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Es wird etwas hängenbleiben

Gerüchte, Diskriminierung und Rassismus, eingeschränkte Grundrechte, Ausweitung der Überwachung: Was bleibt, wenn Covid-19 verschwindet? Und besteht auch Anlass zur Hoffnung? Ein Essay von Maik Söhler

Eine Pandemie hält die Welt im Griff. Millionen erkranken, Zehntausende sterben, Staaten schotten sich ab, Gesundheitssysteme geraten an ihre Grenzen, Grundrechte werden eingeschränkt, Unternehmen gehen in Konkurs, Menschen verlieren ihr Einkommen. Fast jedes Land der Erde ist betroffen. Fast überall werden ähnliche Maßnahmen ergriffen, um die Fallzahlen von Covid-19 weniger schnell steigen zu lassen und die Anzahl der Toten so gering wie möglich zu halten. Geteiltes Leid ist halbes Leid?

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Gerüchte und »Schuldige«

Von wegen – »Wuhan-Virus«, »Chinesen-Krankheit« oder »China-Seuche«: US-Präsident Donald Trump und andere haben gezielt Gerüchte gestreut, Schuldige gesucht, angeprangert. Es dauerte nicht lange, bis die USA offiziellen Angaben zufolge zehnmal mehr an Covid-19 erkrankte Bürger aufwiesen als China. Längst hat sich gezeigt, was Profitinteressen vom US- Gesundheitssystem übrig gelassen haben (in einigen Staaten Europas ist es nicht besser), wie gut eine Krankenversicherung für alle US-Bürger gewesen wäre und wie das Zögern der US- Politik, das öffentliche Leben zu beschränken, zur Virenverbreitung beigetragen hat. Verantwortlich gemacht wurden von Trump zuerst die Europäer, dann die Chinesen. Selbst als USGesundheits experten widersprachen, blieb die US-Regierung bei der Bezeichnung »Wuhan-Virus«.

Amnesty International hat auch in Deutschland zahlreiche Fälle rassistischer Beleidigungen und Diskriminierungen dokumentiert. Dabei geht es um Menschen, »denen eine chinesische oder auch ganz allgemein eine asiatische Herkunft unterstellt wird«. Zwei Beispiele: In Leipzig wurden japanische Fußballfans vom Sicherheitspersonal des Stadions verwiesen, als es für Fans noch geöffnet war. In Essen lehnte eine Arztpraxis die Behandlung einer Chinesin mit Erkältungssymptomen ab. In China wiederum wurde Covid-19 zum US-Import erklärt, und in Kamerun gelten weiße Europäer als »Corona-Überträger«.

Keinem Kranken ist mit der Beschuldigung anderer geholfen. Kein Todesfall wird so verhindert. Während in Kliniken Schutzkleidung und Beatmungsgeräte fehlten, gibt es keinen Mangel an Gerüchten. Für die gilt stets: Es wird etwas hängenbleiben.

Einschränkung der Grundrechte

Das gilt auch in einem anderen Bereich: Um alte und gesundheitlich vorbelastete Menschen zu schützen, haben sich viele Staaten darauf eingelassen, Grundrechte wie die Freizügigkeit, das Versammlungsrecht oder die Berufsausübung vorübergehend zu begrenzen. Die Maßnahmen reichen von strikten Ausgangs- und Kontaktsperren bis hin zu weniger weitreichenden Verboten. Staaten wie Russland oder die Türkei kontrollieren die Informationen strikter denn je. Ungarn hat die parlamentarischen Mitsprache- und Kontrollfunktionen sowie den Rechtsstaat mit einem »Notstandsgesetz zur Selbstermächtigung« drastisch eingeschränkt. Polen hat die Krise genutzt, um das Wahlrecht im Sinne der Regierungspartei zu ändern.

China hat gezeigt, was im Extremfall möglich ist. Die Millionenmetropole Wuhan und andere Städte in der chinesischen Provinz Hubei wurden komplett abgeriegelt. Dabei kamen paramilitärische Truppen, Spezialeinheiten der Polizei, staatliche Gesundheitsmitarbeiter sowie von der Kommunistischen Partei organisierte »Nachbarschaftskomitees« zum Einsatz – allesamt ausgestattet mit weitreichenden repressiven Befugnissen.

Wenn es um den erfolgreichen Kampf gegen Covid-19 geht, ist China auch für demokratische Staaten zum Vorbild geworden. Zwar wollen sie viele der Grundrechtseinschränkungen »so bald wie möglich« aufheben. Doch was genau heißt »so bald wie möglich«? Und: Bleibt wirklich keine Einschränkung übrig?

In diesem Kontext prägte der Autor Sascha Lobo jüngst im Spiegel den Begriff der »Vernunftpanik«, definiert als »öffentlicher Furor, dass andere Menschen weniger vernünftig handeln als man selbst«. Mit der »Vernunftpanik« gehe oft ein Unwillen einher, kritisch zu diskutieren: »Dabei ist auch eine sinnvolle Grundrechtseinschränkung eine Grundrechtseinschränkung, über die diskutiert werden kann und muss. Man kann gegen Ausgangssperren argumentieren und trotzdem kein Massenmörder sein.« Und der SWR-Kommentator Rainer Volk fragte: »Wieso haben wir 1968 eigentlich gegen die Notstandsgesetze demons triert, wenn die Bundesbürger heute lakonisch allem zustimmen, was ihnen in der Corona-Krise an Einschränkung ihrer Freiheit zugemutet wird?«. Auch bei der Einschränkung von Grundrechten gilt: Es wird etwas hängenbleiben.

Überwachung

So wird es auch nicht zuletzt im Bereich der Überwachung sein. China, Südkorea und Israel haben es vorgemacht, andere Staaten folgten: Positiv Getestete werden per Handy geortet, ihre Bewegungen im öffentlichen Raum können für andere sichtbar gemacht werden. Ein kleines Virus reicht aus, um Privatwirtschaft und Staat, Mobilfunkprovider und Geheimdienste kurzzuschließen. Erst nach Kritik zog Bundesgesundheitsminister Jens Spahn seine Tracking-Pläne zurück. Eine freiwillige und anonymisierte Verwendung von Standortdaten als App findet die Zustimmung vieler Bürger, unter ihnen auch Datenschützer. Es liegt an den Details einer solchen App und an den Antworten auf die Fragen, wo, wie, von wem und wie lang Daten gespeichert werden, ob daraus ein sinnvolles temporäres Werkzeug in Covid-19-Zeiten wird oder ein Machtinstrument zur Kontrolle.

Gesichtserkennung, Temperaturscans oder Drohnen: In den vergangenen Wochen kamen vermehrt Technologien mit Überwachungspotenzial zum Einsatz, und selbst in Staaten mit soliden Datenschutzgesetzen waren mahnende Stimmen zuletzt immer undeutlicher und leiser zu vernehmen.

Solidarität und Hilfe

Wird denn alles immer schlechter? Nein. Auch wenn ökonomische Gründe und Imagepolitur im Vordergrund stehen: Italien hat Hilfe aus Russland erhalten, Spanien aus China. Patienten, die in Frankreich nicht versorgt werden konnten, wurden in anderen Ländern behandelt. Briten meldeten sich freiwillig zur Unterstützung des National Health Service. Armeen kämpften für eine gute Sache, gegen das Virus. Wissenschaftler aller Länder kooperierten so eng wie nie zuvor. Allerorts gingen Nachbarn, die durften, für Nachbarn einkaufen, die nicht durften. Care-Arbeit, die überwiegend von Frauen geleistet wird, erfuhr mehr Anerkennung. In einigen Fällen erlebten Flüchtlinge, Obdachlose und Arme mehr Unterstützung als zuvor.

In vielen anderen Fällen blieb diese Hilfe aus. An den Rändern Europas sind die Grenzen dicht, aber um jene, die dort festsitzen, wird sich kaum gekümmert. Man kann im Gegenteil den Eindruck gewinnen, das sei als abschreckende Maßnahme politisch so gewollt. Wenn es um grenzüberschreitende Solidarität und Hilfe geht, wäre es aber gut, am Ende dieser Pandemie zu wissen: Dort konnte etwas getan werden, und auch davon wird etwas hängenbleiben.

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