrieben. Komisch eigentlich, die Kittenheels einer gewissen Chefredakteurin der Vogue sind doch gar nicht so hoch ... Zum Glück sind ja gerade die ganz großen Taschen in, da kann man ein bequemes Paar Not-Schuhe gut verstecken. Dazu habe ich neulich etwas Treffendes gelesen und sogleich übernommen. Einen Ausspruch der seitdem den Hintergrund meiner Chronik auf Facebook bildet:

„Every day is a fashion show, and the world is your runway. So always dress your best and walk with confidence.“ Wie wahr, wie wahr. Ihre Elna-Margret zu Bentheim, CEO Unrath & Strano

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unge Kunst hat’s schwer. Und mit ihr die jungen Künstler, die gerade die Kunsthochschule oder Akademie verlassen haben und sich mehr oder weniger unvermittelt im Kunstmarkt orientieren müssen. Einerseits stehen nun für die jungen Künstler alle Türen offen für den Weg in das eigene, selbstbestimmte Berufsleben, andererseits bedeutet es zugleich Abschiednehmen vom geschützten Raum der Hochschule, in dem man losgelöst von allen marktspezifischen Bedingungen und Notwendigkeiten lernen und experimentieren konnte. Ab jetzt wird es keine Begleitung durch Professoren und Dozenten geben, kein gemeinsames Arbeiten in großzügigen Ateliers, keine Künstlergemeinschaft von der man sich tragen, aber auch abgrenzen konnte. Nun wird jeder auf sich allein gestellt sein, angefangen von der Ateliersuche bis hin zu den Vorbereitungen zur eigenen Ausstellung und der ersten Kontaktaufnahme zu Galeristen und Kuratoren.

Coaching während der Tour. Walter Gehlen in Hamburg mit Künstlern im Gespräch. Foto: © BLOOOM Award by Warsteiner

Der BLOOOM Award by Warsteiner setzt genau an diesem Punkt der künstlerischen Karriere an und bietet schon während des Wettbewerbs persönliche Coachings durch Profis der Kunstszene. Im Mai 2012 startete eine Ausstellungs- und Bewerbungstour quer durch Deutschland. In ausgewählten Galerien in Köln, Hamburg und Berlin hatten junge Kreative die Möglichkeit, sich im Rahmen dieser Ausstellungen individuell von erfahrenen Coaches beraten zu lassen. Die jeweiligen Galeristen und Walter Gehlen, Direktor und künstlerischer Leiter der Kunstmessen ART.FAIR und BLOOOM, standen dabei für alle Fragen rund um das Thema Kunst und Künstlerkarriere zur Verfügung. Anne Scherer, von der Kölner Galerie Die Kunstagentin konnte Einblicke in ihre Arbeit als Galeristin geben und die kommunikative und vermittelnde Wirkungsweise von Kunst herausstellen: „Für mich ist Kunst Kommunikation und braucht eine Plattform. Der BLOOOM Award bietet den Künstlern die Möglichkeit, sich zu vernetzen und dabei hilfreiche Tipps zu sammeln“, so Anne Scherer. Dieser Vernetzungsgedanke ist auch Walter Gehlen ein besonders wichtiges Anliegen im Hinblick auf die ersten professionellen Schritte im Kunstmarkt. So sieht er den Wettbewerb als Chance, erfolgreich in den internationalen Kunstmarkt einzusteigen, „Wir als Jury wollen junge Künstler auf ihrem Weg unterstützen, in der Kunstszene Fuß zu fassen. Ich habe während des Wettbewerbs schon zahlreiche interessante Gespräche geführt. Hierbei denke ich, dass wir viele „Do‘s und Dont‘s“ vermitteln konnten, die den Einstieg in den Kunstmarkt deutlich vereinfachen und letztlich Zeit und Frust ersparen.“ Neben den bisherigen Jury-Mitgliedern konnten auch die Finalisten aus 2011, den jungen Künstlern über ihre bisherigen Erfahrungen berichten sowie das neue Jury-Mitglied MiMi Westernhagen über ihren Werdegang als Sängerin und über das Show-Business erzählen. Besonders die in London geborene und aufgewachsene Sängerin und Songwriterin repräsentiert perfekt die Vielfalt des BLOOOM Awards, da sie sich durch das interdisziplinäre Spiel mit diversen Genres auszeichnet. Ausgestattet mit dem musikalischen Talent ihres Vaters, ist sie auch in anderen künstlerischen Disziplinen sehr erfolgreich. So spiegelt MiMi Westernhagen nicht nur in ihrer Musikkarriere, sondern auch in ihrer Malerei und Illustration sowie im Modedesign die interdisziplinäre Arbeitsweise gerade junger Künstler und Kreativer wieder. Gemeinsam mit der Stammjury wird sie nun aus allen Bewerbungen im August die zehn herausragenden Arbeiten auswählen, die es dann im Herbst ins spannende Finale schaffen. Die Gewinner werden schließlich vom 01. bis 04. November 2012 auf der BLOOOM – the creative industries art show in Köln vor über 32.000 Besuchern im Rahmen einer Sonderausstellung präsentiert. Informationen zur Tour, zur Jury und das Anmeldeformular zum BLOOOM Award by WARSTEINER 2012 stehen auf der neuen Website zur Verfügung. Eine Bewerbung zum BLOOOM Award ist noch bis zum 31. Juli 2012 möglich. www.blooomaward.com


Mit der Kamera im Gepäck Immer auf der Suche nach den besten Street Style Looks Interview Olivia Steinweg

Modeblog glamcanyon hoch. Was fasziniert Dich an Street Fashion?

Wenn ich Menschen auf der Straße abbilde, geht es mir nicht in erster Linie um die Klamotte, sondern immer auch ein ganzes Stück um den Menschen dahinter. Street Fashion zu fotografieren ist immer auch ein ganzes Stück Gegenwartsdokumentation und das Festhalten einer Kultur, wie sie im Hier und Heute existiert. Durch den Blog kann ich diese nicht nur mit dem Rest der Welt teilen, ich halte sie auch für die Zukunft fest. So wird man in 30 Jahren sehen können, wie sich die Berliner im Jahr 2012 gekleidet haben. Wie siehst Du die Rolle von Berlin als Modestandort?

Berlin ist das zu Hause von immer mehr nationalen und internationalen Künstlern, was natürlich unmittelbaren Einfluss auf die Modeszene hat. Mit der Fashion Week finden auch immer mehr tolle Jungdesigner ihren Weg in das Rampenlicht. Mittlerweile haben wir in Berlin schon einige tolle Labels zu bieten, die mit den Standards anderer Modemetropolen mithalten können. 2009 hast Du ein Reise-Onlinemagazin mit dem Namen Travelettes.net. Erzähl mir mehr darüber.

K

atja Hentschel ist Deutschlands wohl bekannteste Modeund Reise-Bloggerin, immerzu unterwegs in der Welt, auf der Suche nach interessanten Charakteren sowie den neuesten Hotspots und Trends, die eine Stadt ausmachen. Im Netz berichtet sie auf ihrem Fashion-Blog glamcanyon.com über Mode die aus keinem Hochglanzmagazin stammt, sondern so wie sie, auf der Straße zu finden ist. Auf ihrem Reise-Blog travelettes.net hält sie Ihre Eindrücke aus verschiedenen Metropolen wie New York, London und Paris fest. Immer mit ihrer Fotokamera bewaffnet und immer auf der Suche nach dem einen, ganz besonders magischen Moment. Wer ist Katja Hentschel?

(Lacht) Schwer, das in zwei Sätzen zusammen zu fassen! Was mich in erster Linie ausmacht ist, dass man mich nicht in eine bestimmte Schublade stecken kann. So habe ich einen Master in Kinderpsychologie, arbeite aber als Fotografin. Ich habe acht Jahre im Ausland gelebt, spreche vier Sprachen fließend, liebe Menschen, Mode, Reisen. Manchmal habe ich den Eindruck, es stecken ganz viele verschiedene Persönlichkeiten in mir und ich bin ständig bemüht, es allen recht zu machen. Katja, Du bist Fotografin, betreibst einen Mode- und ReiseBlog und hast gerade erst ein Buch herausgebracht. Warum tust Du, was Du tust?

Mein Antrieb ist in erster Linie Selbstverwirklichung. Dieses Leben bietet so viele unglaubliche Möglichkeiten und ich fände, es wäre eine Verschwendung, nicht zumindest zu versuchen, sie zu nutzen. Oft frage ich mich „Bin ich glücklich?“ Je nachdem wie die Antwort ausfällt ändere ich meinen Weg oder mache so weiter wie bisher. Ich denke das Glück liegt in unserer Hand, unser Leben sowieso, man muss nur in der Lage sein, sich die Frage zu stellen: Wer bin ich und was will ich eigentlich? Die Antworten hierauf muss man dann so gut es eben geht umsetzen. Es war immer mein Wunsch, kreativ und abwechslungsreich zu arbeiten, reisen zu können, viele verschiedene Menschen zu treffen, von ihnen zu lernen und ihnen etwas zurückzugeben. Aus all diesen Faktoren habe ich mir dann meinen Job modelliert.

Die Travelettes, das sind 11 junge Frauen aus verschieden Ländern, die über Reiseerfahrungen und interessante Sachen aus aller Welt berichten. Wir möchten andere, vor allem junge Frauen, dazu inspirieren selbst mehr zu reisen, vielleicht auch anders zu reisen. Viele haben Angst allein loszugehen, denken dass sie ohne Sprachkenntnisse oder mit kleinem Budget nicht weit kommen können. Wir hoffen dabei mitzuwirken, dass derartige Vorurteile nach und nach abgebaut werden. Wie kam es dazu, den Blog mit vielen Anderen zu betreiben?

Wir sind alle vollkommen unterschiedlich und wollen gezielt auch ganz verschiedene Frauentypen ansprechen. Die Travelettes sind Studentinnen, Grafikerinnen, Redakteurinnen – einfach ein bunter Haufen, der für viel Abwechslung sorgt, die auch dringend nötig ist bei unserem Thema – die Welt. Du hast schon in San Francisco, Barcelona, Paris, New York und London gelebt. Jetzt bist du seit drei Jahren in Berlin. Hast du bestimmte Dinge, die dir folgen, wenn du umziehst Oben links: Katja Hentschel. Alle anderen Fotos stammen aus ihrem Blog glamcanyon.com

oder kannst du immer alles hinter dir lassen und ganz von vorne anfangen?

Ich habe gelernt loszulassen, nicht selten vergesse ich Dinge auch, wenn ich sie nicht mehr um mich habe. Ich kann eigentlich ohne alles leben, nur meine Kamera, die reist überall hin mit. Kennst du das Gefühl von Heimweh? Wo ist dein Zuhause?

Mein Zuhause ist natürlich in erster Linie da wo ich gerade lebe, wo meine Wohnung ist, meine Freunde, mein Fahrrad, mein Lieblingscafé und so weiter. Aktuell ist das Berlin. Ich habe längere Zeit in Städten wie London, Paris, San Francisco oder New York verbracht, weshalb ich mich auch mit diesen Orten sehr verbunden fühle. Mit jeder weiteren Reise habe ich immer stärker das Gefühl, dass ich in der ganzen Welt zu Hause bin, eher als nur an der einen, ganz bestimmten Hausnummer. „Travelettes – In High Heels um die Welt“, so heißt dein Buch, das Anfang Mai dieses Jahres im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Erzähl mir mehr darüber.

In dem Buch berichten 20 Autorinnen in Form von Kurzgeschichten von ihren 33 spannendsten, skurrilsten und lustigsten Reiseerlebnissen. Da ist zum Beispiel eine, die am Flughafen hängen bleibt oder eine andere, die in Mexiko um ihr Leben bangt, eine nächste, die ein Erdbeben in Taiwan erlebt oder diejenige, die auf einer kleinen Insel in Thailand auf den Mann ihrer Träume trifft. Manche Anekdoten sind lustig, andere auch etwas nachdenklicher, in jedem Fall ist dieses Buch aber eine unterhaltsame Lektüre, bei der Fernweh programmiert ist. Verrätst du uns zum Abschluss noch deine Lieblingsplätze in Berlin?

Es ist enorm wichtig selbstmotiviert zu arbeiten, morgens früh aufzustehen und sich an das zu setzen, was man erreichen will. Ich investiere viel Zeit und Energie in meine Aufgaben, aber wenn man liebt was man tut, fühlt es sich in der Regel nicht wie Arbeit an.

Ich mag das Rheingold in Mitte für entspannte Cocktails an der eleganten, langen Bar. Für abgerocktes Berlin-Feeling liebe ich aber auch die Tier Bar in Neukölln. An Sonntagen genieße ich ein entspanntes Frühstück im Fleury oder den leckeren Kaffee im The Barn in der Auguststraße. Mein Geheimtipp für den Sommer ist aber ein anderer: der Orankesee. Der ist schnell mit dem Fahrrad erreichbar und ist von den meisten noch unentdeckt, was ihn auch zum idealen Ort macht, um sich mit ein paar Freunden und einer Flasche Wein ans Ufer zu setzen und die Beine ins Wasser baumeln zu lassen.

Als Fotografin und Fashion-Bloggerin sprichst Du auf der Straße Menschen mit einem interessanten Kleidungsstil an, fotografierst sie und lädst die Bilder auf deinem Streetstyle-

www.katjahentschel.com | glamcanyon.blogspot.de www.travelettes.net

Du bist gerade mal 30 Jahre und schon so erfolgreich. Was ist Dein Geheimnis?

nicolai | No 2 | Juli - September 2012

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Eine Geschichte, die nie aufhört. Fluxus wird 50. Von Wiesbaden in die Welt Text Marc Peschke

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as Fluxus ist? Das können selbst Fluxisten nicht beantworten. „Das Wichtigste ist, das niemand weiß, was es ist”, erklärte der Fluxus-Künstler Robert Watts einmal. Immerhin eines ist gewiss: Wiesbaden ist in diesem Sommer Zentrum der internationalen Fluxus-Bewegung. Denn offiziell angefangen hat alles hier. Vor 50 Jahren.

„Das Neben- und Miteinander der verschiedenen Aktivitäten ist eine wunderbare Sache, spiegelt es doch die von Fluxus eingeforderte Öffnung der Kunst in die soziale gesellschaftliche Dimension“, schwärmt auch Elke Gruhn vom Nassauischen Kunstverein: „Besonders erfreulich ist die Kooperation mit dem Museum Wiesbaden, erstmals nach 50 Jahren erhalten die Protagonisten der ersten Stunde mit ihren Werken wieder Einlass.“

1962 war das Museum Wiesbaden Schauplatz der Geburt von Fluxus – als Gründungsakt gelten die ‚Fluxus Festspiele Neuester Musik‘, organisiert von George Maciunas. Weltbekannt wurde vor allem die Nummer mit dem Steinway-Flügel, den fünf Fluxisten im Vortragssaal des Museums malträtierten und zersägten: ein symbolischer Akt von Antikunst, eine respektlose Neudefinition des Kunstbegriffs. Das Publikum war irritiert. Verwirrt. Damals konnte man noch richtig schockieren!

Die Bedeutung von Fluxus für Wiesbaden unterstreicht das vom Nassauischen Kunstverein in Kooperation mit der Stadt vergebene Stipendium ‚Follow Fluxus‘, das mit 10.000 Euro dotiert ist. Der jeweilige Stipendiat lebt in Wohn- und Atelierräumen des Kunstvereins. Ab Juni werden die ‚Interventionen‘ des diesjährigen Stipendiaten Stefan Burger sichtbar werden, bevor der Künstler ab September in einer Einzelpräsentation seine Ausstellung eröffnet. Ebenfalls im Nassauischen Kunstverein ist die erste deutsche Retrospektive von Patterson unter dem Titel ‚Ben Patterson – Born in the State of FLUX/us‘ zu sehen. Seine Kunst führt bis heute den Fluxus-Gedanken auf humorvolle, hintergründige Weise weiter. Die Ausstellung – nach Houston und New York ist Wiesbaden die einzige europäische Station – versammelt Werke aus etwa fünfzig Jahren. Auch neue und neueste Arbeiten werden gezeigt. Innerhalb seiner eigenen Ausstellung wird Patterson andere Fluxuskünstler einladen – in eine Art Fluxus-Labor, wo Performances und Aktionen stattfinden. Patterson versteht Fluxus als „kollektive Episode“ und so soll auch eine von ihm entwickelte Meinungsumfrage im Internet klären helfen, was uns Fluxus heute noch bedeuten kann.

Die Errungenschaft der gleichzeitig in Japan, Amerika und Europa operierenden Fluxus-Bewegung ist vor allem ihr multimedialer Ansatz: Musik, Performance, Bildende Kunst, Literatur und Theater verschmolzen zum Gesamtkunstwerk. Ansonsten sagt Fluxus nicht mehr als „fließen“: permanente Bewegung. „Fluxus-Amusement“, so definierte Maciunas, „soll einfach, unterhaltend und anspruchslos sein, sich mit Belanglosigkeiten beschäftigen, weder besondere Fähigkeiten noch zahllose Proben erfordern, weder handelbar noch institutionalisierbar sein”. Ergo: Fluxist konnte jeder sein. Regelmäßig wurden in Wiesbaden runde Fluxus-Geburtstage gefeiert, wie auch in diesem Jahr. ‚FLUXUS AT 50‘ heißt die Schau im ‚Originalschauplatz‘ Museum Wiesbaden. Wie zeigt man Fluxus? „Nicht ganz einfach“, sagt Museumsdirektor Dr. Alexander Klar. „Fluxus“, sinniert er, „ist das tägliche Leben.“ Und so wird das Publikum hier selbst zum handelnden Künstler, zum Performer. Vor dem Museum wird der Wiesbadener Fluxus-Pionier Benjamin Patterson einen Fluxus-Pavillon realisieren. Dieser soll als Aufenthaltsort, Café und Mediathek dienen. Hier werden Performances stattfinden, hier soll man sich treffen, hier soll Fluxus gefeiert werden. Man erwartet – zeitgleich zur dOCUMENTA(13) – Besucher aus aller Welt.

Doch das ist nur ein Teil der Ausstellungen, die in diesem Sommer in Wiesbaden zu sehen sein werden. Zwölf Institutionen an zwölf Orten widmen sich Fluxus. Im Bellevue-Saal ist die Schau „Joe Jones – music machines“ zu sehen, die Caligari-Filmbühne zeigt ausgewählte Filmvorführungen von verschiedenen Fluxus-Protagonisten, das Hessische Staatstheater präsentiert die Uraufführung von ‚SAM‘, ein Stück über den Künstler Tehching Hsieh. Der Künstlerverein Walkmühle würdigt mit der Reihe ‚Klang-Impulse‘ den Fluxusaspekt der Klangkunst, das Kunsthaus ergänzt die Sicht um weitere künstlerische Positionen. Das Literaturhaus Villa Clementine untersucht Strömungen der literarischen Avantgarde, die eine Verwandtschaft zu Fluxus aufweisen, die Musikbibliothek veranstaltet einen Cage-Abend. Im Schloss Freudenberg gibt es täglich einen „öffentlichen Fluxus“ und das Schaufenster Stadtmuseum thematisiert schließlich das Phänomen Fluxus von seinen Ursprüngen in Wiesbaden bis heute. Ein Veranstaltungsheft und die Webseite der Stadt informieren über alle Programm-Details.

Patterson, der am 29. Mai seinen 78. Geburtstag feierte, ist die zentrale Figur des Festivals. Der seit Anfang der neunziger Jahre fest in Wiesbaden lebende US-Amerikaner ist ein klassischer Avantgardist: Er war seiner Zeit oft um Dekaden voraus. Die Verleihung des Wiesbadener Kulturpreises in diesem Jahr kommentiert er im Gespräch so: „Damals, 1962, hätten sie uns am liebsten im Rhein versenkt, heute bekommt man für Fluxus einen Preis!“ Fluxus, sagt er, ist „offene Interpretation“, „ständige Überraschung“. Wenn Wiesbaden Fluxus feiert, dann richtig. Diesmal sind mehr Institutionen und Kultureinrichtungen beteiligt denn je, Gelder kommen unter anderem auch von der Kulturstiftung des Bundes. Und so fluxt es in Wiesbaden einen ganzen Sommer lang, ab Juni geballt, mit Ausstellungen, Vorträgen, Performances, Konzerten, Filmen, Lesungen, Theater sowie und Kinder- und Jugendaktionen.

nicolai | No 2 | Juli - September 2012

Benjamin Patterson lächelt etwas nachdenklich, wenn er auf 50 Jahre Fluxus zurückblickt: „Wir hatten Pre-Fluxus, Fluxus, Post-Fluxus und bald auch Future-Fluxus. Und wir werden auch Eternal-Fluxus haben.“ Fluxus – das ist eine Geschichte, die nie aufhört. Oben: Armando Queiroz, Jesus Tomada Kopie, 1997. Foto: © Karin Stempel. Unten: Fluxus 50, live dokumentiert. Foto: © Stadtmuseuem Wiesbaden

www.wiesbaden.de

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Der Kunstsommer 2012 Fünf Schlaglichter, die eine Reise wert sind Text Stefanie Zobel

Jeff Koons, Stacked, 1988, gefasstes Holz, 154,9 x 134,6 x 78,7 cm, Privatsammlung, Foto ©: Jeff Koons, Jeff Koons Studio, New York /Jim Strong.

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ndlich Sommer. Urlaubszeit, Reisepläne und Freizeitgestaltung stehen nun auf dem Programm. Manch einer hat schon vor Monaten die ausgefeilte Auszeit in der Ferne gebucht. Andere wollen einfach nur Last Minute an den Strand zum Ausspannen. Wem das allein zu langweilig ist oder wer noch Zeit und Muße für einen Kurztrip zwischendurch findet, dem sei dieses Travel Itinerary gewidmet. Fünf Vorschläge in fünf europäischen Städten, die sicher eine Reise wert sind. Dort findet man derzeit Ausstellungen sowohl mit Kunststars als auch mit unbekannteren Nachwuchspositionen, die keine Eintagsfliegen sind, sondern die einem auch nach dem Besuch noch im Kopf herumschwirren. Aufregende, kontroverse wie nachhaltige kuratorische Projekte.

„Draftsmen’s Congress” von Pawel Althamer ist eine Zusammenkunft von Menschen, die malend miteinander kommunizieren sollen. Zumindest ungewöhnlich ist auch die bb-Teilnehmerin Joanna Rajkoswka aus Polen, welche die Geburt ihres Kindes nach Berlin verlegt hat und damit zum mehr oder minder politischen „Kunstwerk“ macht. Getreu dem Motto – auch das Private ist politisch – wird die Geburt und das Baby selbst nun zweifelhafter Teil der Öffentlichkeit. Der Palästinenser Khaled Jarrar präsentiert eine Passstempel-Aktion mit eigens entworfenem Emblem für den nichtexistierenden Staat Palästina. Politische Diskussionen aus aller Welt sollen weiterhin bis 1. Juli in Berlin Einzug halten.

Zum Ausgleich und um den Kopf wieder freizubekommen sowie für das leibliche Wohl nach der Kunsttour zu sorgen, fügen sich nahtlos ein paar Lifestyle-Tipps zum Essen und Übernachten an, die wir während unseres Rundgangs gesammelt haben.

Zweitens. Bregenz Die berlin biennale kann neben Themen auch Künstlerkarrieren befördern. Bei der letzten Ausgabe fiel der in Vietnam geborene und in Kopenhagen aufgewachsene Künstler Danh Võ mit einer Installation zur Erinnerung an seinen Vater auf. Nicht zuletzt seitdem hat sich seine internationale Ausstellungsaktivität vervielfältigt. Derzeit hat er seine erste große institutionelle Einzelausstellung in Österreich. Im renommierten Kunsthaus Bregenz am Bodensee widmet er sich seinem zentralen Thema, dem Fremden in unserer Gesellschaft. Der Konzept-Künstler und Städel-Schüler nimmt Bezug auf Kolonialisierung, Randgruppen und Traditionen. Dabei verflechtet er seine persönliche Familiengeschichte um Migration und kulturelle Differenz im neuen Heimatland Dänemark mit größeren politischen und historischen Zusammenhängen.

Erstens. Berlin Der Ausgangspunkt ist Berlin. Die 7. berlin biennale. „Forget Fear“ – so der Titel: Eigentlich ein Muss für alle politisch Interessierten. Für jeden mit einem Blick auf sogenannte gesellschaftsrelevante Themen. Allerdings läuft die diesjährige berlin biennale Gefahr, aus politischer Kunst jetzt Kunst politisch zu machen und ins vermeintlich Spektakuläre abzudriften. Statt Differenzierung nimmt Generalisierung den künstlerischen Raum ein und bezieht den Betrachter plakativ mit ein. Bereits im Vorfeld hatte das Projekt des für seine provokativen Aktionen bekannten polnischen Künstler-Kurators Artur ŻŽmijewski für mediale Aufmerksamkeit gesorgt, als Ende letzten Jahres Ko-Kuratoren, Mitglieder der künstlerischen Untergrundgruppe Voinea, in Russland verhaftet wurden. Hinzu kam ein Aufruf des Tschechen Martin Zett, der Tausende Ausgaben des problematischen Buchs „Deutschland schafft sich ab“ von Sarrazin sammeln und zu einer Installation umfunktionieren wollte. Der geplante Bücherberg führte erwartungsgemäß zu Protesten aus unserem Land der Bücherverbrennungen. Offensichtliche, zu kalkulierte Sprengkraft haben auch weitere Exponate der 7. biennale, die nicht gerade bescheiden angesetzt sind. ŻŽmijewski will „den Zugang zu performativer und wirksamer Politik eröffnen, die uns normale Bürger mit den Werkzeugen für Aktion und Veränderung ausstattet.“ Konkret an „Kunst als Politik“ zu sehen sind Vertreter der Occupy-Bewegung, die in den Kunst-Werken ihr Schlafsack- und Posterlager aufgeschlagen haben. Dialog sei ihr Ziel – andernorts in der St. Elisabeth-Kirche verständigt man sich eher über Bilder als Worte: Der

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In seinen Objekten, Installationen und Fotografien gelingt es ihm oftmals, eine selten im Kunstbetrieb vorhandene ikonische Eindringlichkeit zu erzeugen. Ein Beispiel hierfür sind die in Bregenz ausgestellten Kopien der ursprünglichen amerikanischen Flagge mit 13 Sternen. Sie war visueller Ausdruck der Überzeugung, Amerikas Unabhängigkeit von der Kolonialmacht zu feiern. Võ hat sie mit Goldfarbe auf Karton übertragen und damit gewissermaßen als zeitloses Symbol einbalsamiert. Wenn die Pforten des Kunsthauses schließen oder man einfach genug museale Eindrücke gesammelt hat, dann bietet sich das Umland als Naturschauplatz und Erholungsort an. Wer längerfristige Entspannung sucht, kann auch gleich dort über Nacht bleiben. Rund eine dreiviertel Stunde entfernt liegt das bescheiden titulierte Hotel Post im Bregenzer Wald, das mit seinem umfangreichen Spa-Bereich schon als Europas bestes Wellness-Hotel ausgezeichnet wurde. Das Geheimrezept scheint die gelungene Mischung aus alpiner Gemütlichkeit und zeitgemäßer Lounge-Atmosphäre zu sein, die das historische Holzdomizil im Innern vereint. Die Natur drumherum lässt sich jedoch auch vom schönsten Design nicht überbieten – der Höhepunkt ist und bleibt der Blick aus dem Hotel auf die umliegende Bergkulisse.


Links: Public Movement, Rebranding European Muslims, Ausstellungsansicht berlin biennale, Berlin 2012, Foto ©: Marta Gornicka Mitte: Danh Võ, Ausstellungsansicht Treppenhaus vom 2. zum 3. OG, Kunsthaus Bregenz, Foto: Markus Tretter, © Danh Võ, Kunsthaus Bregenz. Rechts: Fridericianum, Kassel 2012, Foto ©: Nils Klinger.

Drittens. Hannover Ein weiteres aktuelles Ausstellungsschlaglicht findet sich wiederum in deutschen Landen. Darum, genauer um den Produktionsstandort BRD, wo junge Kunstschaffende „leben und arbeiten“, wie es in Künstlerbiografien gern geschrieben steht, geht es im kuratorischen Projekt Made in Germany Zwei. Das Sprengel Museum, die Kestnergesellschaft und der Kunstverein in Hannover haben sich zum zweiten Mal zusammengeschlossen nach der vielbeachteten Premiere von „Made in Germany“ im KunstGrandtour-Jahr 2007. Eine Auswahl von 45 Positionen soll nun widerspiegeln, was künstlerisch derzeit so angesagt ist. 21 der Teilnehmer stammen aus dem Ausland, 33 leben in Berlin. 20 Künstlerinnen sind in der Auswahl vertreten. Alle sind mehr oder weniger zwischen 30 bis 40 Jahren, mit ein paar altersmäßigen Ausreißern, also nicht mehr taujung, aber noch nicht zu alt und etabliert, um eher in Retrospektiven zu erscheinen. Einen explizit politischen Anspruch vertritt die Ausstellung im Gegenteil zu den ersten beiden Projekten nicht. Vielmehr geht es um eine Art ästhetischer Leistungsschau der aktuellen Kunstproduktion. Die Kuratoren haben dabei sechs Schwerpunktthemen definiert, die ihrer Meinung nach in der Arbeit zeitgenössischer Künstler in den letzten Jahren vermehrt eine Rolle spielen. Die Auseinandersetzung mit „Räumen“, „Narrativität“, „Vernetzungen“, dem „Gestern im Heute“, mit dem „Übersinnlichen“ und mit Grenzen und Erweiterungen des Mediums („Medium als Material“). Ein besonderes Material hat der Neuseeländer Simon Denny für seine Arbeit ausgewählt. Als bekennender „Amateurleser und -betrachter“ der verschiedenen Medien der Unterhaltungsindustrie hat er den angeblich originalen Bühnenboden aus der Sendung „Unser Star für Oslo“, auf dem Lena Meyer-Landrut ihren Sieg erzielte, für seine Installation verwendet. Ein ironischer Kommentar auf die national ausgerichtete Hannoveraner Schau? Gefundene Objekte und damit das materielle „Gestern im Heute“ findet man zudem häufig. Zahlreiche unterschiedliche Uhrengewichte – kleine, große, aus Messing oder Bronze, moderne und historische – lässt die Künstlerin Alicia Kwades von der Decke hängen. Losgelöst vom Uhrengehäuse, durchspannen sie in vertikalen Linien den Raum und scheinen durch die Schwerkraft geradezu durch den Fußboden hindurchzugleiten. Simon Fujiwara stellt einen gefundenen Nachlass aus, der eine Bibliothek aus fast 1000 Bänden, Tagebücher, Schallplatten und Postkarten umfasst. Damit erzählt er die Lebensgeschichte eines unbekannten Mannes in einem ungewöhnlichen Format von „found footage“. Nach der unterhaltsamen Leistungsschau im Museum lässt sich der Sommerabend aufs Angenehmste zum Beispiel auf der Terrasse des Restaurants Pier 51 mit Seeblick auf den Maschsee

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ausklingen. Bekannt ist der architektonisch außergewöhnliche Glasbau am Wasser für seine vielfältigen Fischspezialitäten und eine mediterrane Crossover-Küche, die bereits mehrfach ausgezeichnet wurde. Viertens. Kassel Ob man zur jüngst eröffneten documenta 13 fahren sollte, ist wohl keine Frage. Wenn es ein Muss im Kunstjahr 2012 gibt, dann steht die Besichtigung im Fridericianum, der documenta Halle und anderen Ausstellungsorten wie einem leer stehenden Kino oder Hotel in Kassel ganz oben auf der Liste. Daher machen wir es kurz: Was hat die Weltkunstausstellungen zu bieten? Eine ungewöhnliche, etwas zu Esoterik neigende Leiterin, welche die „Balance zwischen den Menschen, Tieren und den materiellen Elementen der Welt berücksichtigt“. Carolyn Christov-Bakargiev präsentiert mehr als 150 Künstler aus 55 Ländern - und mit ihnen einen nicht nur geografisch weit gefassten Kunstbegriff. Neben Malerei, Skulptur, Fotografie und Film sieht man nicht nur Performances, Installationen oder Soundarbeiten, sondern auch Projekte rund um Wissenschaft, Literatur und Archivierung. Wenig Video, wenig Dokumentarisches, dafür mehr „leibhaftige Erfahrung der Dinge“, skulpturale Erlebnisse, handfeste Positionen. Christov-Bakargiev setzt damit bewusst einen Kontrapunkt zu den früheren documenta-Ausstellungen. Vielleicht könnte sie sogar einen kleinen Paradigmenwechsel in der Kunstszene einläuten, wenn so etwas heute überhaupt noch möglich ist mit einer Ausstellung. Weg vom vordergründig Gesellschaftskritischen-Medialen, hin zum dreidimensional geerdeten Kunsterlebnis mit anthropologischem Hintergrund? Angesichts solch großer Fragen dürfen die kleinen, praktischen Anliegen nicht auf der Strecke bleiben: Kassel ist gerade zu Beginn der documenta überlaufen. Wo übernachtet man da am besten? Die Stadt ist generell nicht gerade ein Mekka der Hotellerie. Da sind neue Initiativen gern willkommen, jedenfalls für Gäste, während die Hotelbesitzer nicht so begeistert sein werden. Oder gibt es dafür keinen Anlass? Ein trostloses Stahlbett, ein Tisch, eine Toilette: Komfort sieht schließlich anders aus. Die Zellen im ehemaligen Untersuchungsgefängnis Elwe in Kassel sind nicht gerade gemütlich. Dessen ungeachtet werden viele Touristen hier übernachten – und das freiwillig. Denn diese Herberge ist bezahlbar und selbst für Vielreisende ein ungewöhnliches Domizil. Anlässlich der documenta mutiert der Knast 100 Tage lang zum Hotel. Die ungewöhnliche Idee haben ein Immobilienunternehmer und ein Rechtsanwalt in die Tat umgesetzt. Denn das Gefängnis ist seit 2009 ungenutzt. Die Haftanstalt ist nun ein Standort für kulturelle Veranstaltungen. Bis Ende 2012 haben die Inititatoren den Gebäudekomplex erst einmal gemietet. In diesem Sommer wird sich zeigen, ob sich das extravagante Konzept auch in der Wirklichkeit bewährt.

Fünftens. Paris Das stille, aber in seiner kuratorischen Finesse gewaltige Highlight des Kunstsommers ist die Paris Triennale vom ehemaligen documenta-Leiter Okwui Enwezor. Im neu sanierten und erweiterten Palais de Tokyo und an anderen Orten in Paris zeigt er globale Kunst, die ihren Mikrokosmos in der multikulturellen Kunstszene der französischen Hauptstadt findet. Das Ausstellungskonzept zwischen Kunst und Ethnografie à la Claude LeviStrauss, zwischen künstlerischer Praxis und Theorie à la Nicolaus Bourriaud ist dicht. Seine Wirkung entfaltet es durch die kluge Zusammenstellung der vielschichtigen Kunstwerke in der vom Architektenbüro Lacaton und Vassal dezent konservierten Ruine des Palastes, also im konkreten Ausstellungsraum. Kein unnötiger textueller Theorieballast an den Wänden hält die Besucher vom Eintauchen in die fast durchweg starken Positionen ab. Diskurs wird, wenn schon, dann performativ, auf spannende Weise in Szene gesetzt. So im Video „Speeches“ von Bouchra Khalili, der Migranten in Paris Schlüsseltexte politischer Theorie in ihrer Landessprache vorlesen lässt. Ganz persönlich wird es bei Meschac Gaba aus Cotonou in Benin, der seinen Hochzeitstag in Paris feiert – mit dem Ausstellungspublikum. Wie ein Straßenverkäufer aus seiner Heimat legt er ganz persönliche Memorabilien seiner Ehe auf Zeitungspapier auf dem Boden aus. Ein Privatmuseum ganz eigener Art sprengt ein Ausstellungsdisplay im Sinne westlicher Manier, das man als Besucher meist gewöhnt ist. Auch bei der Installation For Julius Eastman (Crazy Nigger) des aus Französisch-Guinea stammenden Mathieu Kleyebe Abonnenc muss man verweilen. Der Künstler lässt während der Ausstellungsdauer das Werk zwischen Minimal und Pop des afrikanisch-amerikanischen Komponisten Julius Eastman von Pianisten einspielen. Nach dem Ende der Triennale wird von den vier Flügeln, die im Untergeschosses des Palais platziert sind, nichts übrig sein als die Tonspur der Einspielung. Nach der Tour de Force durch den Enwezorschen Ausstellungskosmos kann man sich im Restaurant Le Tokyo Eat im Palais de Tokyo eine Pause genehmigen. Der gastronomische Zwischenstopp kann ruhig auch etwas länger werden, geöffnet ist bis 1 Uhr nachts. Die Speisekarte ist aus internationaler und asiatischer Küche gemixt, verfeinert mit einem Hauch französischer Raffinesse. Das Essen ist für Pariser Verhältnisse noch erschwinglich, und es schmeckt. Das Publikum ist eher jung. Man sitzt hier unter den ausladenden, Ufo-förmigen DesignLampen von Stéphane Maurin in einem gekonnt durchgestylten und gleichzeitig zum Wohlfühlen und Zurücklehnen einladenden Raum. Weitere Ausstellungsinfos finden Sie auf Seite 36 >>>

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Modernes Nomadentum ‚Instant Housing‘ - eine neue Sicht auf Mobilität Text Spunk Seipel

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n the Road – dieser Buchtitel von Jack Kerouac aus dem Jahr 1951 klingt nach Abenteuer und Freiheit. Tatsächlich bedeutet ‚On the Road‘ aber für unzählige Menschen nichts als ein alltäglicher Überlebenskampf. Was manche romantisieren, ist für viele Obdachlose bittere Realität, die oft verbunden ist mit der gesellschaftlichen Verachtung und einem Verlust an Selbstwürde. Nicht wenige Künstler haben sich mit der Obdachlosigkeit, die eine ganz eigene Form von erzwungener Mobilität darstellt, auseinandergesetzt. Der früh verstorbene Künstler Etienne Boulanger lebte selbst als Obdachloser, um so fremde Städte zu erforschen. Krzysztof Wodiczko hat in New York, Micahel Rokowitz in Boston Ideen für mobile Heime für Obdachlose entwickelt. Miriam Kilali versucht Obdachlosenheime schöner und damit menschenwürdiger zu gestalten. Das sind nur einige von vielen Künstlern.

Kritik in diesen Skulpturen an unseren Ansprüchen an das, was nötig ist, um komfortabel zu wohnen. Tatsächlich wurden diese Skulpturen schon mehrfach von Obdachlosen erprobt. In Zusammenhang mit Ausstellungen wurden diese Instant Housings, wie der Künstler sie nennt, an Obdachlose abgegeben, die sich durchweg begeistert zeigen. So kann es gut sein, dass der Kunstfreund eines Tages einen Obdachlosen trifft, der seit mehreren Jahren seine Instant Housing-Skulptur mit sich führt. Kritik kam nie von den Betroffenen selbst, sondern immer nur von Menschen, die selber keine praktikable Lösung des Problems anbieten konnten. Beide Abbildungen: Winfried Baumann, Instant Housing Shopping Cart, MIGROS-400, 2010, ausziehbare gepolsterte Liegefläche, Erste-Hilfe-Paket, Spiegel, Trillerpfeife, Multifunktionswerkzeug, Taschenlampe, Kunststoffhaube mit Sichtfenster, Maße: 205 x 60 x 95 cm, Transportmaße: 95 x 50 x 25 cm, Material: Aluminium, PVC-Plane. Fotos: © Elmar Hahn, VG Bildkunst

In Nürnberg arbeitet Winfried Baumann seit über zehn Jahren an Skulpturen, die auch ganz praktisch von Obdachlosen als mobile Unterkunft und Container für ihre Habseligkeiten genutzt werden können. Baumann, der sein Atelier am Rande der Nürnberger Altstadt in einem sozial problematischen Umfeld eingerichtet hat, erlebte, wie eine Gesellschaft unliebsame ‚Gestalten‘ aus dem Stadtbild vertreiben wollte. Sei es durch den Umbau des Hauptbahnhofs zu einem Einkaufszentrum oder durch die Schließung des legendären autonomen Jugend- und Kulturzentrums Komm. In einer durchstrukturierten Stadt, in der kommerzielle Interessen an oberster Stelle stehen, ist für die Verlierer der Gesellschaft kein Platz. Baumann wertet die Obdachlosigkeit jedoch nicht. Er agiert nicht politisch. Er nimmt sie als Tatsache hin und erlebt sie täglich in der Umgebung seines Ateliers. Er baut Metallcontainer, die an Mülltonnen erinnern, und stattet sie mit einer Matte, Schlafsack, einem Spiegel und anderen wenigen Notwendigkeiten aus. Der Künstler hat reduziert wo es nur geht und damit die Überlebensexistenz auf das Wesentliche beschränkt. Mehr braucht man nicht, um einen eigenen Rückzugsort zu haben. Oder, und das entspricht viel mehr der Intention von Baumann, er hat den Obdachlosen einen Freiraum gegeben, ihre mobilen Unterkünfte selbst zu gestalten und so ein ‚Heim‘ nach eigenem Geschmack entwickeln zu können. Es steckt viel

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Doch Baumann hat im Zuge seiner künstlerischen Recherchen noch viel mehr ‚moderne Nomaden‘ entdeckt. Auf den ersten Blick haben diese Manager, Künstler oder Pilger nichts mit Obdachlosen gemein. So wird man von dem entsprechend gestalteten Pilgermodell Benedetto und seinem muslimischen Pendant Umrah oder dem WBF 240-GO (Wohnbehälter fahrbar, Businessmodell) mehr irritiert als von den mobilen Obdachlosenunterkünften. Will der Künstler den international tätigen Manager degradieren? Im Gegenteil. Baumann kritisiert einen Zeitgeist, der Mobilität als ideal beschreibt, ohne über die Folgen für die Betroffenen und ihre gesellschaftlichen wie familliären Beziehungen zu bedenken. So nennt er seine Arbeiten eben auch „Instant Housing-Wohnsysteme für Obdachlose und andere urbane Nomaden.“ So ist denn auch sein Kommentar zum internationalen Kunstzirkus eine mobile Galerie. Jack Kerouacs’ ‚On the Road‘ klingt auch über 60 Jahre nach Erscheinen der Erstausgabe noch nach Abenteuer und Freiheit. Winfried Baumann zeigt mit seinen Skulpturen, die in zahlreichen Ausstellungen zu sehen waren und sind, die negative Seite, aber auch die Potentiale der Mobilität auf. Auch für den modernen Nomaden und reisenden Künstler.

Eine Werkübersicht über das ‚Instant Housing-Projekt‘ wird im Herbst im Verlag für moderne Kunst Nürnberg erscheinen. www. winfried-baumann.de


Bilbao - eine Stadt erfindet sich neu Kunst kann sehr bewegen Text Ulrich J. C. Harz Fotos Ludwig Dinkloh

Bilbaos Wahrzeichen: Das Guggeheim-Museum von Frank O. Gehry. Aussenansicht mit einer Spinnenskulptur von Louise Bourgeois. In den Innenräumen setzen sich die bewegten Formen des Gebäudes fort.

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lughafen Frankfurt. Schnell noch in die Airport-Buchhandlung und das gerade erschienene Der Kulturinfarkt gekauft, als passende Reiselektüre ins gelobte Land der Kunst. Die Destination heißt Bilbao, die größte Stadt im Baskenland, Hauptstadt der Region Bizkaia. Für Bilbao als Reiseziel gibt es nur zwei Gründe: Entweder man ist Fußball-Aficionado der Primera Division und will Athletic Bilbao im eigenen Stadion erleben, eine Mannschaft, die nur aus Basken besteht und von einem wahnsinnigen argentinischen Trainer von Erfolg zu Erfolg gecoacht wird. Oder man muss endlich das Guggenheim-Museum besuchen wollen, jenes architektonische Juwel, das so monolithisch ein Stadtbild prägt, wie vielleicht noch die Oper in Sydney. Der zweite Grund ist unser Reiseziel, wir sind 24 Kulturbürger aus NRW, in 4 Tagen wollen wir den legendären Guggenheim-Effekt erkunden (auch Bilbao-Effekt genannt), der jedes Jahr über eine Million Touristen in eine Stadt zieht, von der Otto-Normalverreisender nicht mehr weiß, als von Wolfsburg oder Gelsenkirchen. In 10.000 Metern Höhe dann die Kulturkritiklektüre. Kulturinfarkt, klar, in Zeiten knapper Kassen ein tolles Thema, von allem zu viel und überall das Gleiche, Subventionserschleichung, Gremienentscheidungen, die dem Innovativen abhold sind, Gräfin Mariza statt John Cage, die Autoren wissen Bescheid. Landeanflug auf die 350.000-Einwohner-Stadt, der Flughafen liegt 10 Kilometer außerhalb inmitten vor sich hinrostender Industriearchitektur, aber das Calatrava-Gebäude erhebt sich wie ein stolzer Vogel aus der Maloche-Ödnis. Im Flughafen Reisegruppen aus ganz Europa. Kunst kann sehr bewegen. Erst 1300 gegründet, ist Bilbao eine relativ junge Stadt, die ihre erste Karriere als Industriestandort machte. In den nahen Bergen baute man hochwertige Erze ab, die Gründung von Eisenhütten und Schiffswerften förderte den Handel, auf dem schiffbaren Ria de Bilbao konnten Produkte und Rohstoffe auf ihren Weg nach Europa gebracht werden, zwischen 1875 und 1930 erlebt die Stadt eine wirtschaftliche Blüte, die sich auch in der Architektur niederschlug. Das Arriaga-Theater, die Börse, der neue Bahnhof lenkten ab vom Image einer hässlichen, schmutzigen und grauen Stadt, die Bilbao blieb bis zum tiefsten Fall in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts, als die Inder dem Weltmarkt günstigeren Stahl lieferten und die Koreaner billigere Schiffe bauten. Bilbo, wie die Einwohner sagen, ist Gelsenkirchen in Nordspanien, eine Industriestadt als früher Verlierer der Globalisierung. 1991 ist Bilbaos Wiedergeburtsjahr, die Baskische Regierung und der Provinzrat gründen Metropoli-30 (www.bm30.es), quasi die Entwicklungsgesellschaft für die baskische Metropole, die 30

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steht hierbei für das Jahr 2030, das ist der Zeitpunkt, in dem die Vision umgesetzt sein soll, wo der Großraum zu den fünf stärksten Regionen Europas zählen soll. Eine erste Maßnahme ist die Stadterschließungsachse einer 28 Kilometer langen Metrolinie. Hier griff man architektonisch zu den Sternen, die gläsernen halbrunden Eingänge der Bahnhöfe stammen zum Großteil aus der Feder von Sir Norman Foster, die Bilbainos nennen sie noch heute, zwanzig Jahre später, fast zärtlich Fosteritos.

Der berühmte Guggenheim-Effekt ist am besten in Zahlen erklärt: Seit 1997 besuchen jährlich über 1 Million Reisende Bilbao, jeder davon gibt im Durchschnitt 353 Euro aus, das sind 274 Millionen Euro zusätzliches Bruttosozialprodukt und 42 Millionen Steuer Mehreinnahmen. Ein Widerspruch am Rande: 83% der Besucher geben als Reisegrund das Guggenheim-Museum an, aber nur jeder zehnte besucht es auch von innen.

Und dann kam der Glücksgriff, der die zehntgrößte Stadt Spaniens in die Champions League der Architektur katapultierte. Seit Anfang der Neunziger suchte die amerikanische Guggenheim Foundation einen Brückenkopf im alten Europa, um zum New Yorker Haus ein Pendant zu haben. Erste Wahl war die Mozartstadt Salzburg, dann schielte man nach Wien und Madrid, aber alle Metropolen winkten dankbar ab, zu unverschämt waren die Bedingungen der Foundation. Die Gaststadt sollte das Museum bezahlen, aber in Sachen Ausstellungspolitik und Konzeption wollten die Guggenheims das Sagen haben, ein Danaergeschenk aus New York, Kulturimperialismus in Reinform. Allein die mutigen Basken wollten das Museum um jeden Preis. Sie finanzierten die Bausumme von moderaten 100 Millionen und fanden mit Frank O. Gehry einen – natürlich amerikanischen – Stararchitekten, der ihnen eine Kunstkathedrale an die Ria setzte, die weltweit ihresgleichen sucht.

Am nächsten Tag Besuch bei Metropoli 30. Die Planer mit Sitz in einem Palazzo mitten in Bilbao haben auch nach 20 Jahren noch viel vor. Zwar bewegt sich im letzten großen Projekt, einer von Zaha Hadid betreuten Inselbebauung im Ria derzeit nichts, aber man arbeitet an der Verbesserung der Lebensqualität, einem dauerhaft hohen Wirtschaftswachstum und der weltweiten Anerkennung der Region Bilbao als Metropole. Bis 2030 soll der Großraum die erste Region in Spanien sein und unter den fünf Top-Regionen der EU, bezogen auf das Bruttosozialprodukt, die Gesundheitsleistungen, die Bildung und Altersversorgung. Dieses konsequente, durchhaltende Arbeiten ist nur möglich, weil seit Baskengedenken mit dem Partido Nacionalista Vasco die Baskische Partei das Sagen hat. Das Autonomiestatut des Baskenlandes schafft auf Dauer Unabhängigkeit und Reichtum. Das Straßenbild bestätigt den Eindruck: noble Läden, edle Shopping-Malls, Cafes und Restaurants im Cross-Culture-Mix, gut gekleidete Menschen, keine sichtbare Armut, Bourgoisie als Lebensform. Was sofort auffällt, ist die extreme Sauberkeit, keine Graffitis, keine Müllberge, nur Singapur könnte Bilbao den Rang streitig machen. Es gibt aber auch Stimmen, die Armut wäre in einer relativ reichen Urbanität aus der Stadt getrieben worden.

Ist es die spektakuläre Zeichnung mit der Silhouette eines Ozeandampfers, ist es der ungewöhnliche Materialmix aus Glas, Kalkstein und dem heute unbezahlbaren Titan, ist es die Verbindung mit den umgebenden, ebenfalls singulären Architekturen, die dieses Gebäude so einmalig macht? Die Lichtreflexe auf der Titanhaut, die überraschenden Räume und Achsen im Inneren, die Kühnheit im Entwurf haben ein kunstrichtendes Phänomen. Starke Kunst, wie die gigantischen Skulpturen von Richard Serra, verstärken ihre Wirkung, schwache Hervorbringungen wie die Tulips von Jeff Koons wirken noch banaler als sie sind. Überhaupt Koons: Sein Puppy, eine aus Tausenden Vergißmeinnicht komponierte knallbunte Hundeskulptur sollte nur zur Eröffnung das Museum bewachen. Die Bilbainos verliebten sich in das Kerlchen und noch heute ist es das meistfotografierte Motiv. Die Pflanzen werden ständig ausgetauscht und eine computergesteuerte Berieselungsanlage sorgt für das frische Aussehen dieser Oberflächenkunst. Auch die Wechselausstellungen sind großes Showbusiness, zurzeit gastieren 150 Arbeiten aus 50 Schaffensjahren von David Hockney, eine Kooperation zwischen der Royal Academy, dem Guggenheim und dem Museum Ludwig.

Wir besuchen noch das Bilbao Arte, eine Stiftung, die jedes Jahr 25 Stipendien in Form von Ateliers an junge Künstler vergibt, das Haus bietet alle Technik und Raum ohne Ende. Nach dem Museo de Bellas Artes, dem hervorragend renovierten Kunstmuseum Bilbaos, erobern wir noch zwei Privatgalerien, das Espacio Marzana in der Altstadt und die vanGuardia, eine der ältesten Galerien der Stadt, die Galeristen profitieren nach Selbstauskunft von den Kunstpilgern, die im Schatten des Guggenheim auf Kunstsuche sind, wir fanden die gezeigten Arbeiten eher medioker. Nach vier Tagen mit eindrucksvollen Besuchen und interessanten Begegnungen können wir dem deutschen Kulturinfarkt mit Gelassenheit entgegensehen. Wir würden uns Alan Riding anschließen, der 1997 in der New York Times prophezeite: „Not long ago, Bilbao was trapped in the past, now it is reaching for a designer future.“

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Eine Stadt expandiert: Die Skyline von São Paulo. Foto: © Cifotart, Fotolia.com

Der südamerikanische

Brasiliens B

rasilien gehört zu den Brics, zu den fünf derjenigen Schwellenländern, die sich rasant entwickeln und hohes wirtschaftliches Potential verheißen. Seit Jahren prosperiert das südamerikanische Land und macht von sich reden. Weit gefehlt, wer da nur an Karneval, Caipirinhas, Samba und Fußball denkt. Brasilien ist zum Hot Spot des lateinamerikanischen Kontinents avanciert, der auf dem Weltmarkt expandiert und immer mehr auch in der Kunstszene international an Bedeutung gewinnt. Angesichts der Teilnahme als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse 2013 und im Hinblick auf die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 2014 und der Olympiade 2016 haben wir einige Stimmen, Meinungen und Tipps gesammelt, die eine Momentaufnahme Brasiliens aus unterschiedlichen Perspektiven entstehen lassen. Die in Deutschland lebende brasilianische Malerin Lúcia Hinz beobachtet diese vorwärtsstrebende Entwicklung seit längerem: „In den letzten Jahren, hat die Entstehung neuer Kunstmessen und -märkte den brasilianischen Kunstmarkt enorm stimuliert und wichtige internationale Impulse gegeben. So konnte im vergangenen Herbst die erste Ausgabe der Art Rio einen Gesamtumsatz von 120 Millionen US-Dollar verbuchen und ich stelle fest, dass durch die Globalisierung hauptsächlich die Nachfrage nach zeitgenössischer Kunst in Brasilien gestiegen ist.“ Sie sieht das Potential vor allem durch diese innovativen Kunstmessen, die in „einem extrem großen und vielfältigen Einzugsgebiet stattfinden und aufstrebenden jungen Talenten auf dem Kunstmarkt Gelegenheit zur Darstellung bieten“. Aber auch einige Galerien würden diesen Talenten ein Forum geben wie etwa die Galerien

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Romero Britto und Spazio Surreale, beide mit Sitz in São Paulo, die brasilianische Künstler sowohl im In- als auch im Ausland intensiv fördern. Nur wenige wissen, dass São Paulo eine der ältesten Kunstmessen weltweit ausrichtet, die auf Initiative des Industriellen Francisco Matarazzo Sobrinho 1951 gegründet wurde. In diesem Jahr fand die Bienal de São Paulo zum 30. Mal statt und ist damit die zweitälteste ihrer Art nach der Biennale in Venedig. Dieser Tradition werden sich die Brasilianer immer bewusster und so öffnet die ebenfalls in São Paulo beheimatete SP-Arte ihre Tore schon im achten Jahr. Auch Rio de Janeiro tritt in diesem Wettbewerb an und veranstaltet seit 2011 die Art Rio mit steigenden Besucherzahlen und Verkaufserfolgen. Und wo geht man hin, wenn gerade keine Kunstmessen in Rio oder São Paulo laufen? Hier weiß Lúcia Hinz Rat, deren Bilder u.a. in der von Oscar Niemeyer erbauten Nationalbibliothek in Brasília hängen: In Rio de Janeiro ist natürlich das National Museum of Fine Arts, wie auch das MAM, Museum of Modern Art, sehenswert und auch das MAC, Museum für zeitgenössische Kunst, das sich etwas außerhalb in Niterói befindet. Ebenfalls von Oscar Niemeyer entworfen, ist es selbst ein Kunstwerk. In São Paulo sind es vor allem die Museen MASP und MAM/SP, die beide auf höchstem Niveau agieren. In Curitiba, Paraná, sollte man das NOM, Oscar Niemeyer-Museum, besuchen, das durch seine Architektur, seine internationalen Projekte und die Bedeutung der Sammlung besticht.”

Der deutsche Generalkonsul Cèzar Amaral sieht nicht zwangsläufig eine Verbindung zwischen der wirtschaftlichen Prosperität und der Kunstförderung. „Es gibt meiner Meinung nach keinen direkten Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Prosperität und Kunst. Vielmehr bin ich der Meinung, dass es eine Wechselwirkung in beide Richtungen gibt. Ich stimme allerdings vollkommen mit der Meinung überein, dass es eine Tendenz gibt, bei der eine wohlhabende Gesellschaft eine stärkere Differenzierung und eine größere Fülle an kulturellen Veranstaltungen ermöglicht.“ Darüber hinaus gibt es durchaus Faktoren, die seiner Ansicht nach die positive Entwicklung unterstützen, „steuerliche Anreize für kulturelle Projekte, sowie zahlreiche Programme zur Förderung der Kunst. Einige Beispiele sind etwa Kino- und Theaterfestivals, Eröffnung von Lesesälen und Bibliotheken in allen Gemeinden Brasiliens, Anreize für Ausstellungen der bildenden Künste, Eröffnung von Museen oder folkloristische Aufführungen.“ Mit jeweils über 10 Millionen Einwohnern wetteifern die vibrierenden Städte São Paulo und Rio de Janeiro um die Wette und bieten nicht nur wegen der international renommierten Moderne der 1950er- und 1960er-Jahre in Kunst und Architektur einen hervorragenden Nährboden für Kunsthändler, Sammler und Künstler. Eine immer stärker werdende Internationalisierung ist spürbar und die Stimmung erinnert ein wenig an die Hypes, wie wir sie schon andernorts in der Vergangenheit kennenlernen konnten. So ist die rasante Preisentwicklung und Kunstmarkt-Euphorie auch kritisch zu betrachten und trifft gerade bei


jüngeren Künstlern eher auf Skepsis. Der finnische Künstler Kristofer Paetau (*1972), der in Berlin lebt und in Rio Kunstprojekte realisiert (siehe auch S. 27, „Rattenscharf“), sieht als einer von ‚außen‘ auch die Nachteile, die eine solche rasante Entwicklung mit sich bringt: „Meiner Meinung nach ist der brasilianische Boom sehr relativ zu sehen; die großen Firmen, Banken und Medien boomen sicherlich, auch der Staat durch Steuergelder. Aber die meisten Menschen spüren den Boom nur durch höhere Lebenskosten. Die Preise im Supermarkt steigen inflationär und die Immobilienspekulation spielt geradezu verrückt. Sehr viele Brasilianer arbeiten zum Mindestlohn, dem salário mínimo. 2010 waren das 510 Brasilianische Real (R$) (ca. 200 Euro), die 2012 auf ganze 622 R$ (ca. 245 Euro) erhöht wurden.“ Seine Einschätzungen sind vor allem für die Bevölkerungschichten in den ärmeren Regionen am Rande der Mega-Cities ernüchternd: „Nach Angaben des IBGE (Brasilianisches Institut für Geographie und Statistik) lebten im Jahr 2010 mehr als 15 Millionen Brasilianer von weniger als einem Mindestlohn. Aber die Wohnungsmieten sind in Rio teurer als in Berlin. Wer arm ist, muss in der Favela leben, falls er sich das leisten kann, sonst lebt er auf der Straße.“ Und was bedeutet das für die Kunstwelt? Paetau, der 2010 den Kunstpreis Balmoral erhielt, sieht hier eine ähnliche Problematik: „In der Kunstwelt spiegelt sich diese Realität auch ab. Einige wenige Künstler sind erfolgreich und die anderen 95% leben in der Hoffnung, entdeckt zu werden. Die neue Kunstmesse in Rio boomt, die Banken investieren Millionen in Ausstellungen und es entstehen neue kommerzielle Galerien. Aber versuche mal, ein paar Tausend Brasilianische Real für einen Projektraum zu bekommen – keine Chance.“ Paetau sieht sogar im Hinblick auf die künstlerische Entwicklung eher einen Rückschritt, weil zu sehr der Markt die Szene berherrsche. „Der ökonomische Boom heißt ganz und gar nicht, dass zugleich die Kreativität boomen würde. Ganz im Gegenteil. In den Jahren 2001 bis 2006 war in Rio viel mehr Kreativität und Energie in der jungen Kunstszene zu spüren. Die Künstler arbeiteten zusammen und organisierten selber Happenings und spontane Ausstellungen in leeren Fabrikräumen, in Wohnungen und auf der Straße. Jetzt haben einige von ihnen mit der Kunst aufgehört und andere wiederum haben Ihre Galerie gefunden und sind damit beschäftigt, eine nette Arbeit für die nächste Messe zu produzieren. Aber

Verzicht auf rücksichtslose Rohstoffausbeutung, Naturvernichtung und ungerechte soziale Umschichtung.“ Das dies nicht nur ein frommer Wunsch ist, sieht er durch die derzeitige brasilianische Regierung bestätigt. „Meiner Meinung nach ist die brasilianische Gesellschaft mit Politikern wie Luiz Inácio Lula da Silva und aktuell Dilma Vana Rousseff sowie herausragenden Persönlichkeiten wie Eike Batista im privatwirtschaftlichen Bereich seit Jahren gut aufgestellt und kann die grundlegenden Weichen zu ihren Gunsten stellen. Die Bundesrepublik mit ihren DeutschBrasilianischen Beziehungen könnte viel dazu beisteuern. Ich schaue gespannt auf die UNO-Umwelt- und Nachhaltigkeitskonferenz „Rio+20“ und hoffe auf Resultate und Entscheidungen, die sich möglichst zeitnah umsetzen lassen.“ Inwieweit das zukünftige Verhältnis zur Natur und der Umgang mit sozialen Missständen tatsächlich durch Nachhaltigkeit geprägt sein wird, bleibt abzuwarten. Der in Brasilien renommierte Objektünstler Camille Kachani (*1966) hat seine Überlegung dazu künstlerisch zum Ausdruck gebracht. Seine überdimensional großen Insektenskulpturen stehen als Metapher für das ‚Hässliche‘ des Lebens, das wir alle nicht sehen oder wahrhaben wollen. „Gewöhnlich zeige ich Dinge des Alltags, die keiner sehen will. Beispielsweise die Armut in Brasilien; ich habe versucht, sie darzustellen, indem ich große Mülltonnen aus Plüsch und Stoff gemacht habe. Plüsch habe ich auch bei den Insekten angewendet; eine Serie, die eher persönlicher Natur ist. Sie verweist auf die Dinge, die für uns keine oder kaum eine Bedeutung haben.“ Kachani gestaltet Fliegen, Mücken, Käfer oder Raupen, entweder noch lebend oder tot auf dem Rücken liegend, wie gerade mit der Fliegenklatsche erschlagen. „Wenn man meine überdimensional großen Insekten sieht, mit Plüsch bezogen und farbenprächtig, verändert sich die Wahrnehmung des Betrachters. Zuerst siehst Du etwas Schönes, was Du nicht mit Insekten assoziierst. Und dann ist da die Größe, die einer Invasion gleichkommt ...“ Durch Verfremdung und Schaffung von Gegensätzen bewirkt Kachani ein kritischeres Bewusstsein. Auch für die Situation in Brasilien? „Brasilien entwickelt sich zu einer wohlhabenden Gesellschaft. Doch wir haben das Problem, nicht ausreichend Bildung für die kommenden Generationen zu gewährleisten. Natürlich ist es eine großartige Verbesserung, dass Millionen von Menschen nicht mehr länger in Armut leben

Kunstmarkt vibriert

müssen. Doch ich bin überzeugt, dass diese Entwicklung nur Bestand haben kann, wenn es genügend Bildungsangebote gibt. Brasilien hat immer noch eine hohe Kriminalitätsrate und leidet unter Korruption. Deshalb: Wir brauchen Bildung – jetzt!“ Auch wenn er mit seiner Kunst durchaus sozial und gesellschaftlich engagiert ist, hält Kachani die Idee von einer Veränderung der Verhältnisse durch Kunst für abwegig. „Ich glaube nicht, dass Kunst die Gesellschaft verändern kann; das ist eine alte Sicht auf die Kunst und sehr romantisch. Hier in Brasilien haben wir nicht viel Platz für derartige Ansichten. Was ich tun kann, betrifft meine unmittelbare Umgebung, die Menschen, die zu meinen Ausstellungen kommen oder die über meine Arbeiten lesen ... das ist das Wenige, das ich tun kann. Aber ich habe auch nicht die Sehnsucht nach einer perfekten Gesellschaft, sondern nach einer möglichen Gesellschaft ...“ Der 1978 geborene André Komatsu gehört zu den ‚emerging artists‘ Brasiliens. Seine raumgreifenden Installationen nehmen Bezug auf die derzeit reale Gesellschaft des urbanen Lebens und den daraus erwachsenden sozialen Problemen. Mithilfe von Baumaterialien zeigt er eine rohe Welt, die desillusionierend wirkt. Ausgangs- und Bezugspunkt für seine von der sozialen Skulptur inspirierten Werke sind die Favelas. Sie beeindrucken durch eine merkwürdig präsente Stille. Vielleicht kann Kunst ja doch dazu beitragen, Entwicklungen zu beeinflussen, indem sie unbequeme Diskussionen anstößt. Ganz leise, aber nachhaltig. Die Sammmler jdenfalls haben Komatsu bereits entdeckt. Künstler und Kunst in Brasilien: Hier finden Sie aufstrebende, junge brasilianische Künstler: Tomo.com.mx | youngbrazilianartists.blogspot.de Junge Galerie mit ‚emerging artists‘ (u.a. André Komatsu): www.galeriavermelho.com.br Camille Kachani: www.camillekachani.com.br Lucia Hinz: www.atelier-hinz.com Reise- und Kulturinformationen zu Brasilien: Brasilianische Botschaft in Berlin: berlim.itamaraty.gov.br/de Generalkonsulat in Frankfurt: frankfurt.itamaraty.gov.br/de Goethe-Institut: www.goethe.de/ins/br/lp/deindex.htm Embratur: www.fremdenverkehrsamt.com | www.visitbrasil.com Max Krieger: www.brasilconsulting.de

Text Alexandra Wendorf

Kunstboom André Komatsu, DISSEMINAÇÃO CONCRETA, Installationsansicht. Foto: Courtesy Galeria Vermelho, © André Komatsu

vielleicht wird alles besser nach 2016, wenn die Fußball-WM in Brasilien stattgefunden hat und die Spekulation hoffentlich aufhört – und die Krise einschlägt?“ Ein positives Bild zeichnet hingegen der deutsche Kulturmanager Max Krieger, der seit Jahren die Deutsch-Brasilianische Zusammenarbeit fördert. „Die Euphorie am brasilianischen Kunstmarkt werte ich als eine Art brasilianische Renaissance, die über den Atlantik schwappt und mit ihren bunten Farben und kreativer Vielfalt in Europa immer mehr an Aufmerksamkeit gewinnt. In Brasilien erlebt die schon immer vorhandene Kunst eine neue Wahrnehmung mit zunehmend größerem Respekt, die Museen und Galerien aus dem Boden schießen lässt, um das heimische Kunstangebot in ganzer Pracht nach innen und außen zu präsentieren. Das und natürlich das hohe Niveau sowie viele Alleinstellungsmerkmale der brasilianischen Kunstszene verdienen internationale Aufmerksamkeit, die noch wachsen wird.“ Für Krieger, der Ausstellungen und Veranstaltungen sowohl in Deutschland als auch in Brasilien veranstaltet, liegt das große Potential Brasiliens in der Möglichkeit, aus den Erfahrungen anderer Länder zu lernen. „Ich sehe Brasilien als eines der großen Länder, mit enormen Chancen genau heute das Richtige zu tun, um den wirtschaftlichen Aufschwung in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Mensch und Natur anzusteuern, wie bisher nirgendwo anders auf der Welt geschehen. Brasilien hat die Möglichkeit, aus der Umwelt- und Sozialentwicklung anderer Länder, insbesondere europäischer, zu lernen, sich positive Erfahrungen zu eigen zu machen, Fehlentwicklungen zu analysieren und alternative Ansätze zu wählen; etwa

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Lesen. Sehen. Gehen. Unterwegssein in Literatur und Kunst Text Peter Lodermeyer

E

Jahren unternommenen Forschungen im braine der erstaunlichsten Eigenschaften der silianischen Amazonasgebiet berichtet der AnKünste, fast muss man sie ‚magisch‘ nennen, thropologe noch einmal von fremden Völkern: besteht darin, dass sie es dem Publikum ervon Indianerstämmen, die kurz vor dem Auslauben, an (realen oder fiktiven) Erfahrungen sterben standen. Damals hatte sich längst die und Erlebnissen fremder Menschen teilzunehhässliche Kehrseite der europäischen Reiselust men. Beim Besuch eines Shakespeare-Dramas des 19. Jahrhunderts gezeigt: imperialistische kann man sich in Machtintrigen verstricken, Eroberungswut, Kolonialismus, die rücksichtsbei Strawinskys Le Sacre du Printemps Zeuge lose Zerstörung traditioneller Lebensweisen archaischer Menschenopfer-Rituale werden, und Kulturen. Dies ist der Hintergrund für mit Wagners Tristan und Isolde sich in einen Lévi-Strauss’ melancholische Schilderung einer Liebesrausch bis hin zu Welt- und Selbstauflöverschwindender Welt, die bezeichnenderweise sung hineinsteigern – und doch am nächsten mit den Worten beginnt: „Ich verabscheue ReiMorgen pünktlich um acht im Büro erscheisen und Forschungsreisende“. nen. Aus vielen Gründen, vor allem aber weil die menschliche Lebenszeit knapp bemessen In unserer Gegenwart, in der wir vom heiist, bleiben uns ganze Welten möglicher Erlebmischen Computer aus mit Google Earth in alle nisse verschlossen. Hier helfen die Künste und Winkel der Welt hineinzoomen, gibt es nicht lassen in verdichteter und vermittelter Form mehr viel von unerforschten Gegenden und Dinge sehen, Gefühle erfahren, Ereignisse unbekannten Völkern zu berichten. Es wir heudurchleben, die uns sonst versagt oder aber Hamish Fulton, BARKHOR KORA (outline of a drinking cup), 2009, Stempel, te so viel gereist wie nie zuvor in der Menschglücklicherweise erspart bleiben. Dies gilt gleiBleistift und Buntstift auf Papier, 10,1 x 10,1 cm. heitsgeschichte, und die Gattung Reiseliteratur chermaßen auch für Erlebnisse beim Reisen. Foto: Courtesy Häusler Contemporary München | Zürich erfreut sich noch immer großer Beliebtheit. Auch wenn das Reisen noch nie so einfach war Was immer mehr Leser an den Reiseerlebniswie heute, im Zeitalter von Billigfliegern und sen anderer interessiert, sind weniger die ReiBonusmeilen, kann auch der reisewütigste Vielseziele selbst als vielmehr der Weg dorthin, die Erfahrung des Unterwegsseins, die uns trotz flieger nicht an allen Orten gewesen sein. Das ungelebte Leben ist immer vielfältiger als das oder paradoxerweise gerade wegen des vielen Reisens weitgehend abhanden gekommen ist. Wer reale, die nicht zurückgelegten Reisekilometer addieren sich gegen unendlich. von Frankfurt aus zum Beispiel nach New York, Sydney oder Bangkok aufbricht, ist schon in wenigen Stunden am Ziel. Reisen hat sich durch das Fliegen völlig verändert, weil es das Unter Reisen bildet, so sagt man. Dieser Redensart widerspricht mancher, dem es mehr auf Weisheit wegssein auf einige mehr oder weniger unbequeme und langweilige Stunden im Flugzeug zusamals auf Bildung ankommt. So etwa Laotse, der im 44. Abschnitt des Tao Te King sagt: „Ohne aus menschrumpfen lässt. Genau diese – körperliche und emotionale – Erfahrung aber, unterwegs zu dem Haus zu treten, kann man die Welt erkennen. [...]. Je weiter gereist, desto weniger weiß man.“ sein, sich dem Ziel allmählich anzunähern und sich in dieser Annäherung selbst zu verändern, Auf seine Art beherzigte Immanuel Kant diese Weisheit, auch ohne Taoismus. Selbst wer nie geht dabei verloren. Dabei ist Unterwegssein etwas, das durchaus zum eigentlichen Ziel des Reieine Zeile der „Kritik der reinen Vernunft“ gelesen hat, weiß doch, dass ihr Verfasser zeitlebens sens werden kann, weil es alle Sinne berührt, ebenso Denken und das Fühlen, kurz: weil es ein kaum ein paar Kilometer über seine Geburtsstadt Königsberg hinauskam. Dennoch sparte Kant existenzielles Erlebnis sein kann. Der weitgehende Verlust des Unterwegsseins als Erfahrungswert in seinen Schriften nicht mit Bemerkungen über fremde Länder und Völker. Sein Spätwerk Anist sicherlich einer der Hauptgründe für die erstaunliche Tatsache, dass in den letzten Jahren das thropologie in pragmatischer Hinsicht von 1798 würzte er mit Anekdoten aus den Londoner Salons, Pilgern, insbesondere auf dem mittelalterlichen Jakobsweg nach Santiago de Compostela, eine mit Gedanken über die „angeborne Leblosigkeit der Karaiben“ oder Bemerkungen zur Gemütsart wahre Renaissance erfahren hat. der Spanier und ihre Fähigkeit, sich bei aller Grandezza zu vergnügen und auf der Straße zu tanzen, „wenn an einem Sommerabend der Fandango gefidelt wird“. Was Kant pikanterweise „dem“ Es verwundert auch nicht, dass gerade eine Literatur des Unterwegsseins besondere BeachSpanier vorwirft: „er lernt nicht von Fremden, reiset nicht, um andere Völker kennen zu lernen“. tung findet. Zwei sehr verschiedene Beispiele aus den letzten Jahren seien hier erwähnt. Als 2011 Wie der taoistische Weise ging Kant nicht aus dem Haus und erkannte doch die ganze Welt – mitdas Buch des deutschen Journalisten Wolfgang Büscher mit dem Titel Hartland. Zu Fuß durch hilfe der Reiseliteratur seiner Zeit. Bis ins hohe Alter blieb der Philosoph ein eifriger Leser von Amerika erschien, sprang es innerhalb kürzester Zeit ganz nach oben auf die Bestsellerlisten. Reiseberichten, einer Literaturgattung, die im 18. Jahrhundert zu bis dahin nicht gekannter Blüte Büscher berichtet davon, wie er die USA „mittig“ von Nord nach Süd durchquerte, von North gelangte. Die Berichte über fremde Völker, ihre Sitten, Gebräuche und Religionen waren eine nicht Dakota bis Texas, weit entfernt von Metropolen wie New York oder Los Angeles und abseits aller hoch genug zu schätzende Quelle, aus der sich der Toleranzgedanke der Aufklärung speiste. Man touristischen Attraktionen. Was ihn interessierte, war nicht das Ziel, eine durchschnittliche Stadt könnte sagen, dass die Reiseliteratur der Aufklärung mit dem erstmals 1950 veröffentlichten Band in Texas nahe der mexikanischen Grenze, sondern das Unterwegssein selbst. Es passiert nichts Traurige Tropen von Claude Lévi-Strauss zu Ende ging. In diesem Buch über seine in den 30er-

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Kunst braucht Inspiration.

Wie Hartland ist auch Peter Handkes Gestern Unterwegs. Aufzeichnungen November 1987 bis Juli 1990, das 2005 erschien, von den Feuilletons mit Begeisterung aufgenommen worden. Handkes Buch ist zwar alles andere als ein Reisebericht, doch sind die tausende, auf 550 Seiten versammelten Beobachtungen, Notizen und Reflexionen grundiert von einer geradezu entfesselten Reise-, Entdeckungs- und Beobachtungslust, die Handke in weniger als drei Jahren nicht nur kreuz und quer durch Europa führte – von Schottland bis Spanien, von Holland bis Griechenland, von Frankreich bis Slowenien –, sondern auch nach Japan, Ägypten und Alaska. Wie Büscher ist Handke stets allein unterwegs und meist zu Fuß – was ihm die Augen öffnet für unzählige Details am Rande. Handkes Blickrichtung läuft konträr zu dem auf das Spektakuläre gerichteten touristischen Sehen. „Mein einziges Begehren geht inzwischen auf Orte (und Werke)?“, heißt es einmal in Frageform. Die zahlreichen Orte und Ortswechsel bringen hier selbst ein literarisches Werk hervor. „Das Gehen als Erinnerung; woran? An das Gehen [...]; das Gehen lehrt mich; was? zu gehen“ – diese Worte aus Handkes Buch könnten ebenso von Hamish Fulton stammen, dem englischen Künstler, der sich selbst als „walking artist“ bezeichnet. Fultons Werk ist ein Beweis dafür, dass die künstlerische Umsetzung des Unterwegsseins nicht nur im Medium der Literatur, sondern auch der bildenden Kunst möglich ist. Fulton, Jahrgang 1946, studierte in London Skulptur in den „wilden“ 60er-Jahren, als der Kunstbegriff nach allen Richtungen hin erweitert wurde. Seine auf den ersten Blick völlig paradoxe Idee war es, Wanderungen zu Kunst zu machen. Im Jahre 1973, nachdem er eine 47 Tage dauernde, 1022 Meilen lange Durchquerung der britischen Hauptinsel von der Nord- bis zur Südspitze abgeschlossen hatte, entschied der Künstler, dass er endgültig nur noch Kunstwerke machen möchte, die aus der Erfahrung individueller Wanderungen resultieren, in Kurzfassung: „no walk, no work“. Wie aber soll man Fußmärsche in Galerien und Museen und also zum Publikum bringen? Genau diese Frage bildet den Mittelpunkt von Fultons künstlerischer Tätigkeit und seiner Suche nach adäquaten Medien. Anders als sein Künstlerkollege Richard Long, mit dem er zwischen 1972 und 1990 elf gemeinsame Reisen unternahm, entschied sich Fulton, bei seinen Wanderungen in aller Welt möglichst keine Spuren zu hinterlassen, was bedeutet, dass er weder Kunstwerke vor Ort machen und fotografieren noch Fundmaterialien (wie Steine oder Holz) mitbringen und ausstellen würde. Fultons Ansatz ist konzeptionell, insofern er seine Arbeiten nur als Zeichen für seine walks verwendet. In einem kurzen Text von 2000 erklärte er, dass es ihm nicht um das Kunstwerk gehe, sondern darum, „what it is about“, dass er nicht an Aufzeichnungen fiktiver Situationen interessiert sei, sondern an dem Wunsch, sich durch die Erfahrung der tatsächlichen Wanderungen zu verändern. Bei der Suche nach Möglichkeiten, diese Erfahrung zeichenhaft zu vermitteln, hat Fulton sich keine formalen Beschränkungen auferlegt. Sein Werk umfasst Fotografien (die weder künstlerische noch dokumentarische Fotos sein wollen, sondern Hinweise auf sein Unterwegssein), Textarbeiten, Objekte, Collagen, wandgroße Text- oder Diagrammbilder, die ganz bewusst die Ästhetik von Werbetafeln zitieren. Der Kunstbegriff von Hamish Fulton ist das Gegenteil der Simulationstheorie, die in den 80er- und 90er-Jahren en vogue war und in einem Werk nur ein unverbindliches Spiel von Zeichen (oder Zeichen von Zeichen) sehen wollte. Für Fulton gibt es immer einen Referenten seiner künstlerischen Zeichen: seine Erfahrung beim Gehen. So wird der Künstler zum Stellvertreter des Betrachters. Er macht die Erfahrung für sein Publikum und lässt es zeichenhaft daran teilnehmen. Denn wer kann schon solche Wanderungen auf sich nehmen: durch die Wildnis Alaskas (1977, 1999) vom französischen Valence bis nach Wien in 31 Tagen (1994) oder den Aufstieg ohne Sauerstoffgerät auf den 8175 Meter hohen Berg Cho Oyu im Himalaya (2000)? Fultons Auffassung von Kunst gründet letztendlich in einem Vertrauensverhältnis zwischen Publikum und Künstler: Fulton garantiert mit seiner Person, dass seine Arbeiten auf einen realen Inhalt verweisen: „A walk can exist like an invisible object in a complex world“, wie es auf Fultons Website heißt. Aber selbstverständlich sind Fultons walks auch Appelle an das Publikum, eigene Erfahrungen beim Wandern zu machen. Seit 1994 führt Fulton immer wieder Gruppenwanderungen durch, die den Teilnehmern ungewöhnliche Sichtweisen vermitteln wie z. B. 10 Kilometer Rückwärtswandern (2002). Fultons Kunst ist ein stiller, aber eindringlicher Protest gegen eine Kultur, die ihre eigenen Lebensgrundlagen zerstört, sie ist von einem tiefen Respekt vor der Natur geprägt. Aus diesem Grund interessiert er sich für Ökologie ebenso wie für traditionelle Kulturen, etwa die nordamerikanischen Indianer oder den Buddhismus. Dass Fultons Arbeiten durchaus politische Statements sein können, zeigt etwa eine Arbeit, in der er den Begriff „global warming“ benutzte, und zwar zu einer Zeit, als Politiker wie George W. Bush den Klimawandel noch als Hirngespinst abtun wollten. Ein weiteres Beispiel ist der „slowalk“ vom 31. April 2011 mit einhundert Teilnehmern in der Turbinenhalle der Londoner Tate Modern, ein zweistündiges Gehen in Zeitlupe als symbolische Unterstützung für den zu jenem Zeitpunkt noch von den chinesischen Behörden verschleppten Künstler Ai Weiwei. Claude Lévi-Strauss: Traurige Tropen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1978 | Wolfgang Büscher: Hartland. Zu Fuß durch Amerika. Rowohlt Verlag, Berlin 2011 | Peter Handke: Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987 bis Juli 1990. Jung und Jung Verlag, Wien/Salzburg 2005; Taschenbuchausgabe: Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007. www.hamish-fulton.com

nicolai | No 2 | Juli - September 2012

Beratung.

Dipl.-Kfm. Ralf Chr. Bühler Wirtschaftsprüfer Steuerberater Limburger Straße 1 | 50672 Köln 0221/9525115 info@wpstbbuehler.de www.kuenstlerberatung-koeln.de

Giambologna, Raub der Sabinerinnen, © VGF - Fotolia.com

Aufregendes, das Buch ist kein Abenteuerbericht – die Berglöwen, vor denen der Wanderer immer wieder gewarnt wird, greifen nicht an; die Waffe, die er sich zum Schutz besorgt, wird nicht abgefeuert –, und dennoch liest sich Hartland spannend wie ein Krimi, weil es die Erfahrung des Unterwegsseins, der Begegnungen und Beobachtungen, der körperlichen Strapazen und der Gedanken beim einsamen Gehen (auch wenn Büscher manche Wegstrecken per Anhalter absolvierte) so authentisch schildert, dass sich die Leser auf die Reise mitgenommen fühlen.

Und professionelle


„Eine Sammlung abzugeben ist ein kurzer Schmerz, aber lange Freude!“ Die Sammlung Gruber stellt die faszinierende Geschichte der Fotografie im 20. Jahrhundert dar Interview Gérard Goodrow

Fotos Ulrich Tillman, Bettina Gruber, Anthony Coles

Pablo Gruber, 1984, Silbergelatine Baryt, 29 x 29 cm. Foto ©: Ulrich Tillman, Köln

M

it über 3.500 Werken ist die Sammlung Gruber im Museum Ludwig Köln eine der umfangund einflussreichen Kollektionen klassischer Fotografie weltweit. Zudem sind Tausende Dokumente zum Leben und Wirken von Prof. Dr. h.c. L. Fritz Gruber (1908-2005) sowie zur Geschichte der Fotografie im 20. Jahrhundert im Historischen Archiv der Stadt Köln beherbergt. Ein Leben im Dienste der Fotokunst – liebevoll dokumentiert und fortgesetzt durch Renate Gruber, mit der der legendäre Publizist, Sammler und Fotoexperte 46 Jahre verheiratet war. Gérard Goodrow sprach mit Renate Gruber über ihre Erinnerungen an ein außergewöhnliches Leben mit „Mister Photokina“, die gemeinsame Freude an der Fotografie und das Weiterleben der Sammlung im Museum. Frau Gruber, Ihr Mann, L. Fritz Gruber, der 2005 im Alter von fast 97 Jahren starb, war eine einflussreiche Persönlichkeit der internationalen Fotoszene in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Er war u.a. mit Ansel Adams, Chargesheimer, Irving Penn und Man Ray eng befreundet und organisierte schon in den 1950er und 60er Jahren im Rahmen der Photokina in Köln die teilweise ersten Ausstellungen nach dem 2. Weltkrieg von weltberühmten Fotografen wie August Sander, Albert Renger-Patzsch, Edward Steichen oder Jacques-Henri Lartigue. Viele Werke der Sammlung Gruber sind aus diesen legendären Ausstellungen erworben worden.

Die langanhaltenden Freundschaften mit den Fotografen waren sehr bereichernd für uns beide. Diese Freundschaften pflege ich heute noch, zumindest mit jenen, die noch leben, verbunden mit vielen Reisen – vor allem nach Arles, wo das jährliche Fotofest, Les Rencontres d‘Arles, seit nunmehr drei Jahrzehnten Mittelpunkt der europäischen Fotoszene ist. Doch schon als junger Mann durfte mein Mann den wohl bedeutendsten deutschen Fotografen überhaupt kennenlernen: August Sander. Er ging nämlich mit dem Sohn des Fotografen, Gunther Sander, zur Schule und war bei ihm zuhause eingeladen. Diese Begegnungen hat das Leben meines Mannes nachhaltig geprägt. Die erste Fotografie – der Ausgangspunkt bzw. die Keimzelle der Sammlung Gruber sozusagen – war ein Porträt seines Lehrers Dr. Paul Bourfeind von 1924 aus dem Atelier August Sanders. Das Alltagsleben mit der Fotografie als Privatsammler ist sehr bereichernd, umso mehr, wenn man von einer wunderbaren Bibliothek umgeben ist und wenn die Fotografien nur eine Etage höher im Grafikschrank bewahrt werden. Es ist großartig, einfach eine Fotografie von Man Ray aus dem Schrank zu holen und mit den Freunden und Gästen darüber zu diskutieren. Man kann das Werk in die eigenen Hände nehmen und Vergleiche zwischen einem älteren und einem neueren Abzug ziehen. Die Bilder wecken Erinnerungen und die Vergangenheit wird wieder lebendig.

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Über die Jahre sind mehr als 3.500 Fotografien aus den 1920er bis in die 80er Jahre gehend zusammengekommen, viele davon in Zusammenhang mit der Photokina, die Ihr Mann 1950 mitgegründet und 30 Jahre lang intensiv und maßgeblich begleitet hatte. In der Zeit kuratierte und organisierte er über 300 Ausstellungen mit Katalogen, und gab eine Vielzahl an Publikationen zur Fotografie als Autor heraus, was ein ‚Verzeichnis der Schriften‘ belegt. Seit Mitte der 1970er Jahre sind die meisten Fotografien der Sammlung Gruber nicht mehr bei Ihnen zuhause, sondern im Kölner Museum Ludwig. War es einfach für Sie und Ihren Mann, sich davon zu trennen?

Eigentlich waren wir mit der Zeit in gewisser Weise schon geübt, denn die erste Ausstellung mit Fotografien aus der Sammlung Gruber fand schon 1972 im Kölnischen Kunstverein statt. Wissen Sie, eine Sammlung abzugeben ist ein kurzer Schmerz, aber eine lange Freude! Man sammelt, tauscht, kauft, sucht und findet – man liebt jedes einzelne Blatt und lebt 50 Jahre lang intensiv damit zusammen. Doch wenn die Bilder im Museum eine Heimat finden, sind sie für alle da. Das ist für Sammler eine Genugtuung, ein großes Glück – auch aus konservatorischen Gründen. Es fühlt sich in gewisser Weise an, wie die Tochter, die man gut in der Nähe verheiratet – erst muss man sie gehen lassen, aber dann weiß man, dass man sie jeden Tag besuchen kann. Die Fotografien sind so nicht nur in der geiebten Heimatstadt geblieben und werden dort dauerhaft gut versorgt, sondern sie bildeten auch den Grundstock für eine neue Abteilung im damals jungen Museum Ludwig, die allein der Fotografie gewidmet ist. Bei uns zuhause konnten nur wenige Gäste die Sammlung mit uns ansehen und genießen, nun sind es viele Tausende! Wir haben etwas wichtiges angestoßen und das macht mich heute noch sehr stolz. Wie ist es damals zur öffentlich zugänglichen Sammlung gekommen?

Initiiert wurde das ganze vom damaligen Kulturdezernenten Dr. Kurt Hackenberg, der ein Studienfreund meines Mannes war. 1977 hat die Stadt Köln dann 800 Fotografien für die Sammlung des Museums erworben. Nach und nach haben wir weitere Konvolute dem Museum gestiftet – u.a. 1993 zum 85. Geburtstag meines Mannes oder 1996 anlässlich der Verleihung des Großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern. Darunter sind beispielsweise 62 Vintage-Prints von Man Ray, aber auch umfangreiche Werkgruppen von August Sander, Albert Renger-Patzsch und Chargesheimer. Heute umfasst die Sammlung Gruber im Museum Ludwig über 3.500 Blätter. Darüber hinaus wäre es, konservatorisch gesehen, geradezu unverantwortlich gewesen, so viele wertvolle Zeitzeugen der Geschichte der Fotografie in einem alten Privathaus auf Dauer halten zu wollen. Auch deswegen bin ich noch heute sehr froh darüber, dass die Werke im Museum un-


ter den richtigen konservatorischen Bedingungen aufbewahrt und wissenschaftlich betreut werden.

ein Restaurant im Hopper Hotel St. Antonius in der Dagobertstraße – „L. Fritz im Hopper“ –, das nach Ihrem Mann genannt wurde ...

Die Nachrichten über den tragischen Einsturz des Historischen Archiv der Stadt Köln am 3. März 2009 muss für Sie wie ein Albtraum gewesen sein. Denn dort waren abertausende Briefe und dokumentarische Fotografien beherbergt, die Sie und Ihr Mann über Jahre zusammengetragen und in mühevoller Handarbeit beschriftet und katalogisiert hatten. Wie geht man mit so einem enormen Verlust um?

So bleiben Spuren eines Menschen, der bis auf die Emigration in England immer in Köln zuhause war. So bleibt Fritz im Stadtgedächtnis. Mein Mann war Zeit seines Lebens der Universität zu Köln sehr eng verbunden. Dort studierte er und emigrierte dann 1933 im Zuge der Machtübernahme der Nationalsozialisten nach London. Als er 1939 nach Köln zurückkehrte, um die kranke Mutter zu besuchen, bekam er keine Ausreise und der 2. Weltkrieg brach aus. Später gab es keine Zeit mehr für das Leben als Student – die Arbeit rief, da seine Familie ernährt werden musste – und so hat er sein Studium nie abschließen können. Am 31. Januar 2005 erhielt er schließlich den Ehrendoktor seiner alten Alma Mater. Dies war sein letzter öffentlicher Auftritt bevor er am 30. März von uns gegangen ist. Der Fotopreis der Universität sowie der L. Fritz Gruber-Platz im Herzen der Stadt, die er liebte, machen mich besonders stolz. Ich betrachte diesen Platz als einen liebevollen Gruß vom Rathaus an die Familie Gruber. So bleibt er und seine Verdienste für die Fotografie in lebender Erinnerung.

Sie können sich gar nicht vorstellen, welch’ ein Schaden und auch Schmerz der Einsturz des Stadtarchivs ausgelöst hatte, nicht nur für mich persönlich, sondern für die Stadt und das Land, vor allem für die Forschung. Die Dokumente, die Erinnerungen eines ganzen Lebens mit der Fotografie sind entweder zerstört oder verloren gegangen. 14.000 dokumentarische Fotografien, hunderte Plakate, Briefe von Fotografen, Manuskripte – 25 laufende Meter Regalwand von und über L. Fritz Gruber und sein Leben mit der Fotografie. Alleine die Beschriftung der Bilder bedeutete jahrelange Arbeit. Die meisten Dokumente hat man wieder gefunden – aber fragen Sie mich nicht in welchem Zustand! Es wird 50 Jahre dauern, bis der Bestand ‚1319 Gruber’ wieder in Ordnung gebracht und restauriert worden ist. Weder ich noch meine Tochter werden dies noch erleben. Wir haben aber die Hoffnung nicht verloren und freuen uns auf das neue Archiv und geben seit einem Jahr Konvolute beschrifteter Fotografien und Dokumente wieder ab. Sie haben auch andere Institutionen in Köln mit großzügigen Schenkungen bedacht. Für die jeweilige Zeit bedeutende Kleidungsstücke, wie z.B. ein Smoking aus den 1920er Jahren von Ihrem Mann oder ein Dior-Kleid von Ihnen aus den 1950er Jahren bereichern die Modesammlung des Museums für Angewandte Kunst, wie auch Designobjekte der Firma Braun oder 25 Herrenhüte samt Originalverpackungen, die Ihr Mann dem Museum anlässlich seines 90. Geburtstags gestiftet hatte. Was haben Sie nicht gesammelt und später gestiftet?

Ich glaube, dass der Hang zum Sammeln im Alter verstärkt wird, denn Sammeln heißt Bewahren und in die Zukunft sichern. Ich empfinde es als angenehm und tröstlich, solche Erinnerungstücke um mich zu haben – und zu wissen, dass sie später vielleicht in ein Museum gehen und somit vielen anderen Menschen zugänglich werden und Freude machen – das macht mich sehr glücklich. Seit 2004 wird der L. Fritz Gruber-Preis für Fotografie von der Universität zu Köln im Zweijahresrhythmus verliehen. Am 7. Juni 2008 wurde das Straßenschild des L.Fritz Gruber-Platz zwischen der Kölner Oper und dem Museum Kolumba nahe des Kölner Domes eingeweiht, anlässlich des 100. Geburtstages Ihres Mannes. Es gibt sogar

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Porträt der Eltern, 2004. Foto: © Bettina Gruber, Köln

Renate Gruber, 2011. Foto: © Anthony Coles, Köln

Manchmal hat man das Gefühl, dass Sie nicht nur Fotografien, sondern auch Menschen sammeln. Seit vielen Jahren veranstalten Sie als Gastgeberin perfekt organisierte Soiréen und Get-Together für interessante Persönlichkeiten der internationalen Fotoszene bei Ihnen zuhause. Sie fördern jüngere Fotokünstler sowie Fotohistoriker und -kuratoren. Dabei spielt auch Ihre Tochter, die Foto- und Videokünstlerin Bettina Gruber, eine nicht unbedeutende Rolle.

Der Umgang mit jungen Menschen hilft mir, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Wenn meine Tochter Bettina und ich ein Bild anschauen, sehen wir zwangsläufig verschiedene Sachen, denn unsere eigenen Erinnerungen und Persönlichkeiten färben das, was wir sehen. Wissen Sie, vieles in der Gegenwartskunst bleibt für mich ein Rätsel. Vielleicht hat das etwas mit dem Alter zu tun. Ich habe viel Respekt vor Sammlern, die sich auf Gegenwartskunst konzentrieren. Mein Mann und ich haben eigentlich nur Klassiker gesammelt – zwar sehr bedeutende, aber nicht unbedingt das, was man avantgardistisch nennen würde. Aber ich lerne nach wie vor sehr viel von meinen Gesprächen mit meiner Tochter – auch oder vielleicht vor allem, weil sie selber Künstlerin ist. Und die sonstigen Begegnungen mit jungen Menschen sind auch eine Genugtuung und eine Freude – eine Kompensation dafür, dass man älter wird. Was gibt es schöneres, wenn junge Menschen bei mir interessiert nachfragen, mich um meine Meinung fragen. So kann ich etwas aus meinem eigenen Leben, aus meinen eigenen Erfahrungen weitergeben, für jemanden eine Tür öffnen oder weiterhelfen.

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Lesenswert What about Street Art, Yasha Young?

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or allem das Experimentieren und Ausloten der Fläche und zugleich räumlicher Phänomene spielen bei Detlef Beer (geb. 1963) eine wesentliche Rolle. Seine subtilen Blätter bilden neben der Malerei und Plastik eine autonome Werkgruppe und werden in dem jüngst im Wienand Verlag erschienenen Buch „Mit jedem Strich“ ausführlich gewürdigt. Mit über 100 Abbildungen wird eine sorgfältige Dokumentation und zugleich

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detaillierte Entwicklung seines Schaffens der letzten 20 Jahre aufgezeigt. Dieser Überblick zeigt Rückgriffe und Neuansätze ebenso wie Kontinuität – eine Abfolge von locker bewegten, aber auch verdichtet ruhenden Arbeiten, deren Aspekte sich gegenseitig durchdringen und jeweils eine andere zeichnerische Idee betonen. Beers Medium ist die Linie, der Strich, mal nervös kurz und unzählige Male über- und nebeneinander zur Fläche gefügt oder in akkurater Führung zur Linie gewordene geometrische Form. Aus dem Zentrum des Blattes heraus entwickelt der Künstler Linien und Striche zu geometrischen Körpern oder wellenförmigen Gebilden. Beer benutzt alltägliche Schreibutensilien wie Kugelschreiber, Faserstift oder Pigmentliner, die erst bei näherem Hinsehen zu erkennen sind. So sehr ist die Form und Linie bestimmend und ganz aus der jeweils charakteristischen Materialität heraus entstanden.

inmal um die Welt. Was in England läuft ... Meine Reisen bringen mich überall herum und ich lerne dabei die erstaunlichsten Menschen kennen, die ich Euch unbedingt vorstellen muss. Einer von ihnen ist mein Freund Olly Walker, ein außergewöhnlicher Buchautor in London. Ich habe ihn kurz getroffen und gefragt, was momentan in Londons Straßen so läuft, vor allem in der „Banger and Mash-up-Show“. Kunstausstellungen sind heutzutage ja eine wie die andere auch in der Graffitti- und Street Art-Szene. Also hat sich der trendige Londoner Eastend was besonderes letzte Nacht einfallen lassen. Genau in der Hackney Road, in die sich Neu-Eastender nicht trauen würden, auch nur in die Nähe zu kommen, wurde eine Zeitreise in einer verlassenen Tiefgarage veranstaltet. Ich fühle mich 15 Jahre zurückversetzt. Durch eine Fluchttür geht es auf dunklen Betontreppen runter, unzählige Ecken und gruselige Korridore, die in einen riesigen, niedrigen und tiefdunklen Raum führten. Niedrige Spots blenden Dich und Du brauchst eine Weile, Dich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Da sind Autos in der Tiefgarage! Irgendwas hängt von den Betonbalken an der Decke, da sind einige Tische mit Lautsprechern, ein Eimer voller Eis und Bier. Du siehst einige Schatten, Menschen, die herumlaufen, eifrig Dinge an die dreckigen Wände hängen, Du siehst Kunst an den Wänden, riesige Bilder von Sweet Toof, das Gesicht Jorge Rodriguez das Dich geisterhaft zu jagen scheint jagt und zwischen den Betonpfeilern immer wieder plötzlich auftaucht. Dann wird Dir klar, dass Du Dich nicht in einem Traum aus den 80er-Jahren befindest. Sondern: Das ist Kunst, eine fantastische Ausstellung und die Autos sind die Kunstwerke! BMW’s Ford, alte Merc’s, Vans und andere mehr. Alle sind einzigartig gestaltet und einfach großartig. Eine, Mr Wim, Sweet Toof, Will Barras, Pablo Delgado, DrD, Dan Hillier, Matt Small, Aida, Toaster – alle haben Autos in allen möglichen Styles gestaltet. Winzige Gestalten krabbeln überall auf Pablo Delgados Fiesta herum. Brilliante Diamanten umgeben Eines Beemer. Matt Small’s Autofronten und Hauben hängen bedrohlich von den Balken. Zebras und glitzernde Muster schmücken Aidas Punto und DrD schreibt seine ironischen Überschriften auf einen Renault Twingo!!

Die Zeichnung erlebt schon seit ein paar Jahren ein großes Comeback. Unterschiedlichste zeichnerische Ausdrucksformen werden erprobt und gefunden und lassen den Betrachter staunen. So differenziert und vielschichtig sind die Techniken und thematischen Bezüge. Die Auseinandersetzung mit Detlef Beers Zeichnungen bestärkt den Wunsch, mehr sehen zu wollen und der Zeichnung einen größeren Platz in der Wahrnehmung zeitgenössischer Kunst einzuräumen.

Detlef Beer. Mit jedem Strich. Hg. von Gisela und Rolf Clement, mit Textbeiträgen von Stefan Gronert und Andreas Schalhorn, 120 S. mit 100 Abb., 25 x 21 cm, gebunden, 2012 Wienand Verlag, 9783-86832-113-5, 28.- Euro

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Und wenn jemand einer solchen schönen Klapperkiste habhaft werden möchte, kann er sich nicht reinsetzen und losfahren. Aber er kann Teile davon kaufen. Neben den Blechkisten sind an den Pfeilern Preiskarten angebracht. Eine Ben Eine–Tür kostet 1.750 Pfund plus Steuern, eine Dachverkleidung 2000 Pfund. Soviel dazu. Zurück die langen Korridore und hoch die Betontreppen durch die Fluchttür wieder raus, stolzieren die Eastender, nichtsahnend, was sich im Untergrund Wunderbares tut. Und stell Dir vor, dass alles, wie immer bei so traumhaften Shows, alles nur für eine Nacht ...

Herzlichst Eure Yasha


Souvenirs, Souvenirs Das große Geschäft mit den kleinen (Reise-)erinnerungen Text Lena Hartmann

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b ein Museumsbesuch in New York, Rom, Paris oder Buxtehude, eines ist wohl überall das Gleiche: der obligatorische Weg in den Museumsshop als krönender Abschluss des Kunstgenusses. Wo könnte man auch besser nach einem ausgefallenen Reisesouvenir stöbern, als in diesen Tempeln kunstvoller Kleinigkeiten? Doch die Entscheidung fällt immer schwerer. Das Sortiment und die Verkaufsfläche der Museumsshops wuchsen in den vergangenen Jahren beachtlich, so dass neben der Fachliteratur allerhand originelle Andenken und so manch kitschige Mitnahmeartikel Platz finden. Böse Zungen behaupten gerne, dass es in Museumsshops und Souvenirgeschäften nur Dinge gibt, die niemand braucht. Dennoch sind es diese scheinbar belanglosen Gegenstände, die unseren Reiseerlebnissen Dauer verleihen und fester Bestandteil unserer Erinnerungskultur sind. Sie zeichnen sich nicht durch ihren praktischen Nutzen aus und folgen oft auch nicht den gängigen ästhetischen Idealen oder dem üblichen Schönheits- oder Geschmacksbegriff – eher im Gegenteil. Wir suchen nach Originellem und Ungewöhnlichem, nach Raritäten und Kuriositäten.

In Europa belegt der Louvre den ersten Platz der Souvenirrangliste. In drei Shops, davon widmet sich einer ausschließlich den jungen Besuchern, kann man nach Mitbringseln und Andenken suchen und damit leicht mehr Zeit in der unterirdischen Shoppingmeile verbringen als im Museum selbst. Alleine um das komplette Angebot der Mona Lisa-Souvenirpalette zu überblicken benötigt man eine halbe Ewigkeit und entdeckt dabei die skurrilsten Dinge: Mona Lisa auf Aschenbechern, Pillendosen, Krawatten, Regenschirmen, Löffeln und als Barby-Puppe. Merchandising at its best! Um mit der Entwicklung der professionellen Vermarktung Schritt halten zu können, haben einige Museen ihre Shops in die Hände von Pächtern – in Deutschland sind es häufig Kunstbuchhandlungen – gegeben oder Agenturen damit beauftragt, ein zeitgemäßes Konzept zu entwerfen. Geschäftstüchtige Betreiber haben durch Onlineshops dafür gesorgt, dass ihr einmaliges Sortiment weltweit und jederzeit verfügbar ist – falls man seine Zeit im Museum doch lieber vor den wahren Kunstwerken verbracht hat. Am besten verkaufen sich Mitnahmeartikel wie Bleistifte, Magnete und Kunstpostkarten. Für die betuchteren Kunstliebhaber gibt es Repliken oder limitierte, teils signierte Sondereditionen von bekannten Künstlern in Form von Türknäufen oder Tellern. So kann man wenigstens ein erschwingliches, aber echtes Kunstwerk von dem Kulturtrip mitbringen.

Das ging bereits den Pilgern im Mittelalter nicht anders, die von ihren Wallfahrten zu den heiligen Stätten des Christentums ein Erinnerungsstück mit in die Heimat nehmen wollten. Vor allem Reliquien standen bei den gläubigen Reisenden hoch im Kurs. Man würde sich wohl Ob nun Kitsch oder Kunst, Reiseandenken wundern, wie viele der „wahren Nägel der sind so verschieden wie ihre Besitzer und Kreuzigung Christi“ es gegeben haben soll. gewinnen ihre Bedeutung als Dokumente der Auch wenn die Echtheit dieser Objekte offenModernes Korkmodell des Kapitolstempels, Atelier Dieter Cöllen. Foto: © Dieter Cöllen, Köln persönlichen Geschichte mit Erinnerungswert. sichtlich in Frage gestellt werden muss, beginnt Auch Ausstellungs- und Auktionshäuser hahier zweifelsfrei die erfolgreiche Geschichte des ben diesen nebensächlichen Objekten mit dem Reisesouvenirs, die im 18. und 19. Jahrhundert oft sentimentalen und manchmal materiellen mit der Grand Tour eine wahre Blütezeit erlebte. Wert schon ihre Aufmerksamkeit gewidmet. 2007 veranstaltete Wenn auch nicht aus Kork, so gehören Modelle bekannter BauPompeji, Paestum und Rom wurden durch die gerade erst freiChristie’s in London eine Auktion unter dem Titel „Exploration ten noch immer zu den Klassikern unter den Reisesouvenirs. gelegten antiken Ruinen zu Tourismuszentren Europas, die von and Travel“, bei der die abenteuerlichsten Stücke aus mehreren Nicht selten verrät die Wahl des Souvenirs, was uns an einem wohlhabenden Bildungsbürgern erobert wurden. Auch wenn es Jahrhunderten der Reisetätigkeit unter den Hammer kamen. fremden Ort besonders fasziniert oder gefallen hat, welches noch keine Souvenirläden gab, Reiseandenken waren bei den Unter anderem eine Fotografie für 3500 britische Pfund von Monument oder welcher Kunstgegenstand in unseren Augen Ausgrabungsstätten im Überfluss vorhanden: von ArchitekturEric Earle Shipton aus dem Jahr 1951, die den eindrucksvollen am charakteristischsten für das Reiseziel ist. Was für eine Irofragmenten bis Skulpturen, jeder konnte sich ungehindert bedieFußabdruck des Yeti auf dem schneebedeckten Mount Everest nie, dass gerade die von uns als landestypisch auserkorenen nen. Und wer sollte schon ein schlechtes Gewissen haben, wenn zeigt. Andenken oft nicht der tatsächlichen Alltagskultur des Aufman mit diesen Schätzen des Altertums das neue Wissen über enthaltsortes entsprechen oder aus einer längst vergangenen antike Kunst in der Heimat verbreiten wollte? Reisesouvenirs standen auch im Mittelpunkt bei der FranZeit stammen. So gehören Holzmasken und -figuren zu Afrika ckeschen Stiftung zu Halle, dem LWL-Landesmuseum in wie der Eifelturm zu Paris oder das Kolosseum zu Rom. Als Reisesouvenir weniger heikel, jedoch ebenso außergeMünster. Bis zum 7. Oktober 2012 zeigt nun das Schwäbische wöhnlich waren Korkmodelle, Miniaturausgaben der beliebtesVolkskundemuseum in Oberschönenfeld Souvenirs. Die Einwoh Dass die Kommerzialisierung von Kunst auch im Museumsten antiken Bauwerke. Die Modelle galten als kostbare Sammelner der Stadt wurden aufgefordert, ihre Reisesouvenirs dem Mubetrieb eine nicht zu verachtende zusätzliche Einnahmequelle objekte und waren durch ihre aufwendige Herstellung weitaus seum als Leihgabe zur Verfügung zu stellen. So werden die kudarstellt, haben zuerst die Amerikaner erkannt und das Sortiteurer als beispielsweise Piranesis Kupferstiche, den Vedute di riosesten Gegenstände und typischsten Andenken präsentiert: ment ihrer Museumsshops aufgestockt. Laut einer aktuellen Roma. In den aristokratischen Altertumsfreunden hatten sie eine ungewöhnliche Musealisierung von Alltagsgegenständen Studie lässt in den USA jeder Besucher durchschnittlich umeinen profitablen Absatzmarkt gefunden. Die Einzigartigkeit und eine ungewohnte Öffentlichkeit. Auf eine solche Inszeniegerechnet 5,50 Euro im Museumsshop – in Deutschland sind des Materials erlaubte eine hohe Original- und Detailtreue. rung und Aufmerksamkeit warten wohl die meisten unserer es bislang nur 4 Euro. Neben den finanziellen Vorteilen wissen Auch heutzutage sind sie begehrte Sammelstücke und erreiReisesouvenirs vergebens, wenn sie gut verpackt in Schachteln die Betreiber den Werbeeffekt ihrer Produktpalette zu schätzen. chen hohe Preise etwa auf Londoner Auktionen zur Grand Tour. liegen oder etwas verstaubt in der letzten Regalreihe stehen. Baseball-Caps, T-Shirts und Taschen mit dem Museumslogo In der ständigen Ausstellung des Praetoriums in Köln kann das werden zu erstklassigen Marketinginstrumenten. Als Reisesouweltgrößte, in heutiger Zeit hergestellte Korkmodell besichtigt venir gekauft, verbreiten sie die Marke Museum als lebendige werden. Es zeigt den Kapitolstempel, eines der prächtigsten Werbeträger in Straßen, U-Bahn Stationen und Geschäften aller und monumentalsten Bauwerke des römischen Köln und wurde www.schwaebisches-volkskundemuseum.de www.coellen-cork.de Herren Länder. vom letzten Korkbauer Europas, Dieter Cöllen, realisiert.

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Rattenscharf ‚TransRatFashion‘ wirft einen anderen Blick auf die Szene Text Spunk Seipel

Beide Abbildungen: TransRatFashion, aus der Serie, Modell und Accessoires. Fotos: © Kristofer Paetau

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rasilien mit seinem warmen Klima, seiner vielseitigen Kultur und seinen bunten Farben dient vielen Künstlern als Inspirationsquelle. Auch Kristofer Paetau, 1972 in Porvoo, Finnland, geboren und lange Zeit in Berlin ansässig, findet viele seiner Ideen in Rio de Janeiro, wohin er immer wieder hinreist. Bei seinen Werken und Projekten handelt es sich um konzeptionelle Arbeiten, die von der brasilianischen Kultur inspiriert worden sind aber immer die amerikanische und europäische Kunstgeschichte, den internationalen Kunstbetrieb sowie die globale Gesellschaft thematisieren. Manche Werke, wie zum Beispiel ‚Andy! Oxidation Paintings by Mambo‘ aus dem Jahre 2008 sind humorvolle Kommentare zu Ikonen der Kunstgeschichte. Der Hund Mambo wurde auf Wunsch von Paetau von seinem Herrchen trainiert, auf den Befehl ‚Andy‘ auf Kupferplatten zu pinkeln. Die fertigen Bilder erinnern an die berühmten Oxidation-Paintings von Andy Warhol, für die Mitglieder seiner Factory auf oxidierende Leinwände urinierten. Behandelte Warhol seine Mitarbeiter wie einen Hund oder ist die Kunst vom New Yorker Großmeister nicht besser als wie von einem Hund gepinkelt? Für das Werk ‚Anthropométrie Brasileira 1, 2007‘ hat sich eine Familie bunt angemalt und gegenseitig ihre Körper auf die Leinwand gedrückt. Paetau zeigt in einem vollkommen anderen kulturellen Kontext eine Aneignung der Bilder von Yves Klein und entlarvt zugleich damit dessen transzendente Überhöhung. Aber Paetau belässt es nicht bei diesen eher harmlosen Transformierungen von kunstgeschichtlichen Vorbildern in die brasilianische Kultur. Besonders provozierend sind seine Arbeiten, die in Zusammenarbeit mit Transsexuellen in Rio entstanden sind. Dazu zählen ‚Transratfashion‘, 2007, „Studiovisit“, 2008 und ‚Critical Encounter‘ aus dem Jahr 2010. Der Künstler greift auf die blühende Transgender-Szene in Rio zurück. Die Menschen leben in einem katholisch geprägten Land, in dem die sozialen Kontraste unvorstellbar groß sind, ihre eigene Kultur selbstbewusst aus. Für Europäer sind sie zugleich anziehend wie abschreckend. Sie stellen den Traum von Erotik und Exotik dar, den wir mit Rio ebenso verbinden wie mit Krankheiten, Kriminalität oder Armut.

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Paetau lud die transsexuelle Schauspielerin DanDara ViTaL ein, ihn als Sammlerin beziehungsweise Kuratorin in einem Atelier zu besuchen. Die Irritationen, die in diesen kurzen Videos entstehen, werden nicht allein durch die Personen, sondern auch durch die Sprache und die Handlungen erweckt. Die Dialoge nehmen klischeehaft Gespräche zwischen Künstler und Sammler beziehungsweise Kurator auf. Abgedroschene Phrasen werden von der Schauspielerin in einer Sprache nachgesprochen, die sie nicht versteht. Der Künstler behauptet sein Werk wäre das Ergebnis intensiver Studien vor Ort, über Probleme wie die ausufernden Städte Brasiliens, und zeigt ein Werk, wie es überall hätte entstehen können. Das ist eine harte Kritik gegen all seine Kollegen, die für wenige Tage oder Wochen an einen Ort in einem Entwicklungsland oder Schwellenstaat sind und „engagierte Kunst“ machen. Die Reaktionen von DanDara ViTal sind so beschämend und politisch incorrect und sprengen die Grenzen des guten Geschmacks, dass man als Betrachter zwangsläufig überlegen muss, wie man reagieren kann und soll. Tatsächlich schafft es Kristofer Paetau die Kunstszene aus der Reserve zu locken, wie man anhand der Reaktionen auf seiner Homepage ersehen kann. Besonders heftig waren sie, als er für Transsexuelle aus toten Ratten Bikinis und Accessoires schneidern ließ. Neben den Rattenköpfen blinkt das Signet von Coco Chanel, der unsterblichen Ikone der Haute Couture. Auch hier wird durch den Schock zum Nachdenken angeregt. Über die Mechanismen der Modeindustrie, über die Konsumentinnen, die Produktionsbedingungen und die Geschichte des Hauses Chanel. Die mancherort geäußerte Kritik, er nutze die brasilianischen Transsexuellen für seine Zwecke aus, sind schnell zur Hand. Doch wie bei Santiago Sierra sind sie nicht Opfer seiner Kunst, sondern Opfer der Gesellschaft. Paetau reagiert auf diese Gesellschaft in Rio. Seine Kunst ist hart, manchmal brutal. Aber das ist Rio auch. Für ihn ist die Stadt eine ideale Inspirationsquelle. www.paetau.com

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nico Kunstvolle Neuigkeiten für Kinder und Jugendliche Zusammengestellt von Wiebke Ollendorf

Links: Teehaus von Terunobu Fujimori. Oben: Seifenblasenhaus von Antti Lovag. Alle Abbildungen sowie die auf der gegenüberliegenden Seite stammen aus dem besprochenen Band „Treppe Fenster Klo“. Fotos ©: Moritz Verlag

Treppe Fenster Klo Die ungewöhnlichsten Häuser der Welt Sie sehen aus wie eine überdimensionale Birne im Baum, haben textile Vorhänge statt Wänden oder werden ganz einfach an ein anderes Haus angehängt. Von 35 außergewöhnlichen Häuser auf der ganzen Welt erzählen Aleksandra Machowiak und Daniel Mizielinski in ihrem Buch „Treppe Fenster Klo“ auf besonders schöne Weise. Farbkräftige Zeichnungen der Häuser werden ergänzt um prägnante Erklärungen zu jedem Haus. Von den Architekten gibt es kleine, sehr anschauliche Comic-Porträts. In diesem kurzweiligen Buch über zeitgenössische Architektur findet sich jedes Kind spielend zurecht. Dafür sorgen Karten, auf denen die Häuser mit ihrer geografischen Lage verzeichnet sind, und Piktogramme, die jeder Hauszeichnung beigegeben sind. An ihnen kann man ablesen, wo das Haus steht, woraus es gebaut wurde und ob es eine Küche hat oder nicht. Das Buch macht Spaß und ganz nebenbei gibt es anregende Einblicke in die zeitgenössische Architektur. Achtung: Nicht nur für Kinder! Treppe Fenster Klo | Moritz Verlag | 19,95 Euro

Das Architekturmodell – Werkzeug, Fetisch, kleine UtopiE

In Köln sind Kinder als fantasievolle Forscher gefragt, wenn sie mit Kunsthistorikerin Ann-Katrin Günzel von Stattreisen um die Häuser ziehen. Sie untersuchen die so leicht wirkenden Eisenkugeln von Bildhauer Ansgar Nierhoff auf dem Kirchhof von St. Andreas. Lassen sie sich wegrollen? Sie beschäftigen sich mit dem Flügelauto von H. A. Schult und kundschaften viele andere spannende Kunstwerke in der Stadt aus. So auch das Ma‘alot des israelischen Künstlers Dani Karavan, das die Kinder wie von selbst als Environment aus Granit, Ziegelsteinen, Schienen, Gras und Bäumen erkennen. Den Kindern wird außerdem gezeigt, wie Andy Warhol aus Werbung, Markennamen und Idolen Kunst machte, und lässt sie schließlich im Foyer des Museum Ludwig eine bunte Nana von Niki de Saint Phalle malen. Wer beim Lesen von „Treppe Fenster Klo“ auf den Geschmack gekommen ist und noch mehr besondere Häuser kennenlernen möchte, sollte in die Ausstellung “Das Architekturmodell – Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie” im Deutschen Architektur– museum in Frankfurt am Main gehen. Dort werden auf allen Etagen bis Mitte September 300 Modelle von mehr als 100 Architekten gezeigt. Dabei sind viele Premieren, denn zahlreiche Architekturmodelle wurden auf Dachböden, in Lagerhallen und Modellbau-Werkstätten aufgespürt und sind in der Ausstellung erstmals zu sehen. Die meisten Modelle sind traditionell aus Holz oder Karton gefertigt, zu sehen sind aber auch einige kuriose Stücke aus Wachs oder Styropor. Während der Ausstellung gibt es jeden Samstag von 12 bis 16 Uhr eine offene Werkstatt für Kinder, Jugendliche und Familien zu verschiedenen Architektur-Themen: z. B. am 14. Juli „Skyline in the box – Hochhäuser in 3D“. Da kann sich jeder, der Lust hat, selbst im Modellbau versuchen. Deutsches Architekturmuseum DAM, Frankfurt am Main www.dam-online.de | bis 16. September 2012

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Kunstgeschichte(n) für Kinder in Köln

Einer der nächsten Termine : 15. Juli, 11 Uhr. Treffpunkt: Stadtmuseum/Zeughaus www.stattreisen-koeln.de


nico Kunstvolle Neuigkeiten für Kinder und Jugendliche Zusammengestellt von Wiebke Ollendorf

Birnenhaus von Dre Wapenaar

Hörbuch-Tipp: John Boyne: Der Junge mit dem Herz aus Holz „Noah Barleywater ging frühmorgens aus dem Haus, bevor die Sonne aufging, bevor die Hunde er wachten, bevor der Tau aufhörte, die Wiesen zu benetzen.“ So beginnt der Roman „Der Junge mit dem Herz aus Holz“ des irischen Schriftstellers John Boyne, der jetzt auch als Hörbuch erschienen ist. Der Schauspieler Ulrich Matthes liest und lebt das Abenteuer von Noah, und wir sind gut fünfeinhalb Stunden lang mittendrin in seiner fantastischen Geschichte vom Weggehen und Zurückkehren. Wie im Märchen verlässt Noah seine Eltern, um den Mut zu finden. Auf seiner Reise trifft er auf sprechende Tiere und lebendige Bäume. Der Achtjährige gerät in seltsame Situationen und in einen Laden mit lauter Spielzeug aus Holz. Mit dem Besitzer des Landens kommt Noah ins Gespräch. Als der alte Mann aus seinem Leben erzählt, hört der Junge gebannt zu. Doch von sich will er lange nichts preisgeben. Immer wenn es um seine Geschichte geht, wird Noah still. Wir müssen uns lange mit versteckten Andeutungen begnügen. Dass wir dennoch fasziniert dabeibleiben, liegt an John Boynes Erzählkunst und der Interpretation von Ulrich Matthes.

Übernachten im Gastfreundschaftsgerät Wie es sich in einem der ungewöhnlichen Häuser aus „Treppe Fenster Klo“ wohl wohnt? So weit muss man dafür gar nicht weit fahren. Vielleicht nach Österreich in die Nähe von Linz oder nach Bottrop in den BernePark. An beiden Standorten kann man im Gastfreundschaftsgerät übernachten. So nennt Architekt Andreas Strauss seine Wohnröhre, die außen schlicht und innen unerwartet komfortabel ist. Der Clou: Jeder bezahlt, so viel er angemessen findet (pay as you wish). Dafür bekommen die Übernachtungsgäste ein Doppelbett mit Wolldecken und Hüttenschlafsäcken, Stauraum fürs Gepäck, Licht und natürlich auch Strom aus der Steckdose. Alles, was sonst zu einem Hotel gehört, gibt es ganz in der Nähe. Zum Duschen geht es am Österreicher Standort ins benachbarte Schwimmbad, Brötchen gibt’s beim Kiosk um die Ecke. Die Gastfreundschaftsgeräte sind von Mai bis Oktober geöffnet. Alle Details und Buchung unter www.dasparkhotel.net

Angeln im Museum? Computerspiel „Vom fehlenden Fisch“ Ein geheimnisvoller Sammler, ein Jäger ohne Hund oder ein melan ch o l i s ch e s Fräulein – sie und viele andere bevölkern eine magische Bilderwelt voller Geheimnisse. In dem Computerspiel „Vom fehlenden Fisch“ für PC und Mac können die Gemälde sprechen. Sie schicken Kinder ab acht Jahren auf eine abenteuerliche Reise durch die Kunst. Die Spieler klicken sich in die Bilder, um mit Otto Modersohn zu angeln, auf die Suche nach wertvollen Gegenständen zu gehen und den Papageien im Park Geheimnisse zu entlocken. Mit jedem gelösten Rätsel erscheinen mehr Bilder, bis die Sammlung wieder vollständig ist. Wer eine Pause vom Abenteuer braucht, kann das Spiel unterbrechen und später wieder einsteigen. Wer mag, informiert sich in der Wissenswelt über die Gemälde oder vertreibt sich mit sechs Minispielen die Zeit. Der Clou: Beim Besuch der Kunsthalle Bremen können sich die Spieler die Gemälde aus dem Spiel auf einem speziellen Entdeckerpfad ganz real anschauen. www.kunsthalle-bremen.de

Argon Verlag | 19.95 Euro

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Agenda & Guide News, Termine, Veranstaltungen & Service rund um Kunst und Kultur

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Reiseangebot TAfür -Leser

nicolai

Gedanken Zu Friedrich dem Grossen voN Mischa vetere

Home Grown in Krefeld bis zum 19. August 2012

Quo Vadis - Architektur und Kunst

dOCUMENTA (13) IN KASSEL: Exklusives Reiseangebot für nicolai-Leser

Odeonsplatz, München Foto: © Michael Nischke

mischa vetere, fritz‘ dog, 2012. Foto: © mischa vetere

In Auszügen von mischa veteres‘ „franzosenkönig friedrich auf deutschem thron – le roi de la lumière: vordenker, im dienste von VOLTAIRE ?“

Architekten von Weltrang haben den historischen Bauten Münchens moderne Pendants gegenübergestellt. Unsere ArchitekturstadtführungverdeutlichtZusammenhängezwischen Historie und Moderne. Im Anschluss gibt uns der Fotograf Michael Nischke in seiner Galerie Einblicke in die Panoramafotografie zum Thema Münchner Stadtarchitektur. Genießen Sie abschließend einen Sommerdrink im Innenhof!

„Und so geschah das in der menschheitsgeschichte unglaubliche: am 31. mai 1740, am tag der thronbesteigung, schaffte der 28 jährige fdg die folter ab. und es blieb nicht dabei: er reformierte im ersten regierungsjahr das strafrecht – rechtsgleichheit war das ziel -, später justiz, steuerwesen (er setzte französische beamte ein); er sanierte, kolonialisierte, gründete manufakturen (französischen stils), legte kornvorräte für die bevölkerung an. fdg war somit derjenige, welcher handfeste fortschritte bei der verbesserung der welt erzielte … im sinne VOLTAIRES.“

Termine für die Führungen: 13., 19., 27. Juli und 08.,09. August 2012 jeweils18 Uhr Treffpunkt: Münchner Stadtmuseum, St. Jakobsplatz 1.

Doch Friedrich war nicht nur ein Vordenker, er war auch Pragmatiker:

Bella Italia

Buchung und Information: Epoca Kulturerlebnisse Römerstraße 7 | 80801 München | 089/21031186 kontakt@epoca-kulturerlebnisse.de www.epoca-kulturerlebnisse.de

„die idee, als könig erster staatsdiener zu sein, der schlanke administrationsapparat, von seinem vater, friedrich wilhelm I stammend, von fdg zur perfektion geführt – ist organisatorisch bahnbrechend: mit 500 beamten ein kleines weltreich zu führen, verdient zu jeder zeit unbedingten respekt …, allein der aspekt: fiskustraum – 500 beamte zählt vermutlich die flughafenimmigration von miami und fort lauderdale, kalifornien; das land berlin hofft bis 2013, die zahl der beamten auf 100.000 reduziert zu haben …“ „von friedrich (ebenfalls von seinem vater übernommene strategie) könnte man durchaus lernen, wie wichtig integration ist von neuen ländern ebenso wie von - neu angesiedelten menschen, herbeigeholten arbeitskräften – dazu max frisch: „Wir haben Arbeitskräfte gerufen und es sind Menschen gekommen“. dies ist seinerzeit mit den hugenotten vortrefflich gelungen: 70 % der nachkommen der zugezogenen verheirateten sich mit preussen …“ Friedrich d. Große könnte kaum aktueller sein: ‚mit den worten fdg´s, seiner heiss verschwiegenen programmschrift ‚anti machiavel‘ zu sprechen: „Die Ruhe Europas ist in erster Linie bedingt durch die Erhaltung eines weisen Gleichgewichts, das darin besteht, dass dem Übergewichte einzelner Herrscher die vereinigten Kräfte der anderen Mächte die Waage halten.“ Infos zu mischa vetere: Siehe sein Blog mvart4u sowie www.fixpoetry.com

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Auf der dOKUMENTA (12), Foto: © M. Pätzold Martin Schwenk, Achterbahn, 2007, Plexiglas, Stahl, Gips, Acrylfarbe, 120 x 160 x 230 cm. Foto: © Volker Döhne, Courtesy, Martin Schwenk, Galerie numberthirtyfive, New York

Das Haus Lange in Krefeld hat sich in eine Art Gewächshaus für die Skulpturen des Künstlers Martin Schwenk verwandelt. Wie Pflanzen nehmen sie die Räume des Hauses, das 1927 von Mies van der Rohe entworfen wurde, in Besitz. Sie scheinen aus der Decke zu wachsen oder an der Wand entlang zu kriechen. Für seine biomorphen Kreationen setzt der Künstler auf Baumaterialien: Acrylglas, Polyester, Epoxidharz, Bauschaum oder Zusatzstoffe für Straßenasphalt. Über oft lange Zeiträume des Experimentierens mit den unterschiedlichen Stoffen schafft Martin Schwenk daraus faszinierend fremdartige Skulpturen, die in einem Gebäude des Bauhaus’ besonders gut ihre Wirkung entfalten. Überall sprengen sie dessen grafischen Rahmen, gleichzeitig wird beim Blick in den üppigen Garten klar: die Skulpturen von Martin Schwenk haben mit den Pflanzen, wie wir sie kennen, gar nichts zu tun. Museum Haus Lange | Wilhelmshofallee 91 47800 Krefeld | www.kunstmuseenkrefeld.de

Entdeckung Korea!

Bella Italia | 10.7. - 9.9 2012 | www.von-der-heydt-museum.de www.bella-italia-ausstellung.de

Für die künstlerische Leiterin, Carolyn ChristovBakargiev, ist die dOCUMENTA (13) eine Form der Untersuchung und Hingabe der Materialien. Ihr intuitiver Ansatz entspricht dem der Künstler, mit denen sie zusammenarbeitet. So wird die dOCUMENTA (13) eine Bühne sein, auf der unsere Auffassung von Leben in der Gegenwart hinterfragt wird. Die dTOURS der dOCUMENTA (13) dauern jeweils etwa 2 Stunden und werden von geschulten Personen geleitet, den »Worldly Companions«. Diese kommen hauptsächlich aus Kassel, haben aber ganz unterschiedliche Hintergründe und Wissensfelder und vereinen unterschiedliche Generationen. Die dTOURS konzentrieren sich auf jeweils einen bestimmten Ausstellungsort und behandeln die dort in den Kunstwerken vorrangigen Themen. Die Touren folgen teilweise ungewohnten Logiken und ermöglichen ein weiteres Spektrum von Erfahrungen. Das Besondere für nicolai-Leser: Sie erleben zwei dieser Führungen auf unserer Reise!

Im Reisepreis enthaltene Leistungen: • 2 Übernachtungen mit Frühstück in einem 3-Sterne-Superior-Hotel • 2 Tageskarten pro Person für die dOCUMENTA (13) • Zwei öffentliche Führungen nach Wahl des Ortes und Uhrzeit (je nach Verfügbarkeit): Karlsaue: 11 + 15 Uhr / Fridericianum: 12 + 16 Uhr / documenta-Halle: 13 + 17 Uhr / Kulturbahnhof: 14 + 18 Uhr

Truogoli di Santa Brigida, Genua Francesco Ciappei, 1880 Albuminpapier 26,1 x 21,3 cm Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie

Wohl kaum eine europäische Kulturlandschaft hat in den vergangenen Jahrhunderten auf Künstler, Schriftsteller und Gelehrte eine vergleichbare Faszination ausgeübt wie das mediterrane Italien. Die Ausstellung Bella Italia in Wuppertal präsentiert 210 Originalfotografien und Gemälde aus dem Zeitraum von 1815 bis 1900. Die Gemälde aus dem Von der Heydt-Museum stammen fast ausnahmslos aus der Spätromantik vor 1840.

Am 9. Juni eröffnete die dOCUMENTA (13) in Kassel. Seit sie 1955 erfunden wurde, wird sie als die maßgebliche Ausstellung für zeitgenössische Kunst weltweit verstanden – immer markiert sie einen Moment des Nachdenkens über das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft. Die documenta findet alle fünf Jahre statt und läuft jeweils 100 Tage.

Reisepreis für nicolai-Leser: ab 220 € p.P. im DZ/F (EZ-Zuschlag 60 €). Die Anreise ist täglich möglich. Reiseverlängerung und Privatführungen auf Anfrage. Weinkanne in Melonenform, Leihgeber/© Muse-um für Asiatische Kunst Berlin, Foto: Jürgen Liepe

Hochkarätige Werke der Malerei, Kalligraphie, Skulptur, Keramik, Textil-, Lack- und Metallkunst sowie Möbel, Holz- und Jadeobjekte aus zweitausend Jahren machen Korea erfahrbar. bis 9.9 2012 | www.angewandtekunst-frankfurt.de

Nennen Sie bei der Buchung das Stichwort ‚nicolai‘, und Sie erhalten zwei Führungen, statt einer Führung im Standardangebot. Buchung und Information: drp Kulturtours | Bogenstr. 5 | 20144 Hamburg 040/43 263 466 | info@drp-kulturtours.de http://nicolai.kulturtours.de


Martin Pfeifle, ROTEMARTHA, 2010, ehemalige Reichsabtei Aachen-Kornelimünster, Lackfolienstreifen in 6 Rottönen. Foto: © Martin Pfeifle

Spiel mit mir! Neue Formen in der öffentlichen Skulptur Text Peter Lodermeyer

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m Zeitalter digitaler Medien haben es die klassischen Gattungen schwer, ihre Daseinsberechtigung zu erweisen. Wo das Internet zum Maßstab kommunikativen Handelns wird, kommt es zu erstaunlichen Neubewertungen traditioneller Kunstformen. So sagte etwa die Kunstkritikerin Jennifer Allen 2010 auf einem Symposium zum Thema Skulptur: „Das Internet macht den Nachteil der Skulptur deutlich. Anstatt zu zirkulieren durch Texte, Tweets oder Blogs, bleibt eine Skulptur an einem Ort. Die Schwerfälligkeit der öffentlichen Skulptur [...] entspricht einer veralteten Erfahrung der Öffentlichkeit. Wie kann eine Skulptur eine Gemeinschaft inszenieren, wenn Menschen sich lieber im virtuellen Raum treffen?“ Man könnte zum Philosophen werden über der Frage, was hier „treffen“ bedeutet – und warum Menschen es nach wie vor wichtig finden, sich auf öffentlichen Plätzen zu versammeln, ob es nun darum geht, auf dem Tahrir-Platz in Kairo Revolution zu machen, die New Yorker Wall Street zu besetzen oder auch nur darum, gemeinsam beim Public Viewing auf der Berliner Fanmeile die FußballEuropameisterschaft zu genießen. Könnte es sein, dass die noch immer wichtige Bedeutung öffentlicher Plätze schlicht und einfach mit der Tatsache zu tun hat, dass wir Menschen körperliche Wesen sind, die sich im Realraum bewegen und ein Bedürfnis nach Begegnungen und Erfahrungen mit allen Sinnen haben? Für die Skulptur im öffentlichen Raum bedeutet dies: Jenseits der körperlosen Zirkulation von Informationen in sozialen Netzwerken und diesseits des Abstellens tonnenschwerer ‚Kunst am Bau‘, die schon bald zum Besprühen, Zerkratzen und für andere dringende Bedürfnisse genutzt wird, öffnet

nicolai | No 2 | Juli - September 2012

sich ein weiter Spielraum, den es künstlerisch zu erforschen gilt. Der in Düsseldorf lebende Martin Pfeifle, Jahrgang 1975, ist ein Künstler, der diesen Spielraum auf erfrischende und unkonventionelle Weise erkundet. Geradezu programmatisch erscheint im Rückblick seine Installation „thesplash“ von 2008, die er ausgerechnet in Griechenland, dem Geburtsort unseres angeblich „veralteten“ Begriffs von Öffentlichkeit, realisierte. Die Agora, der zentrale Versammlungs-, Marktund Festplatz der antiken griechischen Stadtstaaten, gilt schließlich als das Urbild des öffentlichen demokratischen Austauschs. Auf dem Aristoteles-Platz in Thessaloniki, einem der größten öffentlichen Plätze des modernen Griechenland, legte Pfeifle eine komplizierte Flächenfigur aus schwarzen und grünen Teppichbodenelementen aus. Zu Füßen einer Aristoteles-Sitzfigur aus Bronze, einem Musterbeispiel für die „Schwerfälligkeit der öffentlichen Skulptur“, entstand eine spitzige und verwinkelte Form, die den Charakter des rechteckigen Platzes fundamental veränderte, die Gehrichtungen der Passanten beeinflusste und ihre Schritte dämpfte. Von oben, z. B. von den umliegenden Hotels aus gesehen, wirkte die Arbeit wie ein riesiges geometrisch-abstraktes Bild. An ‚thesplash‘ werden einige wichtige, für Pfeifles Kunst typische Aspekte deutlich, zunächst der temporäre Eingriff in bestehende Raumverhältnisse. Pfeifles Arbeiten sind zeitlich begrenzt, sie treten nicht mit Ewigkeitsanspruch auf. Dem entspricht die Verwendung alltäglicher Werkstoffe, vornehmlich aus dem Warensortiment von Bauund Heimwerkermärkten. Wichtig ist auch die

leichte formale Fasslichkeit der Arbeiten durch den ungeniert spielerischen Rückgriff auf Formensprachen der Moderne wie Konkrete Kunst, geometrische Abstraktion oder Minimalismus. Wie es Pfeifle gelingt, vorgegebene Räume mittels einer ebenso einfachen wie sinnlich starken Intervention neu erfahrbar zu machen, zeigt beispielhaft seine Installation ‚ROTEMARTHA‘, die 2009 in der ehemaligen Reichsabtei Aachen-Kornelimünster zu sehen war. Im Erdgeschoss des barocken Schlosses ließ Pfeifle eine hauchdünne ‚Wand‘ aus Kunststoffbändern in sechs verschiedenen Rottönen straff gespannt durch die Räume laufen. Mit simpelsten Mitteln – die Bänder waren einfach an den Enden verknotet – schuf er dynamische Energiebahnen, die zugleich die Räume in nie gesehener Weise zerteilten. Mühelos überspielte diese Installation die Grenzen zwischen den Gattungen Malerei, Skulptur und Architektur und durchbrach deren eingespielte Wahrnehmungsmuster. Pfeifles Arbeiten haben einen ausgeprägt sozialen Charakter, sie kommen nicht als abweisende Kunstbetriebskunst mit schwerem intellektuellem Gepäck daher, sondern knüpfen an die Alltagserfahrungen der Betrachter an. Jüngstes Beispiel dafür ist ‚Rado‘, eine Außenarbeit, die Pfeifle 2011 im Auftrag der Bonner Wohnbaugesellschaft MIWO in einem Wohnquartier realisierte. ‚Rado‘ besteht aus 64 identischen schwarz-weißen Kuben aus sechsfach geschichtetem Neopolenschaum. Kubische Form, industrielle Fertigung und Serialität verweisen unmissverständlich auf die Ästhetik des Minimalismus. Doch anders als minimalistische Kunstwerke waren die ‚Rado‘-Würfel ausdrücklich zur Benutzung

durch die Anwohner vorgesehen. Die Hausbewohner verwendeten sie als Sitz- oder Liegemöbel, legten und stapelten sie nach diversen Ordnungs- und Unordnungssystemen, Kinder setzten sie als Baumaterial ein. Auf einem Blog konnten Fotos der verschiedenen Verwendungsund Anordnungsvarianten aufgeladen und ausgetauscht werden. ‚Rado‘ funktionierte also, trotz der strengen Form seiner Einzelteile, nicht als autonomes Kunstwerk, sondern als ein Spiel- und Werkzeug, das dazu führte, dass die Betrachter und Benutzer ihre Wohnumgebung und deren soziale Bedeutung neu erleben konnten. Dass dieses Experiment gelungen ist, zeigte sich spätestens, als die Anwohner die Arbeit auch nach Ende der zweimonatigen Laufzeit des Projekts nicht mehr missen wollten. Auf vielfachen Wunsch verbleibt ‚Rado‘ deshalb dauerhaft in ihrem Wohnquartier. Es war nicht zuletzt dieses Bonner Projekt, das die Galeristen Gisela Clement und Michael Schneider von der kunstgaleriebonn dazu veranlasste, Martin Pfeifle als bislang jüngsten Künstler in ihr Programm aufzunehmen und ihm im August dieses Jahres eine Einzelausstellung zu widmen. Zeitgleich wird Pfeifle im Kunstverein Mönchengladbach eine Installation realisieren. Diese Doppelung bietet die hervorragende Möglichkeit, Pfeifles Kunst der Raumintervention unter den ganz verschiedenen Bedingungen der Bonner Galerieräume in der Villa Faupel und der umfunktionierten Mönchengladbacher Industriehalle zu erleben.

30.8. bis 2.10.2012: kunstgaleriebonn, www.kunstgaleriebonn.de 8.9 bis 7.10.2012: Kunstverein MMIII Mönchengladbach, www.mmiii.de www.pfeifle.de

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Reiseziele ins Berliner Off Eine inspirierende Alternative zu Block Bustern: Die Off-Spaces Text Julia Brodauf

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enn geschrieben steht und zu hören ist, dass Berlin seine große internationale Anziehungskraft, auch die touristische, aus dem Kulturbetrieb bezieht, dann sind damit jedoch auch immer die anderen gemeint: Die Subkultur. Die Veranstaltungen in den kleinen Räumen, den Künstlerateliers, den sogenannten Off-Räumen. Räume, die in einem Jahr aktuell sind und vielleicht im nächsten Sommer nicht mehr. Räume, die nur an zwei Tagen die Woche geöffnet haben, weil der betreuende Kurator auch gleichzeitig als Künstler arbeitet und in einem Brotjob den Lebensunterhalt erarbeitet. Räume, die sich überhaupt nur eine gewisse Zeitspanne Betriebsdauer eingeräumt haben oder Atelierhäuser, die nur zwei Mal im Jahr ein offenes Wochenende veranstalten. Im Mai fand beispielsweise in Berlin zum zweiten Mal der Monat der Perfomancekunst statt, ein vierwöchiger Veranstaltungsmarathon mit einer langen, langen Teilnehmerliste. Ein Festival, ins Leben gerufen vom erst 2011 gegründeten Performerstammtisch, das neben der vieldiskutierten Berlin-Biennale relativ wenig Medienpräsenz erfährt, dabei verwirklicht es einiges „von unten“, was beim großen Bruder in den Kunstwerken eher aufgesetzt wirkt. Denn: Ganz selbstverständlich werden im Rahmen des Monats der Performance politische Inhalte diskutiert. In der Galerie des Flutgraben e.V. zum Beispiel werden Interessierten mittels eines Soundwalks die akustischen Merkmale der Gentrifizierung vorgeführt. Der Monat der Performancekunst, der auch weiterhin stattfinden soll, ist eine einmalige Gelegenheit, einen großen Teil der Berliner Offspace-Szene im Zusammenspiel zu erleben – 67 Orte sind beteiligt. Das bringt ganz nebenbei ein Zur-Ruhe-Kommen mit sich, ein Sich-Öffnen auch für die leisen und die eigenen Töne. Es wird über den Zusammenhang von Ton und Sprache nachgedacht, eine gute halbe Stunde lauschen die Teilnehmer des Walks den Tönen rund um die zwischen Spree und Flutgraben thronende Kunstfabrik. Wenn sie nun einen politischen Topos wie die Gentrifizierung mit Geräuschen verbinden, die sich aus dem Großstadtlärm schälen lassen, ist das eine künstlerische Intervention im Gehörgang und Hirn. Auch wenn Occupy nicht eingeladen ist. Dabei gibt es auch in der Kunstfabrik seit ein paar Tagen ein Workshop mit Wandzeitungen und Bierkisten, die Diskussion bezieht sich sogar auf das Geschehen in den Kunstwerken. Und dennoch würden sich diese Künstler nicht den sorgfältig getünchten White Cube beschädigen, denn den brauchen sie natürlich, um anspruchsvoll und professionell arbeiten zu können. Auch wenn der Putz hier nur außen bröckelt, befinden wir uns in der Kunstfabrik abseits des kommerziell kuratierten Mainstreams. Dem in herkömmlichen Galerien und Museen stattfindenden Kunstgeschehen, das ehrlicherweise Kunstmarkt heißt, gelingt es nur selten, der Kunst einen zweckfreien oder auch einen politischen Freiraum zu geben. Wo Galeristengehälter und Mieten in bester Lage pünktlich bezahlt werden müssen, bleibt verständlicherweise wenig Spielraum für Experiment und Unverkäufliches. Die Nachfrage bestimmt das Angebot, das ist in dem Fall der Geschmack des Messepublikums, und Unerwartetes wird daher seltener.

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Auch die im Off agierenden Künstler der Städte Leipzig und Hamburg treten derzeit gemeinsam auf: Ein gegenseitiger ‚Betriebsausflug‘ führte Künstler aus der Off-Szene des Hamburger Gängeviertels zu Ausstellungen in Leipziger Off-Räumen. Im Sommer folgt der Gegenbesuch der Leipziger in Hamburg. Offspaces, das sind: Ateliergemeinschaften (z.B. Meinblau e.V. in Berlin-Prenzlauer Berg), die Open Studios veranstalten oder sogar einen gemeinsamen Ausstellungsraum unterhalten. Kleine Künstlervereine, die sich selbst und Kollegen ausstellen (z.B. Scotty Enterprises in Berlin-Kreuzberg). Engagierte Kunststudenten, die günstige Räume besetzen und künstlerische Konzepte vorstellen (z.B. Kunsthalle am Hamburger Platz in Berlin – Weissensee). Ein selbstbewusst gewählter Name zeugt davon, wie ernst es den Künstlern tatsächlich ist mit ihrem Projekt: Henryk Gericke betreibt die Staatsgalerie mit Untertitel „Prenzlauer Berg. Im Wedding residiert der Kulturpalast, und ein 2003 noch im völligen Abseits am stillen Ende der Kurfürstenstraße eröffnete Ausstellungsraum von wenigen Quadratmetern, trägt von jeher den Namen Center. Inzwischen liegt der Raum tatsächlich von zahlreichen Galerien und Ausstellungsorten umgeben mitten im Zentrum der höchst aktuellen Kunstszene entlang der Potsdamer Straße. Unabhängige Ausstellungsräume können für junge Künstler und auch junge Kuratoren zu Sprungbrettern werden. Wechseln sie in den kommerziellen Kunstmarkt, verschwinden ihre Werke meist aus dem Off-Bereich. Trotz dem oder auch vor allem deswegen ist längst nicht alles, was man in der selbstorganisierten Kunstszene zu sehen bekommt, wirklich toll: Sie bietet auch jedem Künstler die Möglichkeit, weniger große Würfe zu präsentieren. Ehrlich gesagt: Wer sich die Mühe gemacht hat, die versteckten Kunstorte zu finden und auch aufzusuchen, kann dort auch ziemlichen Humbug erleben. Aber dennoch. Aus dem Wunsch, selbst etwas auf die Beine zu stellen, jenseits des Mainstreams sich selbst und Gleichgesinnten ein Forum zu verschaffen, die Strategie, sich selbständig an einer öffentlichen Diskussion zu beteiligen und so vielleicht irgendwann am etablierten Markt anzukommen, erwächst viel Spannendes, Interessantes, Schönes und Sehenswertes. Auch wenn viele der Projekte nur eine überschaubare Zeit lang bestehen, gibt es einige, die über Jahre eine feste Größe im Kulturgeschehen geworden sind. Der Ausstellungsraum Autocenter gehört dazu, der im Friedrichshain über einem Supermarkt logiert. Das Künstlerkollektiv General Public, das seit 7 Jahren an der Schönhauser Allee besteht. Die ganze Kolonie Wedding, ein Zusammenschluss von Künstler-Läden und -Ateliers im

Soldiner Kiez. Der Weg durch die Offräume führt auch architektonisch an ungewöhnliche Orte, in ehemalige Supermärkte, Gefängnisse oder Ämter, in eine Autowerkstatt, eine Tankstelle, ein Toilettenhäuschen am Flutgraben. Manchmal ist ein Förderer dabei, manchmal unterstützt das Kulturamt, manches Kleingeld stammt aus eigenen Vereinsgeldern oder dem Verkauf von Getränken zur Eröffnung. Geld verdient, aber das hatten wir schon, wird wenig. Dafür wird genetzwerkt. Die Ausstellungen in Eigeninitiative werden hauptsächlich von Künstlerkollegen besucht und funktionieren ausschließlich über die sehr gut miteinander vernetzte Kunstszene. Und die wächst und wandelt sich ständig, gerade in der Hauptstadt fließt ein steter Strom von internationalen Künstlern in die Stadt – nach ein paar Monaten oder Jahren sind viele von Ihnen auch schon wieder abgereist. Andere folgen. Das Netzwerk wächst somit auch auf internationaler Ebene. In diese Szene einzusteigen, erfordert etwas mehr persönliche Recherche als der Besuch der kommerziellen Galerie – die stehen in den Stadtführern und in den überall ausliegenden Flyern und Kunstmagazinen. Im Off-Bereich sind viele Projekte nur über die Webseite bzw. über ihre Verlinkungen mit den Kollegen zu finden. Die Plattform des Monats der Performance ist da ein guter Einstiegsort, auch das Quartiersmanagement Tiergarten Süd oder das Festival der 48 Stunden Neukölln sind brauchbare Zugangsstellen zum Berliner Künstler-Netzwerk.


Frank Rothe, Kiss Kiss - St. Petersburg - Russland 40 x 40 cm handkoloriert auf Barythpapier Edition 1/1 fotografiert 2008. Handkoloriert 2010. Foto: © Courtesy of the Artist

„Ein Bild muss nicht übersetzt werden“ Die poetischen ‚Lost in White Nights‘ von Frank Rothe Text Ralf Hanselle

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as Leben ist eine lange Reise. Den 1972 in Berlin geborenen Fotografen Frank Rothe hat sie bis dato an die entlegensten Orte der Welt geführt: In ein Ferienlager auf der Krim, an die Badestrände Siziliens oder in die Menschenmassen der asiatischen Großstädte. nicolai traf den weitgereisten Fotografen bei einem Zwischenstopp in seinem Atelier am Berliner Prenzlauer Berg, um mit ihm über seine aktuelle Fotoserie ‚Lost in White Nights‘ zu sprechen – ein in vielerlei Hinsicht transnationales Projekt.

Zugegeben, ich habe schon öfters mal darüber nachgedacht, eine handcolorierte Serie zu machen. Was mich an der klassischen Fotografie stört, ist die Reproduzierbarkeit – das Denken in Editionen. Ich aber wollte schon immer mal etwas einmaliges machen. Und durch die Handcolorierungen ist es ja jetzt so, das jedes Bild ein Unikat geworden ist. Es gibt Leute, die versuchen diesen Effekt mit dem Computer zu erzielen. Aber das ist nicht das Selbe.

Herr Rothe, wie war Ihr letzter Urlaub?

Ich habe das anfangs versucht; zusammen mit einem Assistenten. Aber das hat nicht funktioniert. Wenn man sich mit dieser Technik nicht wirklich auskennt, dann kriegt man sie nicht hin. Das Problem ist aber, dass dieses Verfahren heute kaum noch jemand beherrscht. Das ist eine Kunst, die fast ausgestorben ist. Dann aber habe ich mich daran erinnert, dass ich in Indien mal solche handcolorierten Bilder gesehen habe. Also habe ich auf dem Subkontinent gesucht und bin am Ende dort auch fündig geworden.

Mein Urlaub? Ich glaub, ich war schon seit Ewigkeiten nicht mehr richtig im Urlaub. Lassen Sie mich überlegen ... Das letzte Mal muss wohl vergangenes Jahr gewesen sein. Da war ich mit meiner Frau und meiner kleinen Tochter auf Mallorca. Ich unterscheide sehr streng. Es gibt für mich Urlaub und es gibt Reisen. Wenn ich reise, dann ist das Arbeit. Dann fahre ich in ein bestimmtes Land, um dort gezielt ein Projekt zu verwirklichen. Das ist eigentlich das Gegenteil von Urlaub. Auf solchen Trips fehlt mir oft Schlaf und Erholung. Da arbeite ich nicht selten ganze Nächte hindurch. Das ist seltsam; denn oft hat man das Gefühl, Ihre Reisebilder verströmten eine fast kindliche Urlaubsstimmung.

Manchmal, wie bei meiner Serie ‚Running through the Wind‘, die ich in einem Sommercamp am Schwarzen Meer aufgenommen habe, ist es tatsächlich so, als würde ich noch einmal in meine eigene Kindheit eintauchen. Ich glaube, das hat ganz viel mit dem jeweiligen Ort zu tun. In Osteuropa – in der Ukraine oder in Russland – findet man noch viele Dinge, die es hier im Westen schon lange nicht mehr gibt. Eine Unbeschwertheit. Das sind Kleinigkeiten: Gerüche oder die Sonne auf weichem Sand. Als Fotograf ist das natürlich wunderbar. Der Osten ist für mich immer eine Zeitreise. Die Blicke, die ich in solchen Gegenden finde, sind einfach unverstellter. In eine dieser Gegenden hat Sie auch Ihr aktuelles Projekt ‚Lost in White Nights‘ verschlagen. Für dieses haben Sie die sogenannten weißen Nächte in St. Petersburg fotografiert - das ist jene Zeit im Jahr, in der das Sonnenlicht die Nächte der rusischen Stadt am 60‘ Breitengrad in ein sanftes weißes Licht taucht. Was hat Sie zu dieser Reise veranlasst?

Ich wollte etwas Poetisches machen. Meine Idee ist es ursprünglich gewesen, das Licht der Sonnenwende zu testen. Gerade für einen Fotografen ist Licht ja überall auf der Welt anders. Es ist in Südafrika anders als in Spanien, und im Sommer ist es anders als im Winter. Erstaunlicher Weise habe ich dann aber gemerkt, dass das Licht der weißen Nächte gar nicht so sensationell ist, wie der Mythos es glauben machen will. Ich hatte mir mehr erhofft. Zugegeben: die Bilder, die ich aus St. Petersburg mitgebracht habe, waren überzeugend; aber irgendetwas schien mir zu fehlen. Zu sehr erinnerten mich die mit einer 6 x 6 Mittelformatkamera gemachten Fotos an frühere Arbeiten wie ‚Running through the Wind‘ - an Bilder also, die ich bereits gemacht hatte. Für mich gibt es aber nichts langweiligeres, als sich zu wiederholen. Und so sind Sie auf die Idee gekommen, die Bilder einzuscannen, ihnen am Computer die Farben zu nehmen und sie anschließend von Hand neu colorieren zu lassen?

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Haben Sie die komplexen Colorierungen selbst gemacht?

Das heißt, das ganze hat sich zu einem globalen Kunstexperiment entwickelt?

Ja. Das hat sehr viel Spaß gemacht; auch wenn ich nicht wissen will, wie viel Porto für diese Serie am Ende draufgegangen ist. Das hat sich ja über zwei Jahre hingezogen. Immer wieder wurden einzelne Bilder hin- und hergeschickt. Oft ist es vorgekommen, dass mich die Ergebnisse des Colorierers nicht überzeugten. Dann habe ich sie mit neuen Farbangaben wieder zurückgeschickt Am Ende aber sind gut dreißig wunderbare Einzelbilder entstanden. Dass tolle an der Fotografie ist ja, dass ein Bild nicht übersetzt werden muss. Es hat eine universelle Sprache. Es bietet sich geradezu an für ein solches globales Projekt. Wie funktioniert diese Handcolorierung – das ist ja ein Verfahren, dessen Höhepunkt bereit mehr als achtzig Jahre zurückliegt?

Man arbeitet mit Lasuren aus Eiweißfarben. Die ziehen sofort in die Oberfläche des Barytpapiers ein. Wenn man also nur einen einzigen falschen Punkt setzt, dann ist es vorbei. Ein guter Handcolorierer sollte zudem in der Lage sein, die Grautöne auf den Fotografien lesen zu können; das heißt, er sollte wissen, welcher Grauton für welche Farbe steht. Das ist wirklich sehr kompliziert. Wollten Sie mit diesem historischen Verfahren eine bewusst nostalgische Note setzen?

Ich bin nicht der Typ, der sagt: „Früher war alles besser!“. Ich weiß, es gibt Leute, die auf meinen Bildern etwas Nostalgisches oder gar „Ostalgisches“ sehen. Aber das ist quatsch. Die Gegenwart ist nicht schlechter als die Vergangenheit. Wird es eine Fortsetzung dieses Projektes geben?

Mal schauen. Ich habe mir im Moment verboten, neue Bilder zu machen. Ich muss erst einmal mein Archiv aufarbeiten. Ich habe natürlich schon Ideen für neue Projekte. Aber das ist alles noch nicht konkret. Viele meiner Ideen entwickeln sich erst vor Ort. Unterwegs. Wenn ich auf Reisen bin. www.frankrothe.com

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Impressum

nicolai

Das Zeitungsmagazin für Kunst, Kultur, Design & Architektur Verleger

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Reise-Itinerary Wo Sie in diesem Sommer Kunst finden Zusammengestellt von Stefanie Zobel

Wolfsburg: Frank Stella, Measurement of the Whale‘s Skeleton, 1988, Mischtechnik auf Aluminium, 7-teilig, 426 x 485 x 47 cm SCHAUWERK Sindelfingen, Foto: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Hannover: Alon Levin, The fake, the future and the finite (a commemoration of the absolute in the 21st Century), Part 1: Sun, Rainbow, Arch (reinvented), 2007/2008, Holz, Acryl, 200 x 200 x 100 cm (Installationsdetail), Foto ©: Ambach & Rice, Los Angeles.

Morsbroich: Paloma Varga Weisz, Basket Man, Basket Woman, 2008, Lindenholzmasken, Metallgestell lackiert, geflochtenes Peddigrohr, je 220 x 110 x 110 cm, © Paloma Varga Weisz, VG Bild-Kunst, Bonn 2012, Courtesy Gladstone Gallery, Foto: Hostettler, VG-Bild-Kunst, Bonn 2012

Basel Jeff Koons Erste Ausstellung des amerikanischen Künstlers Jeff Koons in einem Schweizer Museum, Fondation Beyeler bis 2. 9. www.fondationbeyeler.ch

London Damien Hirst - Seine erste große Werkschau mit Schlüsselwerken Tate Modern bis 9. 9. The Unilever Series: Tino Sehgal Sehgals Auftragsarbeit für Tate ist Teil des London 2012 Festival, dem Finale der „Kultur-Olympiade“ anlässlich der Olympischen Spiele, Tate Modern bis 28.10. www.tate.org.uk

Stockholm Explosion! Painting as Action Ungewöhnliche Überblicksschau von Action Painting bis zur Performance als und mit Malerei, Moderna Museet bis 9.9. www.modernamuseet.se

Darmstadt A House full of Music - Strategien in Musik und Kunst Huldigung an John Cage angesichts seines 100. Geburtstages mit 110 Künstlerkollegen, Mathildenhöhe bis 09. 9. www.mathildenhoehe.info Frankfurt am Main Making History Die künstlerischen Arbeiten in der Ausstellung verbindet die Frage nach der Macht der Bilder: Wie beeinflussen Fotografien unser Bild von Geschichte? MMK Museum für Moderne Kunst, MMK Zollamt und Frankfurter Kunstverein bis 8.7. www.ray2012.de Hamburg Gert & Uwe Tobias Eine „verschwindende“ Ausstellung, die bis November die Arbeiten der Brüder zeigt und fortwährend Platz macht für weitere Künstler Kunstverein Hamburg bis 18.11. www.kunstverein.de

Morsbroich Maison de Plaisance Rosemarie Trockel und Paloma Varga Weisz erstmals eine Ausstellung gemeinsam konzipieren, in der sie nicht nur die Interaktion ihrer Arbeiten mit der Arbeit der jeweils anderen Künstlerin anstreben, sondern sich auch intensiv mit dem besonderen Ort und der Atmosphäre von Schloss Morsbroich auseinandersetzen. Museum Morsbroich bis 30.9., www.museum-morsbroich.de Moskau III. Moscow International Biennale for Young Art Die Berliner Kuratorin Kathrin Becker nimmt für das russische Kunstevent junge Künstler bis 35 Jahre in den Blick bis 12.8. www.youngart.ru

Karlsruhe Déjà-vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YouTube 120 Werke von Albrecht Dürer bis zu Marcel Duchamp feiern die Kreativität des Kopierens, Kunsthalle Karlsruhe bis 5.8. www.kunsthalle-karlsruhe.de

München True Stories. Amerikanische Fotografie aus der Sammlung Moderne Kunst, Die Ausstellung spannt den Bogen von der Straßenfotografie der späten 1960er Jahre bis hin zu den zeitgenössischen New York Fotografien der Künstlerin Zoe Leonard, Pinakothek der Moderne bis 30.9.– www.pinakothek.de

Köln Claes Oldenburg: Wie der Alltag die Kunst erobert Highlights des Pop Art-Papstes und seiner Lebensaufgabe, der Übertragung von nützlichen Dingen in vermeintlich nichtsnutzige Kunst, Museum Ludwig 23.6. bis 30.9. www.museum-ludwig.de

Paris Paris Triennale Palais de Tokyo und andere Orte in Paris bis 26.8. www.latriennale.org Tipp: Restaurant Le Tokyo Eat, Palais de Tokyo, 13, avenue du Président Wilson, 75116 Paris www.palaisdetokyo.com

Paris: Mathieu Kleyebe Abonnenc, Pour Julius Eastman, (Crazy Nigger, Evil Nigger, Gay Guerilla), 2012, Installationsansicht La Triennale, Intense Proximité, 20.04.12 - 26.08.12, Palais de Tokyo, Paris, Foto ©: André Morin, © Marcelle Alix, Paris.

Köln: Oldenburg. Two Cheeseburgers, with Everything (Dual Hamburgers), 1962, Jute, getränkt in Gips, bemalt mit Lackfarbe, 17.8 x 37.5 x 21.8 cm , The Museum of Modern Art, New York; Philip Johnson Fund, © Claes Oldenburg.

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Venedig Madame Fischer Amüsante Schau durch Urs Fischers künstlerischen Werdegang seit den Neunzigern mit Humor, Paradoxem und kreativer Virtuosität Palazzo Grassi. Francois Pinault Foundation bis 15.7. www.palazzograssi.it Vilnius 11th Baltic Triennial of International Art Ein spannendes 12-tägiges Festival unter der Leitung von Defne Ayas (Witte de With, Center for Contemporary Art, Rotterdam) kreist rund um Film und Performance 24.8. bis 9.9. www.cac.lt/en Wien Morgan Fisher. The Frame and Beyond In Wien sieht man das ganze Spektrum: Einst Cutter in Hollywood, hat Fisher sich im Experimental Film, und Expanded Cinema ausgelebt und später auch zur Malerei gefunden Generali Foundation bis 29.7. www.foundation.generali.at Wolfsburg Frank Stella. Die Retrospektive Neben Stellas maschinenartigen Stahl-Plastiken sind auch Berühmtheiten wie seine farbenprächtigen, gigantischen Aluminiumund reliefs zu sehen, Kunstmuseum Wolfsburg 1.9. bis 20.1.2013 www.kunstmuseum-wolfsburg.de Wo es in diesem Sommer sonst noch Interessantes zu sehen gibt, wie etwa in Berlin, Bregenz, Kassel, Hannover und Paris, erfahren Sie auf den Seiten 14 - 15 mit ausgewählten Tipps rund ums Essen und Schlafen.

München: Lee Friedlander, New York City, 1966, Bromsilbergelatineabzug, Barytpapier (kartonstark), 21,9 x 32,8 cm (Bildmaß). Seit 2003 Dauerleihgabe der Siemens AG, München, für die Sammlung Moderne Kunst, Foto ©: Lee Friedlander.


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