Dann eben digital Gestärkter Sinn für Solidarität
Bevor die antirassistischen Proteste begannen, standen in den USA der Wahlkampf und die Pandemie im Vordergrund. Welchen Fokus die USSektion von Amnesty in dieser Zeit hatte, erzählt Daniel Balson (35).
Die Auswirkungen der Corona-Krise sind weltweit unterschiedlich. Während die einen wieder in den Alltag zurückkehren wollen, sorgen sich andere um ihre Gesundheit. Das gilt auch für Südafrika, berichtet Shenilla Mohamed (57), Direktorin der dortigen Amnesty-Sektion.
Seit drei Jahren arbeite ich für Amnesty International in Washington, dem politischen Zentrum des Landes. Meine Aufgabe besteht darin, auf politisch Verantwortliche einzuwirken, um sicherzustellen, dass Menschenrechte nicht vernachlässigt werden. Diese Arbeit umfasst viele persönliche Treffen, in denen ich die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger davon überzeuge, Seite an Seite mit Amnesty Stellung zu beziehen. Mein Arbeitsalltag gestaltet sich derzeit anders als sonst. Ich stehe zwar immer noch früh auf und informiere mich über das politische Geschehen weltweit. Doch anstatt auf persönliche Treffen im Regierungsviertel Capitol Hill bereite ich mich nun auf Videokonferenzen vor. Einerseits ist es erfreulich, dass ich meine Arbeit von zu Hause aus fortsetzen kann. Da ich Beziehungen zu vielen Politikerinnen und Politikern aufgebaut habe, kann ich weiterhin den Kampf für die Menschenrechte auf die politische Agenda setzen. Andererseits galt die Aufmerksamkeit meiner Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner vor dem Tod von George Floyd vor allem der Corona-Krise. Hinzu kommt, dass in diesem Jahr die Präsidentschaftswahl ansteht. Alles, was damit zu tun hat, wird verfolgt und dominiert die Nachrichten. Viele Menschen sorgen sich um ihre Gesundheit und achten darauf, wie die Präsidentschaftskandidaten mit der Corona-Krise umgehen. Damit die Menschenrechte Teil der Corona-Diskussion sind und bleiben, konzentrieren wir uns auf die Bildungsarbeit. Wir informieren sowohl die Wählerschaft als auch die Kandidaten über die wichtigsten Menschenrechtsthemen. Da der zukünftige US-Präsident die Menschenrechtslage beeinflussen kann, ist es uns wichtig, dass die Wählerinnen und Wähler dies bei ihrer Entscheidung berücksichtigen. Bis zur Wahl im November haben wir noch Zeit. In der Zwischenzeit werde ich weiterhin vom Homeoffice aus arbeiten. Die Pandemie fordert mich heraus, kreativer und flexibler zu denken, und ich genieße es, mehr Zeit mit meiner dreijährigen Tochter verbringen zu können. Doch ich freue mich schon auf die Zeit, wenn ich wieder vor Ort in Capitol Hill sein kann.
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Foto: Amnesty USA
Konzentration auf Bildungsarbeit
Wie viele andere Menschen arbeite ich seit dem öffentlichen Lockdown im Homeoffice. Das erschwert meine Arbeit, denn eine Organisation wie Amnesty dokumentiert Menschenrechtsverletzungen vor Ort, um zuverlässige Berichte zu erstellen. Die besonderen Umstände haben aber auch ihre positiven Seiten, denn sie ermöglichen uns einen anderen Blick auf unsere Arbeit. Die Pandemie fordert uns heraus, vorhandene Kanäle noch effektiver zu nutzen und neue Wege einzuschlagen. Da wir jetzt nicht mehr den Dialog mit unseren Unterstützerinnen und Unterstützern auf der Straße suchen können, sind wir vermehrt online aktiv. Unsere zehn Hochschulgruppen haben besonders engagiert reagiert. Wir veranstalten Webinare und digitale Aktionen in den sozialen Medien, um unsere Community weiterhin zu erreichen. Unsere Online-Aktion »Turn on the tap« hat sehr großen Anklang gefunden. Sie hat darauf aufmerksam gemacht, dass ein Drittel der südafrikanischen Bevölkerung keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser hat und es überall an sanitärer Infrastruktur fehlt. Covid-19 hat viele Probleme verschlimmert, die bereits zuvor existierten. Unsere Aufgabe ist es auch in diesen Zeiten, als Watchdog für Menschenrechte zu wirken. Wenn die Regierung also angibt, sie habe 200.000 Wasserbehälter in ärmere Gegenden geliefert, dann überprüfen wir das genau und üben auf diese Weise Druck auf die Behörden aus. Dieser Aspekt unserer Arbeit hat sich durch die Pandemie nicht geändert. Nach Corona möchte ich öfter von zu Hause aus arbeiten. Ich weiß jetzt, dass man auch dort produktiv sein kann. Außerdem gibt uns das die Möglichkeit, mehr Zeit mit unseren Liebsten zu verbringen und uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Seit meine Kolleginnen, Kollegen und ich uns nicht mehr im Büro sehen, nehmen wir uns mehr Zeit, um über die Geschehnisse der Woche zu reflektieren und nach dem Befinden der anderen zu fragen. Ich würde mir wünschen, dass uns der gestärkte Sinn für Solidarität erhalten bleibt und wir als bessere Gesellschaft aus der Krise hervorgehen.
AMNESTY JOURNAL | 04/2020
Foto: Shenilla Ahmed
Covid-19 hat Auswirkungen auf die Arbeit von Amnesty International in aller Welt. Welche? Amnesty-Mitarbeiter aus den USA, Südafrika, Indien und Brasilien berichten.